Thema: Berlinale 2008
11. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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Der Yasukuni-Schrein in Tokio ist ein Politikum. Den Ansichten des Shinto zufolge dient er den zahlreichen Seelen der japanischen Soldaten, die in den zahlreichen Kriegen des Landes seit dem Erbau im Jahr 1869 gefallen sind, als spirituelle Heimstätte: Wer hier mit Name und biografischen Notizen präsent ist, weilt hier auch als Geist. Auch die Kriegsverbrecher aus den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem asiatischen Festland im 20. Jahrhundert sind hier mit Namen erfasst und genießen so den Rang von Kriegshelden. Einen diplomatischen Grenzfall stellt deshalb Jahr für Jahr die Würdigung der Toten durch Premierminister Kozumi dar; in Korea, China und anderen Ländern gilt diese, von japanischen Ultranationalisten und Revanchisten als Akt der vermeintlichen Emanzipation gefeierte Geste als geschmacklose Provokation. Alljährlich entfachen sich am Rande dieses Rituals Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Friedensbewegten.
Dass sich nun ausgerechnet ein Chinese des Themas in Form einer Dokumentation annimmt, ist schon deshalb bemerkenswert; zumal, da er dies, wiewohl deutlich auf Seiten der Friedensbewegung, im herausragend diplomatischen Tonfall angeht. Noch bei den größten Ausfällen von Revanchisten und Rechtsradikalen nimmt sich Li Ying zurück: Seine Kamera ist zwar ultra-nah am Geschehen – zuweilen bis an die Grenze des Erträglichen, wenn sie inmitten einer Handgreiflichkeit minutenlang nur wackelt und nichts mehr greifbar nachvollziehbar ist -, doch seine Einstellungen sind oft quälend lange, gerade so, als wäre jeder Schnitt ein Vergehen gegen den Kodex des demutsvollen Beobachters, als der sich Li Ying dem Thema nähert.
Li Ying zeigt einen Aufmarsch von Soldaten, einen kuriosen US-Amerikaner, der mit US-Flagge und Pappschild („Ich unterstütze Premierminister Kozumi“) für Irritationen, Beifallbekundungen und Beschimpfungen sorgt, Demonstrationen für und wider den Schrein (naturgemäß kommt es zu Rangeleien zwischen den Parteien), vergebliche Petitionen von Familienangehörigen taiwanesischer Hinterbliebener, die die Namen ihrer Gefallenen aus dem Schrein genommen wissen wollen, die dramatische Intervention eines linken Studenten während der feierlichen Zeremonie, selbstverständlich Kozumis Ehrerweisung und vieles weitere. Die Rolle eines Ruhepols nimmt ein alter Waffenschmied ein, der seit Jahren die im Schrein aufgebahrten Samuraischwerter herstellt. Immer wieder schneidet Li Ying zu diesem alten Handwerker - 90 Jahre ist er alt und der letzte seiner Gilde - zurück, beobachtet ihn bei der Anfertigung eines weiteren Schwertes und stellt ihm dabei, gelegentlich, Fragen, die vom Schmied - ob nun aus Naivität, Altersstarrsinn oder schlichter Unwissenheit - nicht, lachend oder unbekümmert beantwortet werden. Hier wie dort wahrt Li Ying Höflichkeit und Distanz; lieber lässt er die arglos eingefangenen Bilder, die Leute, kurz: das gesellschaftliche Phänomen "Yasukuni" selber sprechen.
Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, spannend, spannender als eine fiktionalisierte Aufarbeitung eines solchen Sujets mit ihren Zugeständnissen an Filmkonventionen und -dramaturgie je sein könnte. An die verwackelte, distanzlose Kamera gewöhnt man sich bald, in der vermeintlichen Amateurästhetik meint man zudem schnell eine Art Konzept zu erkennen: Nur in solcher Haltung gegenüber dem Pro-Filmischen wird die Gefahr, die militaristischen Zeremonien mit ihrem ausgestellten Erhabenheitspathos noch in der kritischen Beobachtung zu duplizieren, umgangen: Das Bild ist grob, der Sound verzerrt die Trompeten ins grotesk Übersteuerte – in Yasukuni findet sich kein einziger für Bellizisten, Nationalisten oder Militaristen verwertbarer Moment. Im Gegenteil, je mehr sich Revanchisten und Nationalisten in Rage reden, desto mehr schieben sie sich hier, trotz aller Ausgewogenheit des Films (in Form von footage darf etwa auch Kozumi seinen Standpunkt lange und unkommentiert erläutern), ins Abseits.
Allein etwas deplatziert und störend wirkt eine Sequenz gegen Ende des Films, die zu pathetisch-melancholischer Musik historische Aufnahmen aus der Geschichte Japans und des Yasukuni-Schreins zeigt und gegen Ende in die bekannten Atompilze von Hiroshima und Nagasaki mündet; zwar schließt Li Ying damit beispielsweise an Keji Nakazawas (lesenswerten) Manga-Klassiker Barfuß durch Hiroshima an, der implizit die Ansicht vertritt, die Atombomben seien eine logische Konsequenz aus der Militarismus- und Nationalismus-Besoffenheit der einsichtsunwilligen japanischen Gesellschaft; nur hat ein ansonsten schon so rundum überzeugender, gerade durch seine Sensibilität und Beobachtungsgabe brillierender Film ein solches Betroffenheitsspektakel eigentlich nicht nötig.
