Thema: Filmtagebuch
06.12.2004, Kino Arsenal
Inhalt: "In den 20er Jahren wohnen Luxus und Elend in der Melchiorgasse Tür an Tür. Hier finden sich verarmte Bürger- und Arbeiterfamilien, ein Bordell mit Tanzlokal, Treffpunkte von Verbrechern, Dollarmillionären und Profiteure der Inflation. In diesem Milieu, in der die Geldnot allen bürgerliche Moral vergessen läßt, treffen einige Personen immer wieder aufeinander: etwa die verarmte Grete Rumford, die ihr Gluck als Luxus-Dirne versucht, der sadistisch-geile Metzger, eine verzweifelte Mörderin, eine Kupplerin, eine Mutter, die für die Familie die Bürde der Prostitution auf sich nimmt..." (Quelle: Prisma Online)
Etwas Fleisch gegen Fleischeslust. Der symbolische Tausch ist nurmehr widerwärtig, ganz so wie der Profiteur der Szenerie, ein gernegroßer Metzger, der Fleisch hortet, während die Leute auf den Straßen hungern, und sich dafür eindeutig bedienen zu lassen weiß. Drei Frauen und ihre Familien sowie deren katastrophischen Schicksale im Angesicht der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen aus dem verlorenen 1. Weltkrieg stehen im Mittelpunkt dieser oft anregend, nicht aber immer ökonomisch inszenierten, zum Melodramatischen neigenden Trägödie.
Das Projekt, die sozialen Abstiege dieser Frauen ins nurmehr Elendige minutiös zu schildern und die Mechanik dahinter, aus menschlichen Verfehlungen, vor allem aber sozialen Widrigkeiten, die - allzu plakativ, vielleicht aber auch zeitgemäß - natürlich im skrupel- wie morallosen, schlichtweg also verkommenen Kapitalisten begründet liegen, nachvollziehbar zu gestalten, wird spätestens zum Ende hin (aber, wie man durchaus bemerken kann, auch schon im Verlauf) durch eine zweifelhafte Moral torpediert, die das Ansinnen des Films, konsequent zuende gedacht, letzten Endes in sein Gegenteil pervertiert: Nur Greta Garbo, die zu jeder Zeit herzensgut und tugendhaft geblieben ist, selbst in dem Moment, als nurmehr das blanke Fleisch des eigenen Körpers zum Kapitalerwerb als Option für's Überleben denkbar schien, vermag sich in ein intaktes Leben jenseits des letzten Bildes hinüberzuretten. Die anderen hingegen: Im Gefängnis gelandet oder aber rasend vor Wahnsinn und mehr als nur zur Hälfte schon prostituiert in Flammen umgekommen. Greta Garbo jedoch steht das Privileg des rettenden Kusses im letzten Bild zu. Ein Zugeständnis an die "Ladenmädchen"?
Immerhin recht spannend geraten ist der Einsatz der formalen Mittel. Die Gegenüberstellung des dekadenten Kapitalistenlebens im Wiener Nachtleben mit den Bildern des Elends in der Gasse aus dem Titel des Films erinnert an Eisenstein. Auch drastische Subjektivierungen lassen sich finden, die pointiert und effektiv eingesetzt werden. Und Greta Garbos Blicke schon in dieser frühen Rolle: Reinste Gänsehaut!
imdb | deutsches filminstitut | garbo im tv | magical history tour
Inhalt: "In den 20er Jahren wohnen Luxus und Elend in der Melchiorgasse Tür an Tür. Hier finden sich verarmte Bürger- und Arbeiterfamilien, ein Bordell mit Tanzlokal, Treffpunkte von Verbrechern, Dollarmillionären und Profiteure der Inflation. In diesem Milieu, in der die Geldnot allen bürgerliche Moral vergessen läßt, treffen einige Personen immer wieder aufeinander: etwa die verarmte Grete Rumford, die ihr Gluck als Luxus-Dirne versucht, der sadistisch-geile Metzger, eine verzweifelte Mörderin, eine Kupplerin, eine Mutter, die für die Familie die Bürde der Prostitution auf sich nimmt..." (Quelle: Prisma Online)
Etwas Fleisch gegen Fleischeslust. Der symbolische Tausch ist nurmehr widerwärtig, ganz so wie der Profiteur der Szenerie, ein gernegroßer Metzger, der Fleisch hortet, während die Leute auf den Straßen hungern, und sich dafür eindeutig bedienen zu lassen weiß. Drei Frauen und ihre Familien sowie deren katastrophischen Schicksale im Angesicht der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen aus dem verlorenen 1. Weltkrieg stehen im Mittelpunkt dieser oft anregend, nicht aber immer ökonomisch inszenierten, zum Melodramatischen neigenden Trägödie.
