Thema: Filmtagebuch
Im folgenden nach langer Zeit in sanfter Überarbeitung dokumentiert: Meine Einführung zu Brian De Palmas "Blow Out", die ich im vergangenen Jahr im Kino Arsenal zu Beginn der Filmreihe "Real Eighties" gehalten habe..
Vielen Dank für die Einladung, hier im Kino Arsenal zu sprechen. Danke auch an meine lieben Freunde der Gruppe “The Canine Condition” - nicht nur für diese Einladung, sondern auch für diese tolle Reihe zum us-amerikanischen Kino der 80er Jahre, aus der in den kommenden Tagen der thematische Schwerpunkt “Neo-Noir” zu sehen sein wird. Ich denke, alleine schon die in ihrer Menge, aber auch in ihrem Zuspruch überwältigende Berichterstattung in allen großen Feuilletons in Österreich, Deutschland und der Schweiz legt offen, dass es ein schwelendes Bedürfnis gibt, die Geschichte vom Niedergang, als der das US-Kino der 80er gemeinhin eingeschätzt wird, einer Revision zu unterziehen, das Material neu zu sichten und auf Spuren und Splitter einer anderen Geschichte des Kinos der 80er Jahre hin zu untersuchen. Und sei es, wie in dieser Reihe, von den Rändern des Mainstreams her, mit Blick ins Zentrum einer Industrie, die sich zum Zeitpunkt, der uns hier und heute Abend ganz besonders interessiert - also ab Ende der 70er und besonders mit Anfang der 80er - in einem dramatischen Transformationsprozess befindet.
Material sichten ist auch ein gutes Stichwort für den Film, den wir gleich im Anschluss sehen werden. Bereits im Titel lehnt sich Brian De Palmas “Blow Out” an Antonionis “Blow Up” an. In beiden Filmen geht es, wenn man so will, um Medienarbeiter, deren jeweiliges Medium - dort die Fotografie, hier die Tonaufnahme - mit Gleichmut auch all das registriert, was sich der selektiven menschlichen Wahrnehmung entzieht. Und in beiden Filmen entwickeln die jungen Männer beim immer neuen Durchgehen des Materials eine rasende Manie, um das Rätsel zu lösen, das ihnen ihre Medienartefakte stellen: Hier nun ist es John Travolta als Tontechniker für räudige Exploitationmovies, der sich die Frage stellen muss, ob sein Aufnahmegerät in seinem unwissenden Beisein Zeuge eines Mordes wurde oder nicht. “Tontechniker”, schreibt Daniel Eschkötter in der aktuellen Ausgabe der Filmzeitschrift Cargo, “Tontechniker und Effektemacher, das sind, im Kino, Eingeweihte, Verstrickte, Skeptiker - Epistemologen des Wahns und der Zerrissenheit des Kinos”. Die “Zerrissenheit des Kinos” - in "Blow Out" nimmt diese ganz konkrete Fomen an: Zwar ist jede Tonaufnahme zunächst einmal Dokument eines akustischen Ereignisses, doch zur Einschätzung ihres Charakters braucht es äußere Parameter - etwa ästhetischer Kontext, eine quasi-notarielle Zeugenschaft, eine gut dokumentierte Provenienz. Oder aber anderer, beglaubigender Medien. In “Blow Out” liefert diese ein undurchsichtiger, ziemlich schmieriger Fotograf, der in mancher Hinsicht eine Art dunkler Zwilling zu Travoltas Figur darstellt - seine im Stil der Serienfotografie erstellten Aufnahmen erinnern einerseits an die Vorgeschichte des Kinos bei Muybridge und nehmen andererseits eine medientechnische Komplementärfunktion ein: Aus einzelnen Bildern wird ein Daumenkino, daraus ein Stummfilm und schließlich, unter Hinzunahme der vorliegenden Tonspur, ein Tonfilm - eine Verschaltung von Medien, die in ihrer Addition mehr ergeben als die Summe der einzelnen Teile: Ton und Bild erläutern und beglaubigen einander wechselseitig. Das gesammelte Material spricht in der Sichtung für einander.
