Thema: Filmtagebuch
18. März 05 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
17.03.2005, Heimkino
Nach der „entfesselten Kamera“ in Der letzte Mann gibt sich Tartüff im gemeinsamen Werk Murnaus und Freunds zuweilen den Anschein einer Rückkehr zur statischen Einstellung. In der Tat gibt es nur einen sehr pointierten Einsatz von Kamerabewegung zu verzeichnen: Wenn die besorgte Elmire ihren Gatten Orgon bittet, heimlich Tartüffs Reaktionen zu beobachten, wenn sie diesen zum Zwecke der Enttarnung umgarnt, fährt die Kamera parallel zur Achse zwischen den Darstellern vom alleine am Fenster stehenden Orgon nach links und erweitert auf diese Weise das zunächst etwas melancholisch-versunken erscheinende Bild um einen eher üblichen dialogischen Raum. Als Tartüff sich zum fingierten Rendezvous einfindet, bewegt sich die Kamera auf ähnliche Weise von Elmire weg und erfasst in einer kreishaften Bewegung den anschließend parzellierten Spielort der folgenden Komödie mit Tartüff als Endansicht ihrer Bewegung. Und als gegen Ende die einzelnen Figuren durchs Treppenhaus des Anwesens schleichen, tastet die Kamera in einer langen Kranfahrt die Kulisse ab und erlaubt so eine finale Übersicht über die Lokalität.
Solche Raumerweiterungen über die Kamerabewegung stehen konträr zu den häufigen Sprüngen ins Detail der Szenerie, die den Film auszeichnen. Vor allem die beiden Verführungsszenen, in denen Tartüff als Heuchler enthüllt werden soll, sind in einer Abfolge spannungssteigernder, oft aus „unmöglichen Winkeln“ geschossener Detailaufnahmen aufgelöst, die das Geschehen in kleine, im Bezug zueinander sinnstiftende Handlungspartikel zerlegt. Gerade mittels dieser häufigen Detailansichten gelingt es Tartüff, das Topos des Heuchlers adäquat zu repräsentieren: Es wird hierdurch eine Sphäre des Heimlichen und Versteckten geschaffen, anhand derer der Zuschauer nach und nach seine Schlüsse über das wahre Wesen des Tartüff ziehen kann.
Diesem analytischen Mikrokosmos steht die formale Sphäre der ansonsten vorherrschenden, üblichen Einstellungen gegenüber, in der das erhellende Detail verloren geht und die Heuchelei also effizient in ihrem Sinne wird. Den besagten Raumerweiterungen durch Kamerabewegungen wiederum kommt eine erhellende Funktion dahingehend zu, dass sie dem ersten (Film-)Anschein selbst trügerische Qualitäten zuspricht. Mit der narrativen Rahmung, die die Adaption der Molièrekomödie selbst als Film-im-Film ausweist und in der sie - über den Umweg einer fingierten, also selbst geheuchelten Kinovorstellung im privaten Kreis - aufklärerische Wirkung zeitigt, ergibt sich insgesamt betrachtet eine Art Telescopage der Heuchelei, der Grundlage des erzählenden Kinos selbst. Der Tartüff ist als Begriff für eine heuchlerische Person in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen - dass der Film selbst den gleichen Titel trägt, ist das letzte Augenzwinkern dieser Parodie.
imdb ~ filmportal.de (mit einigen zeitgenössischen Kritiken!)
Nach der „entfesselten Kamera“ in Der letzte Mann gibt sich Tartüff im gemeinsamen Werk Murnaus und Freunds zuweilen den Anschein einer Rückkehr zur statischen Einstellung. In der Tat gibt es nur einen sehr pointierten Einsatz von Kamerabewegung zu verzeichnen: Wenn die besorgte Elmire ihren Gatten Orgon bittet, heimlich Tartüffs Reaktionen zu beobachten, wenn sie diesen zum Zwecke der Enttarnung umgarnt, fährt die Kamera parallel zur Achse zwischen den Darstellern vom alleine am Fenster stehenden Orgon nach links und erweitert auf diese Weise das zunächst etwas melancholisch-versunken erscheinende Bild um einen eher üblichen dialogischen Raum. Als Tartüff sich zum fingierten Rendezvous einfindet, bewegt sich die Kamera auf ähnliche Weise von Elmire weg und erfasst in einer kreishaften Bewegung den anschließend parzellierten Spielort der folgenden Komödie mit Tartüff als Endansicht ihrer Bewegung. Und als gegen Ende die einzelnen Figuren durchs Treppenhaus des Anwesens schleichen, tastet die Kamera in einer langen Kranfahrt die Kulisse ab und erlaubt so eine finale Übersicht über die Lokalität.
Solche Raumerweiterungen über die Kamerabewegung stehen konträr zu den häufigen Sprüngen ins Detail der Szenerie, die den Film auszeichnen. Vor allem die beiden Verführungsszenen, in denen Tartüff als Heuchler enthüllt werden soll, sind in einer Abfolge spannungssteigernder, oft aus „unmöglichen Winkeln“ geschossener Detailaufnahmen aufgelöst, die das Geschehen in kleine, im Bezug zueinander sinnstiftende Handlungspartikel zerlegt. Gerade mittels dieser häufigen Detailansichten gelingt es Tartüff, das Topos des Heuchlers adäquat zu repräsentieren: Es wird hierdurch eine Sphäre des Heimlichen und Versteckten geschaffen, anhand derer der Zuschauer nach und nach seine Schlüsse über das wahre Wesen des Tartüff ziehen kann.
Diesem analytischen Mikrokosmos steht die formale Sphäre der ansonsten vorherrschenden, üblichen Einstellungen gegenüber, in der das erhellende Detail verloren geht und die Heuchelei also effizient in ihrem Sinne wird. Den besagten Raumerweiterungen durch Kamerabewegungen wiederum kommt eine erhellende Funktion dahingehend zu, dass sie dem ersten (Film-)Anschein selbst trügerische Qualitäten zuspricht. Mit der narrativen Rahmung, die die Adaption der Molièrekomödie selbst als Film-im-Film ausweist und in der sie - über den Umweg einer fingierten, also selbst geheuchelten Kinovorstellung im privaten Kreis - aufklärerische Wirkung zeitigt, ergibt sich insgesamt betrachtet eine Art Telescopage der Heuchelei, der Grundlage des erzählenden Kinos selbst. Der Tartüff ist als Begriff für eine heuchlerische Person in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen - dass der Film selbst den gleichen Titel trägt, ist das letzte Augenzwinkern dieser Parodie.
imdb ~ filmportal.de (mit einigen zeitgenössischen Kritiken!)
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