Thema: Filmtagebuch
21.03.2005, Kino Arsenal
Wer sich Vampyr von der Warte des heutigen, am populären Kino geschulten Filmfreundes erschließt, könnte vielleicht wirklich dem ersten Reflex gehorchen und behaupten: „Fühlt sich an wie ein Film von David Lynch.“ Natürlich täte man Dreyer wie Lynch damit Unrecht (von der Filmgeschichte mal ganz zu schweigen). Doch ein klein wenig wäre damit schon über das Befremden, das diese kontingente Welt auslöst, über die Methode des Entrückens einer der Alltagsempfindung eigentlich nahe stehenden Welt hinein ins entfremdet Artifizielle, die beide Filmkosmen aneinanderrückt, ausgesagt.
Spannend ist es, wie der Film sich zur eigenen Position in der Filmgeschichte verhält. Zahlreiche Texttafeln – von der Erläuterung des allgemeinen Hintergrunds bis zu versunkenen Blicken in das Buch der „Geschichte der Vampyre“ – sowie lange Sequenzen, in denen kein Wort über die Lippen der „Gestalten“ (wie sie der Vorspann nennt und ja, „Figuren“ oder gar „Menschen“ sind das wirklich nicht) kommt, weisen ihn eigentlich als Stummfilm aus. Doch dann sind die wenigen Momente, in denen gesprochen wird (meist Knappes, Einsilbiges, nicht selten sinnentleert Anmutendes), von ungemeiner Relevanz für die (entgegen der Erwartungen ob des Films) nicht etwa schauderhafte, sondern entfremdete Atmosphäre: Die monoton, oft in unwirklichen Stimmlagen rezitierten Sätzlein umgibt etwas Leichenhaftes, das auf den Filmraum selbst zu wirken scheint. Etwa die Szene gleich zu Beginn, als Allan Grey im Gasthaus angekommen ist, und plötzlich das Murmeln eines Greises von einem Stock höher einsetzt: Mit einem Male zeigt sich der Raum im anderen Bilde, mit minimalstem Aufwand ergibt sich ein Irrealis des Settings, das durch den Auftritt schließlich des grotesk anzusehenden alten Mann, dem das gebetsmühlenartige Gemurmel entspringt, noch verstärkt wird. Oder der Auftritt des alten Mannes, der dann im späteren Verlauf von dem Vampyr hörigen Schatten erschossen wird und dessen Spukgestalt Grey nächtens in seinem Zimmer besucht und ihn um Hilfe anfleht. Das klägliche „Sie darf nicht sterben“ – narrativ zunächst durch nichts gestützt - wird nicht nur aufgrund seines rätselhaften Inhalts, sondern vor allem auch durch die Form der medialen Darbietung zum wichtigen Faktor des Filmgelingens. Aus dieser bewusst eingesetzten Klangästhetik spricht ein hohes Gespür für die Wirkung von Ton im Film: Vampyr ist deshalb kein Zwitterwesen aus Stumm- und Tonfilm, wie man vielleicht meinen könnte, sondern Tonfilm ganz und gar, der den Weg „illustrierenden Geschwätzes“ nicht gegangen ist.
Dies hat Methode, die sich auf den ganzen Film erstreckt: Der Topos des Vampirs steht unter anderem auch für eine Auflösung der Gegensätze des Alten und des Neuen in eine synthetisierte neue Form: Meist ist er ein Wiedergänger, der seine Zeitsphäre – das Alte – verlassen hat. Zur Zeit der Emanzipation des Bürgertums tritt er auf als der wiedergekommene Aristokrat. Gleichzeitig weist er sich auch als der Überwinder des biologischen Verfalls wie der sexuellen Moralvorstellungen des Bürgertums als ein Menschenentwurf der Zukunft aus, für den zudem die klassische Lohnarbeit als Option nicht mehr in Frage kommt. Diese Hybridität spiegelt sich im Film nicht nur in seiner Synthese von Ton- und Stummfilm, sondern auch in seiner Verhandlung des Vampirs selbst, die hier nicht in die filmische Schauderromantik als vermeintlich authentische Illustration einer Geisteswelt des 19. Jahrhunderts hineingleitet, sondern hier eher den Blick des 20. auf das 19. Jahrhundert (das selbst wiederum ins 18. blickte) im Sinn hat: Der „Vampyr“ des Films wird erst durch ein Buch aus dem 19. Jahrhundert erkennbar und auch nur, als der im Vorspann ausgewiesene „Phantast“ Allan Grey sich darin versenkt. Allan Grey ist dabei anhand seiner Erscheinung – Anzug und Krawatte - deutlich als Mensch des 20. Jahrhunderts zu erkennen, den nostalgische Sehnsüchte nach bestaunenswerter Romantik und Spuk bestimmen. Vermutlich nicht ganz von ungefähr erinnert er auch in manchen Momenten rein äußerlich ein wenig an H.P. Lovecraft, der den eigenen verklärten Blick auf die Kultur und Literatur vergangener Dekaden zur eigenen Methode erhoben hat. In dieser Hinsicht ist Vampyr deshalb ein kluger (Vampir-)Film: Weil er nicht Altes vermeintlich authentisch illustrieren will (vgl. etwa die frühen Gruselfilme der Hammer Studios, gegen die ich damit im übrigen nichts gesagt haben will), sondern weil er seine Vampirgeschichte zur Geschichte vom Verhältnis des Blicks auf seinen Gegenstand erklärt.
