17.11.2006, Heimkino.
»Tübingen und Umgebung, Anfang der 70er Jahre. Die junge Michaela Klingler (Sandra Hüller) verlässt ihr streng katholisches Elternhaus, um ein Studium zu beginnen. Glücklich, das kleinbürgerliche Umfeld hinter sich gelassen zu haben, genießt sie die ersten Schritte in der neuen Freiheit und findet mit Hanna (Anna Blomeier) und Stefan (Nicholas Reinke) schnell Freunde.

Doch Michaela wird von ihrer Vergangenheit eingeholt: Trotz ärztlicher Behandlung hat sie immer öfter mit epileptischen Anfällen und Wahnvorstellungen zu kämpfen. Sie hört Stimmen und glaubt, von Dämonen besessen zu sein. Schließlich begibt sich Michaela in die Obhut eines jungen Priesters und stimmt einem Exorzismus zu ...«

[Text: X Verleih, offizielle Filmwebsite]

Es sind Menschen im vertracktesten Elend, die Hans-Christian Schmid in seinen Filmen interessieren. Sei es der Hacker Karl Koch in 23, das Ensemble an randständigen Existenzen in Lichter oder eben hier Michaela Klinger, deren Schicksal - ihre Epilepsie entfremdet sie ihrem provinziell-religiösen Umfeld, was schließlich zum Verdacht der satanischen Besessenheit führt - einem realen Vorfall in den 70er Jahren nachempfunden ist. Ganz minutiös folgt Schmid dabei den Umständen, in denen sich die jeweiligen Personen bewegen und in die sich schließlich verstricken, während der Blick auf die Eskalation der (nur sozusagen) 'realen' Hölle nicht geworfen wird: Weder sehen wir den Tod von Karl Koch, und wenn in Lichter die Mädchen für eine Nacht lang prostituieren müssen, sehen wir zwar, wie es dazu kommt, doch folgt dem abschließenden Schnitt eine Ellipse zum nächsten Morgen, und das, möchte man fast sagen, Martyrium von Michaela Klinger schließlich bleibt einer Notiz im Abspann vorbehalten: Nach zahlreichen Exorzismen stirbt Klinger an Entkräftung, verkündet weiße Schrift auf schwarzem Grund. Schmid legt Strukturen und Szenarien offen, der gaffende Blick aber, der Elend zu reiner Äußerlichkeit degradieren würde, findet sich in seinen Filmen nicht.

In Requiem sind es kleine Details auf einem langen Leidensweg, zu dem der Film nur das Vorspiel liefert, die Wegsteine markieren. Ein schneller Blick, der noch über die Schulter geworfen wird, von der stets bewegten Kamera, die immer dicht an den Figuren hängt, ihren Bewegungen nachspürt, fast schon beiläufig, man möchte fast sagen: zufällig, eben gerade so noch eingefangen. Ein Detail in der Bewegung. Ein Gespräch, das nicht von Offenheit geprägt sein kann, einfach im Verlauf ist, und doch zu Missverständnissen führt.

Wo Lichter in dieser Hinsicht oft ausgezirkelt und aufgestellt wirkte, gelingt es Requiem seinen Stoff zu erden, zu verankern. Vor allem Sandra Hüller ist dies zuzuschreiben, die in ihrer Verkörperung der Michaela eine ungeheure Präsenz und Realität entwickelt; sie stammt vom Theater, was es nur erstaunlicher macht, wie viel ihrer Figur sie noch in kleinste Details von Gestik und Mimik zu legen vermag. Am eindrucksvollsten sind die Sequenzen, in denen sie tanzt: Hier findet die Transitposition ihrer Figur - zwischen Aufbruch, den das begonnene Studium fern des Heimatdorfes markiert, erste Parties, der erste Freund, all das, und der allmählichen Entfremdung von ihrer Umgebung, die sich ins grob Hysterische steigern wird - formvollendeten Ausdruck. Und die Kamera schließt die Welt um sie qua ihrer Perspektive bereits aus: Sie tanzt für sich, in einem sozialen Raum zwar, doch die Fäden zur Außenwelt scheinen bereits gekappt.

Dass Schmid weiterhin darauf verzichtet hat, seinen Film in eine nostalgische 70er-Travestie zu verwandeln, ist ihm hoch anzurechnen; angesichts des jüngsten Trends in dieser Hinsicht, wäre eine solche Entscheidung nahe gelegen. Requiem präsentiert keine Abfolge von props und Fummeln, auch wenn er seine Geschichte in eine sich am Äußerlichen festmachende 70ness zwar einmantelt, doch eben gerade nicht erdrückt. Requiem ist auch kein Horrorfilm geworden: Plumpe Ästhetisierungen von Michaelas Phantasmen finden sich nicht; die Kamera bleibt Instrument zur Beobachtung und wird keines der Subjektivierung. Und sie erklärt nichts, sie folgt nur nach; am allerwenigsten von Interesse ist, was Michaela Klinger wirklich umtreibt.

Die Geschichte einer Entfremdung, die klar strukturiert ist, nie kalt ihrem Gegenstand gegenüber bleibt, aber auch nicht zum Sentiment der Einfühlsamkeit neigt. Emphase jenseits der Empörung und jenseits des Skandals; die Geschichte eines Menschen, dem man zuhören und in seiner erlebten Realität für voll nehmen hätte müssen.

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