Sonntag, 15. Februar 2009
Material von Thomas Heise, am letzten Tag in der Sondervorführung dann doch noch gesehen, fand ich zumindest interessant (auch wenn ich, dem berlinale fatigue war's geschuldet, das letzte Drittel schließlich geschwänzt habe). Für Christoph Hochhäusler, dessen auch auf der Berlinale gezeigter Séance mit zum Besten aus dem Kompilationsfilm Deutschland 09 zählte, gehört Material schon jetzt zum Beeindruckendsten, was aus Deutschland in diesem Jahr an Filmen zu erwarten ist. Ihm verdanke ich auch den Hinweis auf dieses Videointerview, das die Cahiers auf dem Festival mit Thomas Heise geführt haben:





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Das Forum wiederholt in den Tagen nach dem Festival traditionell eine Auswahl von Filmen des aktuellen Jahrgangs. Die Termine im Überblick:

16.2.
20.00 Uhr: Araya (Margot Benacerraf, Venezuela/Frankreich 1959, 82 min) OmE

19.2.
19.30 Uhr: Beeswax (Andrew Bujalski, USA 2009, 100 min) OmU
21:30 Uhr: Man tänker sitt / Burrowing (Fredrik Wenzel, Henrik Hellström, Schweden 2009, 76 min) OmU

20.2.
21.15 Uhr: Ludwig Schönherr Programm #1 (Zoom Doku, 1967-69 und Das unbekannte Hamburg, 1983-88, 78 min) OF

22.2.
20.00 Uhr: Love Exposure / Ai no mukidashi (Sono Sion, Japan 2008, 237 min) OmE

23.2.
20.00 Uhr: Defamation (Yoav Shamir, Dänemark/srael/Österreich/USA 2009, 93 min) OmU

24.2.
20.00: Lunch Break (Sharon Lockhart, USA 2008, 83 min) OF

26.2.
20.00 Uhr: Sweetgrass (Lucien Castaing-Taylor, Ilisa Barbash, USA 2009, 115 min) OmU

Besonders empfehlen kann ich Love Exposure und Beeswax. Defamation und Man tänker sitt haben während des Festivals sehr gutes Feedback erhalten.


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Donnerstag, 12. Februar 2009
Schon wieder soviel nachzutragen, sigh. Nun, der Nachtrag hat seine Vorteile, das meiste kann ich schon verlinken.

Soul Power (Forum)
... ist ein richtig geiler Konzertfilm. Und Freunden dieser Filmsorte dringend zu empfehlen. Die Auftritte, die da unter anderem auch von Albert Maysles festgehalten wurden, bersten vor Energie. Mehr dazu beim Perlentaucher.



Pink (Berlinale Special)
Hatte ich hier schon empfohlen. Besonders schön: Auf seiner Website freut sich Rudolf Thome über Ekkehards und mein positives Feedback. Hier beim Perlentaucher hat Ekkehard auch einen sehr schönen Text stehen.

Letters to the President (Forum)
... steht zu dem Geschrei, das zuvor von des Films offensichtlich vollkommen unkundiger Seite aus gemacht wurde, in keinem Verhältnis. Dass der Film ein propagandistisches Iran-Schmierenstück sei, davon kann keine Rede sein; zugestandenermaßen trompetet er auch in kein anderes Rohr. Auch hier wiederum ausführlicher nebenan.

My One and Only (Wettbewerb)
Schon wieder so ein Film wie Chéri. Völlig egal. Mehr vermutlich morgen im Perlentaucher.

