Standardszenen in der Videothek, in der ich arbeite: Empfehlungen, zuvor noch mit leuchtenden Augen entgegen genommen, werden rasch zurückgewiesen, wenn ich die Aufmerksamkeit hinweisend darauf lenke, dass der betreffende Film allerdings nur in der originalsprachlichen, zumeist englischen Fassung auf der DVD enthalten ist (was nun nichts mit Piesackerei unsererseits zu tun hat, sondern schlicht und ergreifend damit, dass gottweiß wieviele interessante Filme in Deutschland nie erschienen sind). Man verstehe zwar Englisch, sicher, aber das sei dann doch zu anstrengend, heißt es meist (zugegeben: Die Zahl derjenigen, die sich davon nicht abhalten lassen, ist zwar weitaus geringer, aber im Steigen begriffen und an zwei Händen nicht abzuzählen.). Das finde ich umso bedauerlicher, da es oft genug Studierende und Studierte sind, Leute also, für die Fremdsprachkenntnisse ganz basal sind, die sich in solcher Weise und für mich sehr unverständlicherweise äußeren (unverständlich zum einen deshalb, weil ich mir noch nach völlig durchgesoffenen Nächten zum Einschlafen englischsprachige Serien und Filme ankucken kann, ohne das Gefühl zu haben, mich irgendeiner Anstrengung auszuliefern, aber auch, weil ich solche bewusst eingegangene Selbstbeschränkung nicht verstehen kann).

Schuld an dem Phänomen, so meine Hypothese (und ich glaube: es spricht viel dafür), ist einmal mehr ein deutscher Sonderweg. Neben einem hysterisch-paranoischem Jugendschutz ist auch die Synchronisierwut der Deutschen international ohne Gleichen. Wer zeit seines Lebens von der guten Glucke Jugendschutz-meets-Synchrospaß übermuttert wird, tut sich später schwer, eigene Schritte in die Welt jenseits dieser Käseglocke zu unternehmen. Gern und hämisch weist der irgendwie sich intellektuell angestrichen wähnende Dünkeldeutsche darauf hin, dass in den USA untertitelte Filme, ja ausländische Filme generell kaum Chancen hätten - und vergisst ob solcher kulturnationalen Besoffenheit doch glatt, dass im Gegenzug hierzulande kaum was anderes gilt. Über alles wird gleichmachend Synchrosauce geschmiert, scheissegal, ob ein einst integraler Film dadurch nun klingt, als würden Porno-Heidi und Disco-Schorsch in einer schalldichten Kammer Sätze aufsagen, die allein schon in ihrer klangästhetisch höchst hermetischen Dimension die Einheit von Bild und Ton grundsätzlich in Frage stellen. Das ist nicht nur ein Tritt ins Gesicht jedes ernstzunehmenden Schauspielers, der hier buchstäblich mundtot gemacht wird; eine solche Unart hat auch zur Folge, dass die erforderlichste Fremdsprache, Englisch, in breiten Teilen der Bevölkerung nicht beherrscht und auch nur mit Argwohn betrachtet wird, und stellt überdies eine in ihrer Dimension kaum zu unterschätzende Zugangsschwelle zum deutschen Markt - und, da wir nunmal im Kapitalismus leben, somit auch zum hiesigen kulturellen Leben - dar: Zahlreiche Filme finden ihren Weg nicht nach Deutschland, ganz einfach, weil die nahezu unumgängliche und kostenintensive Investition in eine Synchronisation ihre Rentabilität für Programmanbieter in die dunkelsten Keller treibt.

Aufmerken ließ mich deshalb eine Meldung vor kurzem, die besagt, dass in Brüssel irgendwas beschlossen wurde, was die Ausstrahlung synchronisierter Inhalte zumindest im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorgeblich untersage und die Untertitelung zwangsweise einführe. Natürlich wurde die Meldung kolportiert wie blöde (weshalb ich mir hier auch Links spare), Horrorszenarien wurden ausgemalt, was nicht wundert, da des Deutschen höchstes Gut - jawoll, die Wohnstuben-Gemütlichkeit - mit einem Male in Frage gestellt zu sein schien. Natürlich hat mich das gefreut: Ganz einfach, weil ich eine solche Entscheidung - auch wenn der Rahmen, in dem sie Konsequenzen entfalten würde, denkbar schmal ausfallsen würde - für vernünftig und nützlich hielte, zum anderen aber auch ganz diebisch, weil mich die aufgerissenen Augen und die Panik, nun ja, schon entzückte.

