Das Festival steht kurz bevor. Im ganzen Stadtgebiet kann man bereits Menschen beim eifrigen Durchblättern des Berlinale-Programmjournals beobachten, die Feuilletons bieten erste Vorabartikel, der Vorverkauf für die ersten Berlinale-Tage ist eröffnet. Zeit für einen kleinen Ausblick: Filme, die ich mir unter keinen Umständen entgehen lassen werde (oder die ich mir leider entgehen lassen muss), allgemeine Empfehlungen und Hinweise auf Interessantes, Notizen aus den Pressevorführungen (ein paar komplette Kritiken gab's ja schon).

Die Retrospektive war im letzten Jahr mit dem Thema "New Hollywood" das eigentliche Highlight des ansonsten mittelmäßig geratenen Festivals. Bald schon traf sich hier eine eingeschworene Gemeinde Cinephiler ein, die unter dem Dach des großen Cinemaxx einem der spannendsten Kapitel jüngerer Filmgeschichte beim Pulsieren zusah. Die diesjährige Retrospektive - glücklicherweise auch diesmal thematisch und nicht auf eine Person hin ausgerichtet - verspricht ein nicht minder spannendes Ereignis zu werden, zumal mit dem Thema "Production Design" einer der ansonsten übergangensten Aspekte der Filmgrandezza im Mittelpunkt steht und die Retrospektive in sich eine komplette Werkschau Stanley Kubrick beinhaltet (Fear of Desire, der nicht zu sehen ist, wurde von Kubrick selbst aus dem Verkehr gezogen): Ganz besonders hingewiesen sei dabei auf die sich am Sonntag bietende, äußerst rare Möglichkeit, die frühesten Kurzfilme des Meisterregisseurs in einem Programm zu sichten. Christiane Kubrick wird der Vorführung von Paths of Glory abstatten und außerdem am 16.02. mit Jan Harlan, Kubricks Produzenten, im Filmmuseum für ein Gespräch mit Michel Ciment zur Verfügung stehen. 2001 wird im übrigen am 16.02. in der Urania in der 70mm-Fassung gezeigt - eine seltene Möglichkeit, den Film im Originalformat zu genießen (dem regulären Screening der Retrospektive im Cinemaxx liegt nur die 35mm-Fassung zugrunde).
Fernerhin interessant zu werden verspricht der japanische Film Yukinojos Rache, ein Rachedrama aus dem Jahr 1962/63. Strictly Filmschool bezeichnet es als "an audacious and infinitely fascinating exercise in straddling the fragile equilibrium that interweaves cultural past and present, East and West, theater and cinema." Ich bin mir sicher, hier eine große Entdeckung machen zu können (hier betrachtet die Village Voice das Werk von Regisseur Ichikawa genauer). Schöne Screenshots aus dem Film bringt dvdbeaver.com.
Satyajit Rays Musikzimmer zählt zu den großen Klassikern des indischen Auteurs. Eine leider nicht konzentriert durchführbare DVD-Quersichtung stellte mir ein wunderschön fotografiertes Drama mit einigen atmosphärisch und emotional sehr dichten Musikeinlagen (nicht im Bollywoodsinne!) in Aussicht. Auch hier eine Empfehlung, zumal es sich um keinen gemeinhin bekannten Film handelt. Gleiches gilt natürlich für Wangshibri aus der über mehrere Sektionen verteilten Werkschau Im Kwon-Taek, die ebenfalls eines der Highlights der Berlinale zu werden verspricht (Kritiken gibt's derzeit aktuell auf http://www.jump-cut.de!).