Während kriminalistische oder gar konkret politische Aspekte bei Antonioni vergleichsweise unterbelichtet bleiben, kann an der Existenz einer Leiche in "Blow Out" kein Zweifel bestehen. Dass es sich dabei um den aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten handelt, verleiht der Sache eine Brisanz, die direkt ins Paranoia-Dickicht der großen Verschwörungsthriller der 70er Jahre führt, in denen sich die innere Krise der USA der 70er Jahre und die diffuse Ahnung, dass Filz und Cliquen die “Nation under god” übernommen haben, konkret bildhaft niederschlugen. Von der Idee getrieben, an der Oberfläche zur größten Verschwörung seit der Ermordung Kennedys zu kratzen, benennt Travolta seine im Diffusen agierenden Gegner einfach nur noch “them”, bzw “they”.
Für den historischen Kontext der Produktion mag es dabei nicht unerheblich sein, dass sich zeitgleich zu den Dreharbeiten Ronald Reagan im Endspurt auf dem Weg zum Weißen Haus befand. Dass der Film an den Kassen floppte, mag wiederum auch daran liegen, dass knapp drei Monate vor seiner Kinoauswertung das erfolglose Attentat auf den dann schon im Amt befindlichen Präsidenten Reagan stattgefunden hat. Nach den Krisenjahren der 70er standen die Zeichen der Zeit auf Konsolidierung und Aufbruch - sowohl nach innen, wie nach außen. Für einen Film wie "Blow Out", der gerade auf die Zerrissenheit der USA, die Krise insistierte, nicht die besten Voraussetzungen.
Real Eighties, die wahren 80er. Welches Verhältnis nimmt dieser Film am Beginn dieser Reihe, mehr noch aber, enstanden an der Schwelle zu diesem Jahrzehnt, zu den wahren, den echten 80ern ein?
Eine gewisse, in den Film eingravierte Janusköpfigkeit ist schwer von der Hand zu weisen. Das Dekors, die Kleidung, die starke Präsenz von Brauntönen verweisen auf das zurückliegende Jahrzehnt, die voluminösen Locken der zweiten Hauptrolle Nancy Allen schon sehr auf das kommende. Doch auch abseits solcher Texturaspekte wirkt "Blow Out" in mancher Hinsicht wie ein Abgesang auf eine Ära bei zeitgleicher Überführung in eine neue. Wenigstens passagenweise - man denke etwa an Coppolas auch thematisch verwandten “The Conversation” - wirkt der Film wie die Nachglühphase der Zeit New Hollywoods, die im Herbst zuvor mit Ciminos “Heaven’s Gate” und Scorseses “Raging Bull” gewissermaßen offiziell zu Ende gegangen war. Und doch mündet der Film in einen präzise choreografierten Actionbombast, der die energische Rohheit der Autoverfolgungsjagd aus Friedkins “French Connection” in den Modus des Thrillrides der künftigen Sommerblockbuster überführt und am Ende mit einem funkensprühenden Feuerwerk von einigem Oberflächen-Gloss die ästhetischen Präferenzen des 80er Jahre Kinos geradewegs einzuläuten scheint.
Auch eine andere Geschichte des Kinos, noch mehr aber der urbanen Kultur der 70er Jahre hat "Blow Out" - wenn auch zuweilen etwas argwöhnisch - im Blick. Sehr selbstverständlich liegt das Büro der kleinen Filmgesellschaft, für die Travolta arbeitet, über einem großen Pornokino, an den Wänden im Büro hängen reißerische Plakate zu Filmen, wie man sie in den 70ern in Grindhouse oder hierzulande in den Bahnhofskinos gesehen hat. Allein fünf Billigproduktionen - mit Titeln wie etwa “Bordello of Blood” - hat Travolta in den vergangenen zwei Jahren für die Gesellschaft vertont. “Blow Out” selbst beginnt, in Form völliger Absorption, als Film-im-Film im Gewand der aktuellsten Produktion, eines buchstäblich zusammengeschusterten Slasherfilms im Stil der kaum zählbaren Sequels von “Halloween”, “Friday the 13th” oder “Sleepaway Camp”. Der akustische Höhepunkt - der angsterfüllte Schrei eines Mordopfers, das wie bei Meister Hitchcock unter der Dusche steht - lässt allerdings sehr zu wünschen übrig und setzt damit die Geschichte überhaupt erst in Gang, wenn Travolta sich auf die Suche nach neuem Klangrohstoff begibt.