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Der Yasukuni-Schrein in Tokio ist ein Politikum. Den Ansichten des Shinto zufolge dient er den zahlreichen Seelen der japanischen Soldaten, die in den zahlreichen Kriegen des Landes seit dem Erbau im Jahr 1869 gefallen sind, als spirituelle Heimstätte: Wer hier mit Name und biografischen Notizen präsent ist, weilt hier auch als Geist. Auch die Kriegsverbrecher aus den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem asiatischen Festland im 20. Jahrhundert sind hier mit Namen erfasst und genießen so den Rang von Kriegshelden. Einen diplomatischen Grenzfall stellt deshalb Jahr für Jahr die Würdigung der Toten durch Premierminister Kozumi dar; in Korea, China und anderen Ländern gilt diese, von japanischen Ultranationalisten und Revanchisten als Akt der vermeintlichen Emanzipation gefeierte Geste als geschmacklose Provokation. Alljährlich entfachen sich am Rande dieses Rituals Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Friedensbewegten.
Dass sich nun ausgerechnet ein Chinese des Themas in Form einer Dokumentation annimmt, ist schon deshalb bemerkenswert; zumal, da er dies, wiewohl deutlich auf Seiten der Friedensbewegung, im herausragend diplomatischen Tonfall angeht. Noch bei den größten Ausfällen von Revanchisten und Rechtsradikalen nimmt sich Li Ying zurück: Seine Kamera ist zwar ultra-nah am Geschehen – zuweilen bis an die Grenze des Erträglichen, wenn sie inmitten einer Handgreiflichkeit minutenlang nur wackelt und nichts mehr greifbar nachvollziehbar ist -, doch seine Einstellungen sind oft quälend lange, gerade so, als wäre jeder Schnitt ein Vergehen gegen den Kodex des demutsvollen Beobachters, als der sich Li Ying dem Thema nähert.
Li Ying zeigt einen Aufmarsch von Soldaten, einen kuriosen US-Amerikaner, der mit US-Flagge und Pappschild („Ich unterstütze Premierminister Kozumi“) für Irritationen, Beifallbekundungen und Beschimpfungen sorgt, Demonstrationen für und wider den Schrein (naturgemäß kommt es zu Rangeleien zwischen den Parteien), vergebliche Petitionen von Familienangehörigen taiwanesischer Hinterbliebener, die die Namen ihrer Gefallenen aus dem Schrein genommen wissen wollen, die dramatische Intervention eines linken Studenten während der feierlichen Zeremonie, selbstverständlich Kozumis Ehrerweisung und vieles weitere. Die Rolle eines Ruhepols nimmt ein alter Waffenschmied ein, der seit Jahren die im Schrein aufgebahrten Samuraischwerter herstellt. Immer wieder schneidet Li Ying zu diesem alten Handwerker - 90 Jahre ist er alt und der letzte seiner Gilde - zurück, beobachtet ihn bei der Anfertigung eines weiteren Schwertes und stellt ihm dabei, gelegentlich, Fragen, die vom Schmied - ob nun aus Naivität, Altersstarrsinn oder schlichter Unwissenheit - nicht, lachend oder unbekümmert beantwortet werden. Hier wie dort wahrt Li Ying Höflichkeit und Distanz; lieber lässt er die arglos eingefangenen Bilder, die Leute, kurz: das gesellschaftliche Phänomen "Yasukuni" selber sprechen.
Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, spannend, spannender als eine fiktionalisierte Aufarbeitung eines solchen Sujets mit ihren Zugeständnissen an Filmkonventionen und -dramaturgie je sein könnte. An die verwackelte, distanzlose Kamera gewöhnt man sich bald, in der vermeintlichen Amateurästhetik meint man zudem schnell eine Art Konzept zu erkennen: Nur in solcher Haltung gegenüber dem Pro-Filmischen wird die Gefahr, die militaristischen Zeremonien mit ihrem ausgestellten Erhabenheitspathos noch in der kritischen Beobachtung zu duplizieren, umgangen: Das Bild ist grob, der Sound verzerrt die Trompeten ins grotesk Übersteuerte – in Yasukuni findet sich kein einziger für Bellizisten, Nationalisten oder Militaristen verwertbarer Moment. Im Gegenteil, je mehr sich Revanchisten und Nationalisten in Rage reden, desto mehr schieben sie sich hier, trotz aller Ausgewogenheit des Films (in Form von footage darf etwa auch Kozumi seinen Standpunkt lange und unkommentiert erläutern), ins Abseits.
Allein etwas deplatziert und störend wirkt eine Sequenz gegen Ende des Films, die zu pathetisch-melancholischer Musik historische Aufnahmen aus der Geschichte Japans und des Yasukuni-Schreins zeigt und gegen Ende in die bekannten Atompilze von Hiroshima und Nagasaki mündet; zwar schließt Li Ying damit beispielsweise an Keji Nakazawas (lesenswerten) Manga-Klassiker Barfuß durch Hiroshima an, der implizit die Ansicht vertritt, die Atombomben seien eine logische Konsequenz aus der Militarismus- und Nationalismus-Besoffenheit der einsichtsunwilligen japanischen Gesellschaft; nur hat ein ansonsten schon so rundum überzeugender, gerade durch seine Sensibilität und Beobachtungsgabe brillierender Film ein solches Betroffenheitsspektakel eigentlich nicht nötig.
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