Thema: Filmtagebuch
12. September 14 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
(zuerst erschienen im Perlentaucher)
David Cronenberg goes Hollywood. Wenngleich nur, was das Setting betrifft: Vier Produktionsfirmen aus vier Ländern - nur eine davon us-amerikanisch und kein großer Fisch im Hollywood-Tümpel - zeichnen für "Maps to the Stars", mit dem sich Cronenberg nach Ausflügen ins frühe 20. Jahrhundert ("Eine dunkle Begierde") und die nahe Post-Kollaps-Zukunft ("Cosmopolis") wieder ganz der Gegenwart zuwendet, verantwortlich. Es mag auch an dieser Branchenferne liegen, dass Cronenbergs Blick auf die Abgründe der sich ohnedies sehenden Auges auf die Implosion zubewegenden Glitz-und-Glam-Welt von Los Angeles noch im strahlenden Sonnenschein düster, bösartig und gallig ausfällt, auch wenn der Cast mit Julianne Moore, Mia Wasikowska und (in einer Nebenrolle) Robert Pattinson eine Nähe zum Herzen der Industrie nahelegt. Das Komödien-Subgenre der beschwingt augenzwinkernden Hollywood-Farce, die es bereits mit mildem durch den Kakao Ziehen auf sich bewenden lässt, ein paar Wahrheiten vielleicht sogar anspricht, aber dabei - hey hey - die Kirche bitte im Dorf lässt, ist "Maps to the Stars" glücklicherweise nicht geworden. Nicht, dass ich zu der Fraktion zählen würde, doch wer dem kanadischen Altmeister des Body-Horror nachsagt, sich zuletzt von alten Tugenden spürbar entfernt zu haben oder gar altersmilde (bösere Zungen behaupten: langweilig) geworden zu sein, wird auch hier kein gewaltiges Comeback der alten blutig-sudeligen Form erleben. Doch schön mulmig und psychisch abgründig ist diese Reise ins Herz der Glamour-Finsternis schon geworden.
Die Körper sind wieder Schauplatz und Leinwand in einem: Hätte Cronenberg in den Siebzigern und Achtzigern den Neurosen- und Traumata-Komplexen auf zwei Beinen noch neue Organe wachsen lassen oder deren bereits bestehenden Organe zur Explosion gebracht, sind es hier Hautunreinheiten und Pickel, sowie nicht zuletzt großzügige Flächen verbrannter Haut und dergleichen Makel mehr, die sich dem Photoshop-Gloss der Hollywood-Körper nicht nur widerständig entgegenstellen, sondern auch insistierend darauf verweisen, dass die Wesen, über die sich diese Häute spannen, mit sich buchstäblich nicht im Reinen sind. Zwischen Psychotherapie und Yoga, aufblühendem und verwehendem Starruhm, kleinen und größeren Gehässigkeiten und nicht zuletzt aus jeder Menge Albdruck aus der Vergangenheit baut David Cronenberg einen großartigen Komplex des menschlichen Unglücks inmitten einer der realen Welt entrückten Industrie, die gerade dieser Welt doch verspricht, ihr die eigenen Träume und Sehnsüchte - mithin: das Glück selbst - zu verkaufen.
Ein kleiner, nicht erschöpfender Überblick über die Dramatis Personae: Die stets großartige Julianne Moore entgrenzt sich atemberaubend in die Rolle von Havana Segrand, einer spleenigen Soon-to-be-Has-Been-Darstellerin, der im Alter von 50 Jahren dramatisch die Rollen ausgehen. Ihre aktuelle Obsession: Ein Remake jenes Films, in dem einst ihre mittlerweile verstorbene Mutter, die sie in ihren Tagträumen noch immer heimsucht, reüssierte, mit ihr selbst in der Rolle der damals deutlich jüngeren Mutter. Dann ein Kinderstar (Evan Bird), der sämtliche Allüren und Großkotzigkeiten des Betriebs bereits vorbildlich verinnerlicht und in einer Kotzszene cronenbergisch-metaphorisch entäußert, der selbst schon unter dem Druck eines zusehends brutalisierten Starsystems im Zeitalter der ständigen Ersetzbarkeit aller Protagonisten zu äußersten Mitteln greift. Und, als Hauptfigur, die rätselhafte Agatha, gespielt von Mia Wasikowska, mit ihren Brandnarben die am eindeutigsten Gezeichnete von allen, die eine Twitter-Bekanntschaft mit Carrie "Prinzessin Leia" Fisher (die sich selbst spielt) nach Hollywood bringt und als zusehends ausgenutzte und seelisch missbrauchte Assistentin bei Segrand landet. Agatha wiederum, als mysteriöse, vermeintlich Außenstehende des Betriebs, entspringt tatsächlich ganz dessen Herzen - und hegt einen eigenen Plan.
Hollywood, eine gigantische Fabrik. Nach vorne produziert sie Träume, Oberflächen, Begehren: Der wirtschaftliche Hauptarm der Filmindustrie, für den sich Cronenberg kein Stück weit interessiert, ihn insbesondere ästethisch - wohl nicht nur aus Budgetgründen - konsequent ausspart. Vielmehr interessiert er sich für das, was am anderen Ende herauskommt: Einen eigenen Film fährt "Maps to the Stars", was Exkremente betrifft. Immer