Was man sieht oder hört, sind die letzten Schnaufer des Bahnhofskinos in der urbanen Öffentlichkeit. Schon wenig später finden Pornografie und die formal gröbsten Exzesse des B-Movies dank des Siegeszugs von Homevideo vorrangig im Privaten ihren Raum. Als clever getarnter Slasherfilm im Gewand eines Verschwörungsthrillers, der "Blow Out" in letzter Konsequenz eigentlich ist, hält De Palmas auch Genre-Rückschau: Der Begriff “Peeping Tom” fällt im Zusammenhang seiner ursprünglichen Bedeutung, die Duschmord-Hommage wurde bereits genannt, spätere Morde gemahnen an die Ästhetik von Giallos, den italienischen Serienkillerfilmen, die ihrerseits auf “Psycho” rekurieren. Der bereits erwähnte schmierige Fotograf wirkt zumal in seiner aquivalent schmierigen Bleibe wie ein fernes Echo des von Joe Spinnell im Jahr zuvor eindrucksvoll und buchstäblich verkörperten “Maniac” aus dem gleichnamigen Slasher-Klassiker. Was alles nicht heißen soll, dass De Palma Anlauf zu einer lustvollen Umarmung nimmt - im Gegenteil, gerade in seiner formalen Virtuosität, seiner meisterlichen Inszenierungskunst unternimmt De Palma in “Blow Out” eine eigentlich paradoxe Doppel-Bewegung eines parasitären Aufgriffs der schmutziger Bilder bei gleichzeitiger Distanzierung zur Wahrung der damals noch wacker gehaltenen Position innerhalb der Filmindustrie: Zwar im Hinblick zu deren Zentrum durchaus bloß in Sichtweite, aber eben doch nicht in der Hölle runtergenudelter Slasherproduktionen, deren Schäbigkeit De Palma, wie sie gleich sehen können, paradoxerweise technisch geradezu brillant in Szene setzt.
Mit der Zerrissenheit des Kinos, die insbesondere der Beginn von Blow Out in einer waghalsigen Diskrepanz von Bild und Ton ausstellt, korrespondiert hier womöglich auch eine Zerrissenheit der USA, zumindest in den 70ern, als das Land innerlich aufzuplatzen - engl. “to blow out” - scheint - insbesondere und gerade auch im Kino. Diese Diskrepanz begründet den alles in Gang setzenden Konflikt, der am Ende, in einer einzigartig zynischen Volte, geschlichtet ist. Es geht in diesem Film am Ende auch um eine Wunde - griechisch Trauma - die zwar geschlossen scheint, unter der der Schmerz aber noch immer revoltiert.
Vielleicht also zum Abschluss eine kleine, mit aller Vorsicht formulierte Hypothese:
Es liegt eine gewisse Ahnung in diesem Film: Die Traumata der 70er scheinen überwunden, die Konkretizität der Gewalt wird tätlich überführt in unverbindlichen Nervenkitzel. Im Hinblick auf das zentrale US-Kino der 80er Jahre, das diese Reihe wie eine Art Leerstelle umkreist, scheint mir das zu diesem frühen Zeitpunkt durchaus hellsichtig und wie eine noch in der Resignation der letzten Bilder unversöhnliche Insistenz darauf, dass hinter den Bildern des offiziellen Reagan- und Traumabewältigungskinos noch immer eine Spur zu der realen Gewalt in der Geschichte führt. Die wahren 80er, das wird diese Reihe womöglich zeigen, fanden vielleicht im Modus der Überwinterung an den Rändern statt.
