Thema: TV-Tipps
Morgen abend zeigt arte (aller Wahrscheinlichkeit nach - siehe unten) Dario Argentos 1977 entstandenen Hexen-Horrorfilm Suspiria. Auf der Website des Senders gibt es eine kleine Infosite, sowie ein Interview mit dem hierzulande so gut wie unbekannten, in Italien aber (wie mir filmkundige Italiener immer wieder bestätigten) höchst prominenten Regisseur.

Der Film ist in Deutschland, wie so viele weitere Arbeiten Argentos, bislang indiziert. Die Indizierung ist ein Verfahren, das immer wieder und vor allem Horrorfilme trifft, was nicht nur in dem Maße ärgerlich ist, dass erwachsenen Menschen auf eine sehr schwammige Art und Weise Filme vorbehalten werden (ja, ich weiß, die Filme sind nicht "verboten", sie sind sogar käuflich erhältlich; unter Ladentischen und auch nur in gesonderten Räumen und ohne Werbung drumrum - und jetzt fragen Sie sich mal, ob das nicht hinreichend Gründe in der Marktwirtschaft sind, indizierte Filme überhaupt erst gar nicht ins Sortiment zu nehmen...), sondern auch, weil entscheidende Bewegungen im Horrorgenre auf Grund solcher Interventionen hierzulande kaum nachvollzogen werden können, sich also auch nur schwerlich eine adäquate Form von Auseinandersetzung, Einsortierung und Kritik (also allem, was zivilisierend wirken könnte) entwickeln kann. Eine Bewegung ist beispielsweise diejenige, die sich zwischen barockem Kunstfilm und hyperbolischer Drastik des späteren Horrorfilms vollzieht; ein Entwurf, für den Argentos Kino ein typischer Vertreter ist und der vor allem im angelsächsischen Sprachraum schon häufig als Gegenstand für film- und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen figurierte.

Jedenfalls, die Tatsache der Indizierung impliziert zweierlei:

1) Es ist ungewiss, ob arte den Film überhaupt zeigen kann. Ein User des Forums von cinefacts.de hat beim Sender nachgefragt und die Antwort erhalten, dass sich die Rechtsabteilung des Senders noch uneins sei; die Entscheidung werde wohl in letzter Sekunde fallen, heißt es in der hier wiedergegebenen Antwortmail.

2) Der Film darf nicht beworben werden, weshalb ich dieses Posting dringend nicht als Genussempfehlung, sondern lediglich als Hinweis verstanden wissen will. Ich möchte den Film aus diesem Grund nicht persönlich anpreisen (was ich könnte, wenn ich dürfte, bzw. mir sicher sein könnte, dass ich dürfte), sondern die Ausstrahlung, so sie denn stattfindet, als Dokumentation dessen empfehlen, was einem - dank indizierender Eingriffe der dafür zuständigen Gremien - zuweilen vorenthalten wird, und wie wenig sinnvoll solche Maßnahmen zumal in Fällen solcher Zwitterfilme - wie Suspiria einer ist - erscheinen, in denen die Frage nach dem justiziablen Grundcharakter - sozial-ethisch desorientierende Gewaltverherrlichung oder durch das Grundgesetz geschützte Kunst - nicht mehr ohne weiteres mit der souveränen Geste eines erfolgreichen Indizierungsbeschlusses beantwortet werden kann.

Weiterhin halte ich den Film als angehender Film-, Kultur- und Medienwissenschaftler auch aus rein wissenschaftlichen Gründen für interessant und dies vor allem auch aus einer filmhistorischen wie filmhistorisch-ästhetischen Perspektive. Der Gebrauch von Filmfarben und die sich daraus ergebende materialästhetische Reflexion suchen ihresgleichen; ohne weiteres meisterlich und beispielhaft ist seine Konzeption einer überwältigenden Wirkungsästhetik, die sich vor allem aus dem Gebrauch grundlegender filmischer Mittel ergibt (und eben nicht so sehr aus dem bloßen Motiv der gewaltsamen Öffnung von Menschenkörpern). Überhaupt nimmt der Film aus filmhistorischer Perspektive eine Schlüsselposition im oft genug aus unverständlichen Gründen übergegangenen Zusammenhang des italienischen Kommerzkinos ein: In Suspiria erfährt der vor allem an Schauerästhetik orientierte Italohorrorfilm, wie er durch Bavas Maschera del Demonio als Filmzusammenhang mitkonstituiert wurde, seine Apotheose und wendet sich zugleich final jener leicht surrealen Entrücktheit zu, welche die hiesige, zumeist konfessionell angehauchte Filmkritik immer etwas zu voreilig als mangelnde, narrative Kohärenz bemäkelt hatte. Indem sich der Film von einer gegenständlichen Wiedergabe einer Abfolge kausaler Kontingenzen geradewegs ablöst, erweist er sich nicht nur als anschlussfähig an die (zumal deutsche) literarische Schauerromantik des 19. Jahrhunderts, sondern weist auch schon die Richtung zu einem späteren, eher simulakralen Kinoentwurf.

