Dienstag, 20. Februar 2007
Bereits seit gestern werden im Kino Arsenal einige Filme aus dem Internationalen Forum wiederholt. Die Filme und Termine:

Montag, 19.2., 21.00 Uhr, Arsenal 1
A Walk into the Sea: Danny Williams and the Warhol Factory
Esther B. Robinson, USA 2007, OmU



Dienstag, 20.2., 19.30 Uhr, Arsenal 2
Kain no matsuei (Cain's Descendant)
Oku Shutaro, Japan 2006, OmU



Samstag, 24.2., 17.00 Uhr, Arsenal 2
The Halfmoon Files
Philip Scheffner, Deutschland 2007



Sonntag, 25.2., 19.30 Uhr, Arsenal 2
Substitute
Fred Poulet, Vikash Dhorasoo, Frankreich 2006, OmU



Sonntag, 25.2., 21.00 Uhr, Arsenal 1
Shotgun Stories
Jeff Nichols, USA 2007, OmU



Montag, 26.2., 19.30 Uhr, Arsenal 2
Le Cercle des noyés
Pierre-Yves Vandeweerd, Belgien/Frankreich 2007, OmE



Dienstag, 27.2., 19.30 Uhr, Arsenal 1
Pas douce
Jeanne Waltz, Frankreich/Schweiz 2007, OmU


Daneben werden auch die Filme von Okamoto Kihachi nochmals in einem doppelten Durchgang gezeigt.


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Samstag, 17. Februar 2007

Ab 1929, lautet die gängige Lehrmeinung, herrscht Tonfilm. Da erstaunt ein Stummfilm aus dem Jahr 1932 zunächst, in Japan aber war es offenbar noch lange Zeit üblich, Filme stumm zu drehen. Man könnte, vermutlich abenteuerliche, Theorien darüber aufstellen, woran das liegt. Wilde Vermutungen: Vielleicht hat es etwas mit der Benshi-Tradition zu tun (Benshis waren die Kommentatoren neben der Leinwand, die den Film von dort aus sozusagen 'erzählten', und unter ihnen gab es ein regelrechtes Starsystem), vielleicht auch damit, dass Japans Filmoutput zur Stummfilmzeit rein zahlenmäßig weltweit zu den Spitzenreitern zählt, dabei aber ganz und gar auf den eigenen Markt begrenzt blieb - mag sein, dass dadurch Neuerungen wie der Tonfilm sich nur zögerlich durchsetzten. Vielleicht liege ich aber auch einfach völlig falsch damit, mögen japanologisch informierte Filmhistoriker eine (mit Spannung erwartete) Antwort formulieren.

Jedenfalls: Japan, Stummfilm, 1932. Der Regisseur heißt Mikio Naruse, der durchaus - und die endlich zumindest international in die Gänge kommende DVD-Auswertung auch im Westen belegt dies - den klassischen japanischen Regisseuren zuzurechnen ist, dabei aber - im Gegensatz zu Ozu, Kurosawa und Mizoguchi, deren Werke zur Geschlossenheit in sich neigen - ein motivisch und ästhetisch sehr heterogenes Werk hinterlassen hat.

Nasanu Naka entstand denn wohl auch eher noch im Tagesgeschäft der japanischen Filmproduktion, wiewohl sich historische Quellen finden lassen, die den Film bereits eindeutige künstlerische Distinktion beimessen. Der Film folgt einem klassisch melodramatischen Konflikt: Eine Mutter überlässt ihre neugeborene Tochter dem Vater, um in Hollywood Karriere machen zu können; dieser wiederum zieht es mit seiner neuen Frau auf, die sich liebevoll um das Kind kümmert, für das sie sich bald schon als Mutter versteht. Jahre später kehrt die leibliche Mutter zurück, während das wirtschaftliche Unternehmen des einstigen Ehegatten vor dem Hintergrund der weltweiten Rezession in Trümmern liegt. Die Mutter fordert das Kind zurück, ein Streit bricht vom Zaun. Am Ende entführt sie das kleine Mädchen, das sich widerspenstig zeigt und zu ihrer 'eigentlichen', nicht der leiblichen, Mutter zurück möchte. Im luxuriösen Apartement des Hollywood-Stars kommt es zur Entscheidung ...

