Mittwoch, 4. Februar 2015
Heute feiert George A. Romero seinen 75. Geburtstag. Was auch heißt, dass ich heute vor fünf Jahren meinen ersten Text in der taz hatte. Als Einstand durfte ich dem Zombiemeister zum 70. Geburtstag gratulieren.



Zum Horrorfilm kam er über Umwege: Eigentlich wollte George A. Romero eine Art Ingmar-Bergman-Film drehen. Doch der Stoff, mit dem der junge, kinobegeisterte Werbefilmer in den Sechzigern hausieren ging, fand keine Investoren. Horrorfilme hingegen stellten schnelles Geld in Aussicht. Romero sattelte um, lieh sich kleckerweise ein Minimalbudget zusammen und kompensierte mangelnde Production Values durch grelle Drastik. Mit grobkörnigen Schwarzweißbildern stach sein Debüt "Night of the Living Dead" 1968 in die USA wie in ein Hornissennest: Der Mord an Martin Luther King, die Bilder aus Vietnam und der Protest auf den Straßen stellten die Nation vor eine innere Zerreißprobe
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Es waren die passenden Bilder zur Zeit, die das gemütliche Gruselkino mit seinen viktorianischen Gentlemen und staubigen Monstern längst aus dem Blick verloren hatte: Eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe, die sich angesichts Heerscharen lebender Toter in einem Landhaus verbarrikadiert, scheitert schließlich an inneren Konflikten. Dass der afroamerikanische Held am Ende von schießwütigen Rednecks erschossen wird, zählt zu den Schlüsselszenen des amerikanischen Kinos. Der Popkultur schenkte Romero einen Mythos: Aus dem ikonografischen Repertoire der Zombie-Apokalypse schöpfen Musikvideos, Horrorfilme und Comics heute ganz selbstverständlich.

Was Romero - und dann sein Werk - dabei auszeichnete, war nicht bloß, dass er eine Grundformel des Genres - es gibt ein Drinnen, es gibt ein Draußen und an der Grenze jede Menge Ärger - in selten erlebter Klarheit artikulierte. Seit seinem Erstling malt er mit dicken Strichen an einem dunklen Bild der Menschheit, die sich fortlaufend falsch entscheidet, an alten Mustern festhält und geleitet von partikularen Einzelinteressen den eigenen Untergang heraufbeschwört. Die Stimme der Vernunft, sie artikuliert sich zwar, doch wird sie meist totgeschlagen: Erschreckender als Zombies, Viren und Vampire sind hinterwäldlerischer Machismo, unkontrollierte Militärs und verkrustete Überzeugungen bei Romero allemal.



In "Martin" (1977) etwa, seinem schönsten Film, erzählt er im melancholisch gedämpften Tonfall von einem jungen, verwirrten Mann, der aus Osteuropa in die Obhut eines älteren Herrn nach Pittsburgh kommt. Dieser hält ihn für einen Vampir und lässt, mit tragischen Folgen, zur "Errettung" dessen Seele nichts unversucht. Zwar steht außer Frage, dass Martin Menschen wegen ihres Blutes tötet. Doch ist es der starrsinnige Aberglaube des alten Mannes, der diesen als das wahre Monster kennzeichnet: Martins Hilferufe, dass er krank sei und kein Dämon, verhallen folgenlos.

So stellt "Martin" auch eine humanistische Antwort auf Friedkins reaktionären "Exorzist" (1973) dar, der das Entsetzen über eine entfremdete Jugend streng aus Perspektive des Establishments objektiviert. Romero dagegen wählt den entgegengesetzten Blickwinkel: Vor dem hysterischen Pathos eines Exorzismus bleibt Martin nur kopfschüttelnd die Flucht. Es gelingt ein Kinoglück in 16 mm, von Sozialarbeiterkitsch weit entfernt.

"Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Toten auf die Erde zurück" lautet die reißerische Werbezeile von Romeros berüchtigtem "Dawn of the Dead" (1978), der das allegorische Potenzial der Untotenschar um eine plakative Konsumkritik erweitert. Ein erstaunlich gelungenes Remake löste 2004 ein Genre-Revial aus, sodass auch bei Romero, 20 Jahre nach seinem letzten Zombiefilm, neuerlich Untote Einzug hielten: "Land of the Dead", eine wütende Parabel auf die USA nach dem 11. September und dessen Folgen, lässt kaum Zweifel daran, dass Zombies wahrscheinlich doch die besseren Menschen sind. Seitdem legt Romero, bis heute ein Hollywood-Outsider mit oft langen Arbeitspausen, im vergleichsweise rasanten Tempo Zombiefilme vor: "Survival of the Dead" läuft gerade im Festival-Circuit, im April startet das Remake seiner Seuchenapokalypse "The Crazies" (1973). Dem Altmeister des Horrorkinos sei deshalb heute eine Atempause gegönnt: George A. Romero wird 70 Jahre alt.


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Mittwoch, 10. April 2013


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Dienstag, 2. April 2013


Wie ich gerade über Tim Lucas erfahren habe, ist Jess Franco heute in den frühen Morgenstunden in einem spanischen Krankenhaus den Folgen eines Schlaganfalls erlegen. Hier Lucas' Nachruf, außerdem hier der von Christian Keßler.

Wäre er dem Kino nicht schon längst abhanden gekommen und in der Zwischenwelt von digital video angekommen, könnte man sagen: Das Kino hat einen seiner eigensinnigsten Lichtpoeten verloren. Traurige Bilanz: Eine der sonderbarsten, in alle Richtungen davonstrebenden und nicht zuletzt umfangreichsten Filmografien der Filmgeschichte ist damit - leider - abgeschlossen. Es war ein Kino der Obsessionen, der ungebremsten Experimentierfreudigkeit und sicher auch des Scheiterns an den Begrenzungen der Möglichkeiten, ein Kino, das sich vorderhand mit den Insignien des Genrefilms schmückte, um darunter an einer ganz eigenen, zuweilen verschrobenen, zuweilen beglückend befreiten Poesie zu arbeiten: Free Jazz - free Jess.



Zuletzt waren seine Filme an einem Punkt angekommen, an dem sie schon wegen der eigenen marginalisierten Position auf narrative Korsette nichts mehr geben mussten oder sie als solche überhaupt kenntlich machten: Paula/Paula, gedreht nahezu ausschließlich in Francos Wohnung, erzählt (wenn dies überhaupt ein passender Begriff dafür ist) von einer Nachtclubtänzerin, die wegen eines Mordes von der Polizei verhört wird (die ermittelnde Polizistin ist Jess Francos 2011 verstorbene Muse Lina Romay, die Polizeiwache entspricht Francos Wohnzimmer). Soweit der Rahmen, dann bricht der Film auf und zu ungeheuer smoother Jazzmusik folgt eine fast einstündige, durch Aluminiumfolien und vertikale Achsenspiegelung ins monströs-abstrakte verzerrte Tanzsession zweier Frauenkörper. Jekyll und Hyde? Krimi? Kunst? Experimentalfilm? Intimistisch-erotische Session? Kein Begriff passt zum fertigen Resultat. Ein Videosplitter - anreizend, entspannt, freidrehend.



Seinen "klassischeren" Filmen tut man Unrecht, beschränkt man sie auf faden Eurosleaze. Eine Einschätzung, die von schrecklichen Videotransfers in falschen Bildformaten herrühren dürfte, anhand derer Franco - vom Vatikan einst als gefährlichster Filmregisseur neben Buñuel eingeschätzt - seit den 80ern wiederentdeckt wurde. Erst im Kino, so meine Erfahrung, entfalten seine Filme ihren eigentlichen/sehr eigenen Reiz. Es mag auch damit zu tun haben, dass man im Kino einem Film weit eher ausgeliefert ist als zuhause in den eigenen vier Wänden. Wohl nicht umsonst finden sich zahlreiche masochistische Séancen in Francos Filmen: Nicht selten ist er selbst als sein eigener Hauptdarsteller geknebelt und gefesselt anzutreffen.



