Thema: Altes Filmtagebuch
16. November 03 | Autor: immo
16.04.2003, Kino Central
februar in berlin, berlinale. man wühlt sich durch programmhefte, streicht an, notiert, wägt ab. lieber um 12 uhr den film im cinemaxx, dafür den um 13 uhr im arsenal sausen lassen? und wann könnte ich den dann nachholen? und was müsste ich nun dafür wieder sausen lassen? und welche filme kommen eh in zwei, drei wochen in die kinos? man erstellt pläne, tabellen, streicht widerwillig gerne wahrgenommenes und disponiert um, steht stunden lang in schlangen an, muss dann an der kasse wieder alles umschmeißen, weil das eine oder andere dann doch schon ausverkauft ist. 2 wochen lang läuft man nur mit einem stapel programmhefte unterm arm durch die stadt, rennt von vorstellung zu vorstellung, stets auf der suche nach dem bestmöglichen destillat aus der ungeheuren angebotsfülle. sozialer kontakt zu nicht ganz so filmbegeisterten wird zum ding der unmöglichkeit, die erschaffung eines mikrokosmos! planet potsdamer platz mit den trabanten am zoo und am friedrichshain, haupstadt: berlinale-palast. danach lehnt man sich erschöpft zurück, ist zwischen 10 und 50 filmerfahrungen reicher (manche davon schon wieder am verblassen) und ist zwar irgendwie froh, dabeigewesen zu sein, aber eigentlich doch auch recht glücklich, dass es das dann nun erstmal gewesen ist. berlinale ist eine zweiwöchige, lustvolle durch-militarisierung des alltages im namen des films, besser: der filmleidenschaft.
in new york aber, da herrscht immer berlinale. dutzende von kinematheken, programmkinos, underground-kinos und ein steter overkill an festivals lassen einen, theoretisch, den berlinale-zustand das ganze jahr, rund um die uhr, ein leben lang aufrecht erhalten. und eine handvoll kinofanatiker - selten passt der begriff besser - hat sich in der tat genau dem verschrieben. ihre liebe gilt dem kino und, das ist jetzt nicht nur bloße rethorik, nichts anderem. In CINEMANIA begleiten wir sie eine weile, lernen ihre marotten, ticks und vorlieben, jeder hat so seine ganz eigenen steckenpferde, kennen.
zunächst das einende: sie hetzen täglich durch die stadt, durch den öffentlichen personennahverkehr, von einer vorstellung zur nächsten, sammeln programmhefte und werten diese mühevoll aus. eine akribische kleinarbeit, die höchstes organisationsgeschick verlangt. soziale kontakte pflegen sie kaum, schon zeitlich wäre das ja kaum möglich, dafür aber kennen sie sich untereinander ein wenig, auch wenn sich "filmbuffs", wie man erfährt, nicht treffen, um zusammen partys zu feiern, nein, sie gehen zusammen ins kino und das ist, in der regel, selbst zweisam eine recht einsame angelegenheit, zumindest aber unkommunikativ. ab und an trifft man sich auch so im saal, oder im foyer, wenn man sich quasi gerade ablöst im kino. über die fragen nach dem jüngst gesehenen, dem für den weiteren tagesverlauf geplanten kommen die gespräche kaum heraus, schon allein deswegen nicht, weil man sich bereits den nächsten platz sichern muss. allesamt leben sie in ärmlichen verhältnissen: kleine wohnungen, sozialhilfebezug, stellenweise verwahrlostes äußeres.