Nasanu Naka folgt dem Melodram im geschickten Aufbau - Erzählokonomie, Figurenkonstellationen und dergleichen befinden sich durchweg auf höchstem Niveau. Davon aber abgesehen ist es vor allem die Inszenierung des Films, die staunen lässt: Nasanu Naka ist von einer unvergleichlichen Bild- und Bewegungsdynamik getragen. Die Position und Bewegung der Kamera sind in jedem Moment reflektiert und als Ergebnis einer ästhetischen und gestalterischen Entscheidung vordergründig präsent: Nie hat man den Eindruck in einer distanzierten Position des Geschehens zu verharren, stets ist man 'mittendrin': Die Kamera bannt nicht das Geschehen, sondern folgt ihm nach. Schon die erste Szene - ein Dieb wird auf offener Straße gestellt - ist ein Bravourstück in der Geschichte der entfesselten Kamera, die keine Kapriolen aufführt, sondern jede Einstellung genau so - und offenbar bereits mit Hinblick auf die syntaktische Dynamik in der Montage - gestaltet und nicht anders.

Die Bewegung der Kamera in die diegetische Wirklichkeit hinein lässt dabei im Minutentakt neue Nuancen entstehen: Eine Fahrt aus dem Geschehen heraus holt neue Figuren ins Bild, deren man sich zuvor nicht bewusst war; auffallend häufig dramatisiert sich das Geschehen durch fast schon aggressive Fahrten auf Gesichter zu, die schließlich, im Umschnitt, auf andere Gesichter wiederholt werden und dadurch die Intensitäten der Beziehungen der Figuren untereinander auf neues Niveau tragen.

Überhaupt setzt Nasanu Naka auf eine besondere Form des filmischen Schocks: Neue Figuren werden durch ihre Ausrufe mittels Schriftinserts etabliert - man sieht erst, was sie sagen, und erst dann, wer sie sind; häufig werden auf diese Weise auch Lokalitätenwechsel eingeleitet. Von der 'amerikanischen Einstellung' wechselt das Geschehen in den nuancierenden close-up (Hände, Gesten, etc. werden betont), ohne dass hierfür ein Schnitt notwendig wäre: Die flüssige Bewegung dieser ertastenden Kamera macht es möglich, und die Bewegung selbst steht im rhythmischen Einklang mit den Kamerabewegungen, die vorangehen und folgen.

Nasanu Naka ist aufgrund dieses Inszenier- und Erzählmodus ein unglaublich dynamischer Film, der die Feinheiten des späten Stummfilms noch zusätzlich und auf eine Weise potenziert, die auch im späten Stummfilm des westlichen Kinos nach meinem Dafürhalten kaum denkbar gewesen ist; anschaulich wird einem vor Auge geführt, welche Mobilität und welcher visueller Reichtum mit der Einführung des (die Kamera für viele Jahre wieder sträflich fixierenden) Tonfilms zunächst verloren ging. Die Ahnung dessen, welche filmhistorischen Schätze aus dieser Phase der japanischen Filmproduktion noch ungesehen in Archiven schlummern mögen, macht einen schwindelig vor Aufregung.

» imdb ~ infoblatt der berlinale-retrospektive (pdf)



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Alljährlich erstellt das Filmmuseum Berlin nicht nur das Programm der Berlinale-Retrospektive, sondern auch eine begleitende Broschüre (nicht zu verwechseln mit dem Begleitband, der in der Regel bei Bertz+Fischer erscheint), in der historische und zeitgenössische Texte zu den gezeigten Filmen kompiliert werden, seien es Besprechungen aus Branchenblätter, feuilletonistische Kritiken und dergleichen. Gerade im Falle von Retrospektiven, die den Blick ins Stummfilmzeitalter werfen, kommen dabei viele wertvolle Beiträge aus der Geschichte der Filmpublizistik zurück ans Tageslicht.

Vor der Vorführung eines Filmes erhält man das jeweilige Infoblatt als Kopie in die Hand gedrückt - oder man greift gleich in den Geldbeutel und besorgt sich die Broschüre für den fairen Preis von 9 Euro.

Noch fairer allerdings ist das Webangebot des Filmmuseums Berlin, auf dem es sämtliche Infoblätter als PDF-Dateien gibt. Wer der (in der Berichterstattung bedauerlicherweise sehr unterrepräsentierten) Retrospektive nur wehmütig aus der Ferne 'zuschauen' kann, bekommt hier einen kleinen Pool schöner, informativer und mit Bedacht ausgewählter Texte.

