Sechs billig produzierte Filme hätten in den 70er Jahren, so die Eingangsthese von Samuels Dokumentation, die Filmwelt für immer gewandelt. Die Rede ist von den so genannten "Mitternachtsfilmen" - genauer: El Topo, Night of the living Dead, Pink Flamingos, The Harder they Come, The Rocky Horror Picture Show und Eraserhead -, die ab 1970, mit der Premiere von Jodorowskys El Topo in New York, regelmäßig Heerscharen von Anhängern hinter sich versammeln konnten. Was als Experiment im New Yorker Elgin-Kino begann - Inhaber Ben Barenholtz bot kleinen Undergroundfilmen nach dem regulären Spielbetrieb auf der Mitternachtsschiene ein Forum und verließ sich ganz auf die Mundpropaganda -, wurde alsbald von Anhängern der Sub-, Nischen- und Gegenkulturen als zelebriertes Ritual aufgegriffen und anverwandelt. Die Vorführungen wandelten sich zu drogenunterfütterten Events mit performativem Charakter, bei denen das Publikum nicht nur "seine" Filme, sondern vor allem auch sich selbst feierte; es war die Phase zwischen Glamrock und Punk, die erste Blüte einer urbanen Drogen- und Sexkultur (im Gegensatz zur welt- und stadtflüchtigen Floraphilie des drögen Hippiesumpfes). Seitdem sind die genannten sechs Filme aus der Filmgeschichte nicht mehr wegzudenken, während das Siegel "Mitternachtskino" zum allgemeinen Rubrum für abseitige, grelle, mit Schund- und Hochkultur gleichermaßen experimentierende Filmkonzeptionen geriet.

Diese Geschichte ist längst schöne Legende (mit allem, was eine solche ausmacht) und die beiden US-Kritiker Hoberman und Rosenbaum haben schon vor Zeiten ein ebenso schönes Buch darüber geschrieben, das in jede anständig sortierte Filmbibliothek gehört. Samuels' Film nun macht nichts anderes, als die prominentesten Protagonisten dieser Tage nochmals zwischen ausgesuchten Ausschnitten der genannten Filme zu Wort kommen zu lassen. Naturgemäß ergibt sich auf diese Weise lediglich ein schwärmerisches Sich-Selbst-Feiern, das auf wenigen punchlines beruht. Midnight Movies schneidet diese, immerhin gelungen, zusammen und bleibt ansonsten einfalls- und auch erkenntnislos.

Unbestritten ist, dass es eine Freude ist, den Haudegen dieser Tage beim Rakontieren zuzusehen; natürlich sind die Ausschnitte aus El Topo usw. großartig - weil die Filme es selbst ja schon sind. Klar kann man hier ins Schwärmen geraten und sich an eine Kinozeit (die man selbst ja nicht erlebt hat) 'erinnern', in der es noch möglich war, dass ein Film monatelang um Mitternacht lief und die Vorführungen zu dekadenten Parties gerieten. Hier triggert der Film, natürlich, die richtigen Buttons; nur ist dies eben auch die denkbar einfachste Übung, da die Anhängerschaft solcher Filme bis heute zur Romantik neigt (was ja auch, nebenbei gesagt, ihr gutes Recht ist).

Das heißt, lesefaule Menschen bekommen hier nochmals in ein paar wenigen Sätzen das verabreicht, was Rosenbaum/Hoberman dereinst in ein ganzes Buch gepackt haben - allerdings in Instantversion. Wieviel spannender wäre es gewesen, mal Leute zu sehen, die damals im Publikum dabei waren? Allenthalben wird davon gesprochen, dass nicht die Produktionsgesellschaft und auch nicht der Regisseur konzeptuell ein Midnight Movie dreht, sondern dass ein Film erst durch Publikumsaneignung zu einem solchen wird. Dass hier dennoch nur Regisseure und Kinoverleiher sprechen, scheint dabei keinem aufgefallen zu sein. Wo sind die Menschen von damals? Und wie konnte es geschehen, dass El Topo seinerzeit zwar mit einem hochhaushohen Werbebanner am Times Square beworben wurde - und heute nur einer Handvoll Menschen überhaupt noch ein Begriff ist? Auch die Eingangsthese - die Mitternachtsfilme hätten die Filmindustrie, das US-amerikanische Humorverständnis, usw. auf ewig geändert - wird gerademal in die letzten fünf Minuten gepackt und verpufft mangels Argumentation schon wieder beim laufenden Abspann.

Dies ist eben die Crux von Midnight Movies: Die Doku nimmt sich eines herausragenden Phänomens an - und verdoppelt nur einmal mehr alle Legenden und Anekdoten, die man ohnehin schon kennt. Als eigenständiger Film aber ist Midnight Movies selten einfallslos und allenfalls als schnelles TV-Feature zu gebrauchen; auch als DVD-Bonusmaterialien wären die Interviewsequenzen noch von Reiz. Was an diesen Film aber gefallen mag, hat er selbst nicht geleistet - und die wirklich interessanten Fragen fallen ihm erst gar nicht ein. Vollkommen unklar bleibt denn schließlich auch, was nun ausgerechnet Roger Ebert in dem Film zu suchen hat: Zwei-, dreimal sagt er einen Satz in die Kamera, und jedesmal hätte er das genauso gut auch sein lassen können.