Die wundersame Welt der Waschkraft (Forum)
Ist gut gemeint, aber leider doch nur langweilig und zum Teil sehr orientierungslos, was er eigentlich will. Das Thema ist reizvoll, sein Anlass skandalisierbar und Schmids Intentionen sicher auch alle richtig. Nur finde ich es mäßig befriedigend, in einer Dokumentation darüber, dass Berliner Luxushotels in einer polnischen Waschfabrik über Nacht ihre dreckige Wäsche waschen lassen, weil dies rentabel ist, vor allem den ganz normalen Alltag einer Familie, deren Mutter dort arbeitet, zu verfolgen, während es im Off dazu denkbar normale Alltagssorgen zu hören gibt. Zumal das gefilmte Material selbst auch über weite Strecken sehr uninteressant ist. Hier macht der Vater Wurst; da macht die Mutter Buletten. Hier wachen die Kinder auf, dort singt der Sohn in der Schule. Befremdlich: Das Podium, das dem Fabrikbesitzer, ein Deutscher, überlassen wird. Nervig bis ziemlich falsch: Die beschaulich-melancholischen Klaviereinlagen nach jedem Akt, die streng nach "das bisschen Alltag" duften. Trotzdem man viel bei der Familie ist, erfährt man über sie ziemlich wenig; über das Wohlstansgefälle zwischen Polen und Deutschland, über die Strukturen, die dieses hervorbringt, leider auch nur das, was man vorab schon wusste. Sehr, sehr schade.



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Das ging flugs: Heute nachmittag geführt, schon online: Das Cargo-Videointerview mit Andrew Bujalski, dessen Besswax im Forum läuft/lief.



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Mittwoch, 11. Februar 2009
Die Filmblätter der Retrospektive gehören zu den schönen Traditionen der Sektion: Meist liegen sie vor dem Kinosaal aus, oft bekommt man sie beim Einlass in die Hand gedrückt. Neben sehr ausführlichen Credits und Anmerkungen finden sich darauf in der Regel zwei bis drei historische Filmkritiken zu den Filmen, die man in der Phase zwischen Platzsuchenergattern und Vorführbeginn in der Regel noch gut lesen kann.

Auf der Website des Filmmuseums werden diese Filmblätter und ein ausführliche Kopiennachweis auch zum Download (pdf) angeboten.


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Gestern nacht fragte ich noch, ob ich einen Tag vergessen hätte. So langsam entsinne ich mich: Na freilich! Den Tag, an dem ich The Messenger und A History of Israeli Cinema gesehen habe.

Ersterer befasst sich mit jenen Soldaten des US-Militärs, denen die bittere Aufgabe zugewiesen ist, die Nachricht eines gefallenen Soldaten dessen Hinterbliebenen persönlich zu übermitteln. Was großer Zinober mit abgeschmackten Gesten hätte werden können, wird von The Messenger mit den Mitteln des Independentkinos umgesetzt, worin letzten Endes eine ganz spezifische Krux besteht: Viel in The Messenger erwächst nicht direkt aus einer Reflexion von Gegenstand und Form, sondern eher im Angleich an die Konvention: Lange Einstellungen, offener Tonraum und Steve Buscemi sind Indie-Kino und markieren hier auch vor allem nur diese eine Distinktion. Deshalb noch nicht wirklich schlecht, aber unbefriedigend. Ein wenig schade, da mir The Messenger zunächst lange so gut gefiel, dass ich ihn auch weiter eigentlich gut finden wollte.

History of Israeli Cinema (weitere Informationen) entspricht seinem Titel ziemlich exakt: Funktional, um Vermittlung bemüht, Überblick schaffend. Der "geringe" ästhetische Wert der Umsetzung - zuweilen sieht man schon, dass mit arte ein Fernsehsender mitproduzierte - ist hier ein Plus. Eng gebunden an die Geschichte des Staates Israel vermittelt der zweigeteilte Film mit in vier Stunden sehr ausholender Geste einen erhellenden Überblick über Epochen, Abläufe und Besonderheiten des israelischen Kinos. Angefangen von früh-zionistischen Werken der Anfangsphase über erste Satiren gerade /auf/ die zionistische Aufbruchsphase hin zu Slackerfilmen, sentimentalen Dramen mit merkwürdig anmutender Israeli/Araber-Verwechslung und differenziertere Autorenfilme steht hier vor allem das unter jeweiligen historischen Bedingungen sich wandelnde Selbstbildnis moderner Juden und Israelis im Vordergrund. Meines Erachtens einer der spannendsten und sehenswertesten Filme des Festivals - und, dank arte, mit Sicherheit auch in absehbarer Zeit im Fernsehen zu sehen.