Wer auf der Übersicht den Blick in die linke Spalte wandern lässt, wird zudem wohl mit Freude feststellen, dass sich dort auch die Infoblätter einiger vorangegangener Retrospektiven finden lassen.



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Freitag, 16. Februar 2007

Eines gleich vorneweg: Ich liebe Filme mit amerikanischen Landschaften aus dem Landesinnern, also jenseits der üblichen hyper-urbanen Schauplätze, die das US-Kino so häufig zu bieten hat. Wenn dann noch ein Quentchen jener spezifisch amerikanischen "Ästhetik der Armut" hinzukommt und im Soundtrack viel americana, dann kann ich diesen Film eigentlich nur großartig finden.

Ich muss dies vorausschicken, weil Shotgon Stories, wie in anderen Festivalbesprechungen hie und da bemerkt wurde, nicht wirklich viel Neues bietet, mir aber dennoch, aus nun bekannten Gründen, sehr gefallen hat. Es handelt sich um einen Rachefilm in der Nähe des klassischen Motivs von Kain und Abel. Gedreht wurde er von Jeff Nichols, der in Austin lebt, einer traditionell sehr film- und popkulturaffinen Stadt, und mit dem ich obendrein den Jahrgang teile. In gedämpften Erzähltempo und sehr schön ausgeleuchteten Einstellungen erzäht er von einer Familie an der Peripherie - nicht ganz white trash aber eben schon fast -, in der es vor Jahren zur Trennung zwischen den Eheleuten kam. Auf der einen Seite stehen die Söhne der Mutter, auf der anderen die Söhne des Vaters mit einer anderen Frau. Der Vater stirbt, die Söhne der Mutter tauchen am Grab auf und zeigen sich wenig versöhnlich, ganz im Gegenteil. Der eine (mit unglaublicher Reduktion und Präsenz gespielt von Michael Shannon, dem einzigen Lichtblick in Oliver Stondes müde geratenen World Trade Center und darüber hinaus ein Schauspieler, der, meines Erachtens, gute Aussichten hat, "der neue Willem Dafoe" zu werden) spuckt noch auf den Sarg. Dies tritt eine Gewaltspirale los: Auf beiden Seiten der Halbbrüder sind alsbald Tote zu verzeichnen...

Wie gesagt, Jeff Nichols erfindet nichts neu. Sein Film trägt das Signum "kleines Independent-Movie" deutlich mit sich herum. Man kann dies alles bemäkeln und ist filmkritisch unbestreitbar auf der richtigen Seite: Man kann sich aber - auch dies muss auf einem Festival gestattet sein - zurücklehnen und das gute Handwerk - Jeff Nichols ist Debütant! - genießen, zumal wenn dem Film die Fläche einer großen Leinwand beschieden ist.

Mit einigem Gespür für die richtigen Bilder und das angemessene Erzähltempo schraubt Nichols die Spirale der Gewalt nach oben, ohne dabei auf den grellen Effekt zu zielen: Nichols zeigt weniger, als dass er bewusst schneidet und abblendet. Dem Schmerz auf Zuschauerseite tut dies keinen Abbruch; der Pathosfalle des Stoffes schlägt er indes ein Schnippchen: Statt existenzialistisch verbrämter Maskulinität steht hier immer wieder der Zweifel im Vordergrund, das Abwägen und die Furcht vor den Konsequenzen der eigenen Entscheidung.

Und Shotgun Stories ist ein ur-amerikanischer Film im eingangs umrissenen Sinne: Man sieht das Hinterland von Arkansas (wo der Film gedreht wurde), der Film spielt in einer verarmten Gegend, verfallene Industrieanlagen säumen den Rand dieser Geschichte, man sitzt abends auf einer Veranda in ausgeleierten Klappstühlen, trinkt Dosenbier und übt sich in amerikanischer Lakonie. Der Staub der Verweildauer in diesem Niemandsland liegt tief in den Falten der Gesichter und auf dem Fett der Haare der Slacker, um die es in der Hauptsache geht. Dazu immer wieder: Melancholische Gitarrenstücke, durchsogen von altem Blues und Country.

