Thema: Filmtagebuch
(Hier in der Mediathek.)
Für den Perlentaucher bespreche ich den tollen neuen Tatort von Dominik Graf, der am kommenden Sonntag, den 27.10., im Ersten ausgestrahlt wird. Hinweis vorneweg: Der Text war schon recht lang, deswegen habe ich mir den Hinweis auf den Drehbuchautor noch irgendwie verkniffen. Was bei Graf, dessen Werk sich sehr eindeutig nach Autorenkollaborationen einteilen lässt, im Grunde gar nicht geht. Dies umso mehr, da hier wieder eine Zusammenarbeit mit Bernd Schwamm vorliegt, bei dem Graf, wenn man denn so will, quasi in die Schule gegangen ist: Schwamm zeichnete für viele Fahnder-Episoden an der Schreibmaschine verantwortlich, darunter folgerichtig auch Grafs erste Arbeiten im Polizeifilm, sowie für Grafs Tatort-Einstand, den Schimanskifilm Schwarzes Wochenende. Fernerhin war Schwamm am Drehbuch von Grafs Deine besten Jahre beteiligt (eine meiner noch zu schließenden Lücken).
München im Fast-Forward-Modus: Die Wolken rasen, die Zeit rast, die Stadt rast, gräbt sich auf, weidet sich aus - und spuckt dabei eine ganz eigene, dunkle Geschichte in Form einer Leiche aus. Und rast die Stadt, im Panorama betrachtet, noch so sehr dahin, so erstickt sie doch in der Ameisenperspektive an sich selbst: Da ist Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), der mit dem Auto nicht ein, noch aus weiß: Einbahnstraßen, Baustellen, verwirrende Navi-Angaben - urbaner Entropietod. Parallel und als Kakophonie hektisch darüber gelegt: Verhandlungen über das Wie und Ob stadtbaulicher Maßnahmen - rhetorische Standardfloskeln, Empörungssignale, die der Absicherung der eigenen Position dienen, Vorwurfrituale, die nicht um die Klärung des Sachverhalts bemüht sich, mithin asiger Profi-Sprech, der die Schicksale der Menschen, die in den Ecken leben, um die es geht, noch im engagiertesten Parlare eiskalt zum Verschwinden bringt (wenn man genau hinhört, hört man mitten in dem verwirrenden Konzert der Stimmen Regisseur Dominik Graf selbst das Wort schwingen).
Kurz: Ein Dominik-Graf-Furiosum, wie es im Buche steht, in dem sich Schichten um Schichten auftürmen und gleichzeitig dekuvrieren. Atemlos, ausufernd, mit einem fahrigen Zoom, von dem sich kaum sagen lässt, ob er nun gierig auf die Leute ist, die er aus der Welt schneidet, oder schlicht panisch gehetzt. Mittendrin: Immer wieder kleine Vignetten, Spielereien, Ablenkungsmanöver, Partikel, die aus dem blanken Leben in den Sonntagabendkrimi schießen: Einmal rennt ein Typ im Skelettkostüm johlend durch die Straßen, ständig stellen die Leute ihren Kaffee in den Kühlschrank (oder schauen nach, ob einer dort drinsteht), bei einem Verhör fallen einer Frau die drallen Brüste aus dem Morgenmantel. Die sozialdemokratische Behäbigkeit, die man dem "Tatort" gerne vorwirft, hat Graf seinem Film gründlich ausgetrieben.
Die Leiche in der Münchner Baugrube führt tief hinein in die Geschichte Münchens - in die Geheimnisse einer Stadt. Da ist eine Villa, in der die alte Frau Magda Holzer (unfassbar großartig: Erni Mangold), einst als Zirkusprinzessin mit Gewehr zur Berühmtheit aufgestiegen, mit burschikoser Geste und notfalls mit dem Gewehr ihren Haufen von einer dysfunktionalen Familie gerade noch so zusammenhält - bei der Leiche, stellt sich bald heraus, handelt es sich um ihren seit geraumer Zeit verschwundenen Sohn Florian. Da ist ihr zweiter, fahrig-nervöser Sohn Peter (Martin Feifel), dem die alte Holzer schon mal mit "Depp" übers Maul fährt - und Liz (Meret Becker), die mit beiden Söhnen ein Verhältnis hat, Leitmayr an einer Stelle ziemlich großartig auf der Nase herumtanzt und beim Verhör Spagat macht, nachdem sie von Grafs Regie mit Blut überschüttet wurde. Aus diesem Sumpf zwischen Großbürgertum und Familienneurose führen die Spuren ins Milieu der kroatischen Faschisten, in die unmittelbare Nachkriegszeit und hin zu einer zweiten Leiche, während der Grund, auf dem die Villa steht, buchstäblich ins Wanken gerät und die Stadt angesichts steigender Mieten zusehends zu brodeln beginnt.