Das Projekt, die sozialen Abstiege dieser Frauen ins nurmehr Elendige minutiös zu schildern und die Mechanik dahinter, aus menschlichen Verfehlungen, vor allem aber sozialen Widrigkeiten, die - allzu plakativ, vielleicht aber auch zeitgemäß - natürlich im skrupel- wie morallosen, schlichtweg also verkommenen Kapitalisten begründet liegen, nachvollziehbar zu gestalten, wird spätestens zum Ende hin (aber, wie man durchaus bemerken kann, auch schon im Verlauf) durch eine zweifelhafte Moral torpediert, die das Ansinnen des Films, konsequent zuende gedacht, letzten Endes in sein Gegenteil pervertiert: Nur Greta Garbo, die zu jeder Zeit herzensgut und tugendhaft geblieben ist, selbst in dem Moment, als nurmehr das blanke Fleisch des eigenen Körpers zum Kapitalerwerb als Option für's Überleben denkbar schien, vermag sich in ein intaktes Leben jenseits des letzten Bildes hinüberzuretten. Die anderen hingegen: Im Gefängnis gelandet oder aber rasend vor Wahnsinn und mehr als nur zur Hälfte schon prostituiert in Flammen umgekommen. Greta Garbo jedoch steht das Privileg des rettenden Kusses im letzten Bild zu. Ein Zugeständnis an die "Ladenmädchen"?
Immerhin recht spannend geraten ist der Einsatz der formalen Mittel. Die Gegenüberstellung des dekadenten Kapitalistenlebens im Wiener Nachtleben mit den Bildern des Elends in der Gasse aus dem Titel des Films erinnert an Eisenstein. Auch drastische Subjektivierungen lassen sich finden, die pointiert und effektiv eingesetzt werden. Und Greta Garbos Blicke schon in dieser frühen Rolle: Reinste Gänsehaut!
imdb | deutsches filminstitut | garbo im tv | magical history tour
° ° °
kommentare dazu:
baehr,
Dienstag, 7. Dezember 2004, 23:01
Sehenswert allein schon wegen des fantastischen Auftrtitts von Valekska Gert!
christian123,
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 01:14
G.W. Pabst / Eisenstein / Griffith / Valeska Gert
Also gerade diese Gegenüberstellung Arm-Reich hat mich viel weniger an Eisenstein als an Griffith erinnert. Kennst du von Griffith "A Corner in Wheat" (1909)? Auch dort haben wir den vom Elend der Armen durch seine Beherrschung des Marktes profitierenden "Wheat King", der in seinen Reihen beschwingte Upper-Class-Feste feiert, die gegengeschnitten werden mit dem immer wiederkehrenden Bild von, ja genau, in Reihe stehenden hungernden Armen, die in dieser Formation beim Brot-Händler vergeblich auf was Essbares warten. (In diesem Fall hat die Politik des "Wheat King" die Brotpreise in unerschwingliche Höhen getrieben.) Sogar ihr Versuch eines Aufstandes gegen den Händler, der von der herbeigerufenen Polizei unterdrückt wird, ist enthalten. Und das hattest du ja auch in deinem eigenen Referatstext dargelegt, dass eben diese recht einfache Gegenüberstellung von Arm und Reich à la Griffith Eisensteins dialektischen Bedürfnissen längst nicht genügte.
Ach ja, bleibt noch zu erwähnen, dass der böse Kapitalist und Spekulant in "Die freudlose Gasse" bei seinem ersten Auftreten vom Zwischentitel als "Don Alfonso Canez" vorgestellt wurde, und in Folge musste ich den ganzen Film über bei ihm an Don Alphonso mit seinen Beobachtungen über die New Economy denken ;-)
@baehr: Valeska Gert fand ich innerhalb des G.-W.-Pabst-Oeuvres ja am faszinierendsten als böse Anstalts-Direktoren-Gattin in "Tagebuch einer Verlorenen" (1929). Mit der guten Louise Brooks, deren Foto ja hier rechts unter "Flaneur" zu finden ist. Schade, dass das Arsenal *den* nicht diesen Monat zeigt. Den fand ich immer viel interessanter als Pabsts weitaus bekannteres Louise-Brooks-Vehikel "Die Büchse der Pandora", den er direkt davor drehte ...