(Sekai no Owari))

Das Forum bietet ein langersehntes Wiedersehen mit der japanischen Regisseurin Kazama Shiori. Deren The Mars Canon lief vor 3 Jahren in selber Sektion und begeisterte nicht nur mich damals schwer (in der Tat war der Film eines meiner schönsten Berlinale-Erlebnisse und der Gedanke, sowas wie ein Filmtagebuch zu führen, rührt sogar von diesem Erlebnis her: Irgendwas Persönliches sollte von diesem schönen Film fixiert werden.). In diesem Jahr nun gibt es ihren neuesten Film Sekai no Owari zu sehen. Hier gibt es detaillierte Informationen zum Film.
Außerdem bin ich auf Verschwende Deine Jugend.doc gespannt, der nun nichts mit dem deutschen Spielfilm von vor einiger Zeit zu tun hat, sondern eher mit dem Interviewroman, der bei Suhrkamp erschienen ist, in dem mehrere Protagonisten der hiesigen Punkszene der frühen 80er zu Wort kommen. Die Dokumentation setzt dies nun filmisch um und verwendet dabei offenbar auch viel historisches Material. Hier weitere Informationen.
Besonders hinweisen möchte ich noch auf den koreanischen Beitrag This Charming Girl, den ich schon vorab sichten konnte. Der Film schildert sacht und behutsam den monotonen Alltag der jungen Postangestellten Jeong-hae, umgeht dabei allerdings geschickt jede melancholische Tristesse-Falle. Alltagsbeobachtungen - wie etwa die der Zähmung einer zugelaufenen Katze - und Annäherungen an einen jungen Schriftsteller ergeben ein mit ruhigem Strich gezeichnetes Bild vom Leben der jungen Frau, doch bleibt eine seltsame Leere über allem. Und dies mit Grund: Wie sich herausstellt, ist Jeong-hae eine traumatisierte Person. Filmpathologien werden dabei geschickt umschifft, im Gegenteil zeichnet sich der Film durch seine angenehm "rohen", im Sinne von "uninszenierten" Bilder und nicht zuletzt durch die nuancierende Arbeit der Hauptdarstellerin aus. Ein ruhiger, kluger Film - ein echter "Forum-Geheimtipp". Hier weitere Informationen.
Das Forum ist immer auch die zentrale Anlaufstelle für anspruchsvolle Genrekost aus Fernost. Vor allem die beliebte Mitternachtsreihe hatte hier oft einige Perlen in petto, noch vor dem dafür eigentlich bekannten Fantasy Filmfest. Dass diese kleine Sparte im Forumsprogramm nun eingedampft wurde, ist sehr bedauerlich. Dennoch findet sich mit Jiang Hu wieder - wie beinahe schon Tradition - ein Mafiagangsterfilm aus Hongkong mit Superstar Andy Lau im Programm (vorletztes Jahr Infernal Affairs, letztes Jahr der wahnwitzige Running on Karma und Infernal Affairs 3). Genauere Informationen hier.
Definitiv auch anschauen werde ich mir Violent Days, einen französischen Spielfilm, der mit stilisierenden Mitteln die Subkultur der Rockabillies, deren Alltag und die Rolle der Gewalt darin behandelt.


(This Charming Girl)

Im traditionell in der Öffentlichkeit etwas unterrepräsentierten Kinderfilmfest/14Plus hat man Shunji Iwais neuesten Film ja beinahe schon versteckt: Hana & Alice, der, wie man hört, auf den drei Werbeclips des Regisseurs für einen Schokoriegel basiert. In der Vergangenheit drehte Iwai Filme den unglaublich bezaubernden Swallowtail Butterfly und den traurig-schönen All About Lily Chou-Chou, der vor drei Jahren im Panorama gezeigt wurde. Hier gibt es bei filmforen.de einen reich bebilderten Infothread, der große Lust macht.

Everyone's Darling, die Perspektive Deutsches Kino, reizte mich in Vergangenheit nur wenig. Bloß pflichtbewusst weise ich deshalb auf die Filme Happy End, Blackout und Weltverbesserungsmaßnahmen hin, die ich mir wohl ansehen werde. Letzterem begegne ich dabei eher kritisch: Als einen Vorschlag zur Verbesserung der Welt zieht der offenbar essayistisch konzipierten Films wohl tatsächlich mal wieder den alten Antisemiten Gesell mit seinem Rostgeld aus der Schublade - verkürzte Kapitalismuskritik my Ass! (Aber mal schauen, was der Film noch so weiß).
Ehrlich interessant klingt Was lebst Du?. Der Film "erzählt - [...] sehr persönlich und äußerst unterhalsam - aus der Welt von von vier muslimischen Freunden unterschiedlicher Nationalitäten in Köln.", so das Programm-Journal. Ein Kandidat für: Mal schauen, was mein Terminplan hergibt!

