Thema: Berlinale 2008
11. Februar 08 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
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Als Klaus Kinski am 20. November 1971 die Berliner Deutschlandhalle mit seinem Programm „Jesus Christus Erlöser“ betritt, kommt es zum Eklat. Zwar war bereits die gesamte vorangegangene Tour nicht unter dem besten Stern gestanden; doch Zwischenrufe, Pöbeleien, Provokationen, diskutierfreudige Zuschauer sowie Kinskis Wutausbrüche und andauernden Performance-Abbrüche gestalten den Abend zum Parforce-Ritt, der bis heute als Legende („Nein, er hat eine Peitsche genommen...“) kolportiert ist.
Das Wissen um den Abend war bislang fragmentarisch; einige Filmaufnahmen – zumeist die zugespitztesten Momente – gab es hie und da im Fernsehen und in Werner Herzogs später Doku-Auseinandersetzung mit Kinski, Mein liebster Feind, zu sehen. Eine Doppel-CD mit Aufnahmen der Tour verschwand kurz nach Erscheinen wieder aus den Regalen auf Grund einer unklaren Rechtesituation, ist aber seit kurzem wieder erhältlich. Erst jüngst veröffentlichte der Publizist Peter Geyer ein um frühe Gedichte Kinskis ergänztes Transskript des seinerzeit frei rezitierten Textes von „Jesus Christus Erlöser“ im Suhrkamp Verlag, wo Geyer auch eine etwas nüchtern geratene Biografie des Künstlers vorlegte.
Der Film Jesus Christus Erlöser versammelt nun ebenfalls von Geyer zusammengestelltes Archivmaterial aus den Beständen des Kinski-Nachlasses und unternimmt dabei den Versuch, die einst so gescheiterte, von Kinski mit glühendem Herzen konzipierte Performance zumindest im Film noch zu retten; zugleich gibt er Einblick in den wirklichen Verlauf des Abends abseits jener wohlbekannten Momente. Gelegentlich eingefügte Texttafeln aus Kinskis Autobiografien, in denen er Jahre später über den Abend reflektiert, kontextualisieren das Gezeigte, wie sie den Film auch eindeutig auf einer Seite positionieren, auf der Kinskis als missverstandenen Künstler.
Wer den Text zu „Jesus Christus Erlöser“ kennt, bekommt inhaltlich wenig Neues zu hören; spannend wird der Film aber nicht nur als weiteres Dokument des herausragenden Rezitations- und Vortragstalent Kinskis, sondern auch Möglichkeit zum Nachvollzug, warum jener Abend vielleicht auf diese Weise enden musste. Die Kamera ist immer dicht bei Kinski, Nahaufnahmen seines voll in den Vortrag aufgehenden Gesichts dominieren über weite Strecken. Im groben Korn des 16mm-Materials werden Tränen in den Augenwinkeln des Künstlers sichtbar, stumme Zeugen der vermutlich nicht nur ausgestellten Ergriffenheit des für seine Emphase bekannten Kinskis. Doch gelegentlich schneidet der Film um, auf das Material der in der Halle stehenden Kameras, die offenbart, was das Publikum in der geräumigen Halle gesehen haben muss: Einen von einer einzelnen Lichtquelle bestrahlten, weit entfernt stehenden Mann am Mikrofon, ein kleiner, bläulich leuchtender Strich inmitten eines großen, schwarzen Filmbildes. Literaturhäuser und übliche Vortragslokalitäten mögen solcher Kargheit einen funktionalen Rahmen bieten; in der Weite der Deutschlandhalle wirkt das Konzept verloren, reizarm. Kein Wunder, das aus solcher Perspektive – wohlweislich setzt Geyer sie nur pointiert und selten in seinem Film ein - , jede Kunstpause Kinskis wirken musste wie die Verlegenheit eines vergessenen Textes, ein Vorwurf, der immer wieder aus dem dunklem Saal lautstark zu hören ist.
Die Tumulte und gegenseitigen Beschimpfungen nehmen zu; ein Höhepunkt entsteht, als Kinski einen jungen Mann, der auf sein Recht auf das Mikrofon insistiert, mit lakonischer Miene vom Schutzpersonal wegführen lässt. "Kinski ist - ein Faschist", ruft es im Sprechchor aus dem Saal. Der Abend endet, vorerst, mit Ansprachen des Hausherrns, der den Gebrauch seines Hausrechts androht, Polizei ist anwesend, ein hektisch gestikulierender Kinski debattiert in Augenhöhe mit Leuten aus dem Publikum.
Abspann – doch halt: Nach dem Abspann folgt ein weiteres Segment. Stunden später, etwa 100 Leute entsprachen Kinskis steten Aufforderungen, dass jene, die die Performance interessiert zu warten hätten, bis „das Gesindel“ die Halle verlassen hätte, geduldig vor der Bühne. Kinski tritt in den Kreis, verzichtet auf sein Mikro und hebt aufs Neue – und man weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Male an diesem Abend – mit den Worten „Gesucht wird Jesus Christus“ an. Nach mehreren Versuchen gelingt es schließlich doch, den Abend, gegen zwei Uhr nachts, zu seinem Ende zu bringen, in direkter Tuchfühlung mit dem kümmerlich verbliebenen Teil des Publikums auf gleicher Höhe. Kinski, scheint es, ist am Ende. Im Endeffekt endet seine Karriere als Vortragskünstler in diesem Moment.
Jesus Christus Erlöser ist ein spannend nachzuvollziehendes, von Widersprüchen gewiss nicht freies Filmdokument, ein wertvolles Puzzlestück in der steten Aufarbeitung von Leben und Werk dieses Ausnahmekünstlers.
