Thema: FilmKulturMedienwissenschaft
Man kann ihm ja kaum genug dafür danken, dass er sich in die Blogwelt gestürzt hat. Die Rede ist von David Bordwell, der in schöner Regelmäßigkeit - und mindestens einmal pro Woche - , einen unbedingt lesenswerten Beitrag veröffentlicht. Überhaupt halte ich ja seinen ganzen Entwurf von Filmwissenschaft für großartig, wie das immer - und zumal in seinem Blog - ganz dicht am Gegenstand ist und sich nicht in abstrakte Seminarraum-Theorien verliert, bei denen man sich nicht selten fragen muss, ob deren Träger nicht schon längst die Haftung zum Kino verloren haben. Dass Bordwell vor allem nicht einfach nur versonnen vor der Leinwand sitzen bleibt, sondern sich auch mit Filmtechnik hinreichend auskennt, ist hier nur ein weiteres Plus; aber erzähl mal einem europäischen Intellektuellen, dass er sich mit Technik befassen soll, wo in diesem Milieu doch mangelnde naturwissenschaftliche und technische Kenntnis als Indiz für eine beflissene Vergeistigung und vollendeten Intellekt angesehen wird. Aber ich schweife ab.
Grund für den Jubel: Die New York Times veröffentlichte vor wenigen Tagen ein ausführliches Interview mit Steven Soderbergh, den ich ja sehr schätze. Darin äußert sich Soderbergh in erster Linie zu seinem neuen Film The Good German, zu dessen Produktion er den Versuch anstellte, den Code des klassischen Kinos der 1940er Jahre möglichst adäquat zu simulieren. Bordwell wiederum nimmt dieses Gespräch zum Anlass, in aller nötigen (und erkenntnisstiftenden) Ausführlichkeit über die Möglichkeit, einen historischen Stil in die Bedingungen des zeitgenössischen Kinos zu transponieren, nachzudenken.
Filmwissenschaft, wie sie spannender kaum sein könnte.
Und überhaupt: Wie ich mich freue, einem Soderbergh dabei zuzusehen, wie er eigener Aussage nach Michael Curtiz (dessen klassischen Stil ich wirklich höchst elegant finde und zu dessen großartigen Mildred Pierce wiederum Bordwell seinerzeit eine hervorragende Analyse (pdf, ~ 240 kb) verfasst hatte) zu emulieren versucht.
[allein der erste Satz dieser Analyse schon: Im Allgemeinen verstehen Zuschauer die Filme, die sie sehen.]
° ° °
kommentare dazu:
orcival,
Dienstag, 14. November 2006, 18:26
jepp, das soderbergh interview hatte ich auch gelesen. fein das. wie ja soderbergh (teilweise in kooperation mit clooney) ohnehin viel innovatives auf festere fuesse zu stellen versucht und so glaub ich auch - wie sagt man - netzwerk-maessig wichtig ist.
zu deinem monieren der technik-aversion unter europaeischen intellektuellen sei bemerkt, dass dies die vielleicht gewichtigste folge der erzwungenen emigration aller relevanten menschen aus zumindest deutschland ist.
denn vorher gab es ja durchaus menschen, die technisches interesse mit ästhetischem verständnis zusammenzubringen wussten...
zu deinem monieren der technik-aversion unter europaeischen intellektuellen sei bemerkt, dass dies die vielleicht gewichtigste folge der erzwungenen emigration aller relevanten menschen aus zumindest deutschland ist.
denn vorher gab es ja durchaus menschen, die technisches interesse mit ästhetischem verständnis zusammenzubringen wussten...
thgroh,
Dienstag, 14. November 2006, 18:45
als rein deutsches phänomen würde ich das gar nicht fassen wollen, auch wenn es richtig ist, dass z.B. zu Goethes Zeiten naturwissenschaftliche Kenntnisse zum Rüstzeug jeder, auch geistigen, intellektuellen Bildung gehörten. Und dass Ernst Bloch als einer der ersten - und zwar philosophisch - über Einsteins Relativitätstheorie geschrieben hat, ist wohl auch kein Zufall, wenn auch ein später Ausläufer dieser vormaligen Geisteskultur.
