Thema: Filmtagebuch
Adrian Hovens nach meinem Kenntnisstand recht rarer Krimi Der Mörder mit dem Seidenschal ist derzeit noch für wenige Tage in der Mediathek von Das Vierte zu sehen.
Ein typischer Kraut-Krimi der damaligen Mode steht bei diesem günstig entstandenen Film aus dem Jahr 1966 allerdings nicht zu erwarten: Weder handelt es sich um eine Wallace-Produktion, noch standen hier die üblichen Verdächtigen (Artur Brauner, Horst Wendlandt) Pate. Auch die Wiener Kulisse hebt den Film vom Teutonen-London der Wallace-Filme und ihrer Plagiate spürbar ab: Kein spätbürgerliches Dekors bestimmt die Kulisse, sondern Innenstadtatmosphäre zwischen modernem Café und Kino, zwischen Kiosk, Boulevard und Hinterhof. Mitten drin: Susanne Uhlen, hier wenige Jahre vor ihrer großartigen Rolle in Brynychs Engel, die ihre Flügel verbrennen, in ihrem Debüt, gerade mal 10 Jahre alt. Mit erschrockenen Rehaugen spielt sie als Symbol der in einer verkommenen Welt zuschanden zu kommen drohenden Unschuld alle an die Wand.
Hoven, der als Schauspieler im muffigsten Sumpf des deutschen Trivialkinos begann und nach einem Zwischenspiel für Jess Franco bei Fassbinder landete, dreht im tänzelnden Flirt mit dem modernen Film einerseits, der Filmgeschichte andererseits eine Art urban-düstere Rotkäppchen-Variante: Die Stadt mit ihrem Betrieb ist der Wald, das ringsum alles bestimmende Profitdenken der böse Wolf und der rettende Jäger ein lange im Dunkeln tappender Polizeibeamter, der das Mädchen, das den Mord an ihrer Mutter beobachtet hat, im Wald nicht findet.
Zwei, drei Schwächen mag es geben - auf Juhnke als jungen Ermittlungsassistent mit Pfiff und Witz, sehr deutlich ein Zugeständnis an vergleichbare Typen beim populären Wallace-Franchise, hätte man vielleicht verzichten können -, von der Entdeckung dieses zumindest in Sichtweite zum gerade in Italien (Co-Produktion!) prosperierenden Giallo vorbeisegelnden Krimis sollte dies indessen nicht abhalten. Auch wegen seiner Koketterie mit der urbanen Verruchtheit scheint mir der Film im direkten Zusammenhang mit Dominik Grafs kürzlicher Kritik am Besinnungsaufsatz-Kino im heutigen Deutschland sehenswert: Es bleibt zu erwägen, ob man Hoven in die Reihe von Regie-Ekstatikern, die Graf dort auflistet, mitaufnehmen sollte.
(Mehr großartige Lobby Cards zu diesem Film hier bei Kino-50er)
Ein typischer Kraut-Krimi der damaligen Mode steht bei diesem günstig entstandenen Film aus dem Jahr 1966 allerdings nicht zu erwarten: Weder handelt es sich um eine Wallace-Produktion, noch standen hier die üblichen Verdächtigen (Artur Brauner, Horst Wendlandt) Pate. Auch die Wiener Kulisse hebt den Film vom Teutonen-London der Wallace-Filme und ihrer Plagiate spürbar ab: Kein spätbürgerliches Dekors bestimmt die Kulisse, sondern Innenstadtatmosphäre zwischen modernem Café und Kino, zwischen Kiosk, Boulevard und Hinterhof. Mitten drin: Susanne Uhlen, hier wenige Jahre vor ihrer großartigen Rolle in Brynychs Engel, die ihre Flügel verbrennen, in ihrem Debüt, gerade mal 10 Jahre alt. Mit erschrockenen Rehaugen spielt sie als Symbol der in einer verkommenen Welt zuschanden zu kommen drohenden Unschuld alle an die Wand.
Hoven, der als Schauspieler im muffigsten Sumpf des deutschen Trivialkinos begann und nach einem Zwischenspiel für Jess Franco bei Fassbinder landete, dreht im tänzelnden Flirt mit dem modernen Film einerseits, der Filmgeschichte andererseits eine Art urban-düstere Rotkäppchen-Variante: Die Stadt mit ihrem Betrieb ist der Wald, das ringsum alles bestimmende Profitdenken der böse Wolf und der rettende Jäger ein lange im Dunkeln tappender Polizeibeamter, der das Mädchen, das den Mord an ihrer Mutter beobachtet hat, im Wald nicht findet.
