Sonntag, 6. März 2005
Kubricks verlorener Film, sein größter Flop, vielleicht seine schlimmste Niederlage. Ein Film den ich wieder einmal nur von einem alten, mit Drop-Outs übersähten Videoband kenne. Das Zeughaus Kino, sowieso ein Ort der eher an studentische Filmclubs erinnert, war bei diesem Screening hoffnungslos überfüllt. Ich hatte mir bereits im Vorfeld eine Karte gesichert und konnte mir deshalb nach der Shining Vorführung eine Pause gönnen um draußen entspannt eine zu schmauchen. Dachte ich. Als ich freudig mit dem Ticket wedelnd an den Unglücklichen ohne Karten vorbeitänzelte, wurde mir beschieden, dass mehr Karten verkauft wurden als der Laden Sitze hat. Ich würde stehen müssen, genau wie er selbst und eine handvoll anderer Looser, meinte der kleinwüchsige Abreißer. Auf die Wiedergabe des darauf folgenden Dialogs will ich verzichten. Ich saß, lag, fläzte die nächsten gut drei Stunden ganz vorne links und hatte dabei einen überraschend guten Blick auf die Leinwand. Nach jeder vollen Stunden holte ich mir einen Drink aus dem Automaten im Foyer, sozusagen als Wiedergutmachung für die erlittenen Qualen – und was soll ich sagen: es hat sich gelohnt.

Barry Lyndon ist ein Ungetüm von Film, der detailversessene Versuch eine vergangene Zeit wiederaufleben zu lassen, mit einem immensen Aufwand an Ausstattung, Kostüm und Lichtgestaltung. Legendär die speziell für den Film überarbeiteten NASA-Objektive, die das Drehen bei Kerzenlicht ohne Kunstlichtquelle ermöglichten. Ryan O´Neal spielt Redman Barry, einen irischen Opportunisten, der sich nach einer längeren Odyssee über Europas Schlachtfelder endlich in eine adelige Familie einheiratet um am Ende wieder alles zu verlieren.

Barry Lyndon wirkt wie ein Film der den Bildern keine Luft zum Atmen läßt. Gerade zu Beginn fand ich das schwer zu ertragen. Jede Einstellung ist bis zum Erbrechen durchkomponiert. Kubrick arbeitet mit Motiven, die man aus der religiös motivierten Malerei der entsprechenden Epoche verbindet. Ohne das nachgeprüft zu haben, war das zumindest mein Eindruck. Entscheidend ist die Wechselwirkung zwischen diesem klaustrophobischen Effekt und der inhaltlichen Thematik. Wie nähert man sich einer Zeit an, in der direkte Kommunikation praktisch unmöglich war, in der man sich einander lediglich über ritualisierte Abläufe begegnen konnte. Das verstehe ich und das mag auch seinen Reiz haben. Zum Beispiel in der Inszenierung der Schauspieler. Aber schon alleine um diesen Ansatz stärker herauszuarbeiten, hätte man doch das Konzept hier und da aufbrechen können, dem Zuschauer zuliebe, so wie wenn man nach einem Arbeitstag am Computer einen wenig Frischluft braucht. Dazu kommt der scharfe Humor Kubricks, der nichts und niemanden ausspart, meist treffsicher, manchmal jedoch zur Misanthropie neigend. Das alles soll nicht heißen, dass mir der Film nicht gefallen hätte, dass es nicht ganz vieles zu sagen gäbe, was ganz wunderbar gewesen ist.



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Meine Erinnerungen an „The Shining“ sind zwiespältig. Als 16-jähriger habe ich den Roman in meiner Stephen King-Phase verschlungen, ein paar Jahre später den Film auf Video gesehen. Ich weiß noch wie überrascht ich war, beinahe verstört vom quälend langsamen Rhythmus, der für das Horrorfilmgenre nicht unbedingt selbstverständlich ist. Von der distanzierten Haltung zur Hauptfigur des Romans, Jack Torrance, dem alkoholkranken Schriftsteller. Ich war enttäuscht und fühlte mich verraten.

Jetzt also das Wiedersehen im Kino, endlich auch in englischer Sprache. Und wieder ist mein Eindruck ein zwiespältiger. Zunächst, die Wirkung des Films verträgt sich so gar nicht mit meinen Erinnerungen. Die langen Plansequenzen, wenn der kleine Danny etwa auf seinem Dreirad durch die Gänge rollt, finde ich spannend, die Langeweile, die sich bei mir „damals“ einstellte, nicht mehr nachvollziehbar. Hauptfigur ist nicht Jack Torrance sondern das Hotel selbst, das Fortschreiten der Handlung folgt einer unbestechlichen Ökonomie, konsequent dabei die strukturierenden Zeitangaben auf Schwarzblende. Radikal und wegweisend ist der Umgang mit dem Genre. Allein die zweite Einstellung, wenn man Jacks VW-Käfer aus der Vogelperspektive beobachtet, wie er seinem Weg durch einen dichten Wald folgt, bis hin zum Hotel weit oben in den Bergen, das findet sich seitdem, so scheint es, in jedem dritten Horrorfilm. Das Bezug setzen, zwischen Innenwelt der Figuren zur Außenwelt, das bestimmt das Design vieler Szenen. Die Kamera ist zunächst ganz nah beim Hotelkoch wenn der Mann aus seinem Winterdomizil in Miami aufbricht um ins verschneite Colorado zu fliegen. Erst wenn sich der Blick allmählich öffnet, können wir die Figur einordnen. Genauso funktioniert das mit Dannys Begabung, Dinge zu sehen, die geschehen sind, vielleicht geschehen werden.

In der vielleicht stärksten Szene des Films, wenn Jack mit seiner Axt in Shelleys Zimmer eindringen will, begreift man das außergewöhnliche an Kubrick. Die Inszenierung betrachtet scheinbar emotionslos eine familiäre Tragödie. Wenn die Tür zu zerbersten droht, ist das wie eine Vergewaltigung, nicht nur in physischer Hinsicht. Das erschreckende daran ist die Methode mit der Kubrick offensichtlich gewillt war, den gewünschten Effekt zu erzielen, wie er seine Hauptdarstellerin monatelang attackiert hat, bis sie die tiefe Verunsicherung glaubhaft verkörpern konnte um die es letztlich geht. Schon ganz zu Beginn wird angedeutet, dass Jack seinen Sohn vor Jahren misshandelt. Der Zerfall der Familie steht für mich deshalb im Mittelpunkt dieser Arbeit, und von dieser Perspektive aus betrachtet erhalten viele Szenen eine komplett andere Aussagekraft. Ich habe „The Shining“ als ungeheuer brutal empfunden, weniger als Film denn als Vorgang, der einen Blick gestattet in menschliche Abgründe, ohne Empathie und Hoffnung. Ein Meisterwerk, dem ich mich nicht noch einmal aussetzen möchte.



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Thema: Hoerkino
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