Thema: Filmtagebuch
09.11.2004, Kino Arsenal
Eine Texttafel zu Beginn rechnet den Posten des Regisseurs Hanns Heinz Elwers zu. Meine (etwas älteren) Quellen im Buchregal sprechen diesbezüglich nur von Stellan Rye. Die imdb verteilt die Rolle auf beide Namen: Nichts Genaues weiß man nicht. Und vielleicht macht es auch kaum Sinn, in diesem Stadium der Filmgeschichte bereits vom "Regisseur" zu sprechen. Richtiger wäre wohl: "Autorenfilm". Denn mit Der Andere (heute abend im Arsenal zu sehen, leider ohne mich; Nachtrag: Christian war dort) begründete Der Student von Prag denselben. Wobei auch hier anzumerken ist, dass unser heutiger Begriff davon sich natürlich unterscheidet: "Autorenfilme" waren damals Prestigefilme für die Filmindustrie, die eigens von Literaten erdacht waren. Man wollte im Feuilleton sich zunächst platzieren, und dann sich dort behaupten.
Der Student von Prag erweitert die horizontale Achse des vorderen Filmraumes, wo sein Geschehen in der Regel stattfindet, um eine in die Tiefe nach hinten weg. Auffällig oft ist die Bewegung ins Bildvordere hinein oder aber von dort nach hinten ab Thema der Einstellung. Dies, so konnte man während der morgendlichen Seminarsitzung beim Referat erfahren, unterscheide dann auch den europäischen vom amerikanischen Spielfilm jener Tage: Während die USA bereits fröhlich schnitten, herrschte in Europa die lange (und weitgehend ruhig bleibende) Einstellung vor, in der sich das Geschehen zwischen Vorder- und Hintergrund organisierte.
Gewissermaßen passt dies auch zu dem Film, stellt doch die romantische Annahme seine Grundprämisse, dass sich das plane Bild - ein Spiegel (vielleicht aber, so denke ich kurz im Saal, während dieser Szene: die Leinwand selbst) - als Fortsetzung des diesseitigen Raums begreifen ließe, aus der Gestalten - Spiegelbilder, Doppelgänger, Automaten - heraustreten und fleischlich werden könnten. Meine schon seit längerem so eingeschätzte Grundannahme des Grusel- und Horrorkinos als ein Genre, das wie kein zweites seinen eigenen Raum thematisiert (um ihn zunächst zu entwickeln, dann zu destabilisieren, ihn "unheimlich" werden zu lassen mit allen Mitteln, die ihm, dem Film - dem einzelnen, aber auch ganz anonym verstanden -, recht und billig sind), findet hier bereits ein erstes Zugeständnis von Seiten der Filmgeschichte.
*
Ein bisschen wirkt der Film wie ein Versprechen. Dies natürlich eine rückblickende Annahme, die Geschichte bereits strukturiert und Sinn ausgemacht hat. Ein Versprechen, was die Kinematografie zu bieten wissen wird. Vieles wirkt noch unbeschlagen, roh aneinandergehängt. Doch wird etwas formuliert, was über den Film hinaus verweist. Das Gruselkino formiert, ja konfiguriert sich und lässt erste Schauerahnungen wohlig über den Rücken gleiten. "Das ist noch nicht alles", wird man vertröstet, "wir haben ja erst angefangen." Der Rest: Geschichte (und Romantik).
*
Am Ende erliegt Balduin dem Schuss, den er auf das Spiegelbild, dieses buchstäblich kinematographische Phantasma, abgegeben hat: Die Kugel aus der aufs Gegenüber gerichteten Pistole landet im eigenen Rumpf (der destabilisierte, unheimliche Raum!). Eine Umkehrung dieses Motivs, zumindest innerhalb seiner Konstellation, finden wir auch am diesseitigen Ende der Filmgeschichte, in Fight Club. Ob es wohl sinnvoll wäre, jenen mit diesem Film zu lesen, frage ich mich kurz beim Verlassen des Saales. Immerhin erzählen beide vom Schauer der fleischgewordenen Kopfgeburt. Die Distanz dazu schafft das Flächige des Bewegungsbildes. Auf dass es flächig bleibe und die Gestalten dort bleiben, wo wir uns aus sicherer Distanz vor ihnen gruseln!
imdb
"... und aus den Seiten stiegen die Figuren auf."