trotzdem gleichen sie sich, in der detailaufnahme, nur wenig. die greise roberta, kinosüchtig seit 1950, mag vor allem das melodrama, ist aber auch dem dokumentarfilm augenscheinlich nicht abgeneigt. gerne streitet sie sich auch, z.b. mit der kartenabreißerin, denn roberta bewahrt alle kinokarten auf, das wird dann auch schon mal rabiat. überhaupt das sammeln: ihre wohnung - räumungsgefährdet, das am rande - quillt über von filmdevotionalien, programmheften (alle in mehrfacher ausführung), promotionmaterial und allerlei (film-)tand - genug, um ein kleines museum zu füllen! gerne würde man, selbst ja filmbegeisterter, darin mal stöbern. jack angstreich ist wohl der typischste new yorker im quintett, typisch vor allem dann, wenn man new york mit woody allen im hinterkopf denkt. dessen humor gleicht jacks dann doch frappant und er sorgt in der doku für kurzweilige selbstreflexionen. wenn er davon erzählt, dass sein sexleben vor allem deswegen so verkümmert sei, weil er nicht sex mit der person rita haysworth haben möchte, sondern mit welles' schwarzweiß-inszenierung von derselben, dann beschreibt er nicht nur recht genau das baudrillard'sche simulakrum, sondern hat auch die lacher auf seiner seite. ein mensch, mit dem man doch recht gern ins kino gehen möchte. bill hingegen, wie jack ebenfalls noch recht jung, wirkt wie ein hoffnungsloser fall für die geschlossene anstalt: seine liebe gilt vor allem dem europäischen autorenkino, besonders die nouvelle vague hat es ihm angetan. fürs kino hat er rheumadecken dabei, sowie tabletten gegen rückenschmerzen und schnupfen, zum schlafen für den abend benötigt er pillen, zum aufstehen ebenso. er wirkt fahrig, sozial vollkommen unfähig, blickt den gesprächspartner nicht an, ist zwar nicht unbedingt wortkarg, dennoch aber autistisch verschlossen. zwanghaft und wie auswendig gelernt muten seine liebesbekenntnisse an. ebenfalls meist neben sich steht harvey, jedoch auf liebenswerte, schrullige art. er kuckt, so die anderen im bunde, "selbst den größten dreck" und kann dem dann auch noch etwas abgewinnen, selbst dem beknacktesten exploitation-film, weswegen man sich auf seine filmtipps kaum verlassen könne. "der findet alles gut", meint jack. außerdem stoppt er die laufzeiten sämtlicher filme, kann die bereits gesehener filme aus dem stegreif nennen und weist das kinopersonal gerne mal auf falsche angaben im programmheft hin. diebisch freut er sich, wenn er das personal in einem multiplexkino ausgetrickst hat und sich drei filme zum preis von einem ansehen konnte. eric schließlich, von dem wir im film am wenigsten erfahren, ist der älteste unter den portraitierten und liebt vor allem unterhaltungskino, komödien und musicals haben es ihm dabei besonders angetan. mit europäischem autorenkino kennt er sich zwar gut genug aus, um sich eine meinung bilden zu können, weist es aber dennoch nahezu apodiktisch von sich. "never liked antontioni" und "never been into resnais" - kurz und prägnant.
fünf eigene welten also, lose über die leidenschaft miteinander verbunden. vor allem aber fünf individualisten mit ganz ausgeprägten eigenarten, die der film, trotz aller lacher und befremdetem kopfschütteln, niemals der lächerlichkeit preisgibt. auch wird nicht versucht, pädagogisch eine "kultur-krankheit" zu analysieren oder ursachenforschung zu betreiben. CINEMANIA schaut einfach, filmt ab, was passiert, portraitiert. kritisch unter die lupe genommen oder gar abgewertet werden die fünf seelen nicht, dafür nehmen die filmemacher sie viel zu ernst, zeigen viel zu viel verständnis für die passion, die glühende aufopferungsbereitschaft, mit der die fünf diese verfolgen. ganz im gegenteil, an manchen stellen möchte man sie sogar fast, aber eben doch nur fast, beneiden, wenn sie etwa von ihren wundervollen erinnerungen schwärmen, oder wenn die liebe, mit der sie ins kino gehen und die sie die filme förmlich in sich aufsaugen lässt, nachvollziehbar vermittelt wird. dann sind das nicht etwa die kranken menschen, als die viele zeitgenossen sie vielleicht vorschnell abstempeln, dann sind das lediglich opfer einer organisation von wirtschaft und gesellschaft, die dieses leben für die leidenschaft eigentlich so nicht miteingeplant hat. deutlich wird dies zum beispiel, wenn sich jack, dessen frühere klassenkämpfermentalität man hier und da mal aufblitzen sieht, darüber moniert, dass die psychologie visuelle erfahrungen bis heute nicht als vollwertige anerkennt, sie vielmehr, zumindest im zwanghaften ausmaß, als verzweifelte kompensation für authentische wertet - reine ideologie, meint er. und wer hat denn schließlich festgelegt, dass ein leben für die karriere, ein leben für den job oder ein leben für die familie das eigentlich gesunde, normale, erstrebenswerte sei? unglücklich wirkt, vielleicht mit ausnahme von bill, der verzweifelt eine "bürgerin der europäischen union" zur heirat zwecks gemeinsamer kinobesuche sucht, keiner der dokumentierten cineasten.