Sicher, der Film ist in mancher Hinsicht drastisch. Ihm dies vorzuwerfen, hieße aber, ihm sein Genre vorzuwerfen: Der Horrorfilm im Allgemeinen handelt nun einmal von einem ganz grundlegenden Aspekt des menschlichen Daseins und menschlicher Wahrnehmung und Empfindung: Von der Angst, und zumal von ihren irrationaleren Ausformungen. Dies macht beileibe noch nicht jeden Horrorfilm automatisch zu einem guten; indem Suspiria aber eben nicht bis in die letzte Instanz rationalisiert, sondern eher vage Zustände und Verfassungen sucht, bekommt er gerade die Angst als Irrationales zu fassen. Und es weist sich in diesem Falle - und deshalb empfehle ich die Sichtung als Nachvollzug eines Beispielfalls aus der Kulturgeschichte hiesiger Zensurpraxis - , dass Drastik alleine keinen Unterschlagungsgrund darstellt, solange ihre ästhetische Einbettung in die integrale Gestalt des Films als ihr Kontext nicht einmal im Ansatz berücksichtigt wird.

Im übrigen denke ich, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährende Medien abgeschafft werden sollte.


° ° °




kommentare dazu:



stefan hoeltgen, Dienstag, 31. Oktober 2006, 08:11
Danke für den Tipp!
Mir stellt sich da gerade eine interessante Frage:

Ist das Trägermedium nicht entscheident, ob es sich um den indizierten "Suspiria" handelt oder nicht? Im JMS-Report sind die Einträge zu Video und DVD ja auch gesondert aufgeführt; "Suspiria" ist nur als Videokassette indiziert worden (und das vor weit über 10 Jahren - nach eigener BPjM-Praxis also "verjährt") ...

Jetzt käme es drauf an, bzw. wäre die Frage: Was ist denn eine TV-Ausstrahlung bzw. welches Trägermedium wird da als Speicher bemüht? Ich weiß: ziemlich akademisch, aber für einen Rechtsstreit sicherlich interessant (zumal dadurch die Absurdität dieser Behörde und ihres Tuns ein weiteres Mal bloßgestellt werden könnte).

>> Im übrigen denke ich, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährende Medien abgeschafft werden sollte.

Wir arbeiten dran ... :-))


vr, Dienstag, 31. Oktober 2006, 10:16
Das Ende des Films ist klasse.


thgroh, Dienstag, 31. Oktober 2006, 12:27
@stefan

Ich denke, u.a. daran werden die Juristen bei arte wohl gerade knabbern. "Verjährt" ist eine Indizierung meines Wissens aber erst nach ~ 20-25 Jahren oder so. Die 10 Jahre gelten wohl bei einer Beschlagnahmung, womit wohl nicht eine automatische "Wiederzulassung" des Films gemeint ist, sondern nur ein Ende der Strafverfolgung.


soilworker, Dienstag, 31. Oktober 2006, 13:31
Das Medium ist prinzipiell egal. Siehe dazu JuSchG §15

(3) Den Beschränkungen des Absatzes 1 unterliegen auch, ohne dass es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf, Trägermedien, die mit einem Trägermedium, dessen Aufnahme in die Liste bekannt gemacht ist, ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind.

Nun stellt sich die Frage, inwieweit man Suspiria so kürzen kann, dass eine Fassung entsteht, die mit der indizierten Fassung nicht mehr im Wesentlichen inhaltsgleich ist. Viel Spaß, ihr Juristen. ;-)

Und was die Listenstreichung betrifft: nach Ablauf von 25 Jahren verliert eine Aufnahme in die Liste ihre Wirkung, wie es im Gesetz heißt. Im Falle von Suspiria wäre das also in zwei Jahren.

Übrigens ist das der größte Unfug überhaupt. Im Klartext heißt das ja nichts anderes, als dass die Gesellschaft alle 25 Jahre so verroht, dass das, was vor 25 Jahren jungendgefährdend war, es heute nicht mehr ist. Wenn man das mal zukunftsmäßig hochrechnet, dann müssten wir in 100 oder 200 Jahren ja aus heutiger Sicht die reinsten Barbaren sein.


stefan hoeltgen, Dienstag, 31. Oktober 2006, 15:40
stimmt
@thomas:
Du hast natürlich Recht: Listenstreichungen vom Indizierungs-Index müssen ja glaube ich sogar beantragt werden.


tschill, Dienstag, 31. Oktober 2006, 18:42
Wer ist denn das WIR aus "Wir arbeiten dran..."?


christian123, Mittwoch, 1. November 2006, 01:36
@dieKennerDesWerkes: Und, äh, war das jetzt eine einigermaßen ungeschnittene Fassung?

(Aber war schon geil ;-) )


thgroh, Mittwoch, 1. November 2006, 02:21
ich habe nicht die geringste ahnung!

(weil ich keinen tv-empfang habe)


christian123, Mittwoch, 1. November 2006, 02:55
Thomas: Ja aber hier ham doch noch so viele Andere kommentiert ;-)

(Inzwischen unnötig, ich habe http://forum.cinefacts.de/showthread.php?t=165925&page=3 gefunden und gelesen, dass die Fassung, die ich zu sehen bekam, wohl recht arg verstümmelt war. Naja, Grund mehr, mir den Film irgendwann nochmal "richtig" anzugucken.)


kid37, Mittwoch, 1. November 2006, 13:35
Die Wiederholung läuft am 5.11.


mutant, Donnerstag, 2. November 2006, 03:53
hat mich daran erinnert, das ich suspiria frueher schon nicht mochte.
obwohl mir die kernelemente (tanzschule, hexen, deutschland) gefallen, ist etwas wenig sinn in diesem film, den man sonst bei argento nicht unbedingt vermisst.
naja, die szene mit dem blindenhund ist sehr gut, wenn auch voraussehbar.
ich geh ja mehr fuer fulci, wenn wir schon bei italienern sind.



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