Freitag, 21. Januar 2005
Anfang Januar, UFA Kosmos; Inhalt.

Heist Movies haben ein grundsätzliches Problem, aus dessen Lösung sie primär ihren Reiz beziehen: Sie müssen schlauer als der Zuschauer sein. So wie die Gangster und Halunken in ihnen schlauer sein müssen als Alarmanlagen, gegnerische Teams, die Wächter der bürgerlichen Ordnung. Der Film und seine Stars sind Komplizen: Beide müssen sie tricksen. Die einen, um ans Geld zu kommen. Der andere, um an den Zuschauer zu kommen. Wer in ein Heist Movie geht, der will betrogen werden. Aber er will auch auf seine Kosten kommen. Der hingenommene Betrug ist nur solange von Genuss, wie er auch teuer erworben war. Heist Movies, die sich darum drücken, haben keine Chance, trotz allen guten Willens.

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Mit Ocean's Eleven hat Steven Soderbergh vielleicht den heist movie to end all heist movies gedreht. Noch durchgeknallter, hinterlistiger, spektakulärer, glamouröser, cooler ging nicht. Zumindest nicht, solange der Rahmen des Bildes außer Acht gelassen, nur als Gegebenheit, nicht aber als Möglichkeit betrachtet wird. "Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg."

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Also ist in Ocean's Twelve: Alles anders. Europa. Das alte Europa. Eine sich in diesem verirrende, irrlichternde Kamera, der jedwede Gelassenheit abhanden gekommen ist. Die Helden von einst sind satt geworden. Eher Depression, denn der leichte Zungenschlag des Anything Goes bestimmt diese Bilder. Nur wenig gelingt wirklich, die Müdigkeit spricht aus diesen Gesichtern. Und auch Julia Roberts sieht nicht mehr so aus wie sie selbst.

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Full Frontal war der letzte Film von Steven Soderbergh, der in den hiesigen Kinos lief. Es war ein Film um Rahmen und Rahmungen, um Schachteln und Materialästhetiken. Ein Film, in dem die Position der Kamera einen Ort als Inneres eines Flugzeugs oder als Inneres eines Studios (mit einem Modell des Innern eines Flugzeugs darin) charakterisierte. Ein Film, der seine Ebenen ständig überlappen ließ und so seinen Inhalt offen ließ. Vielleicht hat er nie geendet, dies wäre eine Möglichkeit. In Ocean's Twelve findet er seinen Niederschlag, ist ungemein präsent. Als wären beide Filme miteinander verwoben (und sie sind es auch, letzten Endes, im Kopf ihres Regisseurs).

(ich muss an dieser Stelle zugeben, dass mir Full Frontal nicht gefallen hat.)

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In Ocean's Twelve gibt es ein Vor- und ein Hinter-dem-Bild. Der Film erzählt sich maßgeblich auf zweiter Ebene. Und das Vordere ist eine Welt, in der der Film nicht diegetischer Raum, sondern ganz sabotierbares Material, eben Film, ist. In The Limey konnte man diesem ungemein am Physischen des Films und dessen Organisation interessierten Ansatz Soderberghs bei der Arbeit zusehen. Über Full Frontal kehrt er zurück, auch wenn das erst vom Ende her betrachtet erkenntlich wird.

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Und andererseits ist Ocean's Twelve aber auch gar nicht Film im quasi-zweidimensionalen Sinne des Filmstreifens. Er erzählt von einer Welt, in der von der Postmoderne selbst schon wieder in Filmen erzählt werden kann, als wäre sie eine in jeder Hinsicht kontingente Pille, die man einwerfen und schlucken kann. "Erinnerst Du Dich an die Szene in Miller's Crossing...?", heißt es an einer Stelle. Ocean's Twelve spielt in einer Welt, die extra-diegetisch ist, und die die Möglichkeit besitzt, darin Ocean's Twelve zu inszenieren. Eine Welt, in der man sich selbst begegnen kann, eine Welt der konsequent doppelt gebrochenen Ironie.