CINEMANIA ist, eigentlich, ein film über jene art von liebe, die den liebenden mit haut und haaren verschlingt und aufzehrt. romantik also, in ihrer ur-form.
februar in berlin, berlinale. man wühlt sich durch programmhefte, streicht an, notiert, wägt ab. lieber um 12 uhr den film im cinemaxx, dafür den um 13 uhr im arsenal sausen lassen? und wann könnte ich den dann nachholen? und was müsste ich nun dafür wieder sausen lassen? und welche filme kommen eh in zwei, drei wochen in die kinos? man erstellt pläne, tabellen, streicht widerwillig gerne wahrgenommenes und disponiert um, steht stunden lang in schlangen an, muss dann an der kasse wieder alles umschmeißen, weil das eine oder andere dann doch schon ausverkauft ist. 2 wochen lang läuft man nur mit einem stapel programmhefte unterm arm durch die stadt, rennt von vorstellung zu vorstellung, stets auf der suche nach dem bestmöglichen destillat aus der ungeheuren angebotsfülle. sozialer kontakt zu nicht ganz so filmbegeisterten wird zum ding der unmöglichkeit, die erschaffung eines mikrokosmos! planet potsdamer platz mit den trabanten am zoo und am friedrichshain, haupstadt: berlinale-palast. danach lehnt man sich erschöpft zurück, ist zwischen 10 und 50 filmerfahrungen reicher (manche davon schon wieder am verblassen) und ist zwar irgendwie froh, dabeigewesen zu sein, aber eigentlich doch auch recht glücklich, dass es das dann nun erstmal gewesen ist. berlinale ist eine zweiwöchige, lustvolle durch-militarisierung des alltages im namen des films, besser: der filmleidenschaft.
in new york aber, da herrscht immer berlinale. dutzende von kinematheken, programmkinos, underground-kinos und ein steter overkill an festivals lassen einen, theoretisch, den berlinale-zustand das ganze jahr, rund um die uhr, ein leben lang aufrecht erhalten. und eine handvoll kinofanatiker - selten passt der begriff besser - hat sich in der tat genau dem verschrieben. ihre liebe gilt dem kino und, das ist jetzt nicht nur bloße rethorik, nichts anderem. In CINEMANIA begleiten wir sie eine weile, lernen ihre marotten, ticks und vorlieben, jeder hat so seine ganz eigenen steckenpferde, kennen.
zunächst das einende: sie hetzen täglich durch die stadt, durch den öffentlichen personennahverkehr, von einer vorstellung zur nächsten, sammeln programmhefte und werten diese mühevoll aus. eine akribische kleinarbeit, die höchstes organisationsgeschick verlangt. soziale kontakte pflegen sie kaum, schon zeitlich wäre das ja kaum möglich, dafür aber kennen sie sich untereinander ein wenig, auch wenn sich "filmbuffs", wie man erfährt, nicht treffen, um zusammen partys zu feiern, nein, sie gehen zusammen ins kino und das ist, in der regel, selbst zweisam eine recht einsame angelegenheit, zumindest aber unkommunikativ. ab und an trifft man sich auch so im saal, oder im foyer, wenn man sich quasi gerade ablöst im kino. über die fragen nach dem jüngst gesehenen, dem für den weiteren tagesverlauf geplanten kommen die gespräche kaum heraus, schon allein deswegen nicht, weil man sich bereits den nächsten platz sichern muss. allesamt leben sie in ärmlichen verhältnissen: kleine wohnungen, sozialhilfebezug, stellenweise verwahrlostes äußeres.