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Als Klaus Kinski am 20. November 1971 die Berliner Deutschlandhalle mit seinem Programm „Jesus Christus Erlöser“ betritt, kommt es zum Eklat. Zwar war bereits die gesamte vorangegangene Tour nicht unter dem besten Stern gestanden; doch Zwischenrufe, Pöbeleien, Provokationen, diskutierfreudige Zuschauer sowie Kinskis Wutausbrüche und andauernden Performance-Abbrüche gestalten den Abend zum Parforce-Ritt, der bis heute als Legende („Nein, er hat eine Peitsche genommen...“) kolportiert ist.
Das Wissen um den Abend war bislang fragmentarisch; einige Filmaufnahmen – zumeist die zugespitztesten Momente – gab es hie und da im Fernsehen und in Werner Herzogs später Doku-Auseinandersetzung mit Kinski, Mein liebster Feind, zu sehen. Eine Doppel-CD mit Aufnahmen der Tour verschwand kurz nach Erscheinen wieder aus den Regalen auf Grund einer unklaren Rechtesituation, ist aber seit kurzem wieder erhältlich. Erst jüngst veröffentlichte der Publizist Peter Geyer ein um frühe Gedichte Kinskis ergänztes Transskript des seinerzeit frei rezitierten Textes von „Jesus Christus Erlöser“ im Suhrkamp Verlag, wo Geyer auch eine etwas nüchtern geratene Biografie des Künstlers vorlegte.
Der Film Jesus Christus Erlöser versammelt nun ebenfalls von Geyer zusammengestelltes Archivmaterial aus den Beständen des Kinski-Nachlasses und unternimmt dabei den Versuch, die einst so gescheiterte, von Kinski mit glühendem Herzen konzipierte Performance zumindest im Film noch zu retten; zugleich gibt er Einblick in den wirklichen Verlauf des Abends abseits jener wohlbekannten Momente. Gelegentlich eingefügte Texttafeln aus Kinskis Autobiografien, in denen er Jahre später über den Abend reflektiert, kontextualisieren das Gezeigte, wie sie den Film auch eindeutig auf einer Seite positionieren, auf der Kinskis als missverstandenen Künstler.
Wer den Text zu „Jesus Christus Erlöser“ kennt, bekommt inhaltlich wenig Neues zu hören; spannend wird der Film aber nicht nur als weiteres Dokument des herausragenden Rezitations- und Vortragstalent Kinskis, sondern auch Möglichkeit zum Nachvollzug, warum jener Abend vielleicht auf diese Weise enden musste. Die Kamera ist immer dicht bei Kinski, Nahaufnahmen seines voll in den Vortrag aufgehenden Gesichts dominieren über weite Strecken. Im groben Korn des 16mm-Materials werden Tränen in den Augenwinkeln des Künstlers sichtbar, stumme Zeugen der vermutlich nicht nur ausgestellten Ergriffenheit des für seine Emphase bekannten Kinskis. Doch gelegentlich schneidet der Film um, auf das Material der in der Halle stehenden Kameras, die offenbart, was das Publikum in der geräumigen Halle gesehen haben muss: Einen von einer einzelnen Lichtquelle bestrahlten, weit entfernt stehenden Mann am Mikrofon, ein kleiner, bläulich leuchtender Strich inmitten eines großen, schwarzen Filmbildes. Literaturhäuser und übliche Vortragslokalitäten mögen solcher Kargheit einen funktionalen Rahmen bieten; in der Weite der Deutschlandhalle wirkt das Konzept verloren, reizarm. Kein Wunder, das aus solcher Perspektive – wohlweislich setzt Geyer sie nur pointiert und selten in seinem Film ein - , jede Kunstpause Kinskis wirken musste wie die Verlegenheit eines vergessenen Textes, ein Vorwurf, der immer wieder aus dem dunklem Saal lautstark zu hören ist.
Die Tumulte und gegenseitigen Beschimpfungen nehmen zu; ein Höhepunkt entsteht, als Kinski einen jungen Mann, der auf sein Recht auf das Mikrofon insistiert, mit lakonischer Miene vom Schutzpersonal wegführen lässt. "Kinski ist - ein Faschist", ruft es im Sprechchor aus dem Saal. Der Abend endet, vorerst, mit Ansprachen des Hausherrns, der den Gebrauch seines Hausrechts androht, Polizei ist anwesend, ein hektisch gestikulierender Kinski debattiert in Augenhöhe mit Leuten aus dem Publikum.
Abspann – doch halt: Nach dem Abspann folgt ein weiteres Segment. Stunden später, etwa 100 Leute entsprachen Kinskis steten Aufforderungen, dass jene, die die Performance interessiert zu warten hätten, bis „das Gesindel“ die Halle verlassen hätte, geduldig vor der Bühne. Kinski tritt in den Kreis, verzichtet auf sein Mikro und hebt aufs Neue – und man weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Male an diesem Abend – mit den Worten „Gesucht wird Jesus Christus“ an. Nach mehreren Versuchen gelingt es schließlich doch, den Abend, gegen zwei Uhr nachts, zu seinem Ende zu bringen, in direkter Tuchfühlung mit dem kümmerlich verbliebenen Teil des Publikums auf gleicher Höhe. Kinski, scheint es, ist am Ende. Im Endeffekt endet seine Karriere als Vortragskünstler in diesem Moment.
Jesus Christus Erlöser ist ein spannend nachzuvollziehendes, von Widersprüchen gewiss nicht freies Filmdokument, ein wertvolles Puzzlestück in der steten Aufarbeitung von Leben und Werk dieses Ausnahmekünstlers.
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