Vielen Dank für die Einladung, hier im Kino Arsenal zu sprechen. Danke auch an meine lieben Freunde der Gruppe “The Canine Condition” - nicht nur für diese Einladung, sondern auch für diese tolle Reihe zum us-amerikanischen Kino der 80er Jahre, aus der in den kommenden Tagen der thematische Schwerpunkt “Neo-Noir” zu sehen sein wird. Ich denke, alleine schon die in ihrer Menge, aber auch in ihrem Zuspruch überwältigende Berichterstattung in allen großen Feuilletons in Österreich, Deutschland und der Schweiz legt offen, dass es ein schwelendes Bedürfnis gibt, die Geschichte vom Niedergang, als der das US-Kino der 80er gemeinhin eingeschätzt wird, einer Revision zu unterziehen, das Material neu zu sichten und auf Spuren und Splitter einer anderen Geschichte des Kinos der 80er Jahre hin zu untersuchen. Und sei es, wie in dieser Reihe, von den Rändern des Mainstreams her, mit Blick ins Zentrum einer Industrie, die sich zum Zeitpunkt, der uns hier und heute Abend ganz besonders interessiert - also ab Ende der 70er und besonders mit Anfang der 80er - in einem dramatischen Transformationsprozess befindet.
Material sichten ist auch ein gutes Stichwort für den Film, den wir gleich im Anschluss sehen werden. Bereits im Titel lehnt sich Brian De Palmas “Blow Out” an Antonionis “Blow Up” an. In beiden Filmen geht es, wenn man so will, um Medienarbeiter, deren jeweiliges Medium - dort die Fotografie, hier die Tonaufnahme - mit Gleichmut auch all das registriert, was sich der selektiven menschlichen Wahrnehmung entzieht. Und in beiden Filmen entwickeln die jungen Männer beim immer neuen Durchgehen des Materials eine rasende Manie, um das Rätsel zu lösen, das ihnen ihre Medienartefakte stellen: Hier nun ist es John Travolta als Tontechniker für räudige Exploitationmovies, der sich die Frage stellen muss, ob sein Aufnahmegerät in seinem unwissenden Beisein Zeuge eines Mordes wurde oder nicht. “Tontechniker”, schreibt Daniel Eschkötter in der aktuellen Ausgabe der Filmzeitschrift Cargo, “Tontechniker und Effektemacher, das sind, im Kino, Eingeweihte, Verstrickte, Skeptiker - Epistemologen des Wahns und der Zerrissenheit des Kinos”. Die “Zerrissenheit des Kinos” - in "Blow Out" nimmt diese ganz konkrete Fomen an: Zwar ist jede Tonaufnahme zunächst einmal Dokument eines akustischen Ereignisses, doch zur Einschätzung ihres Charakters braucht es äußere Parameter - etwa ästhetischer Kontext, eine quasi-notarielle Zeugenschaft, eine gut dokumentierte Provenienz. Oder aber anderer, beglaubigender Medien. In “Blow Out” liefert diese ein undurchsichtiger, ziemlich schmieriger Fotograf, der in mancher Hinsicht eine Art dunkler Zwilling zu Travoltas Figur darstellt - seine im Stil der Serienfotografie erstellten Aufnahmen erinnern einerseits an die Vorgeschichte des Kinos bei Muybridge und nehmen andererseits eine medientechnische Komplementärfunktion ein: Aus einzelnen Bildern wird ein Daumenkino, daraus ein Stummfilm und schließlich, unter Hinzunahme der vorliegenden Tonspur, ein Tonfilm - eine Verschaltung von Medien, die in ihrer Addition mehr ergeben als die Summe der einzelnen Teile: Ton und Bild erläutern und beglaubigen einander wechselseitig. Das gesammelte Material spricht in der Sichtung für einander.
Während kriminalistische oder gar konkret politische Aspekte bei Antonioni vergleichsweise unterbelichtet bleiben, kann an der Existenz einer Leiche in "Blow Out" kein Zweifel bestehen. Dass es sich dabei um den aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten handelt, verleiht der Sache eine Brisanz, die direkt ins Paranoia-Dickicht der großen Verschwörungsthriller der 70er Jahre führt, in denen sich die innere Krise der USA der 70er Jahre und die diffuse Ahnung, dass Filz und Cliquen die “Nation under god” übernommen haben, konkret bildhaft niederschlugen. Von der Idee getrieben, an der Oberfläche zur größten Verschwörung seit der Ermordung Kennedys zu kratzen, benennt Travolta seine im Diffusen agierenden Gegner einfach nur noch “them”, bzw “they”.