Filmkritik muss auch mal fünfe gerade sein lassen können. Shotgun Stories ist kein innovativer, eher ein schöner, zumindest aber von Grund auf sympathischer Film. Aufmerksam macht dennoch das hohe filmische Gespür seines Regisseurs; den Namen des vorstellig werdenen Debütanten, Jeff Nichols, sollte man sich merken. Ich bin mir fast sicher, dass man von ihm noch einiges hören wird. Für meinen Teil bin ich jedenfalls gespannt und freue mich auf eine Wiederbegegnung.

» imdb ~ info-site (forum)



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Plötzlich, ganz unvermittelt, kommt die Kamera in Fahrt, buchstäblich: Sie fährt in eine Richtung, in die sie nicht blickt, sie blickt zurück auf eine Straße, auf der sie fährt, auf dieser wiederum fährt eine Vespa, die in dieselbe Richtung wie die Kamera fährt, auf ihr zwei junge Menschen. Nicht-diegetische Musik setzt ein, ein leichter Hauch von Wehmut zieht in den Film. Plötzlich sieht man: Das ist der Vorspann. Der Film läuft hier schon wenigstens 20 Minuten und war in diesen von einer einengend-kadrierenden Statik, so dass diese wiedererlangte Beweglichkeit wie eine Befreiung anmutet, die durch den nun erst einsetzenden Vorspann eine zweite Ebene des Schocks entwickelt.

Und erstmals wird an dieser Stelle Raum überhaupt konkret durchmessen, als eine Kontinuität erfahrbar, die Orientierung stiftet: Ferien, der neue Film von Thomas Arslan, beginnt mit Einzelansichten: Eine Holzbank im Freien, ein Blick aus einem Haus nach draußen, eine Wiese, Wald. Das alles ist zwar nicht vollständig disparat, ergibt aber dennoch kein Gefüge, das einen ahnen lässt, wie dieser Ort nun wirklich beschaffen ist, wie die Parzellen zusammenhängen (erst sehr viel später sieht man das Haus, in dem der Film weitgehend spielt, erstmals als komplette Einheit in einer renaissance-artigen Perspektive). Die ersten Einstellungen zeigen keine Menschen. Erst allmählich füllen sich die statischen Ansichten mit den Figuren.

Wenn dann, nach 20 Minuten (unweigerlich denkt man an Apichatpong Weerasethakul), endlich der Vorspann einsetzt, den man schon gar nicht mehr erwartet hatte, sind die Beziehungen der Figuren untereinander zumindest annäherungsweise geklärt: Eine Mutter lebt mit einem Gatten in einem idyllisch gelegenen Wohnhaus mit offenbar vermietbaren Appartement, der Gatte ist der Vater des Jungen, der hier lebt und eine Freundin hat, aber er ist nicht der Vater, der Tochter, die ihrerseits mit Gatte und Nachwuchs aus Berlin über die Sommerferien zu Besuch kommt. Der Frage beim Entpacken, ob denn die Tochter und Ehefrau den Rasierapparat eingepackt hätte, wird mit einem "Warum sollte ich denn deinen Rasierer einpacken" entgegnet: unter Eheschichten liegt hier etwas im Argen. Thomas Arslan filmt hochkonzentriert, immer mit beschneidender, streng rahmender Kadrage: Was zwischen zwei Bildern, was hinter zwei Menschen steht, ist hier mindestens ebenso wichtig wie das, was ganz vordergründig auf der Leinwand geschieht.

Bewegung der Kamera, wie gesagt, erst im Vorspann, in einer merkwürdigen Haltung. Wehmutsmusik, die Fahrt auf der Vespa, darauf der Sohn mit seiner Freundin, beide seit einem halben Jahr zusammen. Man will aufatmen nach aller Enge, aber es gelingt nicht: Der Vorspann, der sich als solcher erst mit Verzögerung zu erkennen gibt, ist selbst nur Einschub. Er markiert das Film- und Formhafte als bewusst gesetzter Index.

Was er aber nicht ist, ist formsprachliche Übersetzung dessen, was diegetisch den Figuren vielleicht möglich wäre: Flucht, Ausbruch. Ferien fällt immer wieder zurück in eine Kadrage, die Raum fragmentiert und einen Rahmen stiftet, in dem selbst die ringsum liegenden Wälder keinen entgrenzenden Raum mehr bieten. Ferien als solche sind die Abweichung vom Alltag, zumal für Kinder eine oasenartige Zwischenzone zwischen schulischen Verpflichtungen und kindlicher Sorglosigkeit: Man lebt in den Tag oder fährt in andere Regionen. Man entflieht der Stadt und lebt, für Momente wenigstens, im paradiesischen Idyll. Man lässt Dinge hinter sich. In Ferien, dem Film, ist davon nichts zu spüren: Um die Familie - die kleine, wie die große (eine Mutter der Mutter der Mutter kommt später hinzu, und eine Schwester weiterhin) - windet sich ein Korsett, das - hier wie dort - den Atem raubt.

