05.12.2004, Heimkino

Notizen:

Erste Quersichtung für ein Referat. Ich betrachte den Film unter Gesichtspunkten des Traumas, vor allem auch, wie de Palma die zahlreichen Traumatisierungen - sichtbare wie jenseits der Erzählung, in der Vorgeschichte des Films zu situierende - formell umsetzt. In der Tat auch deshalb über weite Strecken keine Tonzuschaltung, was allerdings auch den Gegebenheiten der Sichtung geschuldet war. Interessant, wie intensiv der Film dennoch auf dieser bloß visuellen Ebene wirkt und narrativ voll verstehbar bleibt (der Wunsch, de Palma möge sich an einem Stummfilm versuchen).

Auffällig ist, wie der Film immer wieder auf die Mittel der Zeitlupe und langen Einstellungen zurückgreift, um ein "ganz bei sich und in der Welt sein" zu vermitteln. Das Fallen aus der Welt und seiner Kontinuität, wie es eine traumatische Erfahrung mithin charakterisiert (vgl. vielleicht den Reemtsma-Text "Im Keller", den wir zuvor im Seminar gelesen, bzw. dessen Hörspielbearbeitung wie gehört haben), wird mit raschen Schnittfolgen, die die souveräne Perspektive verunmöglichen und für Irritation sorgen, bewerkstelligt. Der für de Palma typische, hier aber noch sehr verhalten wirkende Einsatz von Splitscreens ist ein interessantes Paradox: Er unterteilt die Welt in Fragmente und trägt maßgeblich zur chaotischen Atmosphäre der Geschehnisse im Ballsaal bei, impliziert aber zur gleichen Zeit narrativ wie ästhetisch Carrie Whites nun endlich erlangte souveräne Position über das Geschehen und ihre Mitmenschen.

Einige interessante meta-narrative Aspekte, die ich eventuell zu einem eigenen Punkt ausbauen werde: Nach einem kurzen Prolog auf einem Volleyballfeld (der im übrigen in der Rede des Films interessanterweise fast immer wieder als "Beginn des Films" übergangen wird), der im wesentlichen dazu dient, Carrie White als bereits Ausgestoßene und vor allem sich ihres Körpers unsichere Person zu etablieren (und zudem gleichzeitig an das "Trauma" jedes unsportlichen Schülers appelliert: Das Versagen auf dem Feld, mit auf dem Fuße folgenden Spott.), mündet der Film in die berühmte Duschszene und kehrt darüber an einen traumatisierenden Moment der Filmgeschichte zurück: Die Duschszene in Hitchocks Psycho (1960; filmtagebuch), die, das müsste ich im Referat zunächst erläutern, eine inner-filmliche wie filmhistorische Zäsur markiert: Nicht nur stellt sie einen, für das damalige Publikum nicht abzusehenden Bruch in der Handlung des Films dar, sie brach auch gleichzeitig mit dem Hollywood-Starsystem, ließ das Gefährliche in Form des Mitmenschen in die innersten Bereiche der Privat- und Intimheit eindringen und begann an dieser Stelle den modernen Horrorfilm. Überhaupt ein interessanter Moment: Der moderne Horrorfilm beginnt nicht mit Psycho, sondern an dieser Stelle in Hitchcocks Film. Gerade auch die Schnitttechnik sorgt zudem dafür, dass die Sequenz zwar erfahren, aber kaum erlebt werden kann und sich "der Sprache entzieht": Zwar lässt sie sich inhaltlich beschreiben, aber aufgrund der harschen Folge einzelner Einstellungen nicht in ihrem Vollzug, weiterhin liegt ihr eigentlicher Inhalt im Bereich des Impliziten, also an sich ästhetisch nicht Erlebten. Der Mord bleibt, von der grafischen Konsequenz her gedacht, ungesehen, die Dusche als Ort des letzten Refugiums des Privaten ist von diesem Moment als solcher, im Kino, nicht mehr denkbar. Carrie hebt darauf ab, indem er für seine erste emotional mitreißende Szene an diesen Ort zurückkehrt und den Einbruch der Hölle, die die Anderen sind, potenziert und, trotz vorläufiger Rettung durch eine Mutterfigur, von dieser Szene ausgehend die Katastrophe des Finales minutiös aufbaut. Weitere Indizien für eine Bezugnahme auf Psycho wären b eispielsweise die Umbenennung der High School in "Bates High School" (die literarische Vorlage bezeichnet diese als "Ewen High School"), die gothisch-verkarstete Darstellung des Mutterhauses, das sich, ähnlich dem Motel aus Psycho, von der modernen Alltagswelt deutlich abhebt, sowie ein ikonografisches Zitat - wenn die Mutter das Messer zum finalen Stich hebt - , das direkt der Duschszene von Psycho entnommen ist und zudem von dem charakteristischen Geigenhieben musikalisch unterlegt ist.

Ob ich den Film als Rückkehr an einen traumatisierten Ort der Filmgeschichte vorstellen werde, wird sich im weiteren Verlauf meiner Recherchen weisen. Bislang bin ich davon aber zumindest angetan.

imdb | mrqe | tv-termine:de palma

senses of cinema: essay | brian de palma


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