Für den historischen Kontext der Produktion mag es dabei nicht unerheblich sein, dass sich zeitgleich zu den Dreharbeiten Ronald Reagan im Endspurt auf dem Weg zum Weißen Haus befand. Dass der Film an den Kassen floppte, mag wiederum auch daran liegen, dass knapp drei Monate vor seiner Kinoauswertung das erfolglose Attentat auf den dann schon im Amt befindlichen Präsidenten Reagan stattgefunden hat. Nach den Krisenjahren der 70er standen die Zeichen der Zeit auf Konsolidierung und Aufbruch - sowohl nach innen, wie nach außen. Für einen Film wie "Blow Out", der gerade auf die Zerrissenheit der USA, die Krise insistierte, nicht die besten Voraussetzungen.
Real Eighties, die wahren 80er. Welches Verhältnis nimmt dieser Film am Beginn dieser Reihe, mehr noch aber, enstanden an der Schwelle zu diesem Jahrzehnt, zu den wahren, den echten 80ern ein?
Eine gewisse, in den Film eingravierte Janusköpfigkeit ist schwer von der Hand zu weisen. Das Dekors, die Kleidung, die starke Präsenz von Brauntönen verweisen auf das zurückliegende Jahrzehnt, die voluminösen Locken der zweiten Hauptrolle Nancy Allen schon sehr auf das kommende. Doch auch abseits solcher Texturaspekte wirkt "Blow Out" in mancher Hinsicht wie ein Abgesang auf eine Ära bei zeitgleicher Überführung in eine neue. Wenigstens passagenweise - man denke etwa an Coppolas auch thematisch verwandten “The Conversation” - wirkt der Film wie die Nachglühphase der Zeit New Hollywoods, die im Herbst zuvor mit Ciminos “Heaven’s Gate” und Scorseses “Raging Bull” gewissermaßen offiziell zu Ende gegangen war. Und doch mündet der Film in einen präzise choreografierten Actionbombast, der die energische Rohheit der Autoverfolgungsjagd aus Friedkins “French Connection” in den Modus des Thrillrides der künftigen Sommerblockbuster überführt und am Ende mit einem funkensprühenden Feuerwerk von einigem Oberflächen-Gloss die ästhetischen Präferenzen des 80er Jahre Kinos geradewegs einzuläuten scheint.
Auch eine andere Geschichte des Kinos, noch mehr aber der urbanen Kultur der 70er Jahre hat "Blow Out" - wenn auch zuweilen etwas argwöhnisch - im Blick. Sehr selbstverständlich liegt das Büro der kleinen Filmgesellschaft, für die Travolta arbeitet, über einem großen Pornokino, an den Wänden im Büro hängen reißerische Plakate zu Filmen, wie man sie in den 70ern in Grindhouse oder hierzulande in den Bahnhofskinos gesehen hat. Allein fünf Billigproduktionen - mit Titeln wie etwa “Bordello of Blood” - hat Travolta in den vergangenen zwei Jahren für die Gesellschaft vertont. “Blow Out” selbst beginnt, in Form völliger Absorption, als Film-im-Film im Gewand der aktuellsten Produktion, eines buchstäblich zusammengeschusterten Slasherfilms im Stil der kaum zählbaren Sequels von “Halloween”, “Friday the 13th” oder “Sleepaway Camp”. Der akustische Höhepunkt - der angsterfüllte Schrei eines Mordopfers, das wie bei Meister Hitchcock unter der Dusche steht - lässt allerdings sehr zu wünschen übrig und setzt damit die Geschichte überhaupt erst in Gang, wenn Travolta sich auf die Suche nach neuem Klangrohstoff begibt.