Ach ja, bleibt noch zu erwähnen, dass der böse Kapitalist und Spekulant in "Die freudlose Gasse" bei seinem ersten Auftreten vom Zwischentitel als "Don Alfonso Canez" vorgestellt wurde, und in Folge musste ich den ganzen Film über bei ihm an Don Alphonso mit seinen Beobachtungen über die New Economy denken ;-)
@baehr: Valeska Gert fand ich innerhalb des G.-W.-Pabst-Oeuvres ja am faszinierendsten als böse Anstalts-Direktoren-Gattin in "Tagebuch einer Verlorenen" (1929). Mit der guten Louise Brooks, deren Foto ja hier rechts unter "Flaneur" zu finden ist. Schade, dass das Arsenal *den* nicht diesen Monat zeigt. Den fand ich immer viel interessanter als Pabsts weitaus bekannteres Louise-Brooks-Vehikel "Die Büchse der Pandora", den er direkt davor drehte ...
thgroh,
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 01:47
Den Wheat-Film kenne ich in der Tat nicht. An Griffith (weniger als "Gesamtheit" seiner Werke gemeint - es gibt da durchaus auch Filme, die einen ganz "un-griffith-igen" Griffith erkennen lassen -, sondern als Chiffre für einen Stil und "Projekt" des Kinos) erinnerte mich das auch deshalb nicht, weil der Gegensatz ja ganz grundlegend als gegenseitig durchdrungen und nicht als bloße Gegensätze, die gewissermaßen "natürlich" bestehen, gezeichnet werden. Eine "einfache Gegenüberstellung" ist es in der freudlosen Gasse ja keineswegs, schon alleine durch die Zwischentitel nicht: "Ein Hoch auf die lebensfreudigen, lustigen Wienerinnen" steht da dem einen Dekadenten in den Mund geschrieben, und der Film schneidet um aufs Elend der Frauen auf den Straßen. Diese Dramatisierung setzt ja nicht nur auf einen moralischen Eklat - wie kann der völlen, wenn da Hunger in der Nachbarschaft besteht! - , sondern auch, was narrativ bedingt ist, auf die emotionale Empörung über das Wesen, wie der Kapitalismus "ist" (zumindest nach dieser, zugegeben, schlichten Zeichnung - aber auch Eisenstein war ja nun kein dezidiert analysierender Feingeist, der haute ja auch, im wesentlichen, auf jede Pauke, die nicht bei 3 auf den Bäumen war...).
Im Referat (wie bei Eisenstein) war "arm und reich" im Sinne einer einfachen Gegenüberstellung als anthropologische Konstanten des Weltlaufs ja auch eher als Chiffre für ganz grundsätzliches Denken in Widersprüchen, das deren Verhältnis zueinander ausklammert, gedacht gewesen (weil es besonders prägnant und vermittelbar ist). Das "einfache" meint hier das voneinander separierte, aber eben nicht notgedrungen gegenseitig durchdrungene. Und hier eben hebt Pabst für meine Begriffe eher auf Eisenstein (auch hier: als "Methode", nicht als Mensch oder Autor einer überschaubaren Anzahl von Werken gemeint) als auf die Methode Griffith ab. Corner in Wheat mag da eine Ausnahme im Griffith'schen Werk von der eigenen Methode gewesen sein. Was auch nicht viel Wunder nimmt, denn es ist ja nicht so, wie es sich oft anliest, dass Griffith sich irgendwann hinsetzt und darüber grübelt, wie er nun kapitalistische Ideologie am besten in filmische Form umsetzen kann - das war ja alles eher intuitiv, ein Text, der sich durch ihn hindurch bewegt, und eben deshalb auch, für Eisenstein, "ideologisch gefährlich" und unbedingter Gegenstand kritischer Analyse: weil diese Beiläufigkeit soziale und ökonomische Mechanismen überdeckt.
Im Referat (wie bei Eisenstein) war "arm und reich" im Sinne einer einfachen Gegenüberstellung als anthropologische Konstanten des Weltlaufs ja auch eher als Chiffre für ganz grundsätzliches Denken in Widersprüchen, das deren Verhältnis zueinander ausklammert, gedacht gewesen (weil es besonders prägnant und vermittelbar ist). Das "einfache" meint hier das voneinander separierte, aber eben nicht notgedrungen gegenseitig durchdrungene. Und hier eben hebt Pabst für meine Begriffe eher auf Eisenstein (auch hier: als "Methode", nicht als Mensch oder Autor einer überschaubaren Anzahl von Werken gemeint) als auf die Methode Griffith ab. Corner in Wheat mag da eine Ausnahme im Griffith'schen Werk von der eigenen Methode gewesen sein. Was auch nicht viel Wunder nimmt, denn es ist ja nicht so, wie es sich oft anliest, dass Griffith sich irgendwann hinsetzt und darüber grübelt, wie er nun kapitalistische Ideologie am besten in filmische Form umsetzen kann - das war ja alles eher intuitiv, ein Text, der sich durch ihn hindurch bewegt, und eben deshalb auch, für Eisenstein, "ideologisch gefährlich" und unbedingter Gegenstand kritischer Analyse: weil diese Beiläufigkeit soziale und ökonomische Mechanismen überdeckt.