Klug ist auch die Inszenierung des Raumes. Wie kaum ein anderes Filmgenre thematisiert der Horrorfilm seinen Raum, respektive dessen Destabilisierung. In kaum einem anderen Genre ist deshalb das Verhältnis von Kamera und Erzählraum so wichtig: Der Horrorfilm ist ein Genre des Close-Ups und des „unmöglichen Winkels“, die Totale findet man indes nur selten und kaum ein Horrorfilm kommt ohne Momente aus, in denen der Raum und seine Stabilität infrage gestellt werden (man denke nur an den berühmten zugezogenen Duschvorhang und was sich wohl dahinter verbergen könnte): Wer im Horrorfilm überlebt und wer nicht, ist meistens, wenn nicht immer, eine Frage dessen, wer sich in welchem Raum wie verhält, wem Macht ihn souverän zu durchqueren zugemessen wird: Deshalb überlebt das Mädchen am Ende von Texas Chain Saw Massacre: Weil sie über den Sprung durch das Fenster ihren Raum zu erweitern weiß und in ihm neue Vektoren auszumachen in der Lage ist, wohingegen dem plumpen Leatherface nur der Gang durchs Treppenhaus einfällt. In Vampyr ist der Raum ebenfalls von Belang: Die Kamera folgt den Figuren erstaunlich behände, zahlreiche Plansequenzen lassen den Raum erkunden, Kreisfahrten bieten Übersichten auf der Horizontalen, denen häufige Detailansichten gegenüber stehen. Dennoch: Ein souveräner Überblick über das komplex konstruierte räumliche Gefüge ist in der Tat kaum möglich. Ganz im Gegenteil stellt sich das Gefühl eines „Durchschwebens“ ein: Wie Allan Grey staunend durch seinen mutmaßlichen „Traumraum“ schreitet, wird auch der Zuschauer vom Verständnis des Raumes als einem authentischen methodisch entrückt.
Die hohe Beweglichkeit der Kamera und die dadurch entstehende Nähe zum Raumgeschehen bedingen dabei einen zusätzlich befremdlichen Effekt: Eigentlich wirkt dieser Film an keiner Stelle wie aus den frühen 30er Jahren. Ganz im Gegenteil meint man sich mindestens in den 60er Jahren zu bewegen. Erinnerungen an Night of the Living Dead werden wach und man hat auch in den folgenden Jahren noch manchen statisch erstarrten Film gesehen. Dies nun lässt den Film vollends ins Surreale kippen: Dass ein Film aus scheinbar späteren Jahrzehnten in eine synthetisierten Form aus Stumm- und Tonfilm in den frühen 30er Jahren auftritt und vom Verhältnis von Gegenwärtigkeit und Vergangenheit handelt, in dem alle Personen selbst schon aus dem Zustand des post mortem heraus zu agieren scheinen (in der Tat: Allan Grey wird an einer Stelle beerdigt, in einer anderen, mittels Doppelbelichtung bewerkstelligten Sequenz löst sich ein durchscheinendes Abbild seiner Selbst von seiner physischen Gestalt und irrlichtert durch die Welt, wie alle Figuren sprechen als seien sie schon nicht mehr lebendig, wie überhaupt alles so wirkt, als sei es die Phantasie eines bereits Gestorbenen), all dies lässt das Filmerleben selbst zu einer Art Trance geraten: In Mitternachtskino haben Hoberman und Rosenbaum auf die religiöse Tradition und kultische Nähe der Zeremonien des cinephilen Mitternachtspublikums der 70er Jahre hingewiesen. Wer Vampyr im Kino sieht – ein Mitternachtsfilm avant la lettre - kann nachempfinden, was diese Bewegung Nacht für Nacht ins Kino gezogen hat, um dort, mittels der Mechanik der Moderne, die jedem Filmbild grundlegende Bedingung zur Möglichkeit ist, die Risse im Gefüge von Raum und Zeit zu erkunden. Dass Vampyr dies in seiner klausulierten Narration spiegelt, ist dabei nur obligatorisch.
imdb ~ senses of cinema ~ kinoeye ~ masterofcinema.org mit einem scan des originalen dänischen filmprogramms.
