17.05.2003, Heimkino

Vor dem massiv beworbenen "Kinoereignis des Sommers" MATRIX:RELOADED ist eine erneute Vergegenwärtigung des ersten Teils vielleicht gar nicht mal eine schlechte Idee, alleine schon, um den zahlreichen, neu entbrannten Debatten rund um die Diskurse und Strategien des ersten Teils, die, in Ermangelung einer frühzeitigen Pressevorführung des Sequels, im Vorfeld der Premiere von MATRIX:RELOADED die Feuilletons bestimmten (zB Dietmar Daths lesenswerte Polemik in der FAZ, leider nicht online abrufbar), wissend begegnen zu können, aber auch, um die zeitliche Distanz zwischen 1. und 2. Teil so gering wie möglich zu halten. Da ich den 1. Teil der Cyber-Saga eh zum letzten Mal damals im Kino und danach nicht wieder gesehen habe, bot es sich auch an, den Film hinsichtlich seiner Halbwertszeit anzusehen: Damals setzte der Film Standards - wie stark sind diese gegenüber den zahlreichen Epigonen und dem gnadenlosen Diktum der Historie?

Vor 4 Jahren verließ ich den Saal euphorisiert - nicht unbedingt aufgrund der Realitätsspielereien (die waren doch recht einfach konstruiert), sondern vor allem wegen des offen klassenkämpferischen Pathos, der da bemüht wurde, gerade und besonders in der Epilogszene in der Telefonzelle. Eine damals für mich ungewöhnliche Erfahrung. Auch die Actionsequenzen wussten zu begeistern und trugen ihren nicht gerade unerheblichen Beitrag zum Gesamteindruck bei: MATRIX war mir damals sogar zwei Sichtungen im Kino wert.

Heute jedoch wirkt das Ganze schal, nicht wirklich befriedigend. Postmoderner Revolutionspathos ist längst schon gern bemühter Allgemeinplatz in den Kinosälen und die Actionsequenzen leiden unter dem Zahn der Zeit: Können Pappmaché- und ähnliche Billigeffekte noch Jahre später aufgrund ihres naiven Charmes als Retro-Kitsch eine Renaissance erfahren, glaube ich nicht, dass das mit MATRIX geschehen wird - zu betont professionell wirkt das, um den Charme des Unvollkommenen zu entwickeln, zu offensichtlich der technische Aufwand hinter den Bildern, als dass man Jahre später noch sagen könnte: "Naja, damals musste man sich eben noch zu helfen wissen!". Ein simples "Damals hatten die Rechner einfach noch nicht genug Power!" wird das kaum ersetzen können. Die Crux dieser Vorgehensweise ist also, dass die Effekte zwar im Momentanen reinstes eye-candy darstellen, jedoch binnen kürzester Zeit von den Epigonen übertroffen werden - und alleine um dieses Prinzip geht's ja nun im Kino des Spektakels -, während die Hintertür, die eine Rückkehr, Jahre später, in der Sphäre des nostalgischen Trashs, fest verschlossen bleibt. MATRIX bleibt, was diese Ebene anbelangt, somit auf ewig wenig Charme entwickelndes Zeitdokument des State Of The Art der SFX - gefangen in der Zeitblase reinster Gegenwart.

Auch die Spielhandlung wirkt, ist man mit zeitlicher Distanz nicht mehr vom Pathos und den Bilderwelten geblendet, wenig überzeugend, nahezu undramatisch und seltsam offen. Rückblickend betrachtet - deswegen glaube ich es den Wachowski-Brothers sehr gerne, dass der Film von Anfang an auf eine Trilogie ausgelegt war, wenngleich ich doch Zweifel daran hege, dass die Sequels bereits damals fertig in Drehbuchform vorlagen - ist das der typische erste Teil einer Superheldengeschichte, als die sich MATRIX in bereits genannter Epilogszene - Neo fliegt vondannen -, spätestens aber im Sequel zu erkennen gibt: Geschichte eines Helden, der sich selbst erst langwierig als solcher entdecken muss. Das Spiel mit den Aussagen des Orakels ist zwar ein nettes Gimmick und verfehlt seinen Zweck nicht, ist aber bei wiederholter Sichtung - sieht man mal von den Mysterien, wer oder was das Orakel denn ist, warum es sich inmitten der Matrix unbemerkt vom System fortbewegen kann, ab - leicht zu durchschauen. Zudem haben wir ja nun mittlerweile auch schon MINORITY REPORT gesehen, der die Frage, ob denn nicht alleine die Aussage des Orakels bereits den Fluß der Dinge beeinflußt, somit als Mosaiksteinchen der vorhergesagten Zukunft funktioniert, noch etwas mehr in den Vordergrund stellte.

Bleiben allein die Realitätsdiskurse, mit denen MATRIX für sich wirbt. Auch hier eigentlich eher Enttäuschungen: MATRIX zieht scharfe Trennungslinien und macht sich keine Mühe, eine Logik des Verschachtelten zu entwerfen - hier also der Cyberspace, dort die blanke Realität, versinnbildlicht im Konstrast der texturreichen Kleidung der Protagonisten, wohingen in der VR Lack und Leder das Auftreten bestimmen. Da hat Cronenberg schon in den frühen 80ern mit VIDEODROME eine weit erkenntnisversprechendere Projektionsfläche intellektueller Diskurse entworfen, von EXISTENZ, der nahezu zeitgleich mit MATRIX in die hiesigen Kinos kam, mal ganz zu schweigen. Die Elemente klassischer Realitätssinnierungen werden also lediglich, gleichsam als Alibi, beim Namen genannt, aneinandermontiert, nie aber reflexiv, um ihre möglichen Implikationen wissend eingesetzt. Das in Aussicht gestellte Gewebe philosophischer Diskurse verschwindet so schnell wieder aus dem Nachbild wie das Buch von Baudrillard, das Neo zu Beginn so hastig wie beiläufig in den Bildkader zerrt, um es dann doch sogleich wieder zur Seite zu legen.

Nach dem Film fühlte ich mich seltsam beschämt. Wie kann es sein, dass MATRIX als einer der Schlüsselfilme der späten Neunziger in die Geschichte des Films eingegangen ist, wenn doch der Glanz des Lacks schon kurz nach der Dekadenwende verlustig geht und sich unter diesem ein recht abgemagerter Filmtorso entblößt? Eine Antwort fällt schwer, will man nicht kulturpessimistischen Überheblichkeiten das Wort reden.

imdb | mrqe


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