04.02.2005, Heimkino

Ich habe auf diese Sichtung fast zwei Jahre gewartet. Erwartungen: keine. Die beste Haltung, einem Film zu begegnen, dessen man lange nicht habhaft wurde. Hoffnungen? Zugegeben, viele. Ich halte Buffalo '66 für ein begnadetes Stück eigenbrötlerisches Independent-Kino und Gallo selbst, bei allen politischen Differenzen, für eines der letzten exzentrischen Künstlerwesen, die sich diesen Status noch erlauben dürfen. Natürlich waren da die Kontroversen in Cannes. Die waren abzusehen und an sich auch nicht aussagekräftig. Dann kam eine begeisterte Kritik eines geschätzten Filmfreundes zur letzten Berlinale, wo der Film nur im mir nicht zugänglichen Filmmarkt zu sehen war, und dann natürlich tauchte der Film auf vielen, geschätzten Top-2004-Listen auf. Sogar auf denen mancher Kritiker, die sich in Cannes nicht einkriegen konnten mit ihren Schmähreden. Gestern dann, endlich, war es soweit.

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Langverweilende Bilder und Einstellungen. Nicht so sehr erzählende, eher zeigende. Understatementhaft, zumal nach dem ästhetisch hoch- und durchkonzipierten Buffalo '66. Eine Leere, die sich in der Weite und oft Relieflosigkeit der Landschaft spiegelt und, wie zu sehen sein wird, mit der im Protagonisten, Gallo selbst, korresondiert. Eine Leere, die schuldzerfressen ist.

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Bud Clay ist Motorradrennfahrer. Er zieht durch's Land, von Rennen zu Rennen. Versuche von Affären am Straßenrand. Charisma und höllisch gutes Aussehen (der Mann ist 41!) hat er für zwei. Küsse, dann Tränen. Die Intimitäten zerbrechen, bevor sie überhaupt beginnen. Weiter durch's Land. Am Ende der Verlust, "mono-dialogisch" gezeigt, eine Rückblende noch darin selbst. Standbild, aus.

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Lichtstrahlen fallen ins Bild, ergeben Flächen, Punkte, Spiele im Bild. Immer wieder der Blick nach vorne aus dem Buick, durch die Scheibe, auf der sich Schmutz und tote Insekten ausmachen lassen. Die Sonne blitzt noch kurz auf, bevor sie hinter dem Berg verschwindet. Karge Landschaften, Musik wie aus anderen Zeiten (und natürlich geht es auch hier, wie bei Buffalo '66 immer um das, was nicht mehr im Nostalgiebild zu fassen zu kriegen ist, wie also das Bild, das von Vergangenheit durchtränkt ist, Wesentliches der Vergangenheit eigentlich verdrängt, ungreifbar macht. Es ist ein instinktiv kluger, kein konzeptionell-intellektueller Umgang mit dem Bild in der Geschichte seines Protagonisten, den Gallo hier an den Tag legt.). Man könnte kurz an einen Western denken, dem Genre, das von der Landschadt maßgeblich lebt. Doch wo im Western die Landschaft und die Frau bezwungen werden muss, ist Gallos Held kein Westerner. Er ist vielmehr einer, der die bereits endlos durchmessene, unendlich oft eroberte Landschaft einmal mehr durchreist, immer auf der Suche nach dem, was noch jenseits dessen liegen könnte, dabei aber immer in der Landschaft, im Bild, in seinem Leben bleiben muss. Ein Tableauartiges Bild in der Salzwüste, bestimmt von der Horizontlinie, davor der Buick, das Motorrad, Gallo, dessen Kopf milimetergenau die Horizontlinie tangiert, wie auch die Oberkante des Wagens dies tut. Er fährt hinaus in das Weiß der Wüste, verschwimmmt, wird Teil von ihr, erreicht aber nichts Neues. Melancholisches Folgebild: Der Wagen, wie er enttäuscht sich von dieser Sphäre abwendet, nicht aber verlässt.



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Narzismus, Moralität? Nein. Und wenn schon.



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An einer Stelle erinnert mich der Film an Two-Lane Blacktop. Und natürlich an Gerry. Auch wenn alle drei nur wenig eint, streichen ihre Membrane an manchen Stellen aneinander.

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Keine Geschichte im klassischen Sinne. Und vor allem: Keine Psychologie. Zumindest nicht im Narrativ. Wohl aber in den Bildern und ihrer Organisation. Die Leerstelle, das Trauma, ist anwesend durch Abwesenheit. Die mangelnde pathologische Ebene des Films ist dabei klarer Vorteil, ein weiteres Indiz für seine Klugheit.

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Ich liebte es, diesen schönen Film im großen Kino zu sehen. Das ist mein Wunsch für die nächsten Jahre.

imdb | offizielle Website | vincentgallo.com | galloappreciation.com



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kommentare dazu:



crimsonblue, Sonntag, 6. Februar 2005, 00:10
Manierismus
Auf (oder sagt man – von ?) welchem Medium fand denn die Sichtung im Heimkino statt? Eine Bootleg-VHS – oder die japanische DVD, auf der zwar die BJ-Szene „unscharf“ ist, die aber einen fabulösen Audio-Kommentar von Vincent Gallo hat?
Und tatsächlich keine Erwartungen? Nach den Kontroversen in Cannes kann man den Film doch gar nicht mehr unschuldig sehen. Man müßte eine Arbeit schreiben – „Theorie und Praxis der ästhetischen, soziologischen und manieristischen Filmrezeption am Beispiel von Vincent Gallos THE BROWN BUNNY“ – oder so ähnlich. Material dazu gibt’s überreichlich – und es ist kurios und furios und kann einen wütend und verzweifelt machen. Warum kann man den Film hier nicht sehen? Ich möchte ihn auch im großen Kino sehen. (Ich habe ihn schon im großen Kino gesehen – bei der Viennale im Oktober 2003) In der Schweiz, in Österreich, in Frankreich geht das. Hierzulande nicht ...



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