Weitere Sichtungen aus der Magical History Tour im Weblog hier.
Wer sich Vampyr von der Warte des heutigen, am populären Kino geschulten Filmfreundes erschließt, könnte vielleicht wirklich dem ersten Reflex gehorchen und behaupten: „Fühlt sich an wie ein Film von David Lynch.“ Natürlich täte man Dreyer wie Lynch damit Unrecht (von der Filmgeschichte mal ganz zu schweigen). Doch ein klein wenig wäre damit schon über das Befremden, das diese kontingente Welt auslöst, über die Methode des Entrückens einer der Alltagsempfindung eigentlich nahe stehenden Welt hinein ins entfremdet Artifizielle, die beide Filmkosmen aneinanderrückt, ausgesagt.
Spannend ist es, wie der Film sich zur eigenen Position in der Filmgeschichte verhält. Zahlreiche Texttafeln – von der Erläuterung des allgemeinen Hintergrunds bis zu versunkenen Blicken in das Buch der „Geschichte der Vampyre“ – sowie lange Sequenzen, in denen kein Wort über die Lippen der „Gestalten“ (wie sie der Vorspann nennt und ja, „Figuren“ oder gar „Menschen“ sind das wirklich nicht) kommt, weisen ihn eigentlich als Stummfilm aus. Doch dann sind die wenigen Momente, in denen gesprochen wird (meist Knappes, Einsilbiges, nicht selten sinnentleert Anmutendes), von ungemeiner Relevanz für die (entgegen der Erwartungen ob des Films) nicht etwa schauderhafte, sondern entfremdete Atmosphäre: Die monoton, oft in unwirklichen Stimmlagen rezitierten Sätzlein umgibt etwas Leichenhaftes, das auf den Filmraum selbst zu wirken scheint. Etwa die Szene gleich zu Beginn, als Allan Grey im Gasthaus angekommen ist, und plötzlich das Murmeln eines Greises von einem Stock höher einsetzt: Mit einem Male zeigt sich der Raum im anderen Bilde, mit minimalstem Aufwand ergibt sich ein Irrealis des Settings, das durch den Auftritt schließlich des grotesk anzusehenden alten Mann, dem das gebetsmühlenartige Gemurmel entspringt, noch verstärkt wird. Oder der Auftritt des alten Mannes, der dann im späteren Verlauf von dem Vampyr hörigen Schatten erschossen wird und dessen Spukgestalt Grey nächtens in seinem Zimmer besucht und ihn um Hilfe anfleht. Das klägliche „Sie darf nicht sterben“ – narrativ zunächst durch nichts gestützt - wird nicht nur aufgrund seines rätselhaften Inhalts, sondern vor allem auch durch die Form der medialen Darbietung zum wichtigen Faktor des Filmgelingens. Aus dieser bewusst eingesetzten Klangästhetik spricht ein hohes Gespür für die Wirkung von Ton im Film: Vampyr ist deshalb kein Zwitterwesen aus Stumm- und Tonfilm, wie man vielleicht meinen könnte, sondern Tonfilm ganz und gar, der den Weg „illustrierenden Geschwätzes“ nicht gegangen ist.