Immer wieder dazwischen geschoben: Naturbilder. Rauschende Baumwipfel. Hochstehendes Gras. Ein Impressionismus ist das nicht, aber man wird in analytischerer Handlung noch diskutieren müssen, was Arslan damit bezwecken wollte. Auf mich jedenfalls wirkten die Einschübe (die selbst wiederum keineswegs beliebige, raumerweiternde Fluchtpunkte darstellen, sondern selbst im vollen Bewusstsein einer strukturierenden Kadrage gedreht wurden) zum einen rhythmisierend, zum anderen, ja, ent-spannend, auch im Sinne von strukturierenden Überschriften zwischen semantischen Einheiten: Sie entschleunigen den Erzählprozess und geben innerhalb des Filmflusses zeitlichen Raum zur Sammlung und Reflexion.

Überhaupt geht es in Ferien in erster Linie um das Verhältnis des Blickenden zum Bild. An einer Stelle spielen die jüngsten Kinder im See, zwei Erwachsene am Strand schauen ihnen zu. Arslan zeigt die beiden von hinten, als Figuren in einem Bild, die ihrerseits ein in dieses gestaffelte Bild anblicken. Wenn an einer Stelle, nach einem Streit, einer in das Haus zurückkehrt, sieht man dieses überhaupt erstmalig als Einheit - in Form eines Bildes, in das einer hineingeht. Mit Bildern hadern auch die Figuren: Welche eigenen, mentalen Bilder vom Gegenüber bringen sie mit? Welche Bilder werden durch Bekenntnisse neu gestiftet? Ist "der andere Mann" ein jüngerer als er - also, sozusagen, schöner, als Bild, anzuschauen?

Präzise und minutiös hat Arslan ein an Grundfesten rüttelndes, Generationen umspannendes Familiendrama gedreht; Mikro- und Makroebene der Familie verschränken sich zu einem unaufgeregt etablierten Karst. Nach seinem letztjährigen Festivalbeitrag Aus der Ferne (siehe hier), einem hervorragenden Dokumentarfilm über die Türkei, präsentiert sich der Regisseur hier auf der Höhe seiner Kunst.

» imdb ~ filmportal.de ~ offzielle site



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Sehr lesenswertes Interview in der taz mit dem großen Meister des Dokumentarfilms. Well done!

Den Anlass bot die Aufführung von State Legislature, den ich hier sehr beeindruckend fand.


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A-Festivals wie die Berlinale sind beinahe schon traditionell immer wieder auch Anlaufstellen für subversive Unterwanderungs- und Gegenaktionen. Sei es die Tromanale, die sich als bewusste Gegenveranstaltung sieht, oder die Aktion der Produzenten von Nicht böse sein, einem für das Festival abgelehnten Dokumentarfilm, die ihren Film dennoch auf dem Potsdamer Platz gezeigt haben: In einem als Infotisch getarnten Zelt vor den Toren des Festivals.

Die Website copiepirate.com lässt sich hingegen eher als "Technologie-Guerilla" fassen: Beinahe täglich werden hier "Remakes" von Festivalfilmen online gestellt. Das Selbstverständnis:
Sehen Sie die Premieren der Internationalen Filmfestspiele Berlin kostenlos im l'Internet! Die Piratenkopien der Regisseurin Irene Revolte enthalten alles, das internationales Kino enthält! In nur einem Tag von der Presseaufführung, sie drehen im Ort in Super8, die an das Laboratorium entwickeln und für ihn in publiziert für jeden im Internet. Schätzen Sie den legalen oder illegalen Downloads! Jeden Tag neu die ganzen schlechten und und guten der Filme von Berlinale als Remake oder kostenlos frei im Internet!
http://www.copiepirate.com

Ein Klick ist lohnenswert!

Eindrücke von der Premiere von Nicht böse sein bietet das folgende Video:



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Donnerstag, 15. Februar 2007
Regel Nummer 1: Knörer für den weiteren Verlauf des Festivals nicht zu nahe kommen. Er hebt sonst an. Den Speer oder zum Gesang.