Der Bruch ist wohl eher schon im späten 19. Jahrhundert zu suchen, wo, und hier wieder zumal in Deutschland, der Begriff "Kultur" unter Bildungsbürgern unzulässigerweise auf die symbolischen Formen der (hohen) Künste reduziert wurde. Ich denke, das hat auch viel mit Distinktion und dem allgemeinen Take-Off der Physik durch die Industrialisierung zu tun: "Physik" ist, was die Arbeitswelt des gemeinen Arbeiters bestimmt; im Salon hingegen hat solche Grobheit nichts verloren. In etwa dieselbe Zeit fällt dann ja schließlich auch der endgültige Zerfall der wissenschaftlichen Disziplinen in die beiden vorgeblichen Antipoden-Wissenschaften von "Natur" und "Geist".
Der Bruch ist wohl eher schon im späten 19. Jahrhundert zu suchen, wo, und hier wieder zumal in Deutschland, der Begriff "Kultur" unter Bildungsbürgern unzulässigerweise auf die symbolischen Formen der (hohen) Künste reduziert wurde. Ich denke, das hat auch viel mit Distinktion und dem allgemeinen Take-Off der Physik durch die Industrialisierung zu tun: "Physik" ist, was die Arbeitswelt des gemeinen Arbeiters bestimmt; im Salon hingegen hat solche Grobheit nichts verloren. In etwa dieselbe Zeit fällt dann ja schließlich auch der endgültige Zerfall der wissenschaftlichen Disziplinen in die beiden vorgeblichen Antipoden-Wissenschaften von "Natur" und "Geist".
orcival,
Dienstag, 14. November 2006, 19:10
es ging mir auch eher nicht darum zu sagen, dass das ein rein dt phänomen ist, aber in d hat das halt was damit zu tun. und der reihe der namen, die du genannt hast, sei an dieser stelle noch der alte cassirer hinzugefügt.
das distingtionsbedürfnis (schreibt man das so? - sieht seltsam aus...) ist ein einfluss, aber vielen intellektuellen ist es glaub ich auch schlicht peinlich in bestimmten bereichen unzulänglich zu sein.
das ist wohl auch EIN problem hiesiger wissenschaftstheorie/-philosophie...
das distingtionsbedürfnis (schreibt man das so? - sieht seltsam aus...) ist ein einfluss, aber vielen intellektuellen ist es glaub ich auch schlicht peinlich in bestimmten bereichen unzulänglich zu sein.
das ist wohl auch EIN problem hiesiger wissenschaftstheorie/-philosophie...
thgroh,
Dienstag, 14. November 2006, 19:16
distinktionsbedürfnis mit k ;-)
jetzt, wo du cassirer erwähnst, bin ich mir gar nicht sicher, ob das "buch von ernst bloch" oben nicht doch von cassirer ist... hm, da habe ich mich vielleicht geirrt.
an das mit der "peinlichkeit" will ich im übrigen nicht recht glauben; ich denke schon, dass methode dahinter steckt, die zum einen das intellektuelle feld sozusagen von vorneherein mit "generiert" und zum anderen eben auch das selbstverständnis dieser kaste mitbeeinflusst. in diesem "was man wissen"-allgemeinwissensbuch von (glaube ich) schwanitz steht dann ja auch zu lesen, dass es zu technik zwar viel zu wissen gibt, man darüber aber eben nichts wissen muss, weswegen in dem buch darüber (wohl) auch nichts steht.
jetzt, wo du cassirer erwähnst, bin ich mir gar nicht sicher, ob das "buch von ernst bloch" oben nicht doch von cassirer ist... hm, da habe ich mich vielleicht geirrt.
an das mit der "peinlichkeit" will ich im übrigen nicht recht glauben; ich denke schon, dass methode dahinter steckt, die zum einen das intellektuelle feld sozusagen von vorneherein mit "generiert" und zum anderen eben auch das selbstverständnis dieser kaste mitbeeinflusst. in diesem "was man wissen"-allgemeinwissensbuch von (glaube ich) schwanitz steht dann ja auch zu lesen, dass es zu technik zwar viel zu wissen gibt, man darüber aber eben nichts wissen muss, weswegen in dem buch darüber (wohl) auch nichts steht.
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