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Ein Bild ist von besonderer Bedeutung: Es zeigt ein herannahendes Flugzeug im Landeanflug, aus Richtung der Landebahn geschossen. An sich ist das ein denkbar gewöhnlicher Bildinhalt. Das Besondere jedoch an diesem Bild: Die Kamera steht parallel zum Erdboden, das Bild steht im 90° Winkel zu seiner üblichen Ausrichtung. Doch das Flugzeug naht heran, die Kamera dreht sich mit und als das Flugzeug über die Kameraposition hinwegfliegt, blicken wir direkt nach oben, hin zu seinem Bauch. Das verschobene Bild hat sich durch eine simple Bewegung in eine normale Ansicht verwandelt, die man kennen kann. Doch das Flugzeug fliegt weiter, die Kamera rollt weiter und das Bild verschiebt sich wieder zurück in eine Verfremdung, die vom konzipierten Charakter des Bildes spricht. Was zunächst wie ein bloßes Kunststück eines formgewitzten Regisseurs anmutet, aber nicht wirklich etwas meinen muss, wird, allein über diese Bewegung, zum Schlüsselmoment, in dem sich die Methode des Films ablesen lässt: Nimm das übliche, verändere den Blickwinkel, ohne es selbst zu verändern, gebe dem Publikum das Vertraute zurück, wiege sie in Sicherheit, und lasse schließlich doch die Verschiebung Oberhand gewinnen.

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Ocean's Twelve ist eine Kakophonie des Scheiterns. Das ist neu für ein Heist Movie. Und doch ist alles alles andere als Scheitern. Der Film ist nicht in der Kadrage, wo wir ihn vermuten. Er steht woanders, jenseits dessen, von wo aus er uns lachend ansieht. Weil wir betrogen werden wollten, nicht betrogen zu werden glaubten und darüber erst der Betrug stattfand. Weil er den Rahmen beachtete, schlauer war als wir und eine paradoxe Logik seiner Selbst entwarf, in der hier wie dort zugleich sein kann.

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Ocean's Twelve ist ein ganz und gar unmöglicher Film. Süß ist es, dass er in den größten Sälen mit maximalem Erfolg hier lief. Dies ist nur ein weiterer Betrug.

imdb | angelaufen.de | filmz.de
filmtagebuch: steven soderbergh


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21 Filme werden im Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin um die Goldenen und Silbernen Bären konkurrieren. Vervollständigt wird das Programm durch fünf weitere Produktionen, die außer Konkurrenz im Berlinale Palast präsentiert werden. Fünf Spielfilmdebüts wurden für das diesjährige Wettbewerbsprogramm ausgewählt. Insgesamt werden 16 Weltpremieren gezeigt.

Zu den 11 bereits veröffentlichen Produktionen (siehe hier) kommen folgende 15 Filme hinzu:

Die amerikanische Produktion Sometimes in April konfrontiert mit dem Trauma des grausamen Bürgerkriegs in Ruanda. Raoul Pecks Film beginnt seine Untersuchung am gleichen Ort wie Hotel Rwanda von Terry George, geht dabei jedoch einen ganz anderen Weg. Sometimes in April zeigt in den Hauptrollen Oris Erhuero, Idris Elba und Debra Winger. Pecks Film läuft als Weltpremiere im Wettbewerb. Mit Régis Wargniers Eröffnungsfilm Man to Man und Mark Dornford-Mays U-Carmen eKhayelitsha stehen sie für ein anhaltendes Interesse an Afrika.

Heights (USA/Großbritannien), das Spielfilmdebüt des Regisseurs Chris Terrio, verbindet fünf Schicksale an einem Sommertag in New York zu einem schillernden Geflecht der Liebesirrungen und -wirrungen. Der Film läuft als europäische Premiere außer Konkurrenz im Wettbewerb. Glenn Close, Isabella Rossellini und Elizabeth Banks spielen die Hauptrollen.

Der italienische Regisseur Stefano Mordini schildert in seinem Spielfilmdebüt Provincia Meccanica, wie eine junge und unkonventionelle Familie an den gesellschaftlichen Normen zu zerbrechen droht. In dem Wettbewerbsbeitrag um die chaotischen und liebevollen Eltern sind Stefano Accorsi und Valentina Cervi zu sehen.

In der dänischen Produktion Anklaget (Accused) von Jacob Thuesen nimmt das Leben des Familienvaters Henrik (Troels Lyby) eine dramatische Wendung, als ihn seine Tochter Stine (Kirstine Rosenkrands Mikkelsen) eines schwerwiegenden Verbrechens bezichtigt. Auch Thuesen, bislang als Cutter und Dokumentarfilmer tätig, debütiert mit Anklaget als Spielfilmregisseur und präsentiert seinen Film im Berlinale-Wettbewerb als Weltpremiere.

