Fernsehaufnahme - [8/71] - weitere Stills



Erst ist da ein wahnwitziger Einbruch, irgendwo in luftiger Höhe auf den Stalinbauten der Karl-Marx-Allee. Und dann plötzlich: Vierziger, vielleicht auch Fünfziger. Sperling beim Barbier, jecker Big-Band-Swing spielt - eh schon die ganze Zeit - in der Luft, alles Vintage - der Barbier, der Rasierschaum, die Plakate an der Wand, der beknackte Überfall plötzlich zwischendrin, die ganze Erzählwelt: Friedrichshain, Ost-Berlin, eine Welt, die im Grunde noch so aussieht, wie sich das deutsche Erzählkino gerne die 40er imaginiert, oder die 50er. Aber die Kulisse ist authentisch: Gedreht wurde 1996, ausgestrahlt 1997. 1997 kam ich selbst nach Friedrichshain, viele Locations liegen keine fünf Minuten Fußweg von meiner Wohnung weg. Und ja, verdammt, so sah Friedrichshain aus, damals, jetzt bei weitem nicht mehr: Kaputt, rusig, mit beigem Ostblock-Boiler im ungekachelten Badezimmer. Eine Welt, die immer noch ein bisschen so wirkte, als hätten die alten DEFA-Filme einfach ihre Kulissen in der Stadt stehen gelassen. Und überall, wirklich überall: Baustellen, Bausand, Bauschutt. Eine Stadt wird aufgerissen, umgegraben, später dann auch: neu gebaut. Die Zierfische am Frankfurter Tor gibt es nicht mehr, der Schriftzug ist musealisiert.

Drehbuch: Rolf Basedow. Das heißt, man kennt die Themen, um die es am Ende gegangen sein wird, auch aus seinen Filmen für Dominik Graf: Drogen, Prostitution, Milieu. Hier noch ohne Russen. Mittendrin: Ein gehetzter Ex-Boxer, Ex-Knacki. Ein Film über Gezeichnete: In der Riege der Nebenfiguren tragen bald viele Grind im Gesicht. Und es gibt eine fragile, geradezu papierene verlorene Seele: Meret Becker, ungeheuer sexy und Ehefrau des Ex-Boxers, die ihrem Dealer gegenüber "freundlich" ist, um den nächsten Schuss zu sichern. Und ab und an gibt sie auch Tipps.



Nicht alles will wirklich wie es soll. Aber schön ist diese Geschichte doch - und im Grunde könnte sie, was hier nur positiv gemeint sein soll, auch aus einem billigen Groschenheft, einer Pulp Novel aus den 40ern stammen. Nicht so sehr, weil der Ermittler, Sperling, sonderlich hard boiled wäre, ganz im Gegenteil ist er auf tapsig-schöne Art und Weise fast schon mütterlich im Umgang mit den Schwerenötern. Aber die Mischung aus billigen Buden - Meret Becker wohnt in der Butze direkt überm Kino Intimes, wo man heute wahrscheinlich totalsaniert, teuer und bio lebt - und billigem Leben, das Milieu zwischen Boxer, Kirmes-Wachhund, Bruch-Jungs und alten Kneipen atmet schwer das Pathos von Noir-Existenzialismus.



Doch der wahre Hauptdarsteller - dieser Folge, aber (soweit ich sie kenne) vor allem auch dieser Krimireihe - ist ohnehin das Berlin der 90er, kurz vor der eigentlichen Wende in dieser Stadt, die sich verzweifelt auf Repräsentation zu trimmen versuchte, während sie im Grunde abrissreif war. Es ist wirklich der Wahnsinn, ja, man glaubt es kaum, wie in dieser Welt alles vor Vergangenheitsschutt stinkt. So fühlte sich das an, als ich, Landei aus dem fränkischen Dorf, wegen Punk und Hardcore durchaus an Siff gewohnt, aber eben doch sehr aufgeräumt aufgewachsen, '97 meine ersten Schritte durch dieses und die benachbarten Viertel tat. Was für ein Anblick für verwöhnte Wessi-Augen.

Seit 2001 wohne ich nun in dieser Wohnung. Mein Badezimmer ist noch immer ungekachelt.

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Sperling und der gefallene Engel - Deutschland 1997 - Regie: Kai Wessel - Mit: Dieter Pfaff, Benno Fürmann, Petra Kleinert, Meret Becker, Sylvester Groth, u.a. - ca. 89 Minuten


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kommentare dazu:



knoerer, Donnerstag, 28. November 2013, 13:51
Ja, aber Zentralheizung hast Du ja jetzt, Du Weichei. Aber im Ernst: Würde ich auch wahnsinnig gerne sehen. Ich kam 1995 nach Friedrichshain, aus Franken, ganz ohne Punk-Sozialisation. Habe schon sehr gestaunt, fand das aber alles klasse. Naja, Ofenheizung und Außenklo waren nur so halbklasse. Da war auch noch der Abenteuerspielplatz direkt rüber von meiner Hinterhofbruchbude, der wurde 1997 oder so abgerissen. Also, wie gesagt, würde ich sehr gerne sehen.


thgroh, Donnerstag, 28. November 2013, 14:29
Ja, klasse war das durchaus. Und so schade, dass das Viertel so schnell lachsfarben wurde. Man hatte stets das Gefühl, dass der Krieg gerade erst vorbei sei oder jeden Moment auszubrechen droht.

Ja, die Zentralheizung. Dann doch schon 2012, samt höherer Miete. Aber es geht noch ;)



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