Thema: comics
Spirit von Will Eisner erschien erstmals im Jahr 1940, mit dem das goldene Jahrzehnt der Superhelden begann. Der Spirit ist ein irrtümlich für tot gehaltener, markiger Polizeibeamter, der von seinem Geheimversteck auf dem Friedhof aus die Charade aufrecht erhält und von dort aus (geringfügig) maskiert auf Verbrecherjagd geht. Ein Superheld ist er deshalb im eigentlichen Sinne nicht, seine Waffen sind Witz, Erfindungsreichtum und körperliche Agilität - Superkräfte hat er keine, trotz vorhandener orgin story. Darin ähnelt er Batman, doch unterscheidet er sich auch von ihm durch sein lebensbejahendes Auftreten als Bon Vivant und Charmeur. Entsprechend ähnelt sein "Höhle" unter den Gräbern eher einem attraktiven Apartement als der bizarren Tropfsteingrotte, in der Batman dunkelnd über seine Lebenstragödie sinniert. Überliefert ist es wohl auch, dass Will Eisner die an Zorro erinnernde Maskierung nur widerwillig und als Zugeständnis an seine Vorgesetzten mit ins Spiel brachte.

Virilität, Witz, Charme, adrette Kleidung und stets den richtigen Spruch auf den Lippen: Keine Frage, Spirit hat seinen Ursprung in den eher etwas harmloseren Pulp Novels, in kleinen Gaunergeschichten um schnell gedrehte Dinger und ehrenvolle Polizisten. Es herrschen satte, knallige Vierfarbbilder, der Film Noir hat die Welt noch nicht aus den Angeln genommen. Doch deuten sich dessen Schattenwelten in Spirit bereits an: Über mehrere Ausgaben hinweg steht dem Helden ein handfester Mordverdacht im Wege, der ihm die Arbeit erschwert. In den Hafengebieten tummelt sich bereits allzu scheeles Pack und im Verlauf der Reihe werden die Blickachsen der Panels gewagter, das Geschehen verzerrter. Handelt es sich in den ersten Stories noch um kleinere Gaunereien, die der strahlende Held mit linker Hand zu lösen weiß, mehren sich bereits nach einigen Monaten Geschichten um sprechende Affen, verrückte Wissenschaftler, Femmes Fatales und Politiker, die für Ämterposten zu Mördern werden. Eine Folge gibt es, da gerät der Spirit gar zur bloßen Randfigur und zum ahnungslosen Beobachter von einigen Phänomen, deren Ursachen ihm weitgehend verborgen bleiben: Das Böse richtet sich in dieser selbst und dem guten Helden bleibt nurmehr das konstatierende Schlußwort, dass es manchmal keines Spirits bedarf, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Der Charme des Serials hat vor allem zweierlei Ursprünge: Zum einen die Stories selbst. Auf wenigen Seiten werden Räuberpistolen aus der Wunderwelt des Pulps entwickelt, für die manch andere ganze Hefte füllen müssten. Oft nur umrißartig, geradewegs skeletthaft werden diese knalligen Stories präsentiert, wie die Essenz aus einschlägiger Literatur sozusagen. Ein Herz für Schund- und Trivialkultur ist deshalb für den Genuss unweigerlich vonnöten (schon alleine, um das Konzentrat mit Fleisch zu füllen). Aus dieser Raumbegrenzung folgert das zweite Faszinosum: Die Kunst der Form, die hier ganz dem Inhalt dient. Eisner ist, wenn man so will, der erste große Comicästhet und wie er den Ausdruck dieser Kunst mittels einer an sich trivialen Story aus Niveau brachte, ist schlicht fabelhaft. Wer auf wenigen Seiten solche zwar in sich teils recht komplexe Miniaturen vermitteln will, muss notgedrungen organisieren, straffen, wirtschaftlich denken: Bei Eisner wachsen die Panels über sich hinaus, gehen untereinander Bündnisse ein, Einschübe, Schnitttechniken, Verdichtungen, aber auch Weglassungen ergeben eine Strukturierung und ästhetische Vermittlung des Geschehens, die seinerzeit atemberaubend gewirkt haben muss und auch heute noch beeindruckend ist. Eisner mag vielleicht nicht der erste gewesen sein, der die weiße Fläche zwischen den Panels nicht als unerhebliche Zwangsläufigkeit der Form, sondern als mitkonstituierenden Aspekt derselben wahrnahm, aber sicher war er der erste, der die Thematisierung und Nutzung dieser Fläche (und sei es nur durch ihre Weglassung oder Überbrückung) zur grundlegenden Methode emporhob.

Es macht große Freude in diesen Stories zu blättern, sich darin zu versenken und ästhetischen Genuss darauszuziehen. Dass sie schon über 60 Jahre auf dem Buckel haben sollen, ist angesichts ihrer ungeheuren Bild- und narrativen Dynamik eigentlich kaum zu glauben. Fast jede Seite ist noch ein kleines Kunstwerk für sich, das man gerne groß kopieren und sich an die Wand hängen möchte. (In der Tat der kurze Gedanke, genau dies mit einer besonders liebgewonnenen Geschichte zu machen, um damit meinen doch recht langen Flur etwas aufzupeppen.) Sie sind kleine Zeitreisen in die Geschichte des Comics und in eine charmante Genrenaivität, die heutigen zynischen Zeiten - been there, seen it all, done it twice - ziemlich abhanden gekommen scheint.

links: perlentaucher


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kommentare dazu:



baehr, Montag, 15. November 2004, 16:18
"The Spirit" war mein Wegweiser von Tim und Struppi hin in andere Comicwelten. Ich fand die Alben - ich war 14 oder 15 - in unserer Stadtbibliothek (wie wichtig ist ein klug auswählender Bibliothekar in einer Kleinstadt!!!), und las sie alle, begeistert über die Formen und Wege, die sich auftaten. Fand ich ganz groß, habe ich aber demnach seit 20 Jahren nicht in Händen gehabt und fühle mich nun direkt motiviert, mal zu schauen, ob auch die hiesige zentrale Bibliothek solchen Kunstsinn in der Medienauswahl besitzt.


thgroh, Montag, 15. November 2004, 23:54
Ja, über eine Bibliothek bin ich da auch rangekommen. In der Tat scheint es hier in Berlin in den Bibliotheken ein paar gute Seelen an den richtigen Stellen zu geben. Die Amerika Gedenkbibliothek etwa, haben die doch tatsächlich die Hongkong-DVDs der Ozu-Filme. Und britische Scheiben von Fukasaku-Filmen. Und in der Friedrichshainer Bibliothek eben eine, wie ich finde, ganz ausgezeichnete Comic-Ecke. Schöne kleine Oasen.



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