Das Kino der (zumal frühen) 1970er Jahre ist eine wahre Schatztruhe, deren Wert wohl kaum je vollständig zu ermessen sein wird. An der historischen Schwelle zu home video und der (produktions- wie auswertungs-)ökonomischen Konzeption des Blockbusters findet sich hier eine Verschaltung einerseits elaborierter, allerdings noch nicht finanziell vollkommen entrückter Filmtechnik(en) mit andererseits einem noch so strukturierten Filmmarkt, der weniger die vereinzelte Großproduktion, sondern eher die massenhafte Produktion kaum überschaubarer Filmmengen bevorteilt. Vor dem Hintergrund nicht nur der ökonomischen und studio-internen Krise Hollywoods, sondern auch politischen und sozialen Krisen weltweit, formierten sich hier widerständige Formen des Kinos, deren Brisanz und Sprengkraft nicht zufällig auch dem heutigen Kino einen filmhistorischen Fix- und Bezugspunkt liefern, ohne dass dieses dabei allerdings nennenswert über eine material- und motivästhetische Lektüre der Oberflächen hinaus käme (dem Trailer nach zu schließen, dürfte mit der Rodriguez/Tarantino-Coproduktion Grindhouse im kommenden Jahr die, zugestandermaßen auch von mir herbeigesehnte, Vollendung und Apotheose einer ästhetischen Übersetzung dieser Lektürehaltung in die Kinos kommen).

Doch kommen wir zu The Spook who Sat by the Door, der für den Geist dieser Kinotage in mancher Hinsicht charakteristisch ist. Basierend auf dem offenbar kultisch verehrten Roman gleichen Namens von Sam Greenlee (in seinem Standwerk That's Blaxploitation schreibt Darius James: "[a] required reading among my circle of homies in high school"), erzählt The Spook... die Geschichte des Afro-Amerikaners Dan Freeman, der eine fadenscheinige Kampagne des CIA, die dem Zweck dient, sich nach außen hin als "integrativ" in racial issues zu geben, für sich nutzt, um direkt in die Schaltzentralen der politischen Macht zu gelangen und dort Wissen zu akkumulieren. Dieses wiederum nutzt der ansonsten lebenslang so unauffällige, nunmehrige CIA-Agent, um in den Ghettos der us-amerikanischen Großstädte zu agitieren, eine Guerillagruppierung zu bilden und diese schließlich zu bewaffnen. Am Ende schließlich steht der Übergang in die heiße Phase des Kampfes: Der Film endet mit nichts geringerem als einem latenten Bürgerkrieg. Die letzten Bilder sind, gerade auch vom Standpunkt eines Actionkinos aus betrachtet, schlichtweg mitreißende, in denen sich schwarze Guerilleros maschinengewehrbewehrte Gefechte mit dem Militär liefern.

Dabei ist es vor allem die Konsequenz, die an The Spook who Sat by the Door so unglaublich erstaunt - und die ihn von dem ansonsten in manchen Dingen nicht völlig unverwandten Fight Club dringend abhebt. Wo letzterer das ironische Spiel mit Oberflächen sucht und politische Revolution auf ein narrativ interessantes Konzept runterbricht, das einem gelangweilten Mittelschichtspublikum etwas thrill bietet, das eigentliche Moment zum Aufruhr aber individuell in einer persönlichen Identitätskrise eines Neurotikers verortet (was jetzt alles nicht heißen soll, dass ich Fight Club schlecht finde), bleibt in The Spook... seitens der Produktion über die gesamte Spieldauer kein Zweifel an der Aufrichtigkeit und Notwendigkeit des politischen Kampfes. The Spook... ist selbst noch in seinen moralisch heikelsten Momenten absolut ungebrochen und von einer unbändigen Wut über die Verhältnisse getragen. Dass vor allem die militärische Ausbildung der Guerilleros beinahe schon dokumentarisch vom Film verfolgt wird, mag dabei als Verbrüderungsgeste mit dem seinerzeitigen Publikum angesehen werden.

Nicht geringen Anteil an der Wirkmächtigkeit des Films hat auch der von Herbie Hancock komponierte Soundtrack. Hancock trennt sich hier bereits vom klassischeren Jazz seiner früheren Tage (siehe z.B. seine Arbeit für Antonionis Blow Up). Auf dem Soundtrack finden sich zahlreiche, teils schon sehr avancierte Experimente mit den Frühformen des heavy funk, die zuweilen schon eine sehr abstrakte Klangform suchen, die ganz an der Materialität von Studioaufnahmetechnik orientiert ist, und, etwa im Falle rückwärts abgespielter Beats, schon die heraufdämmernden Collage- und Sampletechniken kommender Jahre erahnen lässt. Zwar bin ich kein Fachmann für schwarze Musik, doch scheint mir dies 1973 zumindest in diesem Kontext schon sehr radikal und modernistisch gedacht gewesen zu sein.

