16.05.2003, Filmtheater am Friedrichshain

Der Schmerz, dass ein flüchtiger Moment größten Glücks nicht wiederholbar ist. Einen liebgewonnenen Menschen zu umarmen, etwa. Die melancholische Sehnsucht, kurz vor der biografischen Katastrophe, danach, dass jene Momente andauern, ewig im Fluß der Zeit einfrieren, immer und immer wieder durchlebt werden könnten. Das Gefüge, das sich Realität nennt, ist zu grausam, um diesen existenziellen Wunsch wahr werden zu lassen, die Montage dieses Films ist etwas gnädiger: im jump-cut sehen wir solche Momente hier und da perspektivisch leicht verschoben doppelt. Daraus spricht die unglaubliche Melancholie, solche Fragmente nicht fassen zu können, dass alles vergänglich ist. Erst die Aussicht auf eine Erfüllung dieses Wunsches (gleichzeitig verbunden damit: die Unmöglichkeit dessen, zu mehr als einer Dopplung reicht's nicht aus) etabliert die tiefe Trauer, die sich durch den Film wie ein roter Faden zieht.

Das Motiv der Wunde, der Verwundung: Ground Zero klafft mitten in Manhattan, zu Beginn ein halb zugrunde gerichteter Hund, am Ende dann Monty selbst: geschlagen, zerschunden, unansehnlich. "Diesem Hund das Leben zu retten, war das Beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe - jeden Tag, den er erlebt, verdankt er mir!" Der Vater versucht den Hund gewordenen Sohn ebenfalls zu retten, ebenfalls in einem Auto: In seinem Mythos weist die US-Flagge am Wagen den Weg, es geht - wie früher - nach Westen, erst dort, wo das weite Land einst Nation wurde, könnte sich die USA nach der Verwundung wiederfinden, neu erfinden. Ein melancholischer Traum, der auszublenden versucht, der geschlagene Wunden leckt und gleichzeitig vergessen möchte, der sich nichts so sehr wie den vorherigen Status wünscht, unerfüllbar. 7 Jahre muß Monty verwundet ins Gefängnis, 7 dürre Jahre werden die Vereinigten Staaten durchleben. Es ist schwierig, den mythologischen Bezug auszublenden.

Eine Abrechnung mit der Politik, denn 25TH HOUR ist, entgegen den hiesigen Unkenrufern, denen angesichts eine US-Flagge auf der Leinwand lediglich einfällt, resignierend seufzend den Blick abzuwenden, sich so um den Film zu bringen, kein patriotischer Film. Montys Freunde unterhalten sich vor der letzten Begegnung: Der eine liest die Times, ist liberaler Demokrat, schämt sich für seine Privilegien, ist auch ansonsten Komplexbündel, der andere outet sich als Post-Leser, ist ein skrupelloser Börsenzocker, unterteilt Menschen mittels der Sprache der ökonomischen Verwaltung. Beide vor dem Fenster, dahinter: Ground Zero, die Wunde, die nicht heilen will. Der eine, der Demokrat, blickt hinunter, fassungslos, betreibt Nabelschau und träumt von einer Welt, die so gnädig ist, dass Monty seinen Hund mit in den Knast nehmen könne, der andere indes wendet den Blick ab, blickt leer in sein Luxus-Appartement, das durch die Nähe der geschlagenen Wunde, trotz aller angehäuften Statusobjekte, kaum noch Luxus in Aussicht zu stellen vermag, und schwadroniert von Rache und Gerechtigkeit: Monty ist sein Freund, sicher, aber er hat den Knast nunmal verdient, auch wenn er dort den Tod finden sollte. Beide Vertreter der großen politischen Strömungen des Landes werden im Laufe des Films ihren Niedergang erleben.

Und Monty selbst? Er hat's "verbockt". Er besaß alles (wenn auch mit illegalen Machenschaften aufgebaut), was der amerikanische Traum verspricht, hat alles verloren. "Fuck You" steht auf dem Toilettenspiegel in der Kneipe, wo er sich mit seinem Vater trifft, geschmiert. Wo beginnt Eigenverantwortung? Sind die Anderen die Hölle? Die Spiegelszene ist intensiv, in aller Aggression ein Monument menschlicher Verzweiflung und Trauer.

Die Wunden sitzen tief, der Fall war denkbar groß. Wie damit umgehen? Der Film ist ratlos dahingehend, keine einsilbigen Lösungsvorschläge hier. Erst beim 2. Mal überaus intensiv, interessanterweise.

imdb | mrqe | filmz.de | angelaufen.de


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