(aus dem Vorspann)
(aus dem Vorspann)
Eine Texttafel zu Beginn rechnet den Posten des Regisseurs Hanns Heinz Elwers zu. Meine (etwas älteren) Quellen im Buchregal sprechen diesbezüglich nur von Stellan Rye. Die imdb verteilt die Rolle auf beide Namen: Nichts Genaues weiß man nicht. Und vielleicht macht es auch kaum Sinn, in diesem Stadium der Filmgeschichte bereits vom "Regisseur" zu sprechen. Richtiger wäre wohl: "Autorenfilm". Denn mit Der Andere (heute abend im Arsenal zu sehen, leider ohne mich; Nachtrag: Christian war dort) begründete Der Student von Prag denselben. Wobei auch hier anzumerken ist, dass unser heutiger Begriff davon sich natürlich unterscheidet: "Autorenfilme" waren damals Prestigefilme für die Filmindustrie, die eigens von Literaten erdacht waren. Man wollte im Feuilleton sich zunächst platzieren, und dann sich dort behaupten.
Der Student von Prag erweitert die horizontale Achse des vorderen Filmraumes, wo sein Geschehen in der Regel stattfindet, um eine in die Tiefe nach hinten weg. Auffällig oft ist die Bewegung ins Bildvordere hinein oder aber von dort nach hinten ab Thema der Einstellung. Dies, so konnte man während der morgendlichen Seminarsitzung beim Referat erfahren, unterscheide dann auch den europäischen vom amerikanischen Spielfilm jener Tage: Während die USA bereits fröhlich schnitten, herrschte in Europa die lange (und weitgehend ruhig bleibende) Einstellung vor, in der sich das Geschehen zwischen Vorder- und Hintergrund organisierte.
Gewissermaßen passt dies auch zu dem Film, stellt doch die romantische Annahme seine Grundprämisse, dass sich das plane Bild - ein Spiegel (vielleicht aber, so denke ich kurz im Saal, während dieser Szene: die Leinwand selbst) - als Fortsetzung des diesseitigen Raums begreifen ließe, aus der Gestalten - Spiegelbilder, Doppelgänger, Automaten - heraustreten und fleischlich werden könnten. Meine schon seit längerem so eingeschätzte Grundannahme des Grusel- und Horrorkinos als ein Genre, das wie kein zweites seinen eigenen Raum thematisiert (um ihn zunächst zu entwickeln, dann zu destabilisieren, ihn "unheimlich" werden zu lassen mit allen Mitteln, die ihm, dem Film - dem einzelnen, aber auch ganz anonym verstanden -, recht und billig sind), findet hier bereits ein erstes Zugeständnis von Seiten der Filmgeschichte.
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Ein bisschen wirkt der Film wie ein Versprechen. Dies natürlich eine rückblickende Annahme, die Geschichte bereits strukturiert und Sinn ausgemacht hat. Ein Versprechen, was die Kinematografie zu bieten wissen wird. Vieles wirkt noch unbeschlagen, roh aneinandergehängt. Doch wird etwas formuliert, was über den Film hinaus verweist. Das Gruselkino formiert, ja konfiguriert sich und lässt erste Schauerahnungen wohlig über den Rücken gleiten. "Das ist noch nicht alles", wird man vertröstet, "wir haben ja erst angefangen." Der Rest: Geschichte (und Romantik).
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Am Ende erliegt Balduin dem Schuss, den er auf das Spiegelbild, dieses buchstäblich kinematographische Phantasma, abgegeben hat: Die Kugel aus der aufs Gegenüber gerichteten Pistole landet im eigenen Rumpf (der destabilisierte, unheimliche Raum!). Eine Umkehrung dieses Motivs, zumindest innerhalb seiner Konstellation, finden wir auch am diesseitigen Ende der Filmgeschichte, in Fight Club. Ob es wohl sinnvoll wäre, jenen mit diesem Film zu lesen, frage ich mich kurz beim Verlassen des Saales. Immerhin erzählen beide vom Schauer der fleischgewordenen Kopfgeburt. Die Distanz dazu schafft das Flächige des Bewegungsbildes. Auf dass es flächig bleibe und die Gestalten dort bleiben, wo wir uns aus sicherer Distanz vor ihnen gruseln!