Die vergangenen Jahre sahen eine erfreuliche Entdeckung und Würdigung dieses tatsächlich einzigartigen Regisseurs. Allen voran die große Retrospektive in der Cinématheque Francaise, die Würdigung für das Lebenswerk mit einem spanischen Goya und schließlich auch eine, wenngleich nicht ideale, Werkschau im Berliner Kino Babylon. Zu letzterer hatte ich einen Text in der taz, zu zwei weiteren Kinovorführungen seiner Filme in Berlin habe ich einführende Vorträge gehalten, die hier und hier dokumentiert sind.

Danke, Jess, für

Sie tötete in Ekstase
Venus in Furs
Miss Muerte
Lorna, l'exorciste
Eugenie - Philosophy in the Boudoir
Der Todesrächer von Soho
Necronomicon - Geträumte Sünden
Blue Rita

... und wahrhafte unzählige, weitere rohe Diamanten einer Filmkunst abseits des cinéma de qualité. Und grüß' Lina von uns.



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Freitag, 8. März 2013




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Donnerstag, 18. Oktober 2012


» Koji Wakamatsu, 1936 - 2012


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Donnerstag, 26. April 2012
Für sein Buch Film als subversive Kunst habe ich buchstäblich geblutet: Die schöne Ausgabe aus dem Hannibal Verlag hatte ich mir damals, finanziell ging's nicht eben bestens, mit wöchentlich ein bis zwei Blutplasmaspenden erspart. Wie aufgeregt ich war, als ich das Buch dann in Händen hielt, stundenlang darin blätterte und nicht glauben wollte, wieviele Filme (und was für welche!) es da draußen gibt, was für eine Welt da draußen wartet, weiß ich noch heute.

Ein paar Jahre später sah ich auf der Berlinale den schönen, inspirierenden Portraitfilm von Paul Cronin über ihn. Nun ist Amos Vogel tot, habe ich heute nachmittag erfahren. Gegründet hatte er damals den Filmclub Cinema 16, der Filme aus entlegensten Nischen ans Projektorenlicht holte und damit buchstäblich sichtbar machte. Cinema 16 gibt es nicht mehr, bzw. hat sich dieser Filmclub vielleicht nur räumlich entgrenzt (ein wenig gefällt mir der Gedanke, dass Amos Vogel, der sich in seinem Buch auch viel zu Raum und Zeit im Film äußert, mit diesem Gedanken anfreunden könnte): Dass das Internet heute dieses Cinema 16 ist, das gerade ein paar vereinzelte Gestalten aus hässlichsten Motiven kaputtschlagen wollen, beweist schon die Tatsache, dass Paul Cronin seinen tollen Film über Amos Vogel ins Netz gestellt hat, wo viele andere jener Filme, die Vogel, dieser unermüdliche Bildforscher und -sucher, früher nur mit viel Mühen in einen Projektor brachte, nun auch in fast direkter Nachbarschaft zu finden sind. Rest in Peace, Amos.



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Mittwoch, 2. November 2011
Vor kurzem bot sich mir die Gelegenheit Werner Herzog im Rahmen eines roundtable-Interviews zu seinem neuen Film Cave of Forgotten Dreams, der unbedingt zu den besten Filmen zählt, die in diesem Jahr im Kino anlaufen, zu befragen. Im folgenden das zwar ebenfalls schon bearbeitete und thematisch leicht umsortierte Interview, aus dem diese kürzere Variante bei kinofenster.de hervorgegangen ist.



Herr Herzog, woher kommt Ihr Interesse an den Höhlenmalereien?
Als Zwölf-, Dreizehnjähriger hat mich ein Buch in der Auslage einer Buchhandlung unglaublich bewegt. Darauf war ein Bild eines Pferdes, ich glaube aus der Höhle von Lascaux. Auf dem Buch standen Begriffe wie “steinzeitlich” und “15000 Jahre alt”, das hat mich zutiefst ergriffen - ich musste dieses Buch auch unbedingt haben. Ich arbeitete dann als Balljunge auf dem Tennisplatz und lieh mir Geld, jede Woche schaute ich mindestens einmal nach, ob das Buch noch da ist. Nach einem halben Jahr konnte ich es mir kaufen und endlich öffnen. Das Staunen, das ich damals empfand, spüre ich noch heute.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Gefühl, als sie die Höhle betreten haben?
Im Grunde wusste ich ja, was auf mich wartet. Ich hatte Fotos, einen ganzen Bildband gesehen und mit Wissenschaftlern gesprochen. Trotzdem überkam mich ein unerhörtes Staunen, als ich diesen Bildern zum ersten Mal gegenüber stand, vor allem weil es schien, als wären die Maler erst vor einer halben Stunde aus der Höhle gegangen. Sie ist ja als perfekte Zeitkapsel erhalten geblieben, weil ein Felssturz vor etwa 20000 Jahren den Höhleneingang verschüttet hat. Und dieses unglaubliche Staunen, muss ich für ein Publikum umsetzen, dachte ich mir. Wenn mir das gelingt, dann gelingt mir auch der Film.