Übliches zum 20. Jubiläum beim Panorama: Arthouse, Dokumentationen, etwas kleinere Starfilme, die es nicht in den Wettbewerb geschafft haben. Das Thema Sex steht diesmal sehr im Vordergrund: Gezeigt wird die Dokumentation Inside Deep Throat, die sich der Geschichte des ersten auf breiter Basis populären Pornofilms, Deep Throat, annimmt, der, wie man heute auf SpOn lesen konnte, anlässlich dieser Dokumentation nun auch wieder ins (US-)Kino kommt. Dass man diesen filmhistorisch wichtigen (!) Film nicht auch gleich noch gezeigt bekommt, ist eigentlich etwas schade (wäre allerdings dem Kulturbürgertum, der Hauptklientel des Panoramas, wohl auch nicht zuzumuten ...). Wer im "Schedule-Druck" ist, sei im übrigen darauf hingewiesen, dass Constantin einen deutschen Kinostart für den Sommer ankündigt. Ebenfalls mit der Pornografie beschäftigt sich u.a. Cycles of Porn - Sex/Life in L.A. Part 2. Im Mittelpunkt stehen die Auswirkungen des Internets auf die Branche.
Protocols of Zion scheint eine sehr interessante Dokumentation über die vom russischen Geheimdienst erstellten "Protokolle von Zion", bis heute Kernstück antisemitischer Phantasmagorien, zu sein. Steht fest in meinem Timetable!
Die Berliner Ausnahmerockband MUTTER wird in Wir waren niemals hier beleuchtet.
Der neue Andreas Dresen, Willenbrock, läuft ebenfalls im Panorama. Und wieder zieht Dresen mit Axel Prahl gen Osten, die dortigen Befindlichkeiten zu untersuchen und sichtbar zu machen.
Keine Lieder über Liebe ist wohl so eine Art fiktiver Dokumentarfilm-im-Film über die Wege einer jungen deutschen Independentband. Mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle, unter Mitwirkung von Markus von KETTCAR entstanden, den ich als Sänger von ...BUT ALIVE seinerzeit mal sehr toll fand (KETTCAR nun eher nicht so, aber schon die letzte ...BUT ALIVE kam bei mir nie an).


(Peacock)

Der diesjährige Wettbewerb setzt den letztes Jahr unter den Eindrücken der vorgeschobenen Oscar-Verleihung beschrittenen Weg fort: Mehr Europa, mehr Afrika, weniger USA, weniger Hollywood-Stars. Entsprechend mehr Kulturbürgerprogramm, engagierte Arthouse-Filme, etc. In einer Zeit, wo sich gerade dieses Segment eigentlich in einer sackgassenartigen Krise befindet, mag man davon halten, was man will. Wenn aber die Aufmerksamkeit weg vom Glamour geht und hin zu den Filmen (oder gar: Zu besonderen Filmen der Nebensektionen) findet, dann soll einem das auch recht sein. Einige interessante Filme gibt es auch hier, auch wenn der Wettbewerb, wie letztes Jahr, im Allgemeinen eher uninteressant ausfällt: Vor allem natürlich Gespenster von Christian Petzold soll empfohlen werden. Schon Wolfsburg, eigentlich nur für's TV gedreht, dann doch noch im Panorama gelandet und mit Ach und Krach Wochen später in lachhaft geringer Kopienzahl sogar im Kino, hätte das Zeug zum veritablen Wettbewerbsfilm gehabt. Dass Petzold hier nun berücksichtigt wurde, freut mich persönlich ganz besonders.
Mit Twilight Samurai war Yoji Yamada vor zwei Jahren schon im Wettbewerb vertreten. Der Film war langweilig, formal fad und streckenweise gar furchtbar schmonzettig. Weiß der Geier, warum ich also auf seinen neuen Film, The Hidden Blade, hinweise. Vielleicht weil ich gerade Lust auf Samuraifilme habe (und weil Japan im Wettbewerb nicht gerade stark repräsentiert ist). Empfehlung unter Vorbehalt also.
Peacock ist das Regiedebüt des chinesischen Kameramanns Gu Chang Wei, der auch Lebewohl, meine Konkubine geschossen hat. Im Mittelpunkt steht der Alltag der 70er und 80er Jahre einer chinesischen Arbeiterfamilie in der Provinz.
Ganz besonders freue ich mich auf Tsai Ming Liangs The Wayward Cloud, in dem der taiwanesische Regisseur die Liebesgeschichte seines letzten Films What Time is it there? (meine Kritik) fortschreibt. War dieser jedoch eine Übung in formaler Reduktion und Langsamkeit, scheint das "Sequel" andere Wege zu beschreiten: Das Programm-Journal spricht von "bunten Musical-Einlagen". Ich bin gespannt!
Eine Sache des Herzens ist der Hinweis auf The Life Aquatic, der neue Film von Wes Anderson. Dass viele die Royal Tennenbaums abtaten, kann ich gut nachvollziehen und sehe die Kritikpunkte ein. Dennoch war da was, was in mir was zum Klingen brachte, etwas, was über bloße sophisticated Schrulligkeit hinausging. Der Soundtrack, die Farben, all das - wie heiße Schokolade am Herbstnachmittag. In The Life Aquatic schickt Anderson nun seine "Muse" Bill Murray in ein Unterwasserabenteuer. Ich freue mich!