imdb
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kommentare dazu:
kid37,
Donnerstag, 11. November 2004, 00:32
Der Student von Prag
"[Paul] Wegener ist ein vielbelesener Mann. [...] Seine Lieblingsautoren neben Shakespeare und Goethe sind Balzac, E.T.A. hoffmann, Edgar Allen Poe. Er hat viel übrig für das Unheimliche in der Literatur. [...]Paul Wegener unterhielt sich mit dem Schriftsteller Heinz Ewers darüber. "Ich brauche einen Doppelgängerstoff . Ich will einen Film machen, in dem ein Mensch sich selbst gegenübersteht."
Ewers, den damals viele für den Nachfolger von Edgar Allan Poe hielten [...] hatte eine Idee. Wegener zog den Kopenhagener Regisseur Stellan Rye und den Filmoperator Guido Seeber hinzu. So entstand "Der Student von Prag".
[...]
Wegener treibt zwanzigtausend Mark auf. Damit soll der Film gemacht werden. Damit wird er auch gemacht. Das ist natürlich nur dadurch möglich, daß keiner der vier Hauptbeteligten mehr verlangt oder bekommt als den Ersatz seiner Unkosten. [..] Dies ist die Geburtsstunde des künstlerischen Films in Deutschland.
[aus: Curt Riess. Das gab's nur einmal: Die große Zeit des deutschen Films. Bd. 1. Wien, München, 1977.]
Ewers, den damals viele für den Nachfolger von Edgar Allan Poe hielten [...] hatte eine Idee. Wegener zog den Kopenhagener Regisseur Stellan Rye und den Filmoperator Guido Seeber hinzu. So entstand "Der Student von Prag".
[...]
Wegener treibt zwanzigtausend Mark auf. Damit soll der Film gemacht werden. Damit wird er auch gemacht. Das ist natürlich nur dadurch möglich, daß keiner der vier Hauptbeteligten mehr verlangt oder bekommt als den Ersatz seiner Unkosten. [..] Dies ist die Geburtsstunde des künstlerischen Films in Deutschland.
[aus: Curt Riess. Das gab's nur einmal: Die große Zeit des deutschen Films. Bd. 1. Wien, München, 1977.]
thgroh,
Donnerstag, 11. November 2004, 01:02
Danke für die ergänzende Quelle. Habe hier auch noch einige Texte, mal schauen, ob ich da auszugsweise die Tage was transskribiere. Ist ja auch nett, so als Ergänzung zur Kino/Textereihe (wobei ich nicht zuviel versprechen will, was die Textreihe betrifft...).
baehr,
Donnerstag, 11. November 2004, 01:08
Ich glaube, es gibt Geschichten, Erzählungen, die es schon immer gab, die irgendwann in der Geschichte menschlichen Erzählens ihr perfektes Gefäß finden. Für die Schauergeschichte war es zweifellos der Film, die beiden fanden glücklich zusammen im Deutschland des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Tatsächlich, gerade die Geschichte vom Doppelgänger mit ihrer schauerlichen, stets nur murmelnd, nie ganz expliziten Semantik ist ein Filmthema par excellance. Es ist Projektion, es ist Gegenwelt, es ist das andere ich, das wir suchen, wenn wir ins Kino gehen, und dessen Gestalt uns gleichzeitig das fürchten lehrt. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie schnell das Kino zu sich selbst, zu früher Vollendung ganz kurz nach seiner Entstehung kam (hier sicher noch nicht, aber ja, ein Versprechen), das gerade wieder nach der Sichtung des wunderschönen "Fuhrmann des Todes" von Sjöström gedacht. Wie nah das Kino so früh an seine eigene Natur gekommen ist ("Heut war ich im Reich der Schatten"), und wieviel seitdem wieder verloren scheint. Man sollte den Alten wirklich regelmäßig die Ehre geben.
kid37,
Donnerstag, 11. November 2004, 01:08
Das Erstaunliche ist wohl, wieviel Freiheit und Experimente diese frühe Phase des Filmemachens noch ermöglichte. Vorindustrielles Arbeiten.
Der "Student" wurde ein paar Jahre später übrigens noch mal verfilmt. Ich habe leider nie eine Version gesehen.