Dass eine solche Meldung indessen Grundlagen entbehrte, dachte ich mir schon bei der zerstreuten Lektüre dieser Angsthasen. Irgendwas schien mir faul daran, zum anderen ist blindes Vertrauen in die Verlautbarungshaltung und den Kolportage-Wahn des deutschen Journalismus ohnehin nicht angebracht. Stefan Niggemeier hat das ganze nun zusammengefasst, kritisch korrigiert und einen Pressespiegel der Peinlichkeit zusammen gestellt.

Sehr bedauerlich, but the future is unwritten.


° ° °




kommentare dazu:



kork, Samstag, 12. April 2008, 03:03
Danke für diesen Beitrag!


orcival, Samstag, 12. April 2008, 05:39
absagen wegen der vermeintlichen anstrengung englischer untertitel kenne ich leider auch zur genüge. andererseits muss ich auch immer wieder genervt zur kenntnis nehmen, wie wenig deutsche filme es mit englischen oder sonstwie anderssprachigen untertiteln gibt. hier liesse sich nämlich andersrum auch am export noch einiges verbessern. - also nicht, dass es so unglaublich viel zu exportieren gibt, aber leider sind es meist die filme über die man gerne den mantel der amnesie gebreitet hätte (stichwort: untergang), die dann doch untertitelt erscheinen...

eine andere randbemerkung: angesichts meines offenbar unterdessen unterdimensionierten fernsehers ist es übrigens in der tat anstrengend geworden untertitel zu lesen, aber das hat wohl eher mit der grösseren bilddiagonale zu tun. wer schenkt mir nen beamer?!


thgroh, Samstag, 12. April 2008, 15:56
@Kork

Danke!

@orcival

Du hast natürlich vollkommen Recht. Es ist eine Schande, wie häufig ich englischsprachige Kunden in der Videothek vor mir habe, die nichts lieber tun würden, als sich einmal durch das komplette Fassbinder-Regal zu leihen - und es schlicht und ergreifend nicht können, weil die Filme nicht vernünftig untertitelt vorliegen. Vor allem die Kleinstlabels sind es, die hier vorbildlich sind: Filmgalerie451 beispielsweise versieht einen Großteil der Veröffentlichung auch mit englischen Untertiteln.

Aber vermutlich hat die Sache auch exakt mit dem Export zu tun. [an den 100€, die man einem Anglistik-Studenten zur Übersetzung auf die Hand legen könnte, wird's wohl kaum scheitern] Ein Film lässt sich freilich schwer ins (englischsprachige) Ausland lizenzieren, wenn bereits eine (leicht importierbare) englisch untertitelte Fassung vom Lizenzanbieter veröffentlicht wurde. Da überbieten die Lizenzeinnahmen wahrscheinlich die Export-Einnahmen.

p77a, Sonntag, 13. April 2008, 20:59
Ja, das war die schönste Zeitungsente seit langem, ich sah schon eine schöne Zukunft vor dem geistigen Auge, in der hierzulande genauso selbstverständlich Filme im untertitelten Original laufen würden wie etwa in Skandinavien. Plopp, vorbei der Traum!

Das von dir beschrieben Unverständnis gegenüber Leuten, die eigentlich gut Englisch können und dann doch vor den englischen Originalen zurückschrecken, ist mir gut bekannt. Kann ich auch gar nicht nachvollziehen, hängt wohl einfach mit der bedauernswerten Bequemlichkeit vieler Leute zusammen. Und auch mit der Herangehensweise an Filme, die doch ganz oft nur dem Konsum dienen.