So kann man einen "Tatort" also auch drehen: Wendig, schnell, die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz fordernd (am Ende springt der Film schon mal kurzatmig in den Rückblendenmodus), mit einer großen Lust an Pulp und Genre und einer erheblichen Freude an der Physiognomie der Darsteller, in die sich Alexander Fischerkoesens Kamera geradezu vernarrt. Einmal mehr huldigt Graf seinen großen Leidenschaften: Dem italienischen Genrekino, den abgefahrenen "Kommissar"-Episoden von Zbynek Brynych - kurz: Korrespondenzkino im Fernsehfilmformat, das hinter den Bildern filmhistorische Verbindungen und Verstrebungen freilegt.
So hängt in einer Szene das italienische Kinoplakat von Wolfgang Beckers "Ich war ihm hörig" (1958), "Nude per il Diavolo" an der Wand - "nackt für den Teufel" lautet der verheißungsvolle italienische Verleihtitel, grell und spektakulär ist das Poster, das man ersten Blickes so gar nicht mit dem deutschen Kino der 50er Jahre in Verbindung bringen würde. Aber offenbar gab es hier Allianzen, die weiter führen, ins bundesrepublikanische Fernsehen der 60er bis 80er Jahre, in dessen Dienste sich Wolfgang Becker, auch so ein Verschütteter des deutschen Kinos, vom "Kommissar" über den frühen "Tatort" bis hin zum "Alten", "Derrick" und der zwar onkeligen, aber zuweilen auch schon verspielten Serie "Polizeiinspektion 1" stellte.
Wenn man nur lange gräbt, kommen irgendwann die verscharrten Leichen, aber auch die verschütteten Geschichtsverläufe ans Tageslicht. Und für Deutschland, wo man sich der Leichen schon immer schnell entledigt hat und bis heute stets darum bemüht ist, alles, was aus der Vergangenheit ins Hier und Jetzt ragt, dem Stadtbild auszutreiben, damit am Ende alles, was es nicht verdient hat, geschmeidig aussieht, gilt das im besonderen Maße. Auch (aber nicht nur), weil er sich mit allem, was er aufbringen kann, gegen diese Tendenzen stellt, zählt Graf zu den besten und wertvollsten Filmemachern hier im Land. Und sein Tatort "Aus der Tiefe der Zeit" ist sein Geschenk an jenes Publikum, das sich vom Sonntagabend mehr erwartet, als verschnarcht betüttelt zu werden, und willens ist, seine dem Sonntagabendkrimi untergejubelte Flaschenpost zur Kenntnis zu nehmen.
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Tatort: Aus der Tiefe der Zeit - Deutschland 2013 - Regie: Dominik Graf - Drehbuch: Bernd Schwamm - Darsteller: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Meret Becker, Erni Mangold, Martin Feifel, Misel Maticevic, Susanna Kraus - Laufzeit: 90 Minuten.
Für den Perlentaucher bespreche ich den tollen neuen Tatort von Dominik Graf, der am kommenden Sonntag, den 27.10., im Ersten ausgestrahlt wird. Hinweis vorneweg: Der Text war schon recht lang, deswegen habe ich mir den Hinweis auf den Drehbuchautor noch irgendwie verkniffen. Was bei Graf, dessen Werk sich sehr eindeutig nach Autorenkollaborationen einteilen lässt, im Grunde gar nicht geht. Dies umso mehr, da hier wieder eine Zusammenarbeit mit Bernd Schwamm vorliegt, bei dem Graf, wenn man denn so will, quasi in die Schule gegangen ist: Schwamm zeichnete für viele Fahnder-Episoden an der Schreibmaschine verantwortlich, darunter folgerichtig auch Grafs erste Arbeiten im Polizeifilm, sowie für Grafs Tatort-Einstand, den Schimanskifilm Schwarzes Wochenende. Fernerhin war Schwamm am Drehbuch von Grafs Deine besten Jahre beteiligt (eine meiner noch zu schließenden Lücken).