Zwei, drei Schwächen mag es geben - auf Juhnke als jungen Ermittlungsassistent mit Pfiff und Witz, sehr deutlich ein Zugeständnis an vergleichbare Typen beim populären Wallace-Franchise, hätte man vielleicht verzichten können -, von der Entdeckung dieses zumindest in Sichtweite zum gerade in Italien (Co-Produktion!) prosperierenden Giallo vorbeisegelnden Krimis sollte dies indessen nicht abhalten. Auch wegen seiner Koketterie mit der urbanen Verruchtheit scheint mir der Film im direkten Zusammenhang mit Dominik Grafs kürzlicher Kritik am Besinnungsaufsatz-Kino im heutigen Deutschland sehenswert: Es bleibt zu erwägen, ob man Hoven in die Reihe von Regie-Ekstatikern, die Graf dort auflistet, mitaufnehmen sollte.
(Mehr großartige Lobby Cards zu diesem Film hier bei Kino-50er)
° ° °
kommentare dazu:
schwanenmeister,
Sonntag, 29. April 2012, 20:17
Hatte mir den Film gerade wegen des Regisseurs vorgemerkt und natürlich wieder völlig vergessen gehabt. Adrian Hoven - das ist ja der Mann hinter zwei meiner liebsten Krautploitation-Schätze, nämlich "Hexen bis aufs Blut gequält" und dem Sexepos "Siegfried und sagenhafte Liebesleben der Nibelungen". Thanks für die Erinnerung. Ich sah neulich auch in der Das Vierte-Reihe in Alfred Vohrers "Ein Alibi zerbricht" rein. Grandioser, geradezu visuell berauschender Anfang, an den der Film nicht mehr heranreichen konnte. Aber allein um zu sehen, was die Sechziger aus Ruth Leuwerik gemacht haben, die man beinahe nicht wiedererkennt, lohnte das Weiterschauen.
sano der zweite,
Mittwoch, 2. Mai 2012, 04:40
Hoven
gehört in der Tat zu jenen Regie-Ekstatikern, weshalb ich mich auf den Seidenschal-Film ebenfalls sehr freue. Kenne zwar bisher nur 2 Meisterwerke von ihm, was aber angesichts des schmalen Regieoutputs dann doch nicht so wenig ist, wie es sich anhört. Über "Im Schloß der blutigen Begierde" schrieben Andreas und ich bereits hier: http://www.eskalierende-traeume.de/100-deutsche-lieblingsfilme-11-im-schlos-der-blutigen-begierde-1968/ , und zu "Der Wilde Blonde mit der heißen Maschine", den ich zu den 10 besten deutschen Filmen die ich in meinem Leben gesehen habe zähle, wird in Zukunft auch noch ein Gemeinschaftstext auf ET erscheinen. :-)
thgroh,
Mittwoch, 2. Mai 2012, 16:50
Ich bin gespannt! Und ansehen muss ich mir die genannten Filme auch unbedingt mal!
schwanenmeister,
Freitag, 4. Mai 2012, 05:28
Dann muss sich nur noch einer "Die Mädchen aus der Peep Show" schön schauen, und wir hätten Hovens Filmografie komplett abgefrühstückt. ;)
Mir hat "Der Mörder mit dem Seidenschal" jetzt ebenfalls sehr gefallen. Sogar Juhnke funktioniert, weil er den Assistenten total straight und trocken spielt. Das hat fast gar nichts mit Edgar Wallace und beinahe alles mit "Die Nacht des Jägers" (Carl Möhner in der Bob Mitchum-Rolle) und "Der dritte Mann" zu tun, woran sich Hoven hier doch gekonnt angelehnt hat. Sehr souveräne, herrlich düstere Fingerübung als Debüt, das beinahe alles bereits mit Leichtigkeit beherrscht: Milieustudie, Action, Horror, Spannung, Settings, Casting (was für tolle Gesichter!).
Mir hat "Der Mörder mit dem Seidenschal" jetzt ebenfalls sehr gefallen. Sogar Juhnke funktioniert, weil er den Assistenten total straight und trocken spielt. Das hat fast gar nichts mit Edgar Wallace und beinahe alles mit "Die Nacht des Jägers" (Carl Möhner in der Bob Mitchum-Rolle) und "Der dritte Mann" zu tun, woran sich Hoven hier doch gekonnt angelehnt hat. Sehr souveräne, herrlich düstere Fingerübung als Debüt, das beinahe alles bereits mit Leichtigkeit beherrscht: Milieustudie, Action, Horror, Spannung, Settings, Casting (was für tolle Gesichter!).
frankderschlitzer,
Freitag, 4. Mai 2012, 13:50
Der deutsche Film und seine Stunden
Es ist schon komisch. Mein Verhältnis zum deutschen Film ist sehr gespalten. Von den 90ern bis heute kann ich mir kaum etwas anschauen, gerade dieses Jahrzehnt aber ist es, in dem mich das deutsche Kino immer wieder faszinieren kann und gefangen hält.
Ich frage mich wirklich, was aus dem einstigen Potential, das Deutschland auf dem Sektor innehatte, geworden ist. All da spezifische, all die Alleinstehungsmerkmal, vor allem aber all der künstlerische Anspruch und die ambitioniete Vorgehensweise scheinen einfach von einer Generation auf die andere abhanden gekommen zu sein.