Außer Konkurrenz läuft die Weltpremiere des Episodenfilms Tickets (Italien, Großbritannien) von Ermanno Olmi, Abbas Kiarostami und Ken Loach. Ihre miteinander verwobenen Geschichten um Liebe, Hingabe und Selbstaufopferung spielen sich alle in einem Zug nach Rom ab. In den drei Episoden ist u.a. Valeria Bruni-Tedeschi, Mitglied der Internationalen Jury der Berlinale 2004, zu sehen.

In Les Mots Bleu (Words in Blue) des französischen Regisseurs Alain Corneau versucht ein Lehrer, die Hintergründe der Kommunikationslosigkeit eines kleinen Mädchens aufzudecken. Sylvie Testud, Sergi Lopez, Camille Gauthier und Laurent Pétin spielen die Hauptrollen in dieser Familiengeschichte, die ebenfalls auf der Berlinale ihre Weltpremiere erleben wird.

Ein junger Mann, der eine Existenz am Rande der Legalität führt, steht im Mittelpunkt von De Battre Mon Coeur s’est arrêté (The Beat That My Heart Skipped) des Franzosen Jacques Audiard, einer weiteren Weltpremiere im Wettbewerb. Das Bemühen, seinem Leben eine andere Richtung zu geben, führt den Protagonisten in eine Kette ungewöhnlicher Situationen. In den Hauptrollen sind Romain Duris, Emmanuelle Devos und Niels Arestrup zu sehen.

Die Weltpremiere der niederländisch-deutsch-französischen Koproduktion Paradise Now von Hany Abu-Assad erzählt von den letzten 48 Stunden im Leben zweier palästinensischer Selbstmordattentäter. Die Protagonisten dieses Dramas werden von Kais Nashif und Ali Hamade verkörpert.

Der russische Regisseur Aleksandr Sokurov präsentiert mit der Weltpremiere Solnze (The Sun, Russische Föderation, Italien, Frankreich) den dritten Teil einer Trilogie über die Psychologie der Macht. Im Zentrum der Handlung steht der japanische Kaiser Hirohito. Issey Ogatha, Kaori Momoi und Shiro Sano sind in den Hauptrollen zu sehen. Sokurov war zuletzt 1994 mit Tichie stranicy (Verborgene Seiten) im Berlinale-Wettbewerb vertreten.

Regisseur Tsai Ming-Liang, zuletzt 1997 mit He Liu (Der Fluss) im Wettbewerb der Berlinale, greift in der taiwanesisch-chinesisch-französischen Koproduktion Tian bian yi duo yun (The Wayward Cloud) erneut die Themen Entfremdung und Isolation auf. Bunte Musicalszenen werden mit expliziten Sexszenen kontrastiert. In dieser Weltpremiere spielen Schiang Chyi Chen, Kang Sheng Lee, Vincent Wang und Yi Ching Lu die Hauptrollen.

Kakushi Ken-Oni no Tsume (The Hidden Blade) des Japaners Yoji Yamada erzählt die Geschichte eines Samurai, der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Zeit gesellschaftlichen Umbruchs seinen Platz in der Welt sucht und dem dabei die Liebe zur Herausforderung wird. In den Hauptrollen sind Masatoshi Nagase, Takako Matsu, Hidetaka Yoshioka zu sehen. Vor zwei Jahren nahm Yoji Yamada bereits mit The Twilight Samurai (Samurai in der Dämmerung; meine Kritik hier) am Wettbewerb der Berlinale teil.

Der gefeierte amerikanische Video-Clip- und Kurzfilm-Regisseur Mike Mills präsentiert mit Thumbsucker (USA) sein Spielfilmdebüt. Der Film schildert die ebenso skurrile wie dramatische Odyssee eines jungen Teenagers in die Drogensucht. Die Hauptrollen spielen Lou Taylor-Pucci, Vincent D’Onofrio, Keanu Reeves und Tilda Swinton.

Vom Anzeigenleiter einer Sportillustrierten, der seinen Job an einen jungen Überflieger abtreten muss, erzählt Paul Weitz in In Good Company (USA). Dennis Quaid, Topher Grace und Scarlett Johansson spielen die Hauptrollen in dieser Geschichte um Konkurrenz, Karriere und Kontrollverlust, die im Berlinale-Wettbewerb als internationale Premiere zu sehen sein wird.