Was faszinierte Sie dabei am meisten? Was ging Ihnen durch den Kopf?
Dass sie fast teilnehmen können an der frühesten Manifestation dessen, was wir als moderner Mensch sind, also Menschen, die Kultur haben. Zur selben Zeit gab es ja noch Neandertaler, die hatten aber nie Kultur in unserem Sinne entwickelt: Figurative Repräsentationen, also Malerei, kleine Schnitzereien oder Musikinstrumente. Religiöse Begriffsysteme und ähnliches. Also alles, was uns heute auch noch ausmacht. Und man hat das Gefühl, da ist man fast wie ein Augenzeuge bei dieser Geburtsstunde oder zumindest bei dieser ersten Manifestation dabei. Es fängt ja auch nicht klein und primitiv an, sondern mit einem Mal ist da vollkommen entwickelte Kunst, die auch nicht schlechter als Malerei aus der Renaissance oder dem 19. und 20. Jahrhundert ist.



Was denken Sie, wie die Menschen damals gelebt haben?
In der Höhle hat ja nie jemand gelebt, die Menschen kamen nur in die Höhle zum Malen. Aber natürlich frage ich mich schon, wie würde ich da überleben. Und ich glaube, ich würde mich nicht ganz schlecht schlagen. Seit meiner frühesten Jugend habe ich versucht, mich in diese Lage hineinzuversetzen: Wie würde ich jagen? Ich könnte z.B. auch waffenlos Pferde erlegen, das wäre meine Jagdbeute Nummer 1.

Wie bitte? Wie würden Sie die erlegen?
Pferde sind in ihrem Fluchtgebaren vorausberechenbarer als etwa ein Hirsch, der kreuz und quer davonspringt. Ein Pferd kann man sehr zielgenau in eine Richtung scheuchen, zum Beispiel an eine enge Stelle, wo ich zuvor eine tiefe Grube gegraben hätte. Da hätte ich das Pferd dann gefangen und etwas zu essen.

Glauben Sie, die Steinzeitmenschen das auch so gemacht?
Es ist erstaunlich, man hat tief in die Schulterknochen von Mammuts eingegrabene Speerspitzen gefunden, die also mit ungeheurer Wucht aufgetroffen sein müssen. Pfeil und Bogen wurden aber erst 15000 Jahre später erfunden. Wie hat man das also gemacht? Da gab es wohl eine Art Speerschleuder, wie ein verlängerter menschlicher Arm, der es einem gestattet, einen Speer mit mehr Wucht zu schleudern.
Witzigerweise hatten wir als Kinder in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, etwas ähnliches erfunden: Einen flachen Pfeil, den wir mit einer Öse an eine Peitschenschnur eingeklinkt und weggeschossen haben. Zielten konnten wir damit überhaupt nicht, aber der Pfeil ging weiter als sie ihn mit jedem Bogen schießen können, der segelte richtig.



Eine solche Speerschleuder ist auch in ihrem Film zu sehen. Sie bezeichneten Ihre Filme mal als “bayerische Filme” - wie trifft das auf “Cave of Forgotten Dreams” zu?
Das muss man vorsichtig definieren. Als “bayerischer Filmregisseur” habe ich mich bezeichnet, weil immer alle vom “Neuen Deutschen Film” sprachen und ich dachte mir, es gibt ja auch eine Art von bayerischer, eher barocker Fantasie. Fassbinder zum Beispiel war so einer, eine richtige “Wildsau”, die sich da vorwärts gepflügt und Breschen für andere hinter ihm geschlagen hat: “Mir nach!”
Oder so jemand wie König Ludwig II., der Wahnsinnige mit seinen Traumschlössern. Das ist sehr bayerisch, Kaiser Wilhelm II. hätte das nicht gekonnt. Und einen Film wie “Fitzcarraldo” hätte für meine Begriffe nur einer auch gekonnt: Eben Ludwig. II.

