Der Wirbel ist enorm: Ein über 30 Jahre altes Plattencover einer ziemlich uninteressanten Hannoveraner Rockgruppe - das diese im übrigen schon längst durch eine andere Gestaltung ersetzt hat - soll nun, fordern viele und darüber berichten noch mehr, indiziert werden. Verdacht: Kinderpornografie.

Wenn man dem Wirbel nicht gleich völlig auf den Leim geht, darf man sich indessen ein wenig am Kopf kratzen. Wir erinnern uns: Ziel und Zweck einer Indizierung ist es, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu heiklem Material zu erschweren, wenn nicht zu verunmöglichen. Damit einher gehen u.a. Vertriebs- und Werberestriktionen. Der Umgang mit indizierten Medien (und in mancher Hinsicht der Diskurs darüber) ist bewusst zugespitzt Erwachsenen vorbehalten, weshalb jede Form von Öffentlichkeit, die auch Minderjährigen Zugang dazu verschaffen könnte, Sanktionen ausgesetzt ist.

Wer also eine Indizierung des entsprechenden Plattencovers fordert, fordert lediglich - und auch einigermaßen sinnbefreit, hält man sich die Zuständigkeit der indzierenden Bundesprüfstelle vor Augen -, dass der Umgang mit diesem Cover nur mehr Erwachsenen und auch nur in nur für Erwachsene zugänglichen Formen von Öffentlichkeit gestattet sein darf. Kinder und Jugendliche sollen dieser Forderung gemäß davor bewahrt werden, eines pubertierenden Mädchenkörpers ansichtig zu werden (damit sie nicht sehen, was ein nicht geringer Anteil von ihnen alltäglich im Badezimmer beim Blick in den Spiegel zu Gesicht bekommt). Das Problem mit Kinderpornografie scheint in der Logik der Indizierungseinforderer in erster Linie darin zu bestehen, dass sich Kinder und Jugendliche mit Kinderpornografie befassen.

Zweierlei könnte dahinter stecken. Entweder die blanke Unkenntnis bezüglich des indizierenden Verfahrens und dessen (an anderer Stelle zu diskutierendem) Sinn und Zweck, womit ein solcher Ruf nach Indizierung bis zum gewissen Grad auch Ausdruck eines deligierend-autoritären Denkens ist ("Das muss weg! Weg muss das!"). Oder gerade die mit solcher Forderung gerade eingestandene eigentliche (und in der Regel stets verleugnete) Funktion dieses Verfahrens: Unterbindung, Regulierung und Förderung vorauseilender Selbstzensur qua inkorporierter Erwartungserwartung - was ja einen gewissen Nebeneffekt von Indizierungen darstellt.

Wie dem auch immer sei (ich persönlich glaube, dahinter steckt in der Tat nur blankes Nichtwissen): Zuständig für Kinderpornografie - und noch immer bliebe zu klären, ob diese Plattengestaltung darunter fällt - ist nicht die Bundesprüfstelle, sondern die Staatsanwaltschaft (wobei, hachgottt, nach 32 Jahren ja nun auch sowas wie Verjährung vorliegen könnte...). Wer Indizierung fordert, summst sinnbefreit durch den Diskurs.

Den eilig berichterstattenden Medien fällt solcher Unsinn freilich nicht auf. Warum auch. Schlagworte wie "Kinderpornografie" und "Indizierung" garantieren immer Quote, Auflage, Klicks - und damit nötige Umsatzaussicht. Entsprechend findet sich auch in den online verfügbaren Berichten fast aller Medien zur Illustration das fragliche Plattencover. Bleibt schlussendlich nur mehr der Hype-Verdacht.

[und falls nun irgendein Mensch mit viel Gischt vorm Mund meint, ich würde Kinderpornografie verteidigen: Err, no, I do not.]


° ° °




kommentare dazu:



stefan hoeltgen, Dienstag, 9. Dezember 2008, 17:45
Dieser Unsinn
schließt doch nahtlos an die Novelle des Paragraphen 184 StGB an, die letztens aktiv geworden ist:

http://www.simulationsraum.de/blog/2008/11/05/simulation-im-strafgesetz/

heise.de schreibt zur Novelle: "Im Vordergrund soll der Schutz der Konsumenten (vor allem von Jugendlichen) vor schädlichen Inhalten und Nachahmungseffekten stehen."

Und da sind wir doch schon wieder voll in der BpjM-Logik: Es geht darum, dass heutige Teenager, die bei Papa die alte Scorpions-Platte im Regal finden, das nicht gleich so cool finden, dass sie jeder dahergelaufenen Hardrock-Band ihren nackten Körper zur Ablichtung für Plattencover feilbieten. Denn man weiß ja, dass vor allem Kinder und Jugendliche wie die Lemminge sind, wenn es darum geht, Sachen, die sie sehen, einfach nachzumachen, vor allem, wenn es ihnen schadet.

Ich könnte mir - um mal zum Ernst zurückzukehren - allerdings vorstellen, dass die Scorpions-Plattenhülle von der BpjM gleich auf die B-Liste gesetzt wird und dann zur Beschlagnahme (wegen Verstoßes gegen den novellierten § 184) an einen Richter weitergeleitet wird.

Ich warte ja ohnehin schon gespannt auf eine Beschlagnahmewelle "sexulisierter Posen" und "Scheinjugendlicher", die alles von Jules Pascin über Nabokov bis David Hamilton in den Abgrund der Kinderpornografie reißt ...


soilworker, Mittwoch, 10. Dezember 2008, 01:15
Dann dürfen die Sittenwächter aber nicht die klassische Malerei außer Acht lassen. Da gibts haufenweise vorpubertäre Lolitas und nackte Jünglinge in unnatürlichen Posen zu sehen.


kaz, Mittwoch, 10. Dezember 2008, 16:33
Die Sittenwächter würden sich vermutlich andauernd an Kunstwerken vergreifen, wenn es keine Verfassungsnorm gäbe, die dies untersagt.

supatyp, Dienstag, 16. Dezember 2008, 09:55
wir haben
zu dem Thema eine Fotostrecke gemacht und die wurde überraschend sehr, sehr oft angeklickt:
http://tinyurl.com/5rodj7



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