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"For Theo" steht im Abspann, im Film taucht eine Fotografie von eben jenem Theo auf, eine Möbelpackergesellschaft, die zufällig ins Bild rückt, heißt "Van Gogh Movers" und zu allem Überdruss muss an einer Stelle dann auch noch ein Autogramm "for Theodore" geschrieben werden. Interview, die jüngste Arbeit von/mit Steve Buscemi, der als "The Face" in den 90ern Kultcharakter erlang und nunmehr weitestgehend als Regisseur reüssiert (und glauben Sie mir, ich arbeite in einer Videothek: Seine Filme gehen weg wie warme Stullen, selbst wenn sie nur "auf Englisch" im Regal stehen), Interview also war ursprünglich mal ein Film des streitbaren niederländischen Filmemachers Theo van Gogh, der vor wenigen Jahren von einem Islamisten ermordet wurde. Und Interview, erster einer auf drei Teile angelegten Reihe von Van-Gogh-Remakes, stellt dies denkbar aus.

Warum, bleibt fraglich; denn Interview wäre auch ohne solches Kolorit-meets-Reverenz ein lohnendes movie, vom Geist des "coolen kleinen Indie-Films" der 90er Jahre durchaus durchzogen und dennoch keine bloße Neuauflage.

Das Setting ist minimal: Steve Buscemi spielt einen Journalisten mit Schwerpunkt Politik, der das junge Starlet Katya, gespielt von Sienna Miller, für ein fluff profile in einem Restaurant interviewen soll. Kurz: Ein Scheißjob. Weil Buscemi keine Ahnung von der Person gegenüber hat, die ihrerseits wenig Mühe aufbringt, ihre Verachtung zu verbergen, geht das Gespräch binnen kürzester Zeit in die Brüche.

Der Zufall führt beide auf der Straße wieder zusammen und also beide auch in Maggies eindrückliches Loft. Der Rest des Films spielt hier, vor allem gibt es Dialog - geschliffenen! -, die Kamera beobachtet eher die beiden in raumgreifenden Bewegungen, statt das Geschehen zu strukturieren. Der Tonfall schlägt andauernd um, die Ebenen des Gesprächs werden fast minutenweise gewechselt - beide lernen sich kennen, einander verstehen und missverstehen, so zumindest hat das den Anschein. Doch wer welche Interessen verfolgt, entpuppt sich erst zum Ende.

Eine Beauty-Queen aus TV-Soaps und Horror Flicks und ein sleazy journalist, der alles für eine Story tut: Zwei Professionen von höchst zweifelhaftem Ruf bilden den Nährboden für ein Vexierspiel um Identität und Biografie, um Authentizität und Performance.

Interview ergreift die Chance des schmalen Settings - und nutzt sie für sein Gelingen. Das pointiert zugespitzte Drehbuch bietet den beiden hervorragenden Darstellern die besten Vorlagen, beide tragen einander und spielen sich die Bälle zu. Interview mag keine große Filmkunst sein, aber eine rechte Freude, ihm beim Sich-Entfalten zuzusehen, ist es allemal.

» imdb



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Das norwegische Rushblogg hat mit der Videokamera einige Impressionen vom Festival festgehalten:

Weiterhin hat das Kino Arsenal bereits sein März-Programm am Potsdamer Platz ausgelegt: Der Hinweis mag nicht schaden, dass dort ersten Blickes wenigstens zwei Filme, die auf dem Festival laufen, im März nochmals zu sehen sein werden: Einmal I Was A Swiss Banker (Forum) im Rahmen einer Retrospektive des Werkes von Thomas Imbach; Lukas war von dem Film sehr angetan. Und zum anderen A Cottage on Dartmoor, ein britischer Film aus dem Jahre 1929, der, so die Ankündigung, "out-hitchcocks Hitchcock' und der mir im Gespräch von Ekkehard empfohlen wurde. Letzterer (also der Film, nicht Ekkehard) läuft auf dem Festival in der Retrospektive, im März dann im Rahmen einer Filmreihe "Schätze aus dem British Film Archive".

Desweiteren werden dort im direkten Anschluss an das Festival noch einige ausgewählte Filme aus dem Internationalen Forum (welche, steht noch aus) sowie in einem doppelten Durchlauf nochmals die Filme aus der Hommage für Okamoto Kihachi laufen.



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lol