Sieht man ihren Film, drängt sich der Begriff “Steinzeitkino” unweigerlich auf...
Ich bin da vorsichtig, wir wissen es ja nicht. Was wir aber wissen: Die Bilder wurden ja nur im Fackelschein gesehen und da scheinen die Figuren zu pulsieren, sich zu beleben. Ein Bison etwa, das man da sieht, hat acht Beine, als würde die Bewegung dargestellt werden. So etwas setzt sich über die Jahrtausende offensichtlich durch oder kommt wieder: Sleipnir z.B., das Pferd Wotans in der nordischen Mythologie, hat ebenfalls acht Beine, das schnelleste aller Pferde. Oder ein anderes Motiv aus der Höhle: Die einzige menschliche Körperdarstellung, der Unterkörper einer Frau, und dazu ein Bison - tausende Jahre später taucht das bei Picasso wieder auf, der Minotaurus und die Frau.

Wie erklären Sie sich das?
Das können wir letztlich nicht. Aber vielleicht annähernd so, dass es im tiefen kollektiven kulturellen Gedächtnis der Menschheit Bestandteile gibt, die sich in der Tiefe der Zeit tatsächlich auch bis zu uns fortsetzen können.

Einer der porträtierten Wissenschaftler redet davon, dass er nach einer Zeit wieder aus der Höhle raus musste, so sehr überwältigten ihn die Eindrücke. Wie ging es ihnen diesbezüglich?
Diesen Drang hatte ich nicht. Ich hatte ja immer nur vier Stunden pro Tag und auch nur eine Woche. Ich war also froh, wenn ich drin sein und arbeiten konnte.
Aber das Gefühl von Bedrängnis kann ich verstehen. Gerade dieser eine Wissenschaftler träumte dann nachts von Löwen, von denen es in der Höhle eine sehr intensive Darstellung gibt. Auch die Entdecker der Höhle hatten im übrigen ein ähnliches Gefühl, als stünden sie unter Beobachtung von den Menschen, die die Höhle gerade verlassen haben.



Wie fühlt man sich rein körperlich an so einem Ort?
Es gab eine Stelle mit hohem Kohlendioxidgehalt, da wurde einem schwummerig, wenn man sich dort länger als eine Stunde aufhielt. Deshalb sind wir dort immer zügig weg. Ansonsten herrschen dort sommers wie winters völlig gleichbleibende Temperaturen.
An einer Stelle im Film sehen sie mich mit schweißnassem Gesicht, das aber nicht, weil ich so hart gearbeitet habe, sondern weil ich an dem Tag sehr hohes Fieber hatte. Da muss dann trotzdem zur Arbeit antreten, wenn man nur so begrenzte Möglichkeiten hat, an dem Ort zu drehen.

Haben Sie den Ort als mystischen Ort empfunden?
Nein. Damit muss man vorsichtig sein, das rutscht schnell in die vage Pseudo-Philosophie von New Age ab. Wir stehen hier natürlich etwas gegenüber, was nicht voll begreifbar ist, weil uns vieles an Erklärungsmöglichkeiten fehlt. Trotzdem ist es natürlich tief beeindruckend: Das sind wir.

Im Film kommt heraus, dass zwischen einigen der Malereien einige Jahrtausende liegen. Auch Ihre 3D-Kamera blickt mit einigen Jahrtausenden Abstand auf diese Bilder - kann man sagen, dass diese Höhle immer wieder neu entdeckt wurde?
Das kann sein. Mit der Radiokarbonmethode kann man heute sehr genau messen: Daher weiß man von einer Darstellung eines Rentiers, dass es ursprünglich unvollständig war und 5000 Jahre später vollendet wurde. Für uns heute ist das unfassbar, da wir ja in einem verifizierbaren, geschichtlichen Verwandlungsprozess befangen sind. Dieses “Leben in der Geschichte” gab es in dieser Vorzeit offensichtlich nicht und vermutlich waren auch die Lebensverhältnisse unverändert.



