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Im Herbst 1966 schreibt ein Filmkritiker im katholischen Film-Dienst über einen Film, mit dem er es bis dahin noch recht gut gemeint hatte:
Wie dem Opfer spitze Nadeln in Kopf und Rückenmark gejagt werden, das ist so angelegt, daß den Zuschauer das kalte Grausen überkommen soll. Damit entpuppt sich die Geschichte als einfache Gruselstory im Gewande moderner Wissenschaftlichkeit.
Der Film, um den es sich dabei handelt - Das Geheimnis des Dr. Z - wird gleich im Anschluss zu sehen sein. Sein Regisseur, Jess Franco, wird heute 80 Jahre alt.
Dass nun ausgerechnet in einem Kino, das lange Zeit den Titel "Filmkunsthaus Babylon" trug, Jess Franco eine Ehrenaufführung zuteil wird, dürfte den bis heute umtriebigen spanischen Regisseur wohl freuen, finden in solcher Bezeichnung doch zwei Aspekte zusammen, die auch in Francos Werk immer wieder aufeinander treffen: Die unbedingte Liebe zum Film als Kunstform und die obsessive Liebe zur "großen Hure Babylon", der Mutter alles Verderblichen, was die Menschheit hervorbringt, sprich: zu Sex and Crime.
"Sex and Crime" bei Franco ist offensichtlich, das mit der Filmkunst bedarf der Erläuterung. Denn Jess Franco dürfte, neben Ed Wood, der vielleicht übelst beleumundete Filmemacher der letzten 50 Jahre sein. Seine Filme gelten als inkohärent, langweilig, stümperhaft, ein gestern im Netz veröffentlichter Geburtstagsgruß nennt ihn bereits in der Überschrift nur „Trash-Papst“, dem Autor des "Edgar Wallace Lexikon" schien, wenn es um Jess Francos Beiträge zur späten Wallace-Reihe geht, offenbar der Schaum vor den Mund zu steigen. Genauso legendär, zumindest aber berüchtigt, wie seine Zooms, die fortwährend und ausgedehnt Belanglosigkeiten in den Blick nehmen, um auf diese Weise wertvolle Minuten Laufzeit zu klauben, sind seine persönlichen Obsessionen: In zahlreichen seiner immerhin fast 200 Filme lässt er sich mit Vorliebe selbst vor laufender Kamera von jungen Schönheiten foltern. Fast schon Signaturcharakter hat die obligatorische Nachtclub-Szene, in der eine geheimnisvolle Frau zu psychedelischer oder avantgardistischer Musik einen erotischen Tanz aufführt. Einer seiner buntesten Filme – Blue Rita – spielt denn auch fast komplett in so einem Nachtclub, auch gleich im Anschluss werden wir ein überaus reizendes Exemplar einer solchen Franco-Szene sehen.
Und doch schwingt, wenigstens in den besseren seiner Filme, immer auch eine stark künstlerische Komponente mit. Ein auteur ist bei den französischen Filmkritikern der 50er Jahre ein Regisseur, der nicht nur die mise en scène kontrolliert, sondern dabei auch eine eigene Stilistik entwirft, in der der Regisseur eine gewisse Sicht auf die Welt formuliert. Ein Autorenfilm ist vor allem als Werk seines Regisseurs erkennbar: So besehen, ist Jess Franco ein auteur par excellence: Obwohl die meisten seiner Filme inhaltlich Trivialfilme sind, geben sie sich eben doch nicht mit einer industriell standardisierten Ästhetik zufrieden. Einen „Franco“ erkennt man normalerweise spätestens auf den zweiten Blick. Auch der heiligste Tempel der Cinephilie, die Cinémathèque Francaise, sieht das mittlerweise so: 2008 adelte sie den Regisseur mit einer bemerkenswert umfangreichen Retrospektive, 2009 wurde er in seiner spanischen Heimat für sein Lebenswerk mit dem Goya-Filmpreis ausgezeichnet.
Dass zahlreiche seiner Filme runtergekurbelt wurden, versteht sich bei einem Output von zum Teil 10 Spielfilmen pro Jahr von selbst. Christopher Lee zum Beispiel, der häufiger mit Franco arbeitete, bemerkte einmal, dass man bei Franco gerne für zwei Filme unter Vertrag stand, aus dem Material dann aber kurzerhand drei Filme geschnitten wurden. Auch Horst Tappert soll sich, lange vor seiner Zeit als "Derrick", einmal bei Artur Brauner beklagt haben, dessen CCC einen Jess-Franco-Film namens Sie tötete im Orgasmus mit Horst Tappert in der Hauptrolle ankündigte, den dieser aber nie gedreht haben will. Auch hier griff Francos Methode der wundersamen Filmvermehrung. Das Studio und Tappert einigten sich, dass der Film wenigstens unter dem etwas weniger ehrenrührigen Titel Sie tötete in Ekstase ins Kino kommen sollte.