Das Berlinale-Special ehrt die Shochiku, eine der traditionsreichsten Produktionsgesellschaften aus Japan, die in diesem Jahr die 110 voll macht - also exakt so alt wie das Kino selbst ist. Gezeigt wird deshalb der 1954 entstandene Film Nijushi no Hitomi, ein Antikriegsdrama, das vom Jahr 1928 an das Schicksal der Kameraden einer Schulklasse über Jahrzehnte hinweg beobachtet. Sehr vielversprechende Screenshots gibt es auf dvdbeaver.com. Auf Filmsasia.com finden sich zwei euphorische Besprechungen und auch das sagenhafte imdb-Voting - 8.1 bei 60 Stimmen - sollte einem den Film schmackhaft machen.
Auch nicht uninteressant erscheint mit der russische Beitrag Nochnoj Dozor, ein mit hohem Produktionsaufwand realisierter Blockbuster aus dem Fantasy-Thriller-Genre: Zahlreiche Fabel- und Halbwesen treffen sich in Moskau zur finalen Konfrontation zwischen Gut und Böse ein, das Journal verspricht ein "halsbrecherisches Tempo" und zwei Sequels befinden sich schon in Planung. Man darf gespannt sein.

Auf ein spannendes, inspirierendes, entdeckungsreiches Festival am Potsdamer Platz und seinen Trabanten im Berlinale-Planetensystem!


° ° °




kommentare dazu:



thgroh, Freitag, 11. Februar 2005, 01:50
Ergänzungen


Ich ergänze dramatisch um The Mad Fox, die Carte Blanche, die das Forum der langjährigen Kollegin Erika Gregor zugesteht (wie auch Ulrich Gregor und anderen Ehemaligen des Forums). Erika Gregor zu ihrer Wahl:

"Der schönste aller Uchida-Filme war für mich 'The Mad Fox'. Kein Film hat mich in den vergangenen Jahren so überrascht, fasziniert und auch bewegt. Er nimmt einen mit auf eine weite Reise, sehr verschlungene Wege. Man muss sich am Anfang etwas anstrengen und Aufmerksamkeit und Geduld mitbringen, aber wie wird man belohnt! Und dieses grandiose Ende – die Dekors brechen auseinander, und doch ist die Welt eine Bühne und immer gibt es eine neue Wendung."

Weitere Informationen hier.

Auch sei noch, mit direkter, weitergeleiteter Empfehlung von Fachmann Ekkehard Knörer, auf den Bollywood-Klassiker Mughal-E Azam hingewiesen.



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