Thema: Berlinale 2005
15. Februar 05 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Der Film läuft in der Reihe 14Plus des Kinderfilmfestes.
Zwei Schulmädchen, Hana und Alice, vor morgentrister Kulisse eines japanischen Vorortes. Sie springen umher, bald hierhin, bald dorthin. Es geht zum Zug, erfahren wir. Wohin der fährt? Weiß die eine nicht. Sie fragt nach, hinein, nicht hinein? Erst hinein, drin rumpesen, dann wieder raus. Bei einer Haltestelle aussteigen, zum nächsten Zug hin. Ziellos in den Tag hinein. Am Ende geht’s dann doch zur Schule, aber erst nach vielen Umwegen. Und im Zug sehen sie einen jungen Mann, den beide neckisch finden. Vor ihm steht ein anderer, ein echter Bücherwurm, nicht unattraktiv, sicherlich, aber zunächst nicht im Fokus. Um ihn wird es später dann gehen, in diesem Film von Shunji Iwai, auf den man drei Jahre lang hat warten müssen. Endlich ist er da.
Wie die beiden Mädchen zu Beginn, so ist auch der Film. Stets sprunghaft, ohne rechtes Ziel, mal geht es hierhin, mal dorthin. Wo es was zu entdecken gibt, wird länger hingeschaut, verweilt. Bald rückt anderes ins Blickfeld und dann ist das zuvor Geschehene schon wieder vergessen. Die narrative Linie, der sporadisch, oft nur am Rande, gefolgt wird, ist folgende: Die etwas plumpere Hana verliebt sich insgeheim in den Bücherwurm, Miyamoto. In einem seltsam verschrobenen „Drama Club“ – eine Lokalität, ein Sammelbecken für seltsame Figuren, wie es bei Iwai so häufig anzutreffen ist – versucht sie ihm nahe zu kommen. Als er sich beim büchervergrabenen Nachhauseweg den Kopf stößt und zu Boden geht, sieht sie ihre Chance gekommen: Sie redet ihm eine Amnesie ein und macht ihm zum leisen Vorwurf, dass er sich nicht mehr an seine Liebesschwüre erinnern könne. Aber sie ist natürlich dazu bereit, gemeinsam mit ihm Erinnerungsarbeit zu leisten. Als er bei ihr auf Monate alte Handyfotos seiner Selbst stößt und die Geschichte aufzufliegen droht, lässt sie sich zu einem abenteuerlichen Schwindel hinreißen: Die habe Alice geschossen, damals, als diese noch mit ihm zusammen war. Alice habe sie ihr geschickt, aber dann kam es zum Krach zwischen Alice und Miyamoto und dann war Schluss und jetzt aber ist sie mit ihm zusammen. Alice erhält Anweisungen, sich entsprechend zu verhalten. Sie lässt sich darauf ein, denn auch sie findet insgeheim den schüchternen Jungen ganz süß. Keine gute Basis für weitere Ereignisse ...