Welches der Tiere an der Wand hat sie am meisten beeindruckt und warum?
Der Fries mit den Löwen. Das Bestiarium, das dort versammelt ist, ist ja relativ beschränkt. Es handelt sich um sehr große, sehr machtvolle Tiere und nicht nur jagdbares Wild. Man sieht Hyänen, Löwen oder auch ein Wollnashorn, das die Menschen sicherlich nicht gejagt haben, das wäre sehr unangenehm, dem in freier Wildbahn zu begegnen - da gibt’s dann nur eins: Auf einen Baum und sich in Sicherheit bringen.
Aber eindrucksvoll sind die Bilder alle. Merkwürdig ist aber, dass Tiere, die als Lebensgrundlage wichtig sind, Fische, Hasen oder Vögel z.B., nicht repräsentiert sind.

Können Sie sich das erklären?
Es gibt Vermutungen, aber die muss man mit aller Vorsicht genießen: Dass es sich um die Darstellung machtvoller Tiere für Rituale oder Zeremonien handelt. Aber die jüngere Generation von Archäologen ist, was solche Mutmaßungen betrifft, vorsichtiger geworden: Die können möglicherweise Rückschlüsse ziehen, aber genau sagen können sie es nicht.

An wen richtet sich ihr Film? Und was kann man heute von diesen Höhlen und von ihrem Film lernen?
In den USA funktioniert der Film wie ein Familienerlebnis, das man miteinander teilt. Da rücken ganze Sippen an, von denen im übrigen niemand davon spricht, im Kino gewesen zu sein. “Wir waren jetzt in diesen Höhlen”, erzählen sich die Leute unglaublich aufgeregt auf der Straße.
Und lernen muss man gar nichts, wir müssen uns nicht immer in der Schulklasse mit zusammengekniffenem Hintern auf dem Stuhl eine Lektion verinnerlichen. Wichtiger ist mir die außerordentliche Freude darüber, dass es so etwas vor so unglaublich langer Zeit in solcher Vollkommenheit schon mal gegeben hat, dass man sich ruhig mal von diesem Staunen überwältigen lässt.



Wie ist ihr Verhältnis zu den Wissenschaftlern im Film, die sind ja fast schon typische Werner-Herzog-Figuren, wie man sie aus ihren Spielfilmen kennt? In ihren früheren Filmen begegnen sie Wissenschaftlern, etwa Alfred Edel als Logikprofessor in Jeder für sich und Gott gegen alle mit Spott.
Ich bin ja Filmemacher und habe eine gewisse Erzähl- und Inszenierungsfreude. Wenn ich Wissenschaftler befrage und die Auskunft geben, dann sind da ja immer erkennbar menschliche Wesen. Und ich finde das schön, wenn ich einen der jungen Wissenschaftler frage, was er vorher gemacht hat - und es stellt sich heraus, dass er beim Zirkus war. Natürlich frage ich ihn gleich: “Als Löwenbändiger?” Aber nein, er hat jongliert. (lacht)
Ich will ja nicht einfach nur ein wissenschaftliches Statement für eine Lehrstunde einfangen. Und alle Wisseschaftler sind sehr, sehr menschlich, verstehbar, erfassbar. Und so manifestieren sie sich - es gibt da ganz klar eine Wärme im Verhältnis zu denen.

Können Sie sich als Geschichtenerzähler an die ersten Geschichten ihrer Kindheit erinnern?
Ich erinnere mich an Kinderbücher, die unsere Mutter uns vorgelesen hat. Da waren dann die Kinder von den Nachbarhöfen ganz dicht beisammen gesessen. Ich kenne Geschichten also aus mündlicher Erzählung. Auch wenn sie vorgelesen waren: Auf mich wirkte das so, als wenn die Mutter das alles erzählen würde. Das war eine schöne Zeit und das hat vielleicht auch viel ausgemacht, aber das muss ja nicht heißen, dass man deswegen Geschichtenerzähler wird, meine Brüder sind das ja auch nicht geworden. Das entwickelt sich in anderer Weise, vermute ich mal.