Dies hat Methode, die sich auf den ganzen Film erstreckt: Der Topos des Vampirs steht unter anderem auch für eine Auflösung der Gegensätze des Alten und des Neuen in eine synthetisierte neue Form: Meist ist er ein Wiedergänger, der seine Zeitsphäre – das Alte – verlassen hat. Zur Zeit der Emanzipation des Bürgertums tritt er auf als der wiedergekommene Aristokrat. Gleichzeitig weist er sich auch als der Überwinder des biologischen Verfalls wie der sexuellen Moralvorstellungen des Bürgertums als ein Menschenentwurf der Zukunft aus, für den zudem die klassische Lohnarbeit als Option nicht mehr in Frage kommt. Diese Hybridität spiegelt sich im Film nicht nur in seiner Synthese von Ton- und Stummfilm, sondern auch in seiner Verhandlung des Vampirs selbst, die hier nicht in die filmische Schauderromantik als vermeintlich authentische Illustration einer Geisteswelt des 19. Jahrhunderts hineingleitet, sondern hier eher den Blick des 20. auf das 19. Jahrhundert (das selbst wiederum ins 18. blickte) im Sinn hat: Der „Vampyr“ des Films wird erst durch ein Buch aus dem 19. Jahrhundert erkennbar und auch nur, als der im Vorspann ausgewiesene „Phantast“ Allan Grey sich darin versenkt. Allan Grey ist dabei anhand seiner Erscheinung – Anzug und Krawatte - deutlich als Mensch des 20. Jahrhunderts zu erkennen, den nostalgische Sehnsüchte nach bestaunenswerter Romantik und Spuk bestimmen. Vermutlich nicht ganz von ungefähr erinnert er auch in manchen Momenten rein äußerlich ein wenig an H.P. Lovecraft, der den eigenen verklärten Blick auf die Kultur und Literatur vergangener Dekaden zur eigenen Methode erhoben hat. In dieser Hinsicht ist Vampyr deshalb ein kluger (Vampir-)Film: Weil er nicht Altes vermeintlich authentisch illustrieren will (vgl. etwa die frühen Gruselfilme der Hammer Studios, gegen die ich damit im übrigen nichts gesagt haben will), sondern weil er seine Vampirgeschichte zur Geschichte vom Verhältnis des Blicks auf seinen Gegenstand erklärt.
Klug ist auch die Inszenierung des Raumes. Wie kaum ein anderes Filmgenre thematisiert der Horrorfilm seinen Raum, respektive dessen Destabilisierung. In kaum einem anderen Genre ist deshalb das Verhältnis von Kamera und Erzählraum so wichtig: Der Horrorfilm ist ein Genre des Close-Ups und des „unmöglichen Winkels“, die Totale findet man indes nur selten und kaum ein Horrorfilm kommt ohne Momente aus, in denen der Raum und seine Stabilität infrage gestellt werden (man denke nur an den berühmten zugezogenen Duschvorhang und was sich wohl dahinter verbergen könnte): Wer im Horrorfilm überlebt und wer nicht, ist meistens, wenn nicht immer, eine Frage dessen, wer sich in welchem Raum wie verhält, wem Macht ihn souverän zu durchqueren zugemessen wird: Deshalb überlebt das Mädchen am Ende von Texas Chain Saw Massacre: Weil sie über den Sprung durch das Fenster ihren Raum zu erweitern weiß und in ihm neue Vektoren auszumachen in der Lage ist, wohingegen dem plumpen Leatherface nur der Gang durchs Treppenhaus einfällt. In Vampyr ist der Raum ebenfalls von Belang: Die Kamera folgt den Figuren erstaunlich behände, zahlreiche Plansequenzen lassen den Raum erkunden, Kreisfahrten bieten Übersichten auf der Horizontalen, denen häufige Detailansichten gegenüber stehen. Dennoch: Ein souveräner Überblick über das komplex konstruierte räumliche Gefüge ist in der Tat kaum möglich. Ganz im Gegenteil stellt sich das Gefühl eines „Durchschwebens“ ein: Wie Allan Grey staunend durch seinen mutmaßlichen „Traumraum“ schreitet, wird auch der Zuschauer vom Verständnis des Raumes als einem authentischen methodisch entrückt.
Die hohe Beweglichkeit der Kamera und die dadurch entstehende Nähe zum Raumgeschehen bedingen dabei einen zusätzlich befremdlichen Effekt: Eigentlich wirkt dieser Film an keiner Stelle wie aus den frühen 30er Jahren. Ganz im Gegenteil meint man sich mindestens in den 60er Jahren zu bewegen. Erinnerungen an Night of the Living Dead werden wach und man hat auch in den folgenden Jahren noch manchen statisch erstarrten Film gesehen. Dies nun lässt den Film vollends ins Surreale kippen: Dass ein Film aus scheinbar späteren Jahrzehnten in eine synthetisierten Form aus Stumm- und Tonfilm in den frühen 30er Jahren auftritt und vom Verhältnis von Gegenwärtigkeit und Vergangenheit handelt, in dem alle Personen selbst schon aus dem Zustand des post mortem heraus zu agieren scheinen (in der Tat: Allan Grey wird an einer Stelle beerdigt, in einer anderen, mittels Doppelbelichtung bewerkstelligten Sequenz löst sich ein durchscheinendes Abbild seiner Selbst von seiner physischen Gestalt und irrlichtert durch die Welt, wie alle Figuren sprechen als seien sie schon nicht mehr lebendig, wie überhaupt alles so wirkt, als sei es die Phantasie eines bereits Gestorbenen), all dies lässt das Filmerleben selbst zu einer Art Trance geraten: In Mitternachtskino haben Hoberman und Rosenbaum auf die religiöse Tradition und kultische Nähe der Zeremonien des cinephilen Mitternachtspublikums der 70er Jahre hingewiesen. Wer Vampyr im Kino sieht – ein Mitternachtsfilm avant la lettre - kann nachempfinden, was diese Bewegung Nacht für Nacht ins Kino gezogen hat, um dort, mittels der Mechanik der Moderne, die jedem Filmbild grundlegende Bedingung zur Möglichkeit ist, die Risse im Gefüge von Raum und Zeit zu erkunden. Dass Vampyr dies in seiner klausulierten Narration spiegelt, ist dabei nur obligatorisch.