München im Fast-Forward-Modus: Die Wolken rasen, die Zeit rast, die Stadt rast, gräbt sich auf, weidet sich aus - und spuckt dabei eine ganz eigene, dunkle Geschichte in Form einer Leiche aus. Und rast die Stadt, im Panorama betrachtet, noch so sehr dahin, so erstickt sie doch in der Ameisenperspektive an sich selbst: Da ist Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), der mit dem Auto nicht ein, noch aus weiß: Einbahnstraßen, Baustellen, verwirrende Navi-Angaben - urbaner Entropietod. Parallel und als Kakophonie hektisch darüber gelegt: Verhandlungen über das Wie und Ob stadtbaulicher Maßnahmen - rhetorische Standardfloskeln, Empörungssignale, die der Absicherung der eigenen Position dienen, Vorwurfrituale, die nicht um die Klärung des Sachverhalts bemüht sich, mithin asiger Profi-Sprech, der die Schicksale der Menschen, die in den Ecken leben, um die es geht, noch im engagiertesten Parlare eiskalt zum Verschwinden bringt (wenn man genau hinhört, hört man mitten in dem verwirrenden Konzert der Stimmen Regisseur Dominik Graf selbst das Wort schwingen).
Kurz: Ein Dominik-Graf-Furiosum, wie es im Buche steht, in dem sich Schichten um Schichten auftürmen und gleichzeitig dekuvrieren. Atemlos, ausufernd, mit einem fahrigen Zoom, von dem sich kaum sagen lässt, ob er nun gierig auf die Leute ist, die er aus der Welt schneidet, oder schlicht panisch gehetzt. Mittendrin: Immer wieder kleine Vignetten, Spielereien, Ablenkungsmanöver, Partikel, die aus dem blanken Leben in den Sonntagabendkrimi schießen: Einmal rennt ein Typ im Skelettkostüm johlend durch die Straßen, ständig stellen die Leute ihren Kaffee in den Kühlschrank (oder schauen nach, ob einer dort drinsteht), bei einem Verhör fallen einer Frau die drallen Brüste aus dem Morgenmantel. Die sozialdemokratische Behäbigkeit, die man dem "Tatort" gerne vorwirft, hat Graf seinem Film gründlich ausgetrieben.
Die Leiche in der Münchner Baugrube führt tief hinein in die Geschichte Münchens - in die Geheimnisse einer Stadt. Da ist eine Villa, in der die alte Frau Magda Holzer (unfassbar großartig: Erni Mangold), einst als Zirkusprinzessin mit Gewehr zur Berühmtheit aufgestiegen, mit burschikoser Geste und notfalls mit dem Gewehr ihren Haufen von einer dysfunktionalen Familie gerade noch so zusammenhält - bei der Leiche, stellt sich bald heraus, handelt es sich um ihren seit geraumer Zeit verschwundenen Sohn Florian. Da ist ihr zweiter, fahrig-nervöser Sohn Peter (Martin Feifel), dem die alte Holzer schon mal mit "Depp" übers Maul fährt - und Liz (Meret Becker), die mit beiden Söhnen ein Verhältnis hat, Leitmayr an einer Stelle ziemlich großartig auf der Nase herumtanzt und beim Verhör Spagat macht, nachdem sie von Grafs Regie mit Blut überschüttet wurde. Aus diesem Sumpf zwischen Großbürgertum und Familienneurose führen die Spuren ins Milieu der kroatischen Faschisten, in die unmittelbare Nachkriegszeit und hin zu einer zweiten Leiche, während der Grund, auf dem die Villa steht, buchstäblich ins Wanken gerät und die Stadt angesichts steigender Mieten zusehends zu brodeln beginnt.
So kann man einen "Tatort" also auch drehen: Wendig, schnell, die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz fordernd (am Ende springt der Film schon mal kurzatmig in den Rückblendenmodus), mit einer großen Lust an Pulp und Genre und einer erheblichen Freude an der Physiognomie der Darsteller, in die sich Alexander Fischerkoesens Kamera geradezu vernarrt. Einmal mehr huldigt Graf seinen großen Leidenschaften: Dem italienischen Genrekino, den abgefahrenen "Kommissar"-Episoden von Zbynek Brynych - kurz: Korrespondenzkino im Fernsehfilmformat, das hinter den Bildern filmhistorische Verbindungen und Verstrebungen freilegt.