Welche Geschichten waren das?
Ach, Kindergeschichten. Im übrigen: Lang lebe der Marshall-Plan - in einem der Care-Pakete kam z.B. Winnie The Pooh in deutscher Übersetzung. Das war von denen, die die Pakete geschnürt haben, richtig gut gemacht: Obenauf ein richtig gut gemachtes Kinderbuch dazu. Eigentlich war da ja nur Essen drin, aber auf einmal ist da Winnie The Pooh mit dabei.



Wollten Sie ihren Film von Anfang an auf 3D drehen?
Der Gedanke kam mir erst, als ich zum ersten Mal in der Höhle war. Zum Glück hatte ich mir erbeten, zwei, drei Monate vor Drehbeginn eine Stunde in der Höhle zu verbringen. Da war sofort klar: Das muss ich in 3D drehen, anders ist das gar nicht vorstellbar, weil die Künstler damals die wilden Steinformationen in dreidimensionaler Weise als Ausdrucksmittel mitausgenutzt haben.

War das eine größere Herausforderung? Was ist anders als beim zweidimensionalen Film?
Technisch ist die Herausforderung größer, weil sie auch ein sehr viel größeres Team benötigen. Ich durfte aber nur drei Personen mit mir bringen und wir durften nur Equipment mit uns führen, das wir selber tragen konnten. Sie können da ja nicht mit dem Lastwagen vorfahren und zentnerweise Gerät reinschaffen. Wir mussten uns auch an Ort und Stelle auf einem 60 Zentimeter breiten Steg im Halbdunkel und nur mit Taschenlampe eine neue Kamera bauen. Hilfe von auswärts war uns nicht gestattet. Die Tür ging nur auf, um uns hinein oder wieder heraus zu lassen, um das Klima innerhalb der Höhle nicht zu gefährden. Wir waren ein winziges Team und mussten völlig auf uns alleine gestellt unsere Kamera bauen und den Dreh durchziehen.

Wie haben Sie die französischen Behörden davon überzeugen können, dass ausgerechnet sie da hinein dürfen?
Die wussten natürlich, dass es sich dabei um ein besonderes Privileg handelt. Im Gegenzug habe ich einen Film geliefert, der in Frankreich frei für alle nichtgewerblichen Rechte ist. Der französische Staat kann diesen Film in seinen 30000 Klassenräumen oder in Museen parallel zum kommerziellen Kinostart zeigen. Und die Franzosen kannten meine Filme, waren sehr angetan davon und wussten somit wohl auch, dass ich als Filmemacher kompetent bin. Aber natürlich gibt es auch gute französische Filmregisseure.
Ich glaube, letztlich war es die Glut, die ich in mir hatte, dass ich den Film unbedingt machen wollte, die vielleicht den Ausschlag gegeben hat.

Haben Sie vorsprechen müssen?
Es gab eine Staffelung von Genehmigungen. Das Kultusministerium musste zusagen, die regionale Regierung und ein Wissenschaftler-Rat musste sein “Ok” geben. Vor denen bin ich aufgetreten und habe mich erklärt. Das war ein eher langwieriges Verfahren, bei dem ich alles, was ich konnte, in die Wagschale geworfen habe. Auf einmal ist man da auch gezwungen, mit Engelszungen zu reden. Einfach war es beim Kultusminister Frédéric Mitterand, der mich gar nicht erst hat reden lassen, sondern mir zehn Minuten lang erklärt, wie bedeutsam für seine gesamte Entwicklung meine Filme gewesen sind. Ich dachte erst, ich höre nicht recht.