Bezüglich der Untertitelung ärgere ich mich aber oft genug auch über nicht-deutsche Labels, allen voran die Criterion Collection. So genial deren DVDs auch sind, mir will einfach nicht in den Kopf, warum die fast durch die Bank immer nur englische Untertitel haben. Zu gerne würde ich beispielsweise meinen Eltern mal einen Mizoguchi oder Ozu schenken, aber japanischess Original mit englischen Untertiteln is nich... und die deutschen DVDs (so überhaupt vorhanden) sind dann so schlecht, dass ich mich für das Geschenk schämen würde. Kann doch eigentlich nicht so schwierig sein, noch 2, 3 Sprachfassungen zu den Untertiteln hinzuzufügen!


thgroh, Sonntag, 13. April 2008, 21:19
In der Sache, p77a, hast Du natürlich völlig Recht. Faktisch stellt es auch kein großes Problem dar. Untertitel rauben dem Film kaum Speicherplatz auf dem Datenträger, und die Honorare für Übersetzungsarbeiten sind vermutlich überschaubar (indessen: Mancher professioneller Untertitelungsservice kostet mitunter richtig Asche, mit bloßem Übersetzen - ich spreche aus persönlicher Erfahrung, da ich selbst schon Untertitel angefertigt habe - ist es oft nicht getan).

Aber wie schon oben beschrieben, ist dies oft auch eine Frage der Rechte. Bereits erhältliche untertitelte Fassungen drücken erheblich auf einforderbare Preise. Mal angenommen, die Rechte zu einem Film liegen bei einem Europäer, so wird dieser Criterion kaum die Möglichkeit einräumen, eine Edition des Films zu erstellen, die auch in jenen Ländern breites Interesse an der Veröffentlichung entstehen lässt, in die die Verwertungsrechte unter Umständen noch gar nicht verkauft wurden.

Es ist eben, wie es ist, mit dem Kapitalismus.


orcival, Donnerstag, 17. April 2008, 11:13
Um so mehr war ich übrigens überrascht, dass es unterdessen zahlreiche DEFA-Film in englischer DVD-Ausgabe gibt:
http://www.firstrunfeatures.com/defa1.html

Zu der Untertitel und Rechte Geschichte: klar ist das oft ein Grund mit den Verwertungsabsichten, aber andererseits sind die oft schlicht unrealistisch. Anstatt also gar keine DVD-Edition hinzubekommen, würde man sich auch da also Kooperationen wünschen.

Das bloße Übersetzen ist in der Tat meist nicht das Ding, aber wenn ich mir angucke, wie leicht man unterdessen Untertitel auf ne DVD bastelt, frage ich mich auch wofür die all den Schotter nehmen.

Eine andere interessante Frage sind übrigens die Untertitelrechte bei Untertiteln für Laserprojektionen auf den Film. Da müsste sich halt mal ein Label finden, die diese Übersetzungen immer mit abgreift - die meisten Autoren würden wohl nicht viel für nehmen und wenn das Premierenkopien sind, stimmt auch das Timing der UT.


abspannsitzenbleiber, Mittwoch, 23. April 2008, 15:31
Das, was für die meisten Leute angeblich so "anstrengend" ist, ist meiner Meinung nach das Untertitel-Lesen. Ganz ohne Untertitel will man auch nicht so gerne, weil man Angst hat, was zu verpassen (kann ich teilweise verstehen, ohne UTs hätte ich z.B. Tommy Lee Jones' Genuschel in No Country... kaum verstanden).
Damit Originalfassungen beliebter werden, müsste also vor allem das Untertitel-Lesen trainiert werden, das ist schliesslich mit ein bisschen Übung überhaupt nicht mehr anstrengend. Und genau dieser Zweck wäre ja mit dem angeblichen EU-Plan wunderbar erfüllt worden.
Wie auch immer, ich persönlich bin ja immerhin dankbar, dass das Medium DVD dafür gesagt hat, dass zumindest dort O-Ton und UT zum Standard geworden sind. Auf der anderen Seite graut mir ja schon wieder davor, wenn eines Tages die Scheiben vom (legalen) Download abgelöst werden sollen. Dann wird man wieder dasitzen und mit einer deutschen IP zum deutschen Synchronton verdammt sein.



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