trotzdem gleichen sie sich, in der detailaufnahme, nur wenig. die greise roberta, kinosüchtig seit 1950, mag vor allem das melodrama, ist aber auch dem dokumentarfilm augenscheinlich nicht abgeneigt. gerne streitet sie sich auch, z.b. mit der kartenabreißerin, denn roberta bewahrt alle kinokarten auf, das wird dann auch schon mal rabiat. überhaupt das sammeln: ihre wohnung - räumungsgefährdet, das am rande - quillt über von filmdevotionalien, programmheften (alle in mehrfacher ausführung), promotionmaterial und allerlei (film-)tand - genug, um ein kleines museum zu füllen! gerne würde man, selbst ja filmbegeisterter, darin mal stöbern. jack angstreich ist wohl der typischste new yorker im quintett, typisch vor allem dann, wenn man new york mit woody allen im hinterkopf denkt. dessen humor gleicht jacks dann doch frappant und er sorgt in der doku für kurzweilige selbstreflexionen. wenn er davon erzählt, dass sein sexleben vor allem deswegen so verkümmert sei, weil er nicht sex mit der person rita haysworth haben möchte, sondern mit welles' schwarzweiß-inszenierung von derselben, dann beschreibt er nicht nur recht genau das baudrillard'sche simulakrum, sondern hat auch die lacher auf seiner seite. ein mensch, mit dem man doch recht gern ins kino gehen möchte. bill hingegen, wie jack ebenfalls noch recht jung, wirkt wie ein hoffnungsloser fall für die geschlossene anstalt: seine liebe gilt vor allem dem europäischen autorenkino, besonders die nouvelle vague hat es ihm angetan. fürs kino hat er rheumadecken dabei, sowie tabletten gegen rückenschmerzen und schnupfen, zum schlafen für den abend benötigt er pillen, zum aufstehen ebenso. er wirkt fahrig, sozial vollkommen unfähig, blickt den gesprächspartner nicht an, ist zwar nicht unbedingt wortkarg, dennoch aber autistisch verschlossen. zwanghaft und wie auswendig gelernt muten seine liebesbekenntnisse an. ebenfalls meist neben sich steht harvey, jedoch auf liebenswerte, schrullige art. er kuckt, so die anderen im bunde, "selbst den größten dreck" und kann dem dann auch noch etwas abgewinnen, selbst dem beknacktesten exploitation-film, weswegen man sich auf seine filmtipps kaum verlassen könne. "der findet alles gut", meint jack. außerdem stoppt er die laufzeiten sämtlicher filme, kann die bereits gesehener filme aus dem stegreif nennen und weist das kinopersonal gerne mal auf falsche angaben im programmheft hin. diebisch freut er sich, wenn er das personal in einem multiplexkino ausgetrickst hat und sich drei filme zum preis von einem ansehen konnte. eric schließlich, von dem wir im film am wenigsten erfahren, ist der älteste unter den portraitierten und liebt vor allem unterhaltungskino, komödien und musicals haben es ihm dabei besonders angetan. mit europäischem autorenkino kennt er sich zwar gut genug aus, um sich eine meinung bilden zu können, weist es aber dennoch nahezu apodiktisch von sich. "never liked antontioni" und "never been into resnais" - kurz und prägnant.
fünf eigene welten also, lose über die leidenschaft miteinander verbunden. vor allem aber fünf individualisten mit ganz ausgeprägten eigenarten, die der film, trotz aller lacher und befremdetem kopfschütteln, niemals der lächerlichkeit preisgibt. auch wird nicht versucht, pädagogisch eine "kultur-krankheit" zu analysieren oder ursachenforschung zu betreiben. CINEMANIA schaut einfach, filmt ab, was passiert, portraitiert. kritisch unter die lupe genommen oder gar abgewertet werden die fünf seelen nicht, dafür nehmen die filmemacher sie viel zu ernst, zeigen viel zu viel verständnis für die passion, die glühende aufopferungsbereitschaft, mit der die fünf diese verfolgen. ganz im gegenteil, an manchen stellen möchte man sie sogar fast, aber eben doch nur fast, beneiden, wenn sie etwa von ihren wundervollen erinnerungen schwärmen, oder wenn die liebe, mit der sie ins kino gehen und die sie die filme förmlich in sich aufsaugen lässt, nachvollziehbar vermittelt wird. dann sind das nicht etwa die kranken menschen, als die viele zeitgenossen sie vielleicht vorschnell abstempeln, dann sind das lediglich opfer einer organisation von wirtschaft und gesellschaft, die dieses leben für die leidenschaft eigentlich so nicht miteingeplant hat. deutlich wird dies zum beispiel, wenn sich jack, dessen frühere klassenkämpfermentalität man hier und da mal aufblitzen sieht, darüber moniert, dass die psychologie visuelle erfahrungen bis heute nicht als vollwertige anerkennt, sie vielmehr, zumindest im zwanghaften ausmaß, als verzweifelte kompensation für authentische wertet - reine ideologie, meint er. und wer hat denn schließlich festgelegt, dass ein leben für die karriere, ein leben für den job oder ein leben für die familie das eigentlich gesunde, normale, erstrebenswerte sei? unglücklich wirkt, vielleicht mit ausnahme von bill, der verzweifelt eine "bürgerin der europäischen union" zur heirat zwecks gemeinsamer kinobesuche sucht, keiner der dokumentierten cineasten.
CINEMANIA ist, eigentlich, ein film über jene art von liebe, die den liebenden mit haut und haaren verschlingt und aufzehrt. romantik also, in ihrer ur-form.
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