Auf http://www.scififilme.net/ habe ich z.B. gerade das Problem, dass ich gerne mal einen guten deutschen Vertreter des Science Fiction-Genres anführen würde bzw. dem Autor die Besprechung vorschlagen möchte - mir aber ums Verrecken nichts einfällt.
Ich frage mich wirklich, was aus dem einstigen Potential, das Deutschland auf dem Sektor innehatte, geworden ist. All da spezifische, all die Alleinstehungsmerkmal, vor allem aber all der künstlerische Anspruch und die ambitioniete Vorgehensweise scheinen einfach von einer Generation auf die andere abhanden gekommen zu sein.
Auf http://www.scififilme.net/ habe ich z.B. gerade das Problem, dass ich gerne mal einen guten deutschen Vertreter des Science Fiction-Genres anführen würde bzw. dem Autor die Besprechung vorschlagen möchte - mir aber ums Verrecken nichts einfällt.
andreas.,
Sonntag, 6. Mai 2012, 02:47
Deutsche Science-Fiction-Filme sind tatsächlich eher rar gesät, mir würden als erstes DEFA-Produktionenen wie "Der schweigende Stern" oder "Eolomea" einfallen. Oder "Perry Rhodan - SOS aus dem Weltall", der aber nur eine deutsche Co-Produktion und eigentlich eher ein italienischer Film ist. Dieser Wikipedia-Eintrag bietet vielleicht ein paar Anregungen: http://de.wikipedia.org/wiki/Science-Fiction-Film#Der_Sci-Fi-Film_in_Deutschland
"Der Mörder mit dem Seidenschal" habe ich mittlerweile ebenfalls gesehen und reihe mich bei Thomas und Schwanenmeister ein. Die spezifisch wienerische Einfärbung, was Schauplätze, Nebenfiguren und Dialekt angeht, lässt auch ein bisschen an Eddy Saller oder einige Momente aus Olsens teilweise in Wien spielendem "In Frankfurt sind die Nächte heiß" denken, mit letzterem teilt er auch ein gewisses verrucht-ruppiges Flair. Von Hoven fehlen mir noch "Siegfried" und der zweite "Hexen"-Film. Seine anderen Filme mochte ich alle sehr, mit dem schon von Sano erwähnten "wilden Blonden" (aka "Pusteblume") als Höhepunkt. Und "Die Mädchen aus der Peep Show" sind bei aller Schäbigkeit auch prima, allein das unglaubliche, unerbittliche martialische Disco-Stampfen auf der Tonspur des Films katapultiert ihn und den Betrachter geradewegs ins Delirium.
"Der Mörder mit dem Seidenschal" habe ich mittlerweile ebenfalls gesehen und reihe mich bei Thomas und Schwanenmeister ein. Die spezifisch wienerische Einfärbung, was Schauplätze, Nebenfiguren und Dialekt angeht, lässt auch ein bisschen an Eddy Saller oder einige Momente aus Olsens teilweise in Wien spielendem "In Frankfurt sind die Nächte heiß" denken, mit letzterem teilt er auch ein gewisses verrucht-ruppiges Flair. Von Hoven fehlen mir noch "Siegfried" und der zweite "Hexen"-Film. Seine anderen Filme mochte ich alle sehr, mit dem schon von Sano erwähnten "wilden Blonden" (aka "Pusteblume") als Höhepunkt. Und "Die Mädchen aus der Peep Show" sind bei aller Schäbigkeit auch prima, allein das unglaubliche, unerbittliche martialische Disco-Stampfen auf der Tonspur des Films katapultiert ihn und den Betrachter geradewegs ins Delirium.
schwanenmeister,
Freitag, 11. Mai 2012, 16:53
Komisch, ich muss bei deutscher Science-Fiction immer zuerst an die herrliche "L.I.S.A. - Der helle Wahnsinn"-Paraphrase "Bodo - Eine ganz normale Familie" denken. Abzuraten ist übrigens vom einfältigen "Der Mann, der zweimal lebte"-Remake "Transfer". Geht geradezu fahrlässig mit der genialen Ausgangsprämisse um.
sano der zweite,
Montag, 21. Mai 2012, 03:55
Bodo
war einer meiner Lieblingsfilme als Kleinkind. Weiß gar nicht mehr wie oft ich ihn gesehen habe. Deutsche Science-Fiction-Filme gibt es wohl in der Tat nicht in Hülle und Fülle, Metropolis ist z.B. aber weltbekannt.
PS:Andi, guckst du jetzt alle Hovens ohne mich, um dich um weitere Besprechungen innerhalb der deutchen Reihe zu drücken!? ;-)
PS:Andi, guckst du jetzt alle Hovens ohne mich, um dich um weitere Besprechungen innerhalb der deutchen Reihe zu drücken!? ;-)
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