Es gibt sie noch immer zu entdecken, die kleinen, rohen Diamanten des bundesrepublikanischen Kinos abseits der beiden förmlich dichotomen Blöcke "schwerer Autorenfilm" hier, "Amüsierterrorismus" (Musik- und Schlagerfilm, Pennälerwitzeleien und dergleichen) dort. Filme wie beispielsweise die vom frühen Roland Klick - Deadlock und Supermarkt sind dringend zu nennen -, von Klaus Lemke (der hervorragende Rocker), TV-Arbeiten wie der so beeindruckende wie legendäre Film Das Millionenspiel oder, wenn's denn sein muss, der unheimlich krude, aber im höchsten Maße faszinierende Film Blutiger Freitag eröffnen ein, zugegeben, recht weites Feld, das sich weniger auf Grund inhaltlicher, motivischer oder ästhetischer Übereinstimmung oder gar hinsichtlich einer gemeinsamen Produktionsnische ergibt, sondern eher auf Grund der zumindest heutigen Rezeption: Die Geschichte des bundesrepublikanischen Kinos gibt diese Filme kaum wieder, sortiert sie nicht recht ein; sie stehen abseits der Pfade von Autorenkonzeption und Klamaukfilmerei, bilden sozusagen ein Drittes in diesem Bunde: Die Welt des nicht direkt unterschlagenen, viel mehr gemeinhin übergangenen Kinos der einstigen BRD, ein wenig konventionalisiertes Feld, aus dem sich einiges bergen lässt.

Die Delegation von Rainer Erler, ein TV-Film aus dem Jahr 1970, der nun endlich auf DVD veröffentlicht wurde und hoffentlich wiederentdeckt wird, gesellt sich munter dieser Runde hinzu; er ist das seltene Glück eines überzeugenden Science-Fiction-Films aus der Bundesrepublik, der ganz ohne aufsehenerregende Effekte auskommt, sondern sich die Potenziale des Gedankenexperiments, die vor allem die avancierte literarische Science Fiction freigesetzt hat, zu Nutze macht.

Der Film beginnt mit merkwürdigen Beobachtungen auf den Geräten des us-amerikanischen Militärs. Unbekannte Flugobjekte tauchen auf dem Radar auf und verschwinden wieder. Sind Außerirdische gelandet? Will Roczinsky, ein wunderbar schnarriger TV-Reporter von altem Schrot und Korn und überzeugter Skeptiker, macht sich im Auftrag des Deutschen Fernsehens an die Recherche und ergründet das Phänomen. Dazu besucht er im Heimatland Gesellschaften von UFO-Jüngern und spürt in den USA der NASA auf die Zähne.

Dies aber war vor über drei Monaten, klärt uns ein TV-Moderator auf. Dann fand man Roczinsky tot an einem Straßenstreifen in den USA auf. Bei ihm fand man unedierte Filmaufnahmen, Tonbänder, Fotografien. Sie ergeben ein nicht ganz schlüssiges, rohes, unbeschlagenes Bild von dem, was Roscyniki aufgedeckt haben mag. Später kommen noch Hinterbliebene zu Wort, die ihre Erfahrungen mit dem Verstorbenen allesamt nicht mit den Eindrücken seiner medialen Hinterlassenschaft abgleichen können. Der Skeptiker, legen vor allem die fahrig besprochenen Tonbänder nahe, ist zum paranoiden Phantasten geworden, der, durch die hinteren Regionen Kaliforniens irrlichternd, offenbar zusehends den Verstand verloren hat und kaum mehr mit der souverän auftretenden persona aus den intentionell für die Reportage gedrehten Szenen in eins zu bringen ist. Rätselhaft bleibt das weitere, szenisch fragmentierte Filmmaterial; nicht eben einfacher wird die Angelegenheit dadurch, dass der erste Kameramann alsbald gekündigt wurde und an seiner Statt ein Avantgarde-Filmer aus der kalifornischen Off-Szene eingesetzt wurde, dessen Maxime weniger das Einfangen des Moments als viel mehr die künstlerische Verfremdung desselben zu sein scheint. Analog zu den zusehends ins Taumeln geratenen Bildern verfolgen wir einen Reporter, dessen Weltbild ins Wanken gerät, für den hinter jedem Hügel die Außerirdischen lauern könnten, was sie - immer wieder impliziert das footage dies - unter Umständen auch tun ...

Die Delegation lebt freilich von seinem cleveren - und Jahre vor Cannibal Holocaust und Blair Witch Project entwickelten - Erzählkonzept des Films-im-Film, der das Geschehen authentifiziert und den Zuschauern zum doppelten Raten zwingt: Das erste Geheimnis ist jenes um die möglicherweise in Kalifornien gelandeten Außerirdischen, das zweite nun eben jenes, welchen Spuren Roczinsky nachspürte, wie es wirklich um ihre Qualität bestellt ist und, nicht zuletzt, was mit Roczinsky geschehen sein könnte. Eine télescopage der Ereignisse, die sich anhand der ästhetisch vermitteltn "Mediensprünge" - Reportage, footage, TV-Studio - ergibt.

Man spürt dem Film noch heute das seinerzeitig Brandaktuelle in jedem Moment an; im Jahr 1970 hatte der Mensch gerade erst seinen Schritt ins All, auf den Mond, gewagt, populäre Verschwörungstheoretiker wie Erich von Däniken - dem der spätere Roczinsky teilweise nachgebildet scheint - tingelten durchs Land. Kurz zuvor hatte Kubrick mit 2001: A Space Odyssey die Begegnung mit einer außerirdischen Intelligenz als metaphysische Erfahrung ins Kino gebracht. Mit einigem Geschick fügt sich Die Delegation in diesen Zeitgeist als wichtiger Diskursbeitrag mit ein; ein herausragender Beitrag zur intelligenten filmischen Science Ficition.

imdb ~ website von rainer erler



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