Fazit? Mal wieder im Hoberman/Rosenbaum-Buch blättern und diesen Film hier schnell vergessen.

imdb ~ filmz.de ~ georg seeßlen


° ° °




kommentare dazu:



ae, Montag, 27. November 2006, 17:35
was ein zufall! ich habe den film gestern erst gesehen.

ich kannte das buch von hoberman & rosenbaum bislang nicht und selbst ohne irgendeine vorbildung (mir war noch nicht mal der begriff der "midnight movies" bekannt) kam mir der film eher vor wie ein trailer als eine wirklich ausgereifte doku. du hast recht, der film triggert - el topo, den ich nur von hier kannte, steht jetzt auf meiner liste. das wars dann aber auch schon. insgesamt wirkte mir das alles zu schnell runtergedreht. aber immerhin werde ich mir jetzt mal das buch ausleihen.


thgroh, Montag, 27. November 2006, 17:39
ich habe den gestern auch gesehen :-)

sehenswert sind selbstverständlich alle sechs filme und alle (außer "the harder they come", den ich erst vor wenigen monaten gesehen habe und auch eher nur "interessant", aber nicht "großartig" fand - was damit zusammenhängen mag, dass man mich mit reggae jagen kann ;-) ) haben ganz mächtigen anteil an meiner filmsozialisation gehabt. von daher seien auch pink flamingos, night of the living dead, rocky horror und, natürlich, eraserhead (!) ganz dringendst ans herz gelegt :) (wobei rocky horror eigentlich schon schlecht gealtert ist, wie ich letztens festgestellt habe).

bei der lektüre des buches viel vergnügen - neben dem interviewbuch von bogdanovich eines meiner liebsten filmbücher! (ääh, achso, Film as subversive art von amos vogel sei auch nicht vergessen - is eh klar)


orcival, Montag, 27. November 2006, 17:45
nun, auch ich möchte mich dem verdikt über den film durchaus anschliessen, das kommt halt raus wenn man weder "authetizität" (what ever that may be) noch analytizität zu bieten hat...
und h&r lesen ist nie ein fehler, sondern immer ein vergnuegen wie mir erst letztens beim abschweifen meines eigentlichen lesevorhabens vor augen geführt wurde.
nur ein kleiner widerspruch: die art wie "the harder..." django-zitate gebraucht, um bilder zu einer politstory zu finden, finde ich denn doch in hohem masse spannend. aber mit reggae jagen kann man mich auch... und pink flamingos, hach, warum gibts eigentlich nicht mal bald ne waters-retro. ist doch dunkel draussen und man kann sich tagelang im kino verbarrikadieren...


ae, Montag, 27. November 2006, 18:21
die anderen filme kenne ich alle. eraserhead würde auch in meinen top10 auftauchen (vorausgesetzt man zwänge mich mit vorgehaltener knarre, eine solche liste aufzuschreiben).

rocky horror konnte ich mir aber noch nie ohne magenschmwerzen anschauen. too much of everything, geht gar nicht.

amos vogels buch habe ich auch sehr genossen und stöbere auch jetzt immer mal wieder gerne drin rum. der verlag hatte das buch übrigens auch mal als html-fassung online gestellt.


thgroh, Montag, 27. November 2006, 18:26
aah, alles klar - das las sich voreiligerweise für einen moment so etwas "unkundig" ("das wars dann aber auch schon. insgesamt wirkte mir das alles zu schnell runtergedreht." - hatte ich jetzt auf die anderen filme, die in dem film genannt werden, gemünzt), deshalb obige onkelei :-D

na dann ist ja prima!

rocky horror war für mich so um 13/14 herum ein ziemlich wichtiger film. andererseits hatten damals auch schamhaare ereignisartigen charakter, von daher..


sma, Dienstag, 28. November 2006, 01:22
cool, den habe ich mir auch angesehen, so vor zwei wochen etwa, und für ganz okay, wenn auch, wie gesagt, wenig lehrreich befunden, da er sich eher um die schaffung eines mythos denn um dessen analyse oder gar dekonstruktion bemüht. von den filmen kenne ich, wie ich zu meiner schande gestehen muss, noch keinen einzigen, habe mir jedoch vorgenommen, nachdem ich mir in den nächsten tagen endlich mal zombies the devils rejects reinziehen werde, möglichst bald pink flamingos und natürlich auch el topo zu sehen. gerade die im film gezeigten bilder von letzterem wirkten extrem gut.


4lom, Mittwoch, 29. November 2006, 13:44
DVD
Die Dokumentation erscheint übrigens am 7. Dezember 2006 bei EuroVideo als "3-DVD Deluxe Edition":

- Interview-Outtakes
- Audiokommentar Regie
- e-copy des gleichnamigen Buches von S. Samuels
- Fotogalerie
- Memorabilia
- Filme (OF) :
---> "Night of the living Dead"
---> "Reefer Madness"
---> "Asparagus"

http://www.eurovideo.de/film_detail.php?film=1038&neu=2



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