Thema: ad personam
17. Dezember 10 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Es schwirrte den ganzen letzten Tag durch's Netz, wurde aber immer wieder mit dem Hinweis dementiert, nicht der Filmemacher, sondern der Kurator selben Namens sei gestorben. Jetzt meldet es aber auch der Webmaster der offiziellen Website unter Berufung auf Hinterbliebene: Jean Rollin, der Meister des lyrisch-entrückten, subversiven Horrorfilms ist tot. Seine besten Filme sind rasend schöne Schmuckstücke eines Kinos, das sich dem Diktat von Plot und Plausibiliät nicht beugt, das die Nähe sucht zur dunklen Romantik, zu Surrealismus und der Ästhetik der Subkultur: Mitternachtsfilme, im wahrsten Sinne des Wortes.
Vor allem aber auch: Kinofilme. Man muss diese Filme im Kino gesehen haben, um sie wirklich zu erfahren - zweimal hatte ich bislang das Glück, zweimal verließ ich den Kinosaal als anderer Mensch, der in anderen Parameern dachte als zuvor. Rollins Filme sind phantastische Filme durch und durch (nicht Fantasy, Horror oder Science Fiction), Filme also, in denen Risse in der Realität entstehen, durch die das Unwirkliche, das Wunderbare, das Irreale drängt. Und Rollin hat begriffen, dass man phantastisches Kino nicht schaffen kann, indem man das Muster plausibilisierter Handlungsabläufe des realistischen oder psychologischen Erzählens übernimmt. Stattdessen schuf Rollin flickernde Irrlichter, etablierte Atmosphäre vor Realismus, und scheute auch nicht eine krude, unbeschlagene Inszenierungsweise. Der Ästhetik des zugerichteten Kinos, das jegliches Element einem handwerklichen Perfektionsmus unterordnet, der nur die Ware Film im Hintersinn hat, stellt Rollin eine Ästhetik des Ungeschliffenen, des Rohen entgegen, ohne dabei bloß Unbeholfenheit zu markieren. Wenn man so will, verhält sich Rollin auf seinem Gebiet ganz ähnlich wie der frühe Fassbinder auf dem seinen.
Rollins Filme sind freizügig, Schmuddelkino aber sind sie nicht. Anders als Jess Franco in seinen Filmen, in deren Nähe die Rollins häufig gerückt werden, werden hier keine eigenen Obsessionen exhibitionistisch & aggressiv auf der Leinwand bedient und expliziert. Frauen, auch wenn sie barbusig auftreten, sind bei Rollin (von wenigen Ausnahmen abgesehen) keine entblößten Objekte voyeuristischer Schau, sondern handeln auf eigentümliche Weise eigensinnig, wie Agenten nicht des Films und seiner Handlung, sondern nur sich selbst verpflichtet - rätselhaft sind sie ohnehin stets alle. Zwar drehte Rollin auch Pornos - doch dies stets unter Pseudonym: Arbeiten zum Gelderwerb, die nicht im eigenen Werk auftauchen sollten. Brigitte Lahaie, der große französische Pornostar der 70er Jahre, der bei Rollin erstmals in einer nicht-pornographischen Rolle auftrat, berichtete einmal, dass Rollin beim Dreh entsprechender Szenen wegsah oder das Set verließ. Die Zurschaustellung der menschlichen Sexualität unter bloß fleischlichen Parametern war ihm unangenehm - umso mehr zelebrierte er im offiziellen Werkskanon das Mysterium des Sex im sakralen Pathos einer Grenzen aufsprengenden Erfahrung. Er war, schlussendlich, Ästhet des menschlichen Körpers, nicht dessen Vermesser.
Rollins Kino ist es bis heute wert, entdeckt zu werden. Vielleicht ist dieser sehr traurige ein sehr guter Anlass. An irgendeinem dunklen Strand an Frankreichs Küste tritt Rollins Geist in eine neue, vielleicht bessere Sphäre.
Ich empfehle:
- Hans Schmids Artikelreihe zu Rollin auf Telepolis
- Fascination, ein liebevoll geführtes Fanblog zu Jean Rollin
- die offizielle Website
- Nachrufe: Christian Keßler ° Stefan Höltgen
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