imdb ~ senses of cinema ~ kinoeye ~ masterofcinema.org mit einem scan des originalen dänischen filmprogramms.
Weitere Sichtungen aus der Magical History Tour im Weblog hier.
° ° °
kommentare dazu:
thgroh,
Donnerstag, 24. März 2005, 20:22
Wissenswertes am Rande: Bei dem Print handelte es sich um die 1998 von der Stiftung Deutsche Kinemathek durchgeführte Restauration, die Material aus verschiedensten Kopien diverser Archive und Institutionen zusammenführt. Die Qualität war zum Teil herausragend gut, zumindest wenn man bedenkt, dass der Film ansonsten auf VHS und DVD nur in sehr zweifelhafter Bildqualität vorliegt (dem Vernehmen nach soll sich Criterion auch geweigert haben, den Film auf DVD rauszubringen, da keine vernünftige Kopie aufzutreiben war). Das Milchig-Flächige, das den Bildern des Films auf Konserve sonst immer eigen ist, fehlt hier weitgehend, im Gegenteil sind die Innenaufnahmen sehr scharf und detailreich, wohingegen über den Außenaufnahmen grundsätzlich eine Art Nebel hängt. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Kopie als Vorlage für eine lohnenswerte DVD-Edition dienen könnte!
Fernerhin sind zwei Szenen zu sehen, die den Berliner Zensurbehörden seinerzeit Magenschmerzen bereiteten und deshalb für die Auswertung in Deutschland entfernt werden mussten: Zum einen fällt die Pfählung des Vampyrs länger aus (keine Details zwar, aber man sieht den Hammer häufiger auf den Stahlpflock sausen), zum anderen war der Erstickungstod des Doktors in der ursprünglichen Fassung länger. Beide Szenen entstammen der französischen Fassung des Films, wurden allerdings nicht in den Film re-integriert, sondern im Anschluss danach separat gezeigt. Ein guter Mittelweg, wie ich finde, da auf diese Weise die historisch adäquate Fassung nachvollziehbar bleibt und das Filmerleben keinen Bruch erfährt (der Doktor winselt auf französisch um sein Leben), ohne dass die Zensurierung unbemerkt bliebe.
Da der Print zum Archiv des Arsenals zählt, ist davon auszugehen, dass er auch für zukünftige Vorführungen im Hause Verwendung findet. Die Sichtung des Films daselbst sei deshalb empfohlen.
Fernerhin sind zwei Szenen zu sehen, die den Berliner Zensurbehörden seinerzeit Magenschmerzen bereiteten und deshalb für die Auswertung in Deutschland entfernt werden mussten: Zum einen fällt die Pfählung des Vampyrs länger aus (keine Details zwar, aber man sieht den Hammer häufiger auf den Stahlpflock sausen), zum anderen war der Erstickungstod des Doktors in der ursprünglichen Fassung länger. Beide Szenen entstammen der französischen Fassung des Films, wurden allerdings nicht in den Film re-integriert, sondern im Anschluss danach separat gezeigt. Ein guter Mittelweg, wie ich finde, da auf diese Weise die historisch adäquate Fassung nachvollziehbar bleibt und das Filmerleben keinen Bruch erfährt (der Doktor winselt auf französisch um sein Leben), ohne dass die Zensurierung unbemerkt bliebe.
Da der Print zum Archiv des Arsenals zählt, ist davon auszugehen, dass er auch für zukünftige Vorführungen im Hause Verwendung findet. Die Sichtung des Films daselbst sei deshalb empfohlen.
christian123,
Donnerstag, 24. März 2005, 22:06
Danke!