So hängt in einer Szene das italienische Kinoplakat von Wolfgang Beckers "Ich war ihm hörig" (1958), "Nude per il Diavolo" an der Wand - "nackt für den Teufel" lautet der verheißungsvolle italienische Verleihtitel, grell und spektakulär ist das Poster, das man ersten Blickes so gar nicht mit dem deutschen Kino der 50er Jahre in Verbindung bringen würde. Aber offenbar gab es hier Allianzen, die weiter führen, ins bundesrepublikanische Fernsehen der 60er bis 80er Jahre, in dessen Dienste sich Wolfgang Becker, auch so ein Verschütteter des deutschen Kinos, vom "Kommissar" über den frühen "Tatort" bis hin zum "Alten", "Derrick" und der zwar onkeligen, aber zuweilen auch schon verspielten Serie "Polizeiinspektion 1" stellte.
Wenn man nur lange gräbt, kommen irgendwann die verscharrten Leichen, aber auch die verschütteten Geschichtsverläufe ans Tageslicht. Und für Deutschland, wo man sich der Leichen schon immer schnell entledigt hat und bis heute stets darum bemüht ist, alles, was aus der Vergangenheit ins Hier und Jetzt ragt, dem Stadtbild auszutreiben, damit am Ende alles, was es nicht verdient hat, geschmeidig aussieht, gilt das im besonderen Maße. Auch (aber nicht nur), weil er sich mit allem, was er aufbringen kann, gegen diese Tendenzen stellt, zählt Graf zu den besten und wertvollsten Filmemachern hier im Land. Und sein Tatort "Aus der Tiefe der Zeit" ist sein Geschenk an jenes Publikum, das sich vom Sonntagabend mehr erwartet, als verschnarcht betüttelt zu werden, und willens ist, seine dem Sonntagabendkrimi untergejubelte Flaschenpost zur Kenntnis zu nehmen.
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Tatort: Aus der Tiefe der Zeit - Deutschland 2013 - Regie: Dominik Graf - Drehbuch: Bernd Schwamm - Darsteller: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Meret Becker, Erni Mangold, Martin Feifel, Misel Maticevic, Susanna Kraus - Laufzeit: 90 Minuten.
° ° °
kommentare dazu:
tmb17,
Freitag, 22. November 2013, 13:03
Song
Danke.
Zur Huldigung in Form des Musikstücks: Es handelt sich doch bei dem Song, der andauernd läuft um ein Remake von TOM JONES - GHOST RIDERS IN THE SKY aus Brynychs 'Parkplatz- Hyänen' Folge (http://www.youtube.com/watch?v=gcaXLHL6Zeg) oder?!
Wüsste äußerst gern, um welches Stück es sich in der Folge handelt.
Yippie-yai-yeii....
Zur Huldigung in Form des Musikstücks: Es handelt sich doch bei dem Song, der andauernd läuft um ein Remake von TOM JONES - GHOST RIDERS IN THE SKY aus Brynychs 'Parkplatz- Hyänen' Folge (http://www.youtube.com/watch?v=gcaXLHL6Zeg) oder?!
Wüsste äußerst gern, um welches Stück es sich in der Folge handelt.
Yippie-yai-yeii....
tmb17,
Freitag, 22. November 2013, 18:18
Nochmal Musik
Mir kam noch ein Frage auf, habs auch schon an ein paar Stellen gepostet, versuchs hier nochmal.
Aber eine andere "Musikfrage" ist bei mir noch aufgekommen:
Batic singt da ja tatsächlich die Hymne der Ustascha nach, die zweite Strophe:
Puška puca, krv se lije, dušman bježi klet,a ustaška hrabra vojska vrši zavjet svet.
Schüsse krachen, Wunden brennen, und der Erbfeind flieht. Der Ustasche Waffentreue wird zum Heldenlied.
(wiki)
Irgendwie kann ich die Szene nicht recht deuten, kenn mich aber sowohl mit Ustascha als auch mit Batic zuwenig aus, aber der Text hört sich ja erstmal schon recht hart an....
Aber eine andere "Musikfrage" ist bei mir noch aufgekommen:
Batic singt da ja tatsächlich die Hymne der Ustascha nach, die zweite Strophe:
Puška puca, krv se lije, dušman bježi klet,a ustaška hrabra vojska vrši zavjet svet.
Schüsse krachen, Wunden brennen, und der Erbfeind flieht. Der Ustasche Waffentreue wird zum Heldenlied.
(wiki)
Irgendwie kann ich die Szene nicht recht deuten, kenn mich aber sowohl mit Ustascha als auch mit Batic zuwenig aus, aber der Text hört sich ja erstmal schon recht hart an....
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