29.10.2003, Heimkino

Einer von jenen Filmen, über die man sich im Nachhinein schier endlos aufregen könnte. Nicht etwa, weil er einfach nur nicht sehenswert gewesen wäre, nein. Solche Filme sind schneller vergessen als angesehen, als für hedonistische Zwecke gleich welcher Art unbrauchbar im Archiv der Erinnerung abgebucht und gut. Nein, Dardevil ist da viel schlimmer: Er ist einer jener Filme, die mit denkbar besten Voraussetzungen ans Werk gingen, nur um eigentlich so recht alles zu versieben.

So ist die Figur und ihr Konflikt eine überaus reizvolle (und mir als relativem Comic-Ignoranten auch bis dato kaum bekannt gewesen): In ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Hinterhof-Boxers in New York aufgewachsen, erblindet der junge, von seinen Mitschülern gegängelte Matt Murdock in Folge einer Verätzung seiner Augen durch eine toxische Substanz. Eine tragische Verquickung unglücklicher Ereignisse führten dazu: Als er seinen Vater, der ihm trotz aller finanzieller Widrigkeiten Held und Idol ist, in einer Nebengasse als Straßendieb erkennt, rennt er wie hysterisch druch die Straßen und verursacht einen Beinahe-Unfall mit einem Giftmülltransporter, nicht ohne noch einen Strahl des Gifts mitten ins Gesicht abzubekommen. In Folge entwickelt der Kleine in Kompensation ein unheimlich scharfes Gehör, das es ihm, einer Fledermaus ähnlich, ermöglicht, anhand noch feinster Echos vor dem geistigen Auge ein Abbild seiner Umgebung zu konstruieren. Als sein Vater schließlich von einem Haufen Gangster ermordet wird, schwört der Junge, selbst oft Opfer von Gewaltübergriffen gewesen, Rache im Namen all derjeniger zu nehmen, denen sonst keiner zu Hilfe kommt. Wo andere Saubermann-Superhelden vor allem an der Übergabe einschlägiger Delinquenten an die zuständigen Behörden interessiert sind, ist Daredevils Projekt weit archaischer, vormoderner: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Vor allem dann, wenn die Institutionen der Justiz zur Rechtsprechung nicht mehr fähig scheinen. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Im Blutrausch sieht sich Daredevil bald selbst in die Position der Mörder seines Vaters versetzt, als er vor den Augen des Sohns einen Vater richtet. Ist er einer von den Guten? Einer von den Bösen? Ein innerer Konflikt schwillt an, die Stadt indes ist, einer spekulativen Berichterstattung über den geheimnisvollen Vollstrecker ist's geschuldet, versessen darauf, die Identität hinter der Maske zu lüften.

Ohne weiteres wäre das ein Stoff, der, ästhetisch entsprechend aufbereitet, das Zeug zum würdigen Erbe des ersten Batman-Films von Tim Burton hätte. Doch dafür hätte es vielleicht etwas weniger Kalkül, etwas mehr Vision gebraucht. Dass erste Teile von Superhelden-Serials gerne etwas behäbig sind, weil man die traumatische Biografie des Charakters als Weichenstellung für das folgende darlegen muss, ist soweit bekanntes Handicap und somit ist die im Vergleich zur Filmlänge beinahe ungelenk lang ausgefallene Exposition auch schnell verziehen. Dass der innere Konflikt nur in den Raum gestellt wird, niemals aber fesselnd umgesetzt wurde, ist schon weit weniger hinnehmbar. Immer dann, wenn es nötig wäre, den eigentlich Antihelden noir zu zeichnen, lässt er ihn, wie eine abgepackte Kampfwurst eng eingeschnürt, zu NuRock-Klängen rumhopsen und rumprügeln. Wo es nötig wäre, verbittert und zynisch zu sein, wird man, selbst für Comic-Verhältnisse, unangenehm unrealistisch und bisweilen unfreiwillig komisch. Da hilft es auch nichts, dass man zwar in der Tat so bemerkensweit weit geht, das "Mädchen des Heldens" im Kampf mit dem eher nervigen und affektieren denn sardonisch-bösartigen Gegenspieler zu opfern, wenn dies auf der anderen Seite dadurch geschieht, dass Daredevil, verletzt darliegend, das Unglück nicht verhindern kann, nur um aber im nächsten Moment wieder, wie nach drei Dosen Red Bull, vital durch's Kirchturmgebälk zu springen, um den Tod der Geliebten zu rächen.

So geht es in einer Tour. Das Potential der Vorlage wird als solches offenbar noch nicht mal wahrgenommen, zumindest aber zugunsten zweifelhafter Absichten fahrlässig verschenkt. Statt verzweifelt und mehr oder weniger kläglich zu versuchen, auf den seinerzeit durch Matrix (USA 1999) losgetretenen NuRock-Cyber-Martial-Arts-Trend aufzuspringen, hätte man echten Pathos, echte Epik wagen müssen. So aber warf man sich selbst nur allzu willfährig dem freien Markt zum Fraß vor, flüchtete sich in die Profillosigkeit von vorne bis hinten durchkalkulierter Kulturindustriemanierismen. Und diese führen in diesme Falle noch nicht mal mehr zu charmantem Trash, wie das zum Beispiel Armageddon (USA 1997) gewesen ist.

Bitte kein Sequel, sondern umgehend ein Remake. Und zwar eins mit Eiern bitteschön, damit diese Gülle hier umgehend aus dem Gedächtnis streichbar ist.

imdb | mrqe | rottentomatoes | angelaufen.de


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