Der "Student" wurde ein paar Jahre später übrigens noch mal verfilmt. Ich habe leider nie eine Version gesehen.
christian123,
Donnerstag, 11. November 2004, 01:31
Wenn man sich die frühe Filmgeschichte aufmerksam anschaut, entblättern sich dabei nicht nur die Grundlagen unserer späteren Filmgeschichte, sondern auch unzähliger anderer möglicher Filmgeschichten, die nicht minder faszinierend sind.
Und wieviel kreative Möglichkeiten vor allem noch im Stummfilm steckten, bevor also durch Synchronton dem Vorführer und dem Publikum *eine* festgelegte Interpretation und akustische Umsetzung des Gezeigten und außerdem der ganze fahle filmische Naturalismus aufgezwungen wurde ... Was bei diesem Seminar "Einführung in die Filmgeschichte" so in den Diskussionen angestoßen wird, kann einen ganz schön ins Träumen versetzen ;-) Thomas, wir brauchen endlich das Studiengangsblog ;-)
Und wieviel kreative Möglichkeiten vor allem noch im Stummfilm steckten, bevor also durch Synchronton dem Vorführer und dem Publikum *eine* festgelegte Interpretation und akustische Umsetzung des Gezeigten und außerdem der ganze fahle filmische Naturalismus aufgezwungen wurde ... Was bei diesem Seminar "Einführung in die Filmgeschichte" so in den Diskussionen angestoßen wird, kann einen ganz schön ins Träumen versetzen ;-) Thomas, wir brauchen endlich das Studiengangsblog ;-)
thgroh,
Donnerstag, 11. November 2004, 02:08
@baehr
Das sehe ich ganz genauso. Das mit der Geschichte und dem Gefäß, wie auch das mit der Reflektion des Kinos selbst in Form des Doppelgängers (und ist nicht der Film selbst, physisch, wie im Ganzen betrachtet, ein Vampir? Der den Lebenden das Leben nimmt, sie zur ewigen Wiederkehr zwingt und im Licht den größten Feind hat und nur im Dunklen völligen Effekt entwickelt?). In einem Text, den man hier vielleicht noch einstellen könnte, spricht Wegener ja auch explizit von den Möglichkeiten des Kinos und des Films und dass vor allem unheimliche und phantastische Fabeln sein Metier seien.
@christian
Ja, wir müssen da was anleiern. Wenn ich nur gerade zu was käme!
@kid37
Ja, da wurde viel probiert und gemacht. Wobei nun allerdings gerade Der Student von Prag nicht ganz so experimentell daherkommt (von seinen schönen Effekten und der Ausnutzung des Raumes nach hinten weg mal abgesehen, wobei das natürlich schon eine Menge ist ). Aber es lässt sich vieles entdecken und manche Inspiration ableiten. Alleine wie Murnau in Der letzte Mann den Ton mit der Kamera simuliert - ganz toll! Freue mich schon sehr auf die Sichtung, bald im Arsenal. :)
Das sehe ich ganz genauso. Das mit der Geschichte und dem Gefäß, wie auch das mit der Reflektion des Kinos selbst in Form des Doppelgängers (und ist nicht der Film selbst, physisch, wie im Ganzen betrachtet, ein Vampir? Der den Lebenden das Leben nimmt, sie zur ewigen Wiederkehr zwingt und im Licht den größten Feind hat und nur im Dunklen völligen Effekt entwickelt?). In einem Text, den man hier vielleicht noch einstellen könnte, spricht Wegener ja auch explizit von den Möglichkeiten des Kinos und des Films und dass vor allem unheimliche und phantastische Fabeln sein Metier seien.
@christian
Ja, wir müssen da was anleiern. Wenn ich nur gerade zu was käme!
@kid37
Ja, da wurde viel probiert und gemacht. Wobei nun allerdings gerade Der Student von Prag nicht ganz so experimentell daherkommt (von seinen schönen Effekten und der Ausnutzung des Raumes nach hinten weg mal abgesehen, wobei das natürlich schon eine Menge ist ). Aber es lässt sich vieles entdecken und manche Inspiration ableiten. Alleine wie Murnau in Der letzte Mann den Ton mit der Kamera simuliert - ganz toll! Freue mich schon sehr auf die Sichtung, bald im Arsenal. :)
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