Außer Konkurrenz präsentiert Andy Tennant die romantische Komödie Hitch (USA). Hollywood-Star Will Smith spielt einen als "Date Doktor" berüchtigten New Yorker Heiratsvermittler, der mit der Gabe begnadet ist, die unscheinbarsten Männer mit den begehrtesten Frauen zu verkuppeln. In einer weiteren Hauptrolle dieser internationalen Premiere ist Eva Mendez zu erleben.

Den Abschluss des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs markiert die amerikanisch-deutsche Koproduktion Kinsey von Bill Condon (Gods and Monsters, 1998), die ebenfalls außer Konkurrenz gezeigt wird. Mit seiner 1948 erschienenen Untersuchung „Das sexuelle Verhalten des Mannes“ veränderte Alfred C. Kinsey die amerikanische Kultur und gilt seit dem als Begründer der wissenschaftlichen Sexuallehre. Liam Neeson und Laura Linney spielen die Hauptrollen in dieser Geschichte um das Leben des engagierten Forschers.


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Mit neun Beiträgen, darunter sechs Spielfilme und drei Dokumentarfilme, ist das Programm der diesjährigen Perspektive bestätigt.

Ein Dokumentarfilm der besonderen Art eröffnet die vierte Ausgabe der Berlinale-Reihe Perspektive Deutsches Kino. Dancing With Myself von Judith Keil und Antje Kruska – die bereits mit ihrem Film Der Glanz von Berlin (filmz.de) in der ersten Ausgabe der Perspektive Deutsches Kino vertreten waren – schildert die Leiden und Leidenschaften dreier Berliner, die erst beim Tanzen zu sich selbst finden. Dancing With Myself zeigt, wie das Genre des Dokumentarfilms seine eigenen Grenzen immer wieder neu definieren kann. „Der Film geht emotional und formal weit über das klassisch Dokumentarische hinaus. Er eröffnet einen neuen Blick auf unsere Wirklichkeit und steht damit für das gesamte Programm der Perspektive Deutsches Kino“, begründet Sektionsleiter Alfred Holighaus seine Auswahl.

Auch Weltverbesserungsmaßnahmen von Jörn Hintzer und Jakob Hüfner spielt – wenn auch auf ironische Weise – mit den Formen des Dokumentarischen. Präsentiert werden sieben skurrile wie auch einleuchtende Methoden und Erfindungen, die überflüssigen Schwierigkeiten des Alltags zu lösen. Euro-Scheine mit Verfallsdatum, die zur schnellen Investition und damit zum Ankurbeln der Konjunktur zwingen, sind nur ein Beispiel für die Maßnahmen zur Verbesserung unserer Welt.

Die Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte, zwischen Nacht und Tag, zwischen Sehnsucht und Verzweiflung, das ist die Welt, in der Katze im Sack von Florian Schwarz spielt. Die Figuren sind immer für Überraschungen gut, egal, ob sie diese selbst verursachen oder mit ihnen konfrontiert werden. Christoph Bach, Jule Böwe und Walter Kreye glänzen in diesem Film des Absolventen der Filmakademie Ludwigsburg.

Eine eigene Welt schafft sich die Hauptfigur in dem 30-minütigen Spielfilm-Debüt Happy End von dem jungen Hamburger Werbefilmer Sebastian Strasser. Matthias Schweighöfer spielt einen jungen Eigenbrötler, der sich das Leben aus Ziffern erklärt. Doch wo die Liebe hinfällt, zählen Zahlen nichts mehr. Eine Coming-of-Age-Geschichte, endlich mal nicht als Klamotte, sondern als echte romantische Komödie erzählt.

Neben der Perspektive Deutsches Kino hat der deutsche Film ein weiteres Forum gefunden. Am 11.Februar 2005, zu Beginn der Berlinale, wird mit filmportal.de die weltweit größte Internetplattform zum deutschen Film an den Start gehen. Filmografische und biografische Angaben zu 30.000 deutschen Filmen und rund 100.000 Personen, 7.000 Fotos, Kritiken, Inhaltsangaben, Interviews und Porträts sowie Themenschwerpunkte werden auf www.filmportal.de kostenlos abrufbar sein.


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