Sie tötete in Ekstase ist auch für uns von Belang, da er in gewisser Weise ein Remake des heute gezeigten Geheimnis des Dr. Z darstellt. In beiden Filmen wird ein Doktor, der im Dienste der Wissenschaft Experimente jenseits aller Ethik durchführt, aus der scientific community ausgeschlossen und damit in den Tod getrieben. In beiden Filmen rächt sich eine Frau im Anschluss ganz erbarmungslos - und unter Einsatz aller sexuellen Mittel - an den Wissenschaftlern: Im Fall von Sie tötete in Ekstase ist es die hinterbliebene Frau des Doktors selbst (gespielt von Europloitation-Ikone Soledad Miranda), in Das Geheimnis des Dr. Z ist es seine Tochter, die sich mit den technologischen Errungenschaften ihres Vaters eine Nachtclubtänzerin zur gefügigen Sklavin macht und diese dann mit den Morden beauftragt.
Das Geheimnis des Dr. Z ist ein Schlüsselfilm in der frühen Werkphase von Jess Franco und für einige "Franco-phile" der beste Beleg für die These, dass in Jess Francos Schaffen ein auteur zu bergen ist, der beim späteren Akkordarbeiter Franco zunehmend verloren gegangen scheint: Unbestreitbar ist der Wille zur unbedingten Stilisierung, der sich in den großartigen Bildkompositionen niederschlägt (unter denen sich, nebenbei, noch zwei, drei obskure Orson-Welles-Reverenzen ausmachen lassen). Bemerkenswert ist auch der Gebrauch der Musik: Während in den etwa zeitgleich entstandenen deutschen Edgar-Wallace-Filmen, nahe Verwandte dieses Films, meist gemütlicher Krautswing zu hören ist, lässt Franco hier bizarre atonale Musik erklingen, die das ohnehin leicht surreale Geschehen völlig jeder realistischen Verbindlichkeit enthebt: Stockhausen meets Groschenroman!
Jess Franco weiß sehr gut, in welchen Traditionen er sich hier bewegt: Sein Dr. Z wirkt wie eine Mischung aus dem von Peters Sellers verkörperten Dr. Strangelove und Wolfgang Preiss' Performance des Dr. Jordan in Fritz Langs 1000 Augen des Dr. Mabuse mit einer Prise Dr. Caligari – daneben scheint der deutsche Filmexpressionismus der 20er Jahre ästhetisch Pate gestanden zu haben. "Von Caligari zu Hitler" heißt die berühmte soziologische Studie von Siegfried Kracauer über den deutschen Film - und ein bisschen was von dieser Bewegung schwingt auch im Geheimnis von Dr Z mit: Wohl kein Zufall ist es, dass die französisch-spanische Produktion in Deutschland spielt und dass Dr. Z, der Doktor Zimmer heißt (die deutsche Synchro, wohl auch um die verstörenden Qualitäten solcher Assoziation dem deutschen Publikum zu ersparen, macht aus Dr. Zimmer hingegen einen osteuropäischen Dr. Zarowski), Menschenexperimente durchführt, eine Technologie zur Steuerung von Menschen entwirft und dass seine Tochter später Leichen im Ofen verbrennen lässt. Im Gewand eines lupenreinen Pulp Movies, mit allen Spekulationen, die dazu gehören, befasst sich Jess Franco, der hier im übrigen als Inspektor eine Cameo-Rolle hat, auch auf sehr deutliche Weise mit den Verbrechen des deutschen Faschismus.
Spannend ist der Film aber auch wegen seiner Verbindungen zum europäischen Kino der 60er und 70er Jahre: Der spanische Kameramann Alejandro Ulloa würde fortan vor allem in Italien zahlreiche Western und Thriller drehen – für Lucio Fulci, Antonio Margheriti, Enzo G. Castellari und Sergio Corbucci, um nur die bekanntesten zu nennen. Noch bemerkenswerter aber ist Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, der die Drehbücher für fast alle späten Bunuel-Filme verfasst und darüber hinaus für Louis Malle, Jean-Luc Godard und Volker Schlöndorff gearbeitet hat. Zu seinen letzten aufsehenerregenden Arbeiten gehört der 2004 entstandene Arthouse-Thriller Birth mit Nicole Kidman - ein eher untergegangenes Werk, das in informierten cinephilen Kreisen mittlerweile den Rang eines kleinen Meisterwerks genießt.
Um unseren eingangs zitierten Filmkritiker nochmal zu Wort kommen zu lassen: "Unterhaltsam ist eine derartige Strapaze für die Nerven allerdings nicht." Ich kann Euch versichern: Das glatte Gegenteil ist der Fall. Ich wünsche Jess Franco alles Gute zum 80. Geburtstag und uns allen hier eine exzellente Projektion – vielen Dank.
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