Herr Herzog, Sie sind als passionierter Zu-Fuß-Geher bekannt. Die erste Einstellung des Films wirkt wie ein Fußweg durch einen Weinanbau, an dessen Ende sich die Kamera in die Höhe schwingt und die Höhle erblickt. Später zeigt der Film, wie sich die Wissenschaftler, mit denen Sie arbeiten, ebenfalls zu Fuß der Höhle nähern. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Ist die Höhle ein Ort, dem man sich zu Fuß nähern sollte?
Das hat weniger eine Rolle gespielt, glaube ich. Zweck der Übung war eher, dass ich auf dieser langen Einstellung Titel unterbringen kann, und zweitens, dass schon in der ersten Einstellung etwas für das Publikum Unerklärliches da ist, etwas Bestaunenswertes.
Aber schön, dass Sie diese erste Einstellung erwähnen, die ja schwer erklärbar ist. Die Kamera bewegt sich da auf Kniehöhe zwischen zwei Zeilen Weinreben und steigt dann in die Luft, aber nicht auf einem Kran, denn die steigt ja immer weiter. Die Kamera fliegt höher und höher und höher - das war eine ferngesteuerte Drone, die so klein ist, dass man sie zwischen den zwei Reben hindurch fliegen lassen kann.

Sie erwähnten kurz die Neandertaler, die keine Kunst schaffen konnten. An anderer Stelle erwähnten Sie einmal, dass Menschen Bilder zum Überleben brauchen, da sie ansonsten aussterben würden wie die Dinosaurier. Sind die Neandertaler ausgestorben, wel sie keine Bilder hatten?
Möglicherweise ja (lacht). Weil er eben nicht kulturfähig war und sich nicht höher entwickelt hat. Wir wissen allerdings heute, dass die Neandertaler technisch schon sehr hoch entwickelt waren, also weniger, in Anführungszeichen, primitiv als wir glauben. Möglicherweise haben sich Neandertaler und Homo Sapiens gegenseitig gejagt und aufgegessen, das wissen wir nicht so genau.
Es kann also sein, dass Kulturleistungen eine höhere Adaptionsfähigkeit an die Umwelt darstellen.

Brauchen wir Kunst, um zu überleben?
Wir in unserer Zivilisation - ja.

Herr Herzog, vielen Dank für das Gespräch.



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Montag, 7. Februar 2011
Der traurigen Nachrichten sind heute kein Ende: Tura Satana, einer von Russ Meyers größten Stars, ist vergangenen Freitag gestorben. Zahlreiche Links dazu gibt es auf mubi.com





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Eine sehr traurige Meldung erreichte mich gerade über eine Film-Studies-Gruppe auf Facebook: Miriam Hansen, eine von mir hochgeschätzte Filmwissenschaftlerin und -theoretikerin, ist gestern in Chicago ihrem langen Krebsleiden erlegen. Für die Filmwissenschaft ist dies ein herber Verlust - Miriam Hansens Hinterbliebenen gilt mein Mitgefühl.

Film Studies for Free bringt an dieser Stelle ein umfangreiches Memorialposting mit zahlreichen Links zu frei im Netz erhältlichen Artikeln von Miriam Hansen. Update: Ein Nachruf von Tom Gunning.


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Dienstag, 21. Dezember 2010
Folgende Mail habe ich gerade an culture@iranbotschaft.de verschickt:

sehr geehrte damen und herren,

ich bin filmjournalist aus berlin und habe heute mit entsetzen die nachricht vernommen, dass der iranische regisseur jafar panahi in ihrem land zu einer haftstrafe von 6 jahren verurteilt und mit einem berufsverbot von 20 jahren belegt wurde.

ich protestiere energisch gegen ein solches, meines erachtens vollkommen ungerechtfertigtes urteil und fordere insbesondere ihre abteilung der iranischen botschaft dazu auf, gegen dieses urteil zu intervenieren. jafar panahi ist einer der angesehensten künstler ihres landes, eine wichtige stimme der internationalen kinematografie, die durch eine solche justizmaßnahme zum schweigen gebracht werden soll.

ein gradmesser für die souveränität und modernität eines landes ist immer auch dessen umgang mit den eigenen künstlern, gerade auch jenen, die kritisch auftreten. sollte dieses urteil aufrecht erhalten und vollstreckt werden, schadet sich iran mehr als 1000 regierungskritische filme es je könnten. das ansehen ihres landes würde durch eine solche maßnahme auf jahre befleckt werden. schon jetzt sind die anzeichen eines internationalen aufschreis überall erkennbar.

ich habe mir die freiheit genommen, diesen brief auch auf meinem weblog zu veröffentlichen.

mit freundlichem gruß,
thomas groh


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lol