baehr,
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 11:21
Durchaus fraglich, ob Pabst auf die "Methode" Eisenstein abhebt - außer, du begreifst sie hier als ahistorisch und meinst nur, dass Pabst etwas tut, was Eisenstein zur selben Zeit getan hat (und das wäre wohl zuvield er Ehre). Denn inwieweit er Eisenstein im Jahr 1924/25, in dem die "Gasse" entstanden ist, kannte, ist doch sehr zweifelhaft: "Streik" stammt aus 1924, erlebte aber, soweit ich sehe, seine deutsche Rezeption erst 1926, im aufflammenden "Russlandfieber", das sich an die Premiere und den Skandal um das Verbot von "Potemkin" anschloss. Auch vor diesem Erfolg in Deutschland war ja nämlicher Film in Russland kaum gezeigt worden, es kannte ihn also kaum jemand. Und gerade an dem späteren "Jeanne Ney" (der direkt nach dem Erfolg der Russenfilme in Deutschland entstand) lässt sich erkennen, was Pabst am "Russenfilm" mehr faszinierte: Geschwindigkeit, dramtischer Hintergrund, Pathos, Kolorit. Die von dir beschriebene alternierende Konfrontation "arm/reich" lag damals, so meine ich, filmisch schon ein Weilchen in der Luft - ich hab allerdings nicht mehr so drauf, wie das in der "Gasse" aussieht und ob das wirklich an Eisensteins Einsatz der "intellektuellen Montage" heranreicht, die ja mit Bildbegriffen arbeitet, die nur miteinander einen Sinn machen und nur sehr indirekt Handlungsmotiviert sind. Und gerade an diesen Schritt zum geradezu Abstrakten kann ich mich zumindest nicht erinnern...
thgroh,
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 20:10
Das kann durchaus und ohne weiteres sein, dass das (wie ja grundsätzlich die Thematik) "in der Luft lag" und gar nicht mal so sehr ein "Abheben" darstellt.
Die ursprüngliche Aussage im Text war ja allerdings aber auch "erinnert an" (was ja zunächst nur eine gewisse Nähe zueinander in Aussicht stellt) und nicht "ist direkt von der Arbeit Eisensteins inspiriert". Deshalb ist es natürlich auch logisch, dass im Film selbst kein "Eisenstein" zu sehen ist, sondern eben etwas, was "daran erinnert" (dem aber eben nicht zur Gänze entspricht). Aber diese Nähe ist, in diesem Moment, den ich meine, eben doch meines Erachtens eher gegeben als eine Nähe zu Griffith.
Die ursprüngliche Aussage im Text war ja allerdings aber auch "erinnert an" (was ja zunächst nur eine gewisse Nähe zueinander in Aussicht stellt) und nicht "ist direkt von der Arbeit Eisensteins inspiriert". Deshalb ist es natürlich auch logisch, dass im Film selbst kein "Eisenstein" zu sehen ist, sondern eben etwas, was "daran erinnert" (dem aber eben nicht zur Gänze entspricht). Aber diese Nähe ist, in diesem Moment, den ich meine, eben doch meines Erachtens eher gegeben als eine Nähe zu Griffith.
baehr,
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 20:58
Mein Korintenkackertum bricht immer wieder durch... Eisenstein wird so gern immer wieder für alles mögliche hergenommen, da bin ich ein wenig empfindlich. Blöderweise habe ich die "Freudlose Gasse" vor inzwschen (mein Gott!) wohl zehn Jahren das letzte mal gesehen und daher zu wenig drauf, um mich hier ernsthaft aufzuplustern. Lasse mich also gerne eines Besseren belehren. Aber: Ohne Griffith kein (oder ein anderer) Eisenstein, to make ends meet.
Bin übrigens ernsthaft neidisch auf die Filmreihe, die du da besuchst.
Bin übrigens ernsthaft neidisch auf die Filmreihe, die du da besuchst.
thgroh,
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 22:09
Das Korinthenkackertum ist mir aus Selbstbeobachtung auch durchaus bekannt und bei Sachen, die einem wichtig sind, ist es letzten Endes doch auch sehr verständlich. :)
"Aber: Ohne Griffith kein (oder ein anderer) Eisenstein, to make ends meet. "
So ist es. :)
"Aber: Ohne Griffith kein (oder ein anderer) Eisenstein, to make ends meet. "
So ist es. :)
baehr,
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 23:34
Das kleine "h" in "Korinthenkackertum" ist natürlich eine echte kleine Gemeinheit ;-).
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