Der Film läuft im Internationalen Forum des jungen Films.

Im Mittelpunkt dieses Dokumentarfilms steht die Bilderrolle "Yamanaka Tokiwa", die dem japanischen Künstler Iwasa Matabei (1578-1650) zugeschrieben wird. Sie erzählt die zu Beginn des 17. Jahrhunderts berühmte Marionettentheater-Geschichte von Ushiwaka-maru und seiner Mutter, Lady Tokiwa. Beide sind Mitglieder einer Samurai-Familie. Ushiwaka-maru ist der Kindername von Minomoto Yoshitsune, einer der beliebtesten historischen Persönlichkeiten Japans im 12. Jahrhundert. Lady Tokiwa macht sich auf den Weg, um ihren Sohn zu besuchen, der im Norden Japans lebt, weit weg von ihrer Heimstadt Kyoto. Auf der Reise wird sie in Yamanaka von Banditen überfallen und umgebracht. Lady Tokiwas Geist erscheint dem Sohn, der so von dem tragischen Schicksal seiner Mutter erfährt. Um sie zu rächen, bringt er alle Mitglieder der Bande um. (Quelle: Forum)



Die Damen, die sich um die Pressearbeit des Films kümmern, sind vor dem Press Screening sichtlich aufgeregt zu Werke: Sie beeilen sich, jedem Journalisten, an seinem umhängenden Badge zu erkennen, ob er nun will oder nicht, ein zweiblättriges Info Sheet zu den historischen und kulturellen Hintergründen des Films in die Hand zu drücken, behalten dabei aber maximale Freundlichkeit. Natürlich will man, dass der Film verstanden wird und Aufklärung tut da Not, denn er wirft einen tiefen Blick in die traditionelle japanische Kultur.

Vor allem an der musikalischen Untermalung, den vom klassischen shamisen unterlegten joruri, macht sich das bemerkbar. Westlichen und ungeübten Ohren muss das wie arhytmisches Geklimper anmuten, wie Katzengejaule. Und in der Tat ist die Musik dann auch das erste Hemmnis des Films, auch für den an sich aufgeschlossenen Zuschauer, der festivalbedingt ohnedies zum Kopfschmerz neigt. Bald erste Gedanken, den Saal zu verlassen. Doch dann eben doch Sich-Fügen, Sich-Entspannen. Die Rezeptoren öffnen sich, der Film, samt seiner Musik, kann eintreten. Ist dieser Punkt überwunden, beginnt auch die Musik ihre eigene Rhythmus, ihre eigenen Jamben, eigene Poesie zu entwickeln. Sie passt. Sie passt gut.

Der Film zeigt, nach kurzer Einführung in die Geschichte dieser Rollen und des historischen Hintergrunds, alle 12 Rollen der Geschichte. Die filmt er jedoch nicht nur stur ab, das wäre stupide. Vielmehr simuliert er den Blick des leidenschaftlichen, lustvollen Lesers, wie er sich vor der Rolle einfindet. Oft erst der simulierte Blick auf das Ausrollen eines Panoramabildes. Dann eine Betrachtung im Gesamten. Schließlich die Suche nach Details im Bild, bis hin manchmal zu eine Ebene, wo das Strichhafte fast ein abstraktes Kinobild ergibt. Manchmal, wenn es um Ortsangaben geht, schneidet der Film um auf aktuell gefilmte Bilder des Landes. Dann und wann gibt es auch eine kleine Nachstellung einer Szene. Dabei wird der Film nie sonderlich deutlich. Wenn die zwei Frauen der Spielhandlung durch den Wald gehen, zeigt er zwei Frauen in historischer Tracht, die durch den Wald gehen. Manchmal stört das ein wenig, da man sich lieber die Rolle ansehen möchte. Aber man merkt bald: Das sind noch anfängliche Zugeständnisse an die Sehgewohnheiten des Zuschauers, der behutsam in diese andere Erzählwelt eingeführt werden soll. Im Verlauf werden solche Real-Inserts spürbar weniger, die Handlung wird dramatischer, bleibt nun ganz im Gezeichneten verhaftet.

Es ist erstaunlich, diese Rollen, gewiss wertvollste Artefakte im japanischen Kulturbesitz, im kinematografischen Studium vermittelt zu bekommen. Die Kamera erlaubt eine Nähe, die dem Zuschauer, etwa im Museum, notwendig verwehrt bleiben muss. Das Interessante ist dabei, natürlich, wieder die Ebene der abstrahierenden Reduktion, die im Detail geleistet wird. Ein kleiner Strich, minimal, entscheidet über den emotionalen Ausdruck einer Figur. Muskelstränge sind sanfte Tuschestriche. Wenige Tupfer ergeben einen schönen Strauch. Natürlich, im Comiczeitalter ist das nichts Unbekanntes. Und wir alle haben Comics verstehen gelesen. Wie aber hier, vor 400 Jahren, bereits ein derartiges intuitives Wissen um die psychische Wahrnehmung von Strichen eingearbeitet wurde, wie überhaupt eine Zeichenkultur schon derart weit war, dass sie den Comic, die vielleicht noch immer unterbewertetste komplexe Ausdrucksforum, bereits komplett antizipierte, das also nachzufühlen, in diesem gewiss zunächst schwierigen, dann aber lohnenswerten Film, das ist schon großartig.

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