17.07.2004, Heimkino

Glückselige Tage des frühen Universal-Horrorfilms! Sie brachten uns Karloff und Lugosi in ihren besten Rollen! Manchmal vereinten sie beide sogar und entfachten einen Wettstreit der Darsteller, sehr zur Freude des Publikums natürlich: The Raven ist bereits die dritte Zusammenarbeit der beiden Helden des klassischen Gruselfilms (die ersten beiden sind im übrigen Gift of Gab und The Black Cat, beide aus dem Jahr 1934, wobei sich in erstgenanntem allerdings nur Cameos der beiden finden). Und natürlich ist es eine wahre Lust, den beiden bei ihrem Spiel zuzusehen, vor allem Lugosi schöpft hier aus vollen Kräften und legt eine Performance hin, die nur er so abliefern darf, ohne als over-acted abgetan zu werden.

Was The Raven mir darüber hinaus als bemerkenswert erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass es sich dabei mitnichten, wie man vielleicht meinen könnte, um eine bloße Poe-Adaption handelt, sondern dass hier bereits ein wesentlicher Aspekt des (späteren) Horror- und Gruselfilms vorweg genommen wird: Den der Transponierung der eigenen kulturgeschichtlichen Traditionen als tragendes Element der Erzählung selbst nämlich. Angesiedelt im (damaligen) Hier und Jetzt, spielt Lugosi den Arzt Richard Vollin, der sich ganz der Forschung verschrieben hat. Vor allem aber ist er ein in der Seele dunkler Poe-Verehrer, dessen Leidenschaft ihn gar soweit getrieben hat, in einem geheimen Gewölbe seines Anwesens eine Folterkammer einzurichten, die originalgetreue Anfertigungen aller bei Poe beschriebenen Folterinstrumente ausstellt. Als die Tochter von Richter Thatcher, Jean, infolge eines Autounfalls - die erste Szene des Films, eine ganz wunderbare Miniatur der Miniaturfilmkunst - für ewig entstellt zu sein droht, kehrt der zunächst unwillige Vollin in die Praxis zurück, nachdem Thatcher dem offensichtlichen Narziss genügend Honig um den Mund geschmiert hat. Das Werk gelingt, die Schönheit wird gerettet, doch der düster sinnierende Doktor verliebt sich in Jean und sie in ihn. Das wiederum sieht der Vater gar nicht gern, ersehnt den Arzt, von seiner Liebe zu lassen.

Ein Instrument zur Rache findet der Gekränkte schließlich in dem entflohenen Zuchthausinsassen Bateman (Karloff), der den Medicus in einer stürmischen Nacht ebenfalls um eine Korrektur seines Gesichts bittet, aus offen praktischen, wie weltanschaulichen Gründen: Ein hässlicher Mensch, so habe man ihm gesagt, vollbringe auch hässliche Taten. Von einem angenehmeren Äußeren verspreche er sich endlich eine Abkehr vom Pfad der Mörder und Verbrecher. Dieser achtlose Ausspruch ruft den diabolisch-morbiden Arzt auf den Plan: Er entstellt Bateman auf groteske Weise und macht ihn sich, mit Aussicht auf Besserung seiner äußerlichen Erscheinung, gefügig. Während einer Wochenendgesellschaft, zu der der Arzt auch den Richter, seine Tochter und deren Verlobten lädt, soll Bateman ihm mörderische Dienste in der Folterkammer erweisen, dann, so Vollin, erlöse er den Entstellten auch von seinem Antlitz ...

Natürlich ist ein Gruselfilm jener Tage heutzutage meist nur noch vermindert im Sinne seiner primären Intention erfolgreich. Auch The Raven macht da keinen Unterschied und begeistert weniger als schaurige Mär, sondern vor allem als historisches Dokument seiner Gattung: Der Gedanke des Archivs, der den Horrorfilm schon bald trägt, die möglichst dichte Einschreibung der eigenen Kultur- und Literaturgeschichte in seine je jüngsten Elaborate findet sich hier bereits in Ansätzen implementiert. Vor dem Hintergrund der Entstehungszeit ist dieser Umstand schon mehr als bemerkenswert, nicht zuletzt deshalb erscheint mir der Film deshalb als für die Geschichte seines Genres immanent wichtig, seine bislang wenig beachtete Rolle daher als Fauxpas der Geschichtsschreibung.

Aber auch jenseits dessen ist The Raven ein kleines, elegantes Fest für die Sinne. Nicht nur die darstellerischen Leistungen der beiden prominenten Hauptdarsteller gereichen ihm zum Gewinn (auch wenn sie - natürlich – nicht unter dem gängigen Begriff „große Schauspielkunst“ einzusortieren wären, aber beide spielen ohnehin in einer sehr eigenen Liga), es finden sich auch zahlreiche kleine schöne Einfälle in der Inszenierung, die das Herz höher schlagen lassen. Der erste Auftritt Lugosis etwa, wenn zu Beginn nur ein übergroßer Schatten eines ausgestopften Rabens zu sehen ist, während Lugosi im Off einige Zeilen aus Poes gleichnamigem Text rezitiert. Die Kamera fährt langsam nach hinten, erschließt das Zimmer, den Raben selbst, schließlich den Tisch, auf dem er steht, und komplettiert den Raum schlussendlich, wenn sie uns zeigt, dass Lugosi keineswegs allein im Raume sitzt. Auch die Szene, in der Lugosi düster sinnierend Klavier spielt, seine Liebe Jean sich im Raum befindet, doch beide voneinander getrennt sind. Lugosi wird durch ein zierendes Geländer gefilmt, wie ein Raubtier in einem Käfig erscheint er dadurch, als er auf sein Instrument einhämmert. Jean indes wird aus dem Kamin heraus gefilmt, so dass das Feuer ihrer Erscheinung als grundierendes Fundament dient. Das ist in zweierlei Hinsicht zu verstehen: Das Feuer als Symbol für Leidenschaft, die der Liebsten entgegen schmachtet, aber auch das Feuer als Symbol für die Hölle, für den Schmerz, der wegen dieser Frau durchlitten wird und die Katastrophe des Films einleitet. Natürlich sind diese beiden Bespiele nur kleine Bonbons (von vielen anderen), nichts wirklich Großartiges oder Visionäres, aber eben doch Details, auf die sich zu achten lohnt, die die Atmosphäre des Films entschieden tragen und schlussendlich auch zu seinem Gelingen beitragen. Ein schöner Film.

imdb | mrqe


° ° °




kommentare dazu:



baehr, Donnerstag, 22. Juli 2004, 21:36
Nevermore!
Möchte man rufen, kriegen wir gleichsam naive und elaborierte Gruselfilme mehr zu sehen - wer würde beim heutigen Slasher-Wesen auch noch von Gruselfilm sprechen. Ja, das macht viel Spaß, das finde ich auch. Unlängst "The Black Cat" gesehen, ein ganz wunderbarer Vertreter seiner Art. Vorbei auch die Zeit der genreeigenen populären Stars wie Price, Karloff, Lugosi... Oder täusche ich mich? Naja, die modernen Klassiker tragen ohnehin fast durchweg Masken.



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