Doch dies, wie gesagt, nur ein Faden, der immer mal wieder aufgegriffen wird und eigentlich kaum recht ins Zentrum des Filmes rückt. Wichtiger sind die Einschübe, die den Alltag der beiden Mädchen - mal gemeinsam, mal jede für sich – zeigen. Die Ballettschule, in die beide gehen, wird beleuchtet. Wir lernen Figuren daraus kennen, jede für sich ein Unikat (wie bei Iwai ja immer alle Menschen alles andere als gewöhnlich sind, selbst noch in ihrer Gewöhnlichkeit). Beider Elternhäuser werden vorgestellt, oft nur durch bildhafte Eindrücke, kleine Gesten zwischen Eltern und Tochter. Alles wird angeschnitten, nichts voll ausformuliert, aber, und darin liegt die Kunst, jeder Detail bleibt als Reminiszenz doch detailreich und erdet den mäanderförmigen Verlauf des roten Fadens in ein großes Gefüge, in dem, und das ist das Schöne, alles für sich betrachtet und in seiner leisen Poesie genossen oder alles als Teil eines großen Ganzen betrachtet werden kann. Dem ähnlich sympathischen Forumsbeitrag Sekai no Owari nicht wesensfremd, liegt die Stärke von Hana & Alice im großen Angebot, sich in einem Film zu verlieren, ohne dass jedes Detail einen gleich mit Sinn und Bedeutung für das Ganze erschlage. Der Verlauf, das Beiläufige ist das Schöne, an diesem wie jenem Film. Und wenn man sich daran gewöhnt hat, wenn man beide Mädchen, so unterschiedlich sie auch sind, irgendwann als gute Bekannte, an deren Leben man auszugsweise teilhat, angenommen hat, dann entwickelt Hana & Alice eine ganz eigene Faszinationskraft eines gemächlichen Zuschauens, wie sich Menschen da in emotional fordernden Situationen verhalten, ohne dass gleich die Gesetze der Dramaturgie oder der Parabel in den Raum gestellt würden.
Maßgeblich trägt dazu natürlich Shunji Iwais Gespür fürs Bild bei. Und das Beiläufige, das sich ins Detail verlierende der Handlung, findet hier Wiederklang. Gewiss ist da eine eigene, kleine Poesie im Kader versteckt. Aber nichts schwingt sich zu einer überwältigenden Poetik auf. Jede Verschrobenheit – in einer emotional besonders packenden Szene in einem Klassenzimmer etwa, am Rande eines Schulkulturfestes situiert, schaut, wie zur Konterkarierung des Gesprächs, ein aufgeblasener Astroboy durchs Fenster rein; von ganz eigenem Reiz, ohne bloß Schrulligkeit beizupfeffern, ist ein seltsames Zwillingspärchen mit blonden Haaren am Rande eines Castings, an dem die bezaubernde Alice teilnimmt -, jedes kleinste Element der Gestaltung – ein Aufblitzen eines Lichtstrahls etwa, bedingt durch einen kurz zur Seite geneigten Kopf – könnte zufällig hier platziert oder Teil eines ästhetischen Konzepts sein. Man darf sich entscheiden und ganz nach Lust und Laune Gefallen daran finden. Ästhetisch unverkennbar Shunji Iwai sind dabei die Bilder und ihr Licht selbst: Immer kommt da ein Schimmer von oben, der die ansonsten eher natürlich gehaltenen Bilder nur eine Nuance irrealisiert, sie ein wenig traumhaft erscheinen lässt, dabei aber nie in sämige Traumsoße kippt. Eine Sachtheit, die sich in jedem Aspekt des Films widerspiegelt.
Das Ende ist natürlich ganz anders als Beginn und Verlauf des Films in Erwartung stellten. Aber es ist auch anders, als man es von einem „anderen Ende“ erwarten würde. Eine Nebensächlichkeit rückt ins Zentrum, Jubel, der Film ist aus. Den roten Faden von der Liebesgeschichte hat man schon lange verloren, wenn man ihn denn überhaupt an irgendeiner Stelle motiviert aufgegriffen hätte. Darum ging es schlicht nicht, sondern allenfalls unter anderem. Wichtig ist Shunji Iwai das Gefühl für einen schönen Kippmoment in der Adoleszenz: Schon sehr erwachsen, aber noch immer jugendlich genug, um sich für eine kleine Weile noch zurückziehen zu können. Das Gespür, mit der Shunji Iwai dies ins Bild setzt, ist, wie stets, fast unbeschreiblich. Am Ende ist alles so, als wäre das nur einer von vielen, scheinbar endlos verfügbaren Sommern gewesen, in denen viel passiert ist, manche Träne auch geflossen, aber am Ende war alles nur Episode reinster Gegenwärtigkeit und gewiss nicht Teil einer biografischen Historizität. Die kommt erst später und ist Shunji Iwais Sache nicht. Zum Glück.
imdb | offizielle Website
Schöne Screenshots in den Kommentaren.