Danke für diesen Text! Ich hatte gestern schon gehofft, dass du etwas zu dem Film schreiben würdest, und dieser Text lässt in seiner beeindruckenden Breite keine Wünsche offen :-)
Notiz am Rande: Der Gedanke mit der Ähnlichkeit zu H.P. Lovecraft ist mir auch schon bei früheren Sichtungen gekommen. Interessant, dass diese Ähnlichkeit groß genug ist, dass sie mehreren Menschen auffällt. (Wobei eine Absicht hinter ihr gewiss ausgeschlossen werden kann.)
Schade, dass Lovecraft selbst kein großer Kinogänger war (und wenn, dann selten mit großer Begeisterung), wäre interessant gewesen, was er über diesen Film gedacht hätte (also nicht wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeiten mit einer Figur, sondern als Denker und Historiker der Schauerliteratur).
Notiz am Rande: Der Gedanke mit der Ähnlichkeit zu H.P. Lovecraft ist mir auch schon bei früheren Sichtungen gekommen. Interessant, dass diese Ähnlichkeit groß genug ist, dass sie mehreren Menschen auffällt. (Wobei eine Absicht hinter ihr gewiss ausgeschlossen werden kann.)
Schade, dass Lovecraft selbst kein großer Kinogänger war (und wenn, dann selten mit großer Begeisterung), wäre interessant gewesen, was er über diesen Film gedacht hätte (also nicht wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeiten mit einer Figur, sondern als Denker und Historiker der Schauerliteratur).
thgroh,
Freitag, 25. März 2005, 01:09
Danek wiederum für dieses Kompliment. Wie mir gerade auffällt, müsste ich noch etwas feilen, mancher Satz ist noch etwas holprig, nicht ganz stimmig oder gar redundant. Aber ich will es jetzt mal gut sein lassen, bin eh schon viel zu müde für solcherlei Kosmetikauftragen.
Irgendwie auch ganz gut, mal wieder "richtig" zu schreiben und nicht nur kurze Notizen an die Welt zu schicken. Aber Vampyr war mir das schon wert, ein ganz hervorragender Film. Irgendwas sollte da schon schriftlich festgehalten werden.
Wie kommst Du darauf, dass die Absicht der äußeren Ähnlichkeit ausgeschlossen werden kann? Die Frage soll gar keine Skepsis zum Ausdruck bringen, sondern ist rein interessehalber. War Lovecraft international so unbekannt? (wobei, wenn ich jetzt gerade drüber nachdenke: Er veröffentlichte ja hauptsächlich in "Fan-Magazinen" und erfuhr erst spät eine Wiederentdeckung - vermutlich hast Du also schon alleine deshalb recht, wäre aber, im Falle eines Falles, über zusätzliche Informationen bzgl. dieses Ausschlusses der Möglichkeit sehr dankbar :) )
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dieser Film hätte Lovecraft gefallen. Das Morbide und Weltentrückte scheint bei beiden sehr nahe zu legen, und dann natürlich auch das staunende Tasten der Hauptfigur in eine absonderliche Welt.
Irgendwie auch ganz gut, mal wieder "richtig" zu schreiben und nicht nur kurze Notizen an die Welt zu schicken. Aber Vampyr war mir das schon wert, ein ganz hervorragender Film. Irgendwas sollte da schon schriftlich festgehalten werden.
Wie kommst Du darauf, dass die Absicht der äußeren Ähnlichkeit ausgeschlossen werden kann? Die Frage soll gar keine Skepsis zum Ausdruck bringen, sondern ist rein interessehalber. War Lovecraft international so unbekannt? (wobei, wenn ich jetzt gerade drüber nachdenke: Er veröffentlichte ja hauptsächlich in "Fan-Magazinen" und erfuhr erst spät eine Wiederentdeckung - vermutlich hast Du also schon alleine deshalb recht, wäre aber, im Falle eines Falles, über zusätzliche Informationen bzgl. dieses Ausschlusses der Möglichkeit sehr dankbar :) )
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dieser Film hätte Lovecraft gefallen. Das Morbide und Weltentrückte scheint bei beiden sehr nahe zu legen, und dann natürlich auch das staunende Tasten der Hauptfigur in eine absonderliche Welt.
