15.06.2004, Ufa Palast Kosmos

Will vermutlich keiner glauben, aber: Ich halte The Day After Tomorrow für einen guten Film. Nicht weil ihm, wie viele Kritiker nun hämisch unken, der Emmerich-übliche patriotische Pathos fehlt - mit dem habe ich, in diesem Bedeutungssystem, nur wenig Probleme -, sondern weil er, in der Tat, erfrischend melancholisch und auf angenehme Art und Weise gegen den Strich seines Genres gebürstet ist: Wechselt der Film zu Beginn für eine Episode nach Japan, konzentriert sich die Kamera dort auf eine telefonierende Person, wähnt man noch, das bekannte Muster, das viele einzelne, räumlich voneinander getrennte Erzählfäden im Verlauf zusammenbringt, erkannt zu haben. Doch nichts dergleichen: Die vorgeschlagene Bedeutungsperson wird schnell erschlagen, von einem faustgroßen Hagelnugget. Erstaunlich auch, wie schnell der Film sein sensationalistisches Pulver verschießt, wie schon bald zu Beginn eine Lokalität nach der anderen mit viel audio-visuellen Getöse - jener Sorte, die zu gefallen weiß, letztlich befinden wir uns eben doch in einem Exploitation-Movie - zunichte gemacht wird und wie dann damit begonnen wird, ins Detail zu gehen, die Widrigkeiten der Einzelnen abzuhaken, ohne dabei auf die "finale Schlacht" oder ähnlich Heroisches hinzuarbeiten. Am Ende nur altbekanntes, in diesem Zusammenhang jedoch erfrischendes persönliches Drama, das von der Überwindung von Schwächen und alten Fehlern erzählt. Das dabei das Schicksal jener zuvor lang vorgestellten Wetterbasis in Schottland, die, wie wir per Funk erfahren, dem Untergang geweiht ist, komplett ausgeblendet, ja nachgerade vergessen wird, stört dabei kaum, es fällt schon gar nicht mehr auf. Auch anderes geht im Schnitt zwischen zwei Sequenzen verloren: Hier verlässt der Präsident noch das Weiße Haus, im nächsten Moment bezeichnet ihn eine Mitteilung - per Funk, von einem Soldaten aber mündlich weitergegeben, Mauerschau allenorten - schon als tot: Die Auflösung der Zivilisation, die hier zelebriert wird, findet in der Auflösung des Erzählsystems Entsprechung, lässt aber lange nicht jegliche Hoffnung fahren: Die letzten Bilder, wenngleich pathetisch, so doch melancholisch, gebrochen, anti-heroisch, bieten noch immer genügend Optionen für die Personen darin, für das Szenario selbst, für das zugrundeliegende Genre, das hier zum Teil empfindlich angeknackst, nicht aber vollends dekonstruiert wird. Die Frage, was nach diesem Genrebeitrag noch zu kommen vermag, wo der doch alle Genreszenarien in sich vereint und im Zuge die halbe Welt zerstört und, aus Menschenlebenperspektive, ewig unter Eis verpackt, ist dennoch berechtigt.

Ein weiterer Hoffnungsschimmer: Die Gutenberg-Bibel überlebt, wie beiläufig sehen wir sie am Ende im Arm eines Überlebenden, der zuvor angekündigt hat, sie mit seinem Leben zu beschützen: Dort, in der New Yorker Stadtbibliothek, diesem Archiv des Wissens und der Kultur, als die bittere Entscheidung getroffen wird, sich mit brennenden Büchern zu wärmen. Sicherlich eine der stärksten Momente des Films: Wie sich da zwei Liebende endlich finden, in goldenes Licht getaucht, wie sie vor dem buchstäblichen Niedergang der Kulutr und ihres Wissens Hoffnung fassen können. Ein brutales, brutalstes Bild eigentlich: Wie sich zwei küssen, wie das schön aussieht, wie der Preis dieser Schönheit - der Verlust des eigenen Kulturarsenals - in ihr unübersehbar eingeschrieben ist. Und wie Emmerich es, nachdem er vor Jahren das Weiße Haus zerstört und hier den Präsidenten der USA in den Tod geschickt hat, es letztlich nicht wagt, die Gutenberg-Bibel den Flammen preis zu geben. Diese ist nicht austauschbar, die Menschen in dieser Erzählung sind - bewusst? selten waren Blockbuster-Figuren so leer, so stereotyp unaufregend - es allemal. Das ist perfide, gewiss, aber wirkungsvoll.

Der Film beginnt bereits tiefmelancholisch, mit einem zur Erde geneigten Blick ins Wasser, kein establishing shot, kein Blick in den Himmel. Wasser. Eissschollen. Eine lange Kamerafahrt, die nur selten den Blick in den wundervollen Himmel darüber wagt, meist gleich schon wieder hinunterblickt, über Eisinseln fliegt, um dann allmählich einen Bezugspunkt zu gewähren, der die Größenverhältnisse verdeutlicht: Weit hinten ein kleiner dunkler Fleck, der sich als Expedition zu erkennen gibt, der nur allmählich wächst und beinahe schon nicht mehr von der Kamera anvisiert wird, als diese schließlich den Bogen macht, diese Expedition umkreist, sie aber nur beiläufig anblickt, als wäre sie ein magnetisches Feld im Bild, das nicht stark genug ist, die Perspektive vollends zu verschieben, aber auch nicht schwach genug, um den Kader zu belassen. Hier simuliert sich die Bewegung eines Hurrikans, die Perspektive der Natur auf die Menschen, in dem Verdruss liegt, letztlich aber auch Hoffnung. Ein melancholischer Blick, der sich durch das Gewitter, durch das Drama, durch die Katharsis zieht. Ein angenehmer Film.

imdb | mrqe | filmz.de | angelaufen.de


° ° °




kommentare dazu:



mama, Donnerstag, 17. Juni 2004, 03:07
Aber sagen sie mal, die Raubtierepisode hätte er sich doch sparen können, oder?


thgroh, Donnerstag, 17. Juni 2004, 03:14
Hätte gut, ohne weiteres. Klar, das war bloße Schicksalserfüllung: "Schaut her, der Sohn, der ist schon wie sein Vater." War noch mehr hier und da, das eigentlich eher unnötiger Natur war. Im wesentlichen aber herrschte bei mir nach dem Film Wohlwollen, aus besagten Gründen - und ich denke, darauf kommt es an. :)



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