Thema: festivals
Nachtrag: Die Fairness gebietet einen Hinweis auf die Reaktion des Filmfests München.

Empfindlich eingetrübt wird die Vorfreude auf die vom Filmfest München vollmundig angekündigte, erste Jodorowsky-Retrospektive in Deutschland: Was eine längst überfällige Hommage an einen lange Zeit nur in Insider-Kreisen gefeierten Außenseiter-Regisseur hätte darstellen können, entpuppt sich nun allerdings weitestgehend als auf Amazon per Warenkorb zusammengestellte Videoabend-Reihe: Wie sich offenbar allein dem kostenpflichtigen Katalog, nicht aber den frei zugänglichen Quellen entnehmen lässt, werden allein Jodorowskys neuer Film, der bereits in Cannes gezeigte Dance of Reality, und Frank Pavichs (ebenfalls in Cannes uraufgeführter) Dokumentarfilm über Jodorowskys gescheiterte Dune-Adaption materialgerecht, also per DCP, gezeigt. Für alle anderen Filme greift das Festival auf Blu-Rays und - haarsträubenderweise - auf DVDs zurück.



Ich hatte es bereits in einer Diskussion auf Facebook geschrieben: "DVD-Beams bei einer Festivalretro, jetzt brechen alle Dämme." Eine Äußerung, die auch Frédéric in seinem verärgerten Hinweis auf critic.de dokumentiert hat. Umso ärgerlicher wird die Angelegenheit, wenn man sich stolze Pressemitteilungen vor Augen hält, in denen das Festival sich mit Digitaltechnologie auf dem Stand der Technik angekommen sieht. Auf digitaleleinwand.de ärgert sich Gerold Marks vor allem über diesen Aspekt: Nicht nur besteht zwischen digitaler Hi-End-Technik und Heimanwender-Medien ein gewaltiger Unterschied, auch wird dem gemeinen Zuschauer auf Grund mangelnder Transparenz überhaupt nicht vermittelt, für was er mit einem 8,50€ teuren Ticket zahlt. Wer nach den Ankündigungen des Festivals, digital state of the art zu bieten, mit einer pixeligen, hochgradig defizitären DVD-Projektion abgespeist wird, hat allen Grund sich darüber grün und blau zu ärgern.

Sicher, die Recherche und Beschaffung filmhistorisch adäquaten Materials stellt eine Herausforderung dar, insbesondere bei einem Regisseur dessen Werk nur bruchstückhaft im deutschen Kino ausgewertet wurde. Es gibt Kinokopien von Jodorowsky-Filmen in deutschen Archiv- und Sammlerbeständen - wenngleich einige davon im Ruf stehen, qualitativ nicht die allerbesten zu sein. Doch wenigstens von Jodorowskys zentralen Filmen El Topo und The Holy Mountain wurden in den vergangenen Jahren zumindest international neue Kopien gezogen, die mit etwas mehr Aufwand sicher auch greifbar gewesen wären. Was als Hommage geplant war, wirkt nun wie ein Monument der Wurschtigkeit. Ob es an mangelnden Finanzmitteln gelegen haben mag? Die Wikipedia weist als Gesellschafter den Freistaat Bayern, die Landeshauptstadt München, die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und den Bayerischen Rundfunk aus. Und die sollen allesamt keinerlei Mittel zur Verfügung haben, um eine Hommage von derart zentraler filmhistorischer Bedeutung zumindest dem Bemühen nach materialgerecht auf die Beine zu stellen?



Man mag solche Kritikpunkte vielleicht wirklich als Haarspaltereien von Materialfetischisten hinstellen - wobei ich eine gute DCP jederzeit einer fahlen, zerschundenen 35mm-Kopie auf dem Weg zu ihrer letzten Projektion vorziehe. Sicher kann auch eine gute Blu-Ray unter bestimmten Bedingungen - kleine Leinwand, kleines Kino - eine nicht völlig defizitäre Sichtung ermöglichen. Dennoch sehe ich gerade Kinematheken und Retrospektiven von Filmfestivals in der Pflicht, bestmöglich für materialgerechte Aufführungen zu sorgen - und allzu schnell gilt eine Kopie, die bereits Laufstreifen aufweist, als nicht mehr aufführbar und wird durch ein digitales Heimanwendermedium ersetzt.

Diese Verfahrensweise stellt nicht nur einen Verrat an der Filmgeschichte und der Überlieferung auch ihres Aufführungsmodus dar - gerade historische Distanz weist sich eben auch in den spezifischen Altersspuren einer Kopie aus, fernerhin verweisen sie auf die widerständige Materialität und Mechanizität, die das Kino den größten Teil seiner bisherigen Geschichte im Kern definierte. Es untergräbt nicht zuletzt auch die privilegierte Stellung eines Filmfestivals, das als Fest im historischen Sinne ja gerade eine Zeit neben dem Alltag markiert. Gerade Cinephile - also die ersten Adressaten jedes Filmfestivals - emanzipieren sich auch privat mehr und mehr vom Fernsehgerät und dessen Beschränkungen. Mit HD-Beamer, Blu-Ray-Player und dem globalisierten Markt wird jedes Heimkino zur sanften Konkurrenz für bisherige Stätten der filmhistorischen Vermittlung. Warum ein 8,50€ teures Ticket für eine Kinovorführung zahlen, wenn man sich für kaum mehr Geld dasselbe Filmerlebnis auch zuhause gönnen kann?



Festivalretrospektiven sind privilegierte Orte der Filmgeschichte. Wer eine Festivalretro bei Amazon zusammenklickt verletzt damit ganz empfindlich deren Wert. Zur Not vermitteln auch die - als solche kommunizierten - Lücken einer Retro Filmgeschichte: Diesen Film können wir nicht mehr adäquat zeigen, da er für das Kino - nach derzeitigem Stand der Dinge - verloren ist. Wer auf Filmfestivals ernsthaft DVDs als Vermittler von Filmgeschichte aufführt, schont zwar kurzfristig das Budget, gräbt sich aber schon mittelfristig den Grund der eigenen Legitimität ab. Warum überhaupt noch aus öffentlichen Mitteln fördern, was sich jeglicher Besonderheit entledigt hat und mit geringem Geldaufwand und wenigen Mausklicks zu bewerkstelligen ist?


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