Zwei Schulmädchen, Hana und Alice, vor morgentrister Kulisse eines japanischen Vorortes. Sie springen umher, bald hierhin, bald dorthin. Es geht zum Zug, erfahren wir. Wohin der fährt? Weiß die eine nicht. Sie fragt nach, hinein, nicht hinein? Erst hinein, drin rumpesen, dann wieder raus. Bei einer Haltestelle aussteigen, zum nächsten Zug hin. Ziellos in den Tag hinein. Am Ende geht’s dann doch zur Schule, aber erst nach vielen Umwegen. Und im Zug sehen sie einen jungen Mann, den beide neckisch finden. Vor ihm steht ein anderer, ein echter Bücherwurm, nicht unattraktiv, sicherlich, aber zunächst nicht im Fokus. Um ihn wird es später dann gehen, in diesem Film von Shunji Iwai, auf den man drei Jahre lang hat warten müssen. Endlich ist er da.
Wie die beiden Mädchen zu Beginn, so ist auch der Film. Stets sprunghaft, ohne rechtes Ziel, mal geht es hierhin, mal dorthin. Wo es was zu entdecken gibt, wird länger hingeschaut, verweilt. Bald rückt anderes ins Blickfeld und dann ist das zuvor Geschehene schon wieder vergessen. Die narrative Linie, der sporadisch, oft nur am Rande, gefolgt wird, ist folgende: Die etwas plumpere Hana verliebt sich insgeheim in den Bücherwurm, Miyamoto. In einem seltsam verschrobenen „Drama Club“ – eine Lokalität, ein Sammelbecken für seltsame Figuren, wie es bei Iwai so häufig anzutreffen ist – versucht sie ihm nahe zu kommen. Als er sich beim büchervergrabenen Nachhauseweg den Kopf stößt und zu Boden geht, sieht sie ihre Chance gekommen: Sie redet ihm eine Amnesie ein und macht ihm zum leisen Vorwurf, dass er sich nicht mehr an seine Liebesschwüre erinnern könne. Aber sie ist natürlich dazu bereit, gemeinsam mit ihm Erinnerungsarbeit zu leisten. Als er bei ihr auf Monate alte Handyfotos seiner Selbst stößt und die Geschichte aufzufliegen droht, lässt sie sich zu einem abenteuerlichen Schwindel hinreißen: Die habe Alice geschossen, damals, als diese noch mit ihm zusammen war. Alice habe sie ihr geschickt, aber dann kam es zum Krach zwischen Alice und Miyamoto und dann war Schluss und jetzt aber ist sie mit ihm zusammen. Alice erhält Anweisungen, sich entsprechend zu verhalten. Sie lässt sich darauf ein, denn auch sie findet insgeheim den schüchternen Jungen ganz süß. Keine gute Basis für weitere Ereignisse ...
Doch dies, wie gesagt, nur ein Faden, der immer mal wieder aufgegriffen wird und eigentlich kaum recht ins Zentrum des Filmes rückt. Wichtiger sind die Einschübe, die den Alltag der beiden Mädchen - mal gemeinsam, mal jede für sich – zeigen. Die Ballettschule, in die beide gehen, wird beleuchtet. Wir lernen Figuren daraus kennen, jede für sich ein Unikat (wie bei Iwai ja immer alle Menschen alles andere als gewöhnlich sind, selbst noch in ihrer Gewöhnlichkeit). Beider Elternhäuser werden vorgestellt, oft nur durch bildhafte Eindrücke, kleine Gesten zwischen Eltern und Tochter. Alles wird angeschnitten, nichts voll ausformuliert, aber, und darin liegt die Kunst, jeder Detail bleibt als Reminiszenz doch detailreich und erdet den mäanderförmigen Verlauf des roten Fadens in ein großes Gefüge, in dem, und das ist das Schöne, alles für sich betrachtet und in seiner leisen Poesie genossen oder alles als Teil eines großen Ganzen betrachtet werden kann. Dem ähnlich sympathischen Forumsbeitrag Sekai no Owari nicht wesensfremd, liegt die Stärke von Hana & Alice im großen Angebot, sich in einem Film zu verlieren, ohne dass jedes Detail einen gleich mit Sinn und Bedeutung für das Ganze erschlage. Der Verlauf, das Beiläufige ist das Schöne, an diesem wie jenem Film. Und wenn man sich daran gewöhnt hat, wenn man beide Mädchen, so unterschiedlich sie auch sind, irgendwann als gute Bekannte, an deren Leben man auszugsweise teilhat, angenommen hat, dann entwickelt Hana & Alice eine ganz eigene Faszinationskraft eines gemächlichen Zuschauens, wie sich Menschen da in emotional fordernden Situationen verhalten, ohne dass gleich die Gesetze der Dramaturgie oder der Parabel in den Raum gestellt würden.