christian123,
Freitag, 25. März 2005, 05:53
Lovecraft im Film und Lovecraft über Film
Tatsächlich glaube ich nicht, dass Lovecrafts literarischer Ruf damals bis nach Mitteleuropa eilte, aber auch unabhängig davon schließe ich eine Vorbildfunktion seiner Person dadurch aus, dass er nicht gerade ein sehr öffentlichkeitssuchender oder öffentlichkeitsbekannter Mensch war. Ihn als "Einsiedler von Providence" zu bezeichnen wäre zwar insofern übertrieben, als er durchaus einige Zeit recht fröhlich vor allem an der Ostküste herumreiste (und dann gerne darüber "Travelogues" verfasste) und mit Fortschreiten seines Lebens durchaus einen ordentlich breiten Freundeskreis aufbaute (wobei der Verkehr mit diesem dennoch zum Großteil über Briefe stattfand). Aber es dürfte wohl kaum zu Lebzeiten nennenswert etwas über sein Auftreten oder seinen Lebensstil *veröffentlicht* worden sein, zumal er ja weder kommerziellen Erfolg noch Popularität suchte. Im Grunde war er ja damit zufrieden, für sich selbst im stillen Kämmerlein zu schreiben, und wenn nebenher der eine oder andere Text noch in einer Zeitschrift unterzubringen war, duldete er das eher anstatt dass er darauf hin schrieb. (Ein Gentleman schreibe nicht fürs Geldverdienen.)
Was natürlich nicht hundertprozentig ausschließt, dass irgendeiner von Lovecrafts Bekannten mal auf Dreyer traf und ihm Lovecraft so eindringlich porträtierte, dass dieser sich zu Allan Grey inspiriert fühlte, aber ich halte das für reichlich unwahrscheinlich ;-)
Jedoch, unabhängig davon kommt Allan Grey, wie er phantasierend an einen seltsamen Ort reist und dort (das soll jetzt keine Interpretation der Filmhandlung sein sondern eine Übertragung auf Lovecraft, bei dem sich das im Grunde oft so wiedergibt) ins ausschweifende Träumen gerät ob der Eigenarten der Gegend, der Menschen, der Häuser, der Wälder, und auch der Habitus, diese höfliche aber im menschlichen Verhalten auch sehr zurückhaltende Art, die zugleich trotzdem von tiefer *sachlicher* und *phantastischer* Neugier geprägt ist, reicht alles sehr nah an das Bild heran, das sich mir nach einiger Beschäftigung mit seiner Person von ihm aufdrängt.
Wenn ich mich recht entsinne kam Lovecraft an phantastischen Filmen nur in Kontakt mit den damaligen Hollywood-Produktionen, die er als Verehrer der literarischen Vorlagen glaubich ziemlich blöd fand ;-)
... Ah! Jetzt hab ich mir doch tatsächlich noch die Mühe gemacht, mal ins Stichwortverzeichnis der monumentalen S.T.-Joshi-Biographie über Lovecraft zu gucken. Zitat Lovecraft:
"Despite the recent improvement in quality in some films--due to the new talking device--the majority are inane & insipid as before..."
Laut Biograph Joshi gefielen Lovecraft in seiner Jugend zwar Douglas-Fairbanks- und Charlie-Chaplin-Stummfilme, bei den Tonfilmen aber pflegte er eine besondere Abneigung gegen Horrorliteraturverfilmungen:
"'The Bat' made me drowse back in the early 1920's--and last year an alleged 'Frankenstein' on the screen /would/ have made me drowse had not a posthumous sympathy for poor Mrs. Shelley made me see red instead. Ugh! And the screen 'Dracula' in 1931--I saw the beginning of that in Miami, Fla.--but couldn't bear to watch it drag to its full term of dreariness, hence walked out into the fragrant tropic moonlight!"
So wie Joshi es darstellt, begnügte sich Lovecraft allgemein mit dem abgetretenen Vorwurf, der Film folge nicht ausreichend den literarischen
Vorlagen, und kulminiert in der Äußerung:
"Generally speaking, the cinema always cheapens & degrades any literary material it gets hold of--especially anything in the least subtle or unusual."
Trotzdem, bei "Vampyr", obgleich auf LeFanu basierend, hätte er vielleicht etwas andere und tolerantere Maßstäbe angelegt als bei den Hollywood-Filmen, die er als verroht und billig empfunden haben mag.
Zumindest Aufführungen in New York könnte "Vampyr" ja durchaus in den 30er Jahren erlebt haben, insofern hätte vielleicht sogar die Möglichkeit bestanden, dass Lovecraft ihn dort hätte sehen können, denn New York war ja der Ort nach Providence, an dem er die zweitmeiste Zeit seines Lebens zubrachte ...