Seinerzeit muss The Spook... wie Benzin ins ohnehin schon lodernde Feuer gewirkt haben; offenbar war der Film seinerzeit wirklich einigen Repressionen ausgesetzt und obendrein lange Zeit nicht erhältlich, wie dieser Artikel der New York Times berichtet. Heute ist er in seiner absoluten Aufrichtigkeit seinem Gegenstand gegenüber, die ganz offenbar nicht von Studiobossen, Marktanalysen, Großkonzeptionen und dergleichen verbogen wurde, ein aufschlussreiches historisches Dokument seiner Zeit. Offen bleiben muss aber die Frage, ob man dem Film mit einer Einsortierung unter dem Rubrum "Blaxploitation" wirklich gerecht wird; ähnlich wie im Falle von Melvin van Peebles zwei Jahre zuvor entstandenen Erstling Sweet Sweetback's Baadasssss Song scheint mir hier die zu Grunde liegende Stoßrichtung zu sehr eine andere als die des schnellen cash-ins zu sein, die für den Exploitationfilm im Allgemeinen so grundlegend ist.

imdb ~ movie blog search engine ~ movie magazine search engine


° ° °




kommentare dazu:



orcival, Dienstag, 14. November 2006, 18:19
gut gesprochen. endlich mal jemand der diesen film so hypt, wie es ihm zukommt. der film liegt übrigens auch in einer sehrsehr brauchbaren dvd-edition vor.

was die genre frage angeht: ich denke, da wird ohnehin die frage zu stellen sein, was man denn sagen moechte, wenn man von blaxploitation redet.
denn zwischen politfilmen wie dem von dir erwaehnten "sweet sweetback", und den unpolitischen action-gedoens-film "cleopatra jones" liegt ja zb auch der zwar mainstreamige aber doch noch immer sehr politische "foxy brown". nur um die spannweite aufzumachen...


thgroh, Dienstag, 14. November 2006, 20:02
hmmm, das folgende jetzt bitte nicht falsch verstehen, aber ich fühle mich gerade selbst etwas falsch verstanden: wo "hype" ich den film denn? genau genommen versuche ich mich doch erstmal an einer beschreibung und verortung. wertende vokabeln habe ich eigentlich ganz bewusst erst mal außen vor gelassen, weil ich mir in dieser hinsicht selbst noch sehr unschlüssig bin (wobei ich ihn schlecht schon nicht finde). ich halte den film aber für allemal und in erster linie für interessant und entdeckenswert, gerade auf grund eben auch seiner historischen aussagekraft - und dies weniger auf grund seiner politischen stoßrichtung, sondern in erster linie aufgrund seiner innenansicht politischer strömungen dieser zeit.

die frage nach dem (sub-)genre (auch hier wäre ja zu fragen, ob "blaxploitation" denn schon ein "genre" sei): "politizität" schützt meiner meinung nach noch nicht vor "exploitation". "foxy brown" ist sicher nicht so karnevalistisch wie andere vertreter des "blaxploitation" genannten zusammenhangs; die politischen äußerungen, die sich in ihm finden, sind nach meinem dafürhalten aber eben auch eher "exploitativ" eingesetzt. gerade "foxy brown" (oder auch "coffy") wurde ja von einem 'weißen regisseur' und einer 'weißen produktionsgesellschaft' (arkoffs AIP) produziert, die beide seit je her auf den schnellen 'dime' setzten und hier eben ein neues marktsegment auftaten. ganz ähnlich wie im falle von 'shaft', der ja schon als literarische figur komplett eine erfindung eines 'weißen krimi-autors' war.


filmfreak, Mittwoch, 15. November 2006, 00:15
mit hypen meinte ich - auch wenn ich nun zugeben muss, etwas uebertrieben zu haben - eher im sinne von "aufmerksam machen", aber wie gesagt das war schneller geschrieben als durchdacht.

ich wollte durchaus auch keine dichotome zweiteilung - "politizitaet" hier, "exploitation" dort - aufmachen, aber beispielsweise betonen ja einige menschen in isaac juliens blaxploitation-essay "Baadasssss Cinema" die umstrittenheit des begriffs der exploitation.
und teilweise muss man, denke ich, auch mit begriffen wie "weiss"/"schwarz" wohl kritischer umgehen, als das in viel literatur zu speziell diesem genre getan wird.
ganz so identitaer waren auch nicht alle damals unterwegs.
kurz und gut:
ich hoffe, dein gefuehl des missverstanden-seins etwas abgeschwaecht zu haben...


orcival, Mittwoch, 15. November 2006, 01:15
jetzt haben wir soviel drueber geschieben, dass ich auch gleich meinen schon laenger liegen gebliebenen artikel zu nem ähnlichen fall zu ende geschrieben hab.
vielleicht interessierts dich:
http://aufsmaulsuppe.blogger.de/stories/608261/
(wenn der link hier nervt, lösch ihn einfach, wusste nur nicht, wie ich dir das sonst am besten zukommen lassen soll.)


thgroh, Mittwoch, 15. November 2006, 11:15
ah, orcival = filmfreak - gut zu wissen! :)

das mit dem "falsch verstanden" war auch nur auf den begriff des "hypes" bezogen - das hast du ja jetzt hinreichend klar gestellt :)

wg. subgenre, identitität, etc- das ist alles sehr heikel, natürlich. ich sehe solche diskussionen deshalb auch nicht als austausch von überzeugungen, sondern als annäherung. danke für den hinweis auf isaac juliens essay - den werde ich mir mal zu gemüte führen.

wg. link: nervt überhaupt nicht! :) links auf eigene artikel/blogs nerven imho nur dann, wenn sie nicht themenbezogen, also spam, sind. alles, was eine diskussion oder ein thema aufhellt und bereichert, ist natürlich immer gerne gesehen - ganz klar. :)


orcival, Mittwoch, 15. November 2006, 11:50
ja das mit den aliassen (oder wie ist der plural von alias?) ist verwirrend, aber irgendwie 'historisch' gewachsen...



To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.


...bereits 2761 x gelesen