Vorab, um möglicher Verwirrung entgegenzuwirken: „Kammerflimmern“ läuft bereits seit dem 3.2. in deutschen Kinos. Er ist dennoch Bestandteil der Berlinale, wenn auch „nur“ in der Programmschiene „German Cinema“, die vor allem für ausländische Festivalgäste gedacht ist, die sich einen Überblick über die hiesige Filmproduktion verschaffen wollen.

Etwas unschlüssig im Cinemax umherstolpernd hat mich Hendrik Hölzemanns Film (der 26-jährige führte Regie und schrieb das Drehbuch) vollkommen unvorbereitet getroffen. Mit dem schlimmsten rechnend - immerhin hat Hendrik das Buch zu Benjamin Quabecks quälendem „Nichts bereuen“ zu verantworten und sein Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer einer der unsympathischsten Filmfiguren der Nachkriegszeit in BvSB`s „Soloalbum“ zu fragwürdigem „Glanz“ verholfen – aber ich nehme alles zurück. Hendrik Hölzemann ist ein beinahe schon sensationell zu nennendes Debüt gelungen und als unverbesserlich skeptischer Nachzügler muss auch ich eingestehen: Matthias Schweighöfer ist vielleicht neben Tom Schilling, ganz großartig zuletzt in Egoshooter, der im Moment aufregendste deutsche Filmschauspieler überhaupt.

Wir sehen ein verliebtes Paar, dass in einem Wagen durch eine menschenleere Landschaft braust, auf dem Rücksitz ihr siebenjähriger Sohn. Die Idylle ist vollkommen, wie in einem Traum und plötzlich im nächsten Moment – ein lauter Knall – und alles ist vorbei. Die Kamera zeigt den Jungen, von unten angeschnitten, gegen den Himmel, im Hintergrund das Autowrack mit den tödlich verunglückten Eltern. Er rollt auf seinem Skateboard die schmale Straße entlang, nimmt noch einmal Schwung und knallt mit dem Kopf gegen die Wand eines Bushaltestellenhäuschens. In der nächsten Einstellung wacht Crash (Matthias Schweighöfer) schweißüberströmt in seinem Bett auf.

Crash ist Rettungssanitäter. Mit seinem Partner (Axel Prahl) fährt er durch Köln. Sie werden immer dann gerufen wenn alles schon passiert ist, wenn die aufmüpfige Frau von ihrem Mann vertrimmt wurde, der Penner halbtot in der Gosse liegt, der Familienvater einen Schlaganfall erlitten hat. Crash kommt mit dem Elend nicht klar, hat keine Abwehrmechanismen entwickelt, wie etwa sein zynischer Partner oder der sadistische Kollege. Er will Gutes tun und sucht eigentlich die Erlösung vom Schmerz der Erinnerung. Parallel wird die Geschichte der hochschwangeren November erzählt (Jessica Schwarz). Ihr Freund ist ein Junkie, die Venen zerstochen und porös. Sie liebt ihn, aber er dankt es ihr nicht.

Es kommt wie es kommen muss. Sein Tod bringt sie und Crash zusammen. Das Drehbuch hat unbestreitbar Schwächen. Die Geschichte ist in vielerlei Hinsicht vorhersehbar, hat hin und wieder Fernsehspielniveau. Aber wie Hölzemann den Zustand seiner Hauptfigur dem Publikum näherbringt, das ist beachtlich. Er bedient sich der Rückblende, jedoch nicht im konventionellen Sinn. Schritt für Schritt, während wir Crash kennenlernen und er sich selbst über die Annäherung an November entdeckt, werden seine Alpträume konkreter. Diese Technik verhilft dem Film zu seiner mystischen Qualität.

Ganz toll Axel Prahl, der durch seine Physis den Film erdet, mutig Jessica Schwartz, die manchmal vielleicht zu viel will, ich weiß es nicht so recht. Bibiane Beglau in der Rolle der abgebrühten Notärztin hat mir gut gefallen genauso wie auch Florian Lukas in einer nicht ganz so dankbaren Nebenrolle. Nicht alles gelingt. Immer wieder überspannt Hölzemann meiner Ansicht nach den Bogen. Zu deutlich tritt die Funktionsweise des Buchs auf den Plan, über wiederkehrende, identitätsstiftende Elemente, als wollte man auf Nummer sicher gehen. Zu offenherzig die Inszenierung, wenn Crash und November beim Sex gezeigt werden etwa und zu deutlich das Bemühen sich amerikanischer Vorbilder anzudienen, in Kleinigkeiten, in der Art und Weise wie die Schauspieler geführt werden, noch eine Geste hier und dort ein Wort zuviel. Das alles hätte der Film gar nicht nötig gehabt. Aber Hendrik Hölzemann will aufs Ganze gehen und ich hab die ein oder andere Träne verdrückt. Hoffentlich darf ers bald wieder versuchen.


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