Naja, jetzt hab ich dein Blog erstmal genug ge-lovecrafted, ich hoffe es war nicht zuviel Text ;)
NACHTRAG: Das Thema lässt mir keine Ruhe, und ich habe jetzt herausgefunden, dass der gute Donovan K. Loucks auf seiner Lovecraft-Website einen Haufen *positiver* Äußerungen Lovecrafts über diverse Hollywood-Filme (darunter "All Quiet On The Western Front" (1930) und "A Midsummer Night's Dream" (1935)) aufführt ( http://www.hplovecraft.com/life/interest/movies.htm ) Besonders angetan hatte es ihm wohl der Film "Berkeley Square" (1933), ich entsinne mich, dass er auch in einem autobiographischen Abriss einmal Bezug auf ihn nimmt.
Was natürlich nicht hundertprozentig ausschließt, dass irgendeiner von Lovecrafts Bekannten mal auf Dreyer traf und ihm Lovecraft so eindringlich porträtierte, dass dieser sich zu Allan Grey inspiriert fühlte, aber ich halte das für reichlich unwahrscheinlich ;-)
Jedoch, unabhängig davon kommt Allan Grey, wie er phantasierend an einen seltsamen Ort reist und dort (das soll jetzt keine Interpretation der Filmhandlung sein sondern eine Übertragung auf Lovecraft, bei dem sich das im Grunde oft so wiedergibt) ins ausschweifende Träumen gerät ob der Eigenarten der Gegend, der Menschen, der Häuser, der Wälder, und auch der Habitus, diese höfliche aber im menschlichen Verhalten auch sehr zurückhaltende Art, die zugleich trotzdem von tiefer *sachlicher* und *phantastischer* Neugier geprägt ist, reicht alles sehr nah an das Bild heran, das sich mir nach einiger Beschäftigung mit seiner Person von ihm aufdrängt.
Wenn ich mich recht entsinne kam Lovecraft an phantastischen Filmen nur in Kontakt mit den damaligen Hollywood-Produktionen, die er als Verehrer der literarischen Vorlagen glaubich ziemlich blöd fand ;-)
... Ah! Jetzt hab ich mir doch tatsächlich noch die Mühe gemacht, mal ins Stichwortverzeichnis der monumentalen S.T.-Joshi-Biographie über Lovecraft zu gucken. Zitat Lovecraft:
"Despite the recent improvement in quality in some films--due to the new talking device--the majority are inane & insipid as before..."
Laut Biograph Joshi gefielen Lovecraft in seiner Jugend zwar Douglas-Fairbanks- und Charlie-Chaplin-Stummfilme, bei den Tonfilmen aber pflegte er eine besondere Abneigung gegen Horrorliteraturverfilmungen:
"'The Bat' made me drowse back in the early 1920's--and last year an alleged 'Frankenstein' on the screen /would/ have made me drowse had not a posthumous sympathy for poor Mrs. Shelley made me see red instead. Ugh! And the screen 'Dracula' in 1931--I saw the beginning of that in Miami, Fla.--but couldn't bear to watch it drag to its full term of dreariness, hence walked out into the fragrant tropic moonlight!"
So wie Joshi es darstellt, begnügte sich Lovecraft allgemein mit dem abgetretenen Vorwurf, der Film folge nicht ausreichend den literarischen
Vorlagen, und kulminiert in der Äußerung:
"Generally speaking, the cinema always cheapens & degrades any literary material it gets hold of--especially anything in the least subtle or unusual."
Trotzdem, bei "Vampyr", obgleich auf LeFanu basierend, hätte er vielleicht etwas andere und tolerantere Maßstäbe angelegt als bei den Hollywood-Filmen, die er als verroht und billig empfunden haben mag.
Zumindest Aufführungen in New York könnte "Vampyr" ja durchaus in den 30er Jahren erlebt haben, insofern hätte vielleicht sogar die Möglichkeit bestanden, dass Lovecraft ihn dort hätte sehen können, denn New York war ja der Ort nach Providence, an dem er die zweitmeiste Zeit seines Lebens zubrachte ...
Naja, jetzt hab ich dein Blog erstmal genug ge-lovecrafted, ich hoffe es war nicht zuviel Text ;)
NACHTRAG: Das Thema lässt mir keine Ruhe, und ich habe jetzt herausgefunden, dass der gute Donovan K. Loucks auf seiner Lovecraft-Website einen Haufen *positiver* Äußerungen Lovecrafts über diverse Hollywood-Filme (darunter "All Quiet On The Western Front" (1930) und "A Midsummer Night's Dream" (1935)) aufführt ( http://www.hplovecraft.com/life/interest/movies.htm ) Besonders angetan hatte es ihm wohl der Film "Berkeley Square" (1933), ich entsinne mich, dass er auch in einem autobiographischen Abriss einmal Bezug auf ihn nimmt.
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