Was man sieht oder hört, sind die letzten Schnaufer des Bahnhofskinos in der urbanen Öffentlichkeit. Schon wenig später finden Pornografie und die formal gröbsten Exzesse des B-Movies dank des Siegeszugs von Homevideo vorrangig im Privaten ihren Raum. Als clever getarnter Slasherfilm im Gewand eines Verschwörungsthrillers, der "Blow Out" in letzter Konsequenz eigentlich ist, hält De Palmas auch Genre-Rückschau: Der Begriff “Peeping Tom” fällt im Zusammenhang seiner ursprünglichen Bedeutung, die Duschmord-Hommage wurde bereits genannt, spätere Morde gemahnen an die Ästhetik von Giallos, den italienischen Serienkillerfilmen, die ihrerseits auf “Psycho” rekurieren. Der bereits erwähnte schmierige Fotograf wirkt zumal in seiner aquivalent schmierigen Bleibe wie ein fernes Echo des von Joe Spinnell im Jahr zuvor eindrucksvoll und buchstäblich verkörperten “Maniac” aus dem gleichnamigen Slasher-Klassiker. Was alles nicht heißen soll, dass De Palma Anlauf zu einer lustvollen Umarmung nimmt - im Gegenteil, gerade in seiner formalen Virtuosität, seiner meisterlichen Inszenierungskunst unternimmt De Palma in “Blow Out” eine eigentlich paradoxe Doppel-Bewegung eines parasitären Aufgriffs der schmutziger Bilder bei gleichzeitiger Distanzierung zur Wahrung der damals noch wacker gehaltenen Position innerhalb der Filmindustrie: Zwar im Hinblick zu deren Zentrum durchaus bloß in Sichtweite, aber eben doch nicht in der Hölle runtergenudelter Slasherproduktionen, deren Schäbigkeit De Palma, wie sie gleich sehen können, paradoxerweise technisch geradezu brillant in Szene setzt.
Mit der Zerrissenheit des Kinos, die insbesondere der Beginn von Blow Out in einer waghalsigen Diskrepanz von Bild und Ton ausstellt, korrespondiert hier womöglich auch eine Zerrissenheit der USA, zumindest in den 70ern, als das Land innerlich aufzuplatzen - engl. “to blow out” - scheint - insbesondere und gerade auch im Kino. Diese Diskrepanz begründet den alles in Gang setzenden Konflikt, der am Ende, in einer einzigartig zynischen Volte, geschlichtet ist. Es geht in diesem Film am Ende auch um eine Wunde - griechisch Trauma - die zwar geschlossen scheint, unter der der Schmerz aber noch immer revoltiert.
Vielleicht also zum Abschluss eine kleine, mit aller Vorsicht formulierte Hypothese:
Es liegt eine gewisse Ahnung in diesem Film: Die Traumata der 70er scheinen überwunden, die Konkretizität der Gewalt wird tätlich überführt in unverbindlichen Nervenkitzel. Im Hinblick auf das zentrale US-Kino der 80er Jahre, das diese Reihe wie eine Art Leerstelle umkreist, scheint mir das zu diesem frühen Zeitpunkt durchaus hellsichtig und wie eine noch in der Resignation der letzten Bilder unversöhnliche Insistenz darauf, dass hinter den Bildern des offiziellen Reagan- und Traumabewältigungskinos noch immer eine Spur zu der realen Gewalt in der Geschichte führt. Die wahren 80er, das wird diese Reihe womöglich zeigen, fanden vielleicht im Modus der Überwinterung an den Rändern statt.
° ° °
kommentare dazu:
jochen_b,
Dienstag, 13. Mai 2014, 19:09
Endlich!
Das Warten hat sich gelohnt, danke :)
Weißt du zufällig, ob das Arsenal eine ähnliche Reihe für den Sommer plant? Die Organisatorin deutete nämlich letztes Jahr in ihrer kurzen Eröffnungsrede an, dass derartige Genre-Reihen langsam zur Tradition würden.
Weißt du zufällig, ob das Arsenal eine ähnliche Reihe für den Sommer plant? Die Organisatorin deutete nämlich letztes Jahr in ihrer kurzen Eröffnungsrede an, dass derartige Genre-Reihen langsam zur Tradition würden.
thgroh,
Dienstag, 13. Mai 2014, 22:25
Danke für das Lob!
Zu Deiner Frage: Leider kann ich da nichts dazu sagen. Ich glaube, das war auch weniger ein Ausblick, als vielmehr ein Fazit, nachdem im Jahr zuvor ja etwa zum selben Zeitraum eine Westernreihe stattfand.
Zu Deiner Frage: Leider kann ich da nichts dazu sagen. Ich glaube, das war auch weniger ein Ausblick, als vielmehr ein Fazit, nachdem im Jahr zuvor ja etwa zum selben Zeitraum eine Westernreihe stattfand.
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