Killer of Sheep entstand in den frühen 70er Jahren, als New Hollywood bereits munter dabei war, der New Mainstream zu werden, und Afro-Amerikaner auf der Leinwand vor allem im Rahmen von Blaxploitation-Filmen zu sehen waren, einem sehr ambivalenten Zusammenhang von Filmen, der einerseits zwar überhaupt erst einmal von Afro-Amerikanern handeln, andererseits aber vor allem auf Klischees zurückgreifen oder aber solche zum Ausgangspunkt nehmen und sie somit auch häufig wieder zementieren. Dass Klischees dabei auch gebrochen wurden, steht außer Frage - auf der anderen Seite aber stellen diese in dieser Umgebung dennoch einen primären Bezugspunkt dar.
Dieser Hintergrund ist wichtig, wenn man Killer of Sheep sieht. Gedreht hat ihn Charles Burnett als Abschluss seiner Ausbildung auf der UCLA, 1981 hat ihn das Forum erstmals gezeigt, nun ist er in restaurierter (und auf 35mm hochgezogener) Kopie zu sehen. Der Verleih wurde bislang auf Grund ungeklärter Musiktitelrechte stark erschwert.
Jedenfalls, Killer of Sheep ist in einer überschaubaren neighborhood in South Central/Los Angeles angesiedelt, eine bereits in den 70ern vor allem von Afro-Amerikanern bewohnte Gegend. Im Mittelpunkt steht Stan, Familienvater und eine Spur zu verträumter Idealist. Er arbeitet im Schlachthof, daher der Titel des Films. Die Kinder spielen ringsum nahe den Gleisen, die Tochter wagt ihre ersten Schritte in den Garten und auf den Gehweg. In der Ehe klappt es nicht mehr ganz so gut. Ein paar Gangster sprechen Stan an, ob sie bei ihm ihre Waffen lagern könnten, natürlich bleibt er standhaft. Das Leben fließt, die Kamera ist dabei.
Mit dem heutigen South Central, betont Charles Burnett im anschließenden Q&A, hat die im Film gezeigte community nichts mehr zu tun. Dennoch ist auch das heutige Bild von South Central durch die Nachrichten verzerrt, führt er fort. Natürlich gibt es Gangs, Gewalt und Armut, natürlich hat das Viertel in den letzten 30 Jahren einen starken Niedergang erlebt, doch auch dort gibt es noch immer Menschen, die ihrem Broterwerb nachgehen und mit Gewalt nichts am Hut haben. Es gibt einen Alltag dort, unterstreicht er, und er findet jenseits von Gewalt und Drogen statt.
Killer of Sheep ist nicht nur auf Grund seiner nahezu mangelnden Dramaturgie - auch der, sagt Burnett, hat kein richtiges Ende, alles ergibt zusammen das nächste und so geht es immer weiter - als Angriff auf Hollywood zu verstehen; seine Bilder sind deutlich als Gegenbilder zu erkennen. Zu sehen ist im wesentlichen: Alltag. In einer Gegend, die nicht die Beste ist. Die Kinder beim Spielen, am Abend die Küche. Arbeitsleben. Der Versuch, ehelicher Romantik am Abend. Ein Motor wird erworben. Einige Gangster lungern auf der Straße herum.
Aber Killer of Sheep ist weder Dokumentation, noch Pendant zum shomingeki, dem japanischen, oft beschaulichen Alltagsfilm. Burnetts Bilder zeichnen sich durch einen sanften Hang zur Stilisierung aus. Auch wenn man das über weite Strecken kaum glauben mag: "The movie was storyboarded" sagt er nach der Vorführung. Doch vielen anderen Bildern nimmt man das ab: Gesichter, die sich im close-up vor der Kamera drehen, Perspektiven, die konzentriert /dieses/ Geschehen einfangen und kein anderes. Dass der Film komplett gescriptet gewesen sein soll, fällt zu glauben hingegen schwerer aus: Die Dialoge und Darsteller - viele davon Laien - sind in einer Weise naturalistisch, dass man eher an Improvisationskino denkt.
Deutlich zu spüren ist eine Latenz der Gefahr, gerade so, als deute sich das spätere South Central und die Gang-Gewalt der 80er Jahre bereits an. Wenn die Jungen bei den Gleisen spielen, beschmeißen sie einander mit nicht eben kleinen Steinen; zum haarsträubenden Drahtseilakt gerät der Transport eines offenkundig schwergewichtigen Motorblocks, der rückwärts über Treppen - Stans Schuhe sind nicht gut geschnürt, sehen wir - erfolgt. Der Motor wird auf einen Pick-Up gewuchtet, der rückwärts am Hügelhang steht. Der Wagen setzt sich in Bewegung, die Kamera liegt dazu frontal am Boden, einige Meter vom Wagen entfernt - hügelabwärts. Da geschieht es und der Motorblock kippt nach hinten weg, geradewegs auf die Kamera zu und nur um Haaresbreite an ihr vorbei. Irgendetwas muss er aber getroffen haben, das Bild wird ordentlich durchgerüttelt. Eines der ersten Bilder aber ist auch eines der eindrücklichsten (motivisch wird es gelegentlich wiederholt): Im close-up-Anschnitt sieht man ein Brett, hinter dem sich jemand verbirgt. Hektisch lugt er immer wieder an der Seite hervor und wird offenbar beworfen. Die Einstellung dauert lange - sie soll sich offensichtlich einbrennen - und etabliert eine latente Bedrohung; erst der Umschnitt zeigt, dass es sich um ein Spiel handelt (bei dem einer verletzt zu Boden geht). An einer anderen Stellen fahren die Kinder mit Skateboards und Fahrrädern auf die Straße, und nur knapp am Auto vorbei (man wartet aber, dass in letzter Sekunde noch ein Kind hervorprescht). Zum Ende fallen ein paar Kids beim Fahrradfahren um - doch der entgegenkommende Wagen kann noch abbremsen. Die Welt von Killer of Sheep steckt voller Gefahren - an einer Stelle heißt es, Tiere haben Zähne und der Mensch eben Fäuste. Inmitten tummeln sich die Kinder - um die es auffallend häufig geht - als Erben dieser Welt. Eine Schwangerschaft wird im Laufe des Films ebenfalls verkündet.
In der (dieses Jahr sehr persönlich abgefassten) Broschüre des Forums wird Killer of Sheep als "ungesehenes Meisterwerk der amerikanischen Filmgeschichte" bezeichnet - und dies völlig zu Recht. Weit abseits von New Hollywood ist Killer of Sheep ein Autorenfilm par excellence und auf eine Weise (bild-)politisch, die über inhaltistisches Sloganeering weit hinaus geht. Einer jener Filme, in denen fast jeder Moment ein kleines Glück birgt, schon alleine weil hier - weit abseits von ausstellender Geste - etwas zu sehen ist, was ansonsten nicht zu sehen wäre.
Das schönste Bild in ihm: Ein beengter Blick in ein Zimmer, links und rechts stark beschnitten. Am Boden sitzt die kleine Tochter vor einem Plattenspieler. Eine LP spielt Soul der 70er Jahre. Das Mädchen spielt mit einer Puppe.
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