Maßgeblich trägt dazu natürlich Shunji Iwais Gespür fürs Bild bei. Und das Beiläufige, das sich ins Detail verlierende der Handlung, findet hier Wiederklang. Gewiss ist da eine eigene, kleine Poesie im Kader versteckt. Aber nichts schwingt sich zu einer überwältigenden Poetik auf. Jede Verschrobenheit – in einer emotional besonders packenden Szene in einem Klassenzimmer etwa, am Rande eines Schulkulturfestes situiert, schaut, wie zur Konterkarierung des Gesprächs, ein aufgeblasener Astroboy durchs Fenster rein; von ganz eigenem Reiz, ohne bloß Schrulligkeit beizupfeffern, ist ein seltsames Zwillingspärchen mit blonden Haaren am Rande eines Castings, an dem die bezaubernde Alice teilnimmt -, jedes kleinste Element der Gestaltung – ein Aufblitzen eines Lichtstrahls etwa, bedingt durch einen kurz zur Seite geneigten Kopf – könnte zufällig hier platziert oder Teil eines ästhetischen Konzepts sein. Man darf sich entscheiden und ganz nach Lust und Laune Gefallen daran finden. Ästhetisch unverkennbar Shunji Iwai sind dabei die Bilder und ihr Licht selbst: Immer kommt da ein Schimmer von oben, der die ansonsten eher natürlich gehaltenen Bilder nur eine Nuance irrealisiert, sie ein wenig traumhaft erscheinen lässt, dabei aber nie in sämige Traumsoße kippt. Eine Sachtheit, die sich in jedem Aspekt des Films widerspiegelt.
Das Ende ist natürlich ganz anders als Beginn und Verlauf des Films in Erwartung stellten. Aber es ist auch anders, als man es von einem „anderen Ende“ erwarten würde. Eine Nebensächlichkeit rückt ins Zentrum, Jubel, der Film ist aus. Den roten Faden von der Liebesgeschichte hat man schon lange verloren, wenn man ihn denn überhaupt an irgendeiner Stelle motiviert aufgegriffen hätte. Darum ging es schlicht nicht, sondern allenfalls unter anderem. Wichtig ist Shunji Iwai das Gefühl für einen schönen Kippmoment in der Adoleszenz: Schon sehr erwachsen, aber noch immer jugendlich genug, um sich für eine kleine Weile noch zurückziehen zu können. Das Gespür, mit der Shunji Iwai dies ins Bild setzt, ist, wie stets, fast unbeschreiblich. Am Ende ist alles so, als wäre das nur einer von vielen, scheinbar endlos verfügbaren Sommern gewesen, in denen viel passiert ist, manche Träne auch geflossen, aber am Ende war alles nur Episode reinster Gegenwärtigkeit und gewiss nicht Teil einer biografischen Historizität. Die kommt erst später und ist Shunji Iwais Sache nicht. Zum Glück.
imdb | offizielle Website
Schöne Screenshots in den Kommentaren.
° ° °
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