Einen schönen Text zu History of Israeli Cinema von Stefan Ripplinger gibt's übrigens in der ersten Ausgabe von Cargo.



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Ich schaffe es gerade zeitlich nicht, ausführlicher zu werden. Aber empfehlen will ich ihn doch: Pink, den neuen Film von Rudolf Thome. Auf seiner Website hatte sich Thome noch Hoffnungen gemacht, mit Pink im Wettbewerb um einen Bären zu ringen; die Verantwortlichen, und man muss sie öffentlich geißeln für sowas, schoben Thome in die dubioseste und gesichtsloseste aller Sektionen ab, ins "Berlinale Special", das so ein bisschen die Funktion eines "ach, und übrigens" erfüllt: "Ach, und übrigens, das müssten wir eigentlich ja auch noch zeigen, nur sind die eigentlichen Slots schon voll."

Was hat solcher Platz jenseits allen Prestiges zur Folge? Eine der leersten Pressevorführungen des gesamten Festivals, was wehtut angesichts zum Bersten gefüllter Pressevorführungen von so weißgott schnurzegalen Petitessen wie gestern Frears' Chéri, in dem schon eine grotesk zurechtgeknödelte Kathy Bates ausreicht, damit's allüberal "hinreißend" oder "charmant" bramabarsiert.

Die paar wenigen, die aber da waren, bei Thome, und die Sinn haben für die, ja, leicht märchenhafte Welt dieses, nun wirklich, hinreißenden Films, die Lust hatten, auf die vielen kleinen und großen Ideen, die schönen Aussparungen, das hübsche Spiel zwischen Überraschung und Vorhersehbarkeit, die dann noch Thome im Anschluss erfahren durften, all die haben, ich will mich ja nicht zu weit aus dem Fenster beugen, vielleicht doch den schönsten Film des gesamten bisherigen Festivals gesehen.

Morgen abend läuft der Film nochmal im Babylon. Ob's noch Karten gibt, weiß ich zwar nicht. Das Online-Kontingent zwar ist schon erschöpft; aber versuchen Sie Ihr Glück doch wenigstens noch an der Kasse.

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Auf seiner Website hat Thome ausführlich den Entstehungsprozess von Pink protokolliert. Es wird sich wohl als lohnenswert herausstellen, Thomes Quasi-Blog - beim Q & A sagt er noch, jetzt haben ja alle diese Blogs, er schreibe schon seit 10 Jahren ins Internet - in nächster Zeit genauer zu verfolgen: Ab März wird Thome sein nächstes Projekt in Angriff nehmen, Ideen dafür habe er noch keine, seine Projekte beginne er beim Schreiben grundsätzlich ganz bei Null, sagt er noch. Und verspricht, im Netz ausführlich sein Vorankommen zu protokollieren. Zu hoffen bleibt abschließend, dass ihm das Notizbuch, das er hierfür aus seiner auf allen möglichen Filmfestivals zusammengekauften Sammlung wählt, auch diesmal das richtige Stichwort liefert. [Und ginge es nach mir, ich hätte, nach Pink, den nächsten Thome-Film ja lieber schon gleich gestern als morgen auf der Leinwand.]

Abschließend Ausschnitte, kein Trailer:



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Hab ich einen vergessen oder nicht? Auf jeden Fall, wir haben nach Mitternacht, ich meine den, der gerade zuende gegangen ist. Und weil in rund 7 Stunden schon wieder die nächste Pressevorführung besucht sein will (Soul Power im Forum, der sich sehr interesant liest - zumal im Katalog-PDF, das man da runterladen kann), mach ich's rasch.

Über Chéri (Wettbewerb) verliere ich kein Wort. Nicht, weil er ärgerlich ist. Nicht, weil er nicht von dieser Welt ist. Sondern einfach nur, weil er so ist, wie er ist. Was hat solch in jeder Hinsicht öder Schnurz im Wettbewerb verloren? (Ich weiß, ich weiß, Michelle Pfeifer, roter Teppich, Kosslick, etc.)

Den japanischen Film Naked of Defenses sah ich danach, da wird wohl morgen im Perlentaucher mehr zu lesen sein, schätze ich. Nicht herausragend, aber auf gedämpfte Weise schön. Mit einigen Härten zwischendrin: In seiner taz-Kolumne berichtet Diederich Diederichsen von seinem Erleben, bei Ozon einen vollgeschissenen Kinderarsch gesehen zu haben; hier kriegt man gleich eine ganze Geburt full frontal zu sehen. Aber doch wieder sehr schön daran: Das passiert da einfach.



Am Abend wurde fett gespachtelt. Ganz fett. Cleopatra gab's in der Retrospektive. Brillante Kopie. Was für ein Detailreichtum. Was für Farben! Was für ein Szenenaufwand, was für ein Ausstattungsaufwand! Und interessant: Am schwächsten wird Cleopatra immer dann, wenn die Schauspieler ganz auf Shakespeare machen und zum dramatischen Monolog anheben, Szenen also, bei denen die Spezifik des Materials nahezu verschenkt wird. Davon abgesehen: Ein ganz großartiges Kinoerlebnis, bei dem ich über vier Stunden nur selten aus dem Staunen kam (und schöne Grüße soll ich von meinem Hintern noch ausrichten, der bedankt sich, dass ich nun binnen kürzester Zeit schon zum dritten Mal einen Film weit jenseits der Dreistundenmarke gesehen habe).


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Dienstag, 10. Februar 2009
Nur einen noch schnell für die Nacht, ganz einfach weil's stimmt und in dieser Konsequenz gesagt werden muss: Don't give an Oscar to The Reader!


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Montag, 9. Februar 2009
Ein 2nd-Hand- und Vintage-Laden in Austin, Texas. Zwischen den beiden Betreiberinnen kriselt es. Will die eine die andere aus dem Vertrag drängen, rechtliche Mittel einlegen? Ein Jurastudent kurz vorm Examen gibt der einen - klänge dies nicht zu gewichtig, könnte man vielleicht von Hauptfigur sprechen, aber Beeswax eignet eine viel zu gelassene Grundhaltung, um solche Gewichte zu setzen - rechtlichen Beistand - und landet dann auch im Bett mit ihr. Die Mitbewohnerin wiederum, die mit dem Studenten offenbar mal was hatte, steht kurz davor, einen Job im Ausland zu ergattern und sucht wohlweislich eine Nachmieterin.

Klingt schrecklich soapig, ist es aber nicht. Beeswax' Zugang zu seiner Geschichte, die eine solche wirklich nur skizzenhaft ist, betont eher das Ephemere der jeweiligen Begegnungen und Dialoge, kein Telos subsumiert die Teile unter sich. So geschieht wenig und alles ist recht schlicht. Und doch geschieht da viel, was man - und hier ist Beeswax eben doch ganz Kinofilm und das auf 16mm - auf der Leinwand entdecken kann. Ein kleiner Falter auf dem Arm beim Dialog wird weggescheucht, die roten Flecken im Gesicht der Figuren, die mal hektisch wandern, das bezaubernde Einziehen eines (wirklich kaum vorhandenen) Damenbauchs, wenn ein bisschen weiter oben zu reden begonnen wird. Oder verschluckte Silben (man nennt diesen Produktionszusammenhang ja auch mumblecore), generell Leute beim Reden, wie sie so im Film ansonsten nie reden würden. Und immer wieder zwischendrin: Ein ebenso fragiler Alltagshumor.

Man kann das für zurückgezogen im eigenen Soziotop halten (Lukas etwa argumentiert so). Dem gegenüber stellen würde ich indes gerade, wie es einem Film wie Beewax gelingt, ein Stück brüchigen Alltags mit, in sich schon wieder eine Utopie, geringsten Produktionsmitteln zu bergen. Und das sozial disparate und in solcher Differenz sich gegenseitig als solches erkennbar machende, sich bedingende ließe sich gerade in dieser Utopie - nicht in einem, in vielen Filmen, die zueinander, nebeneinander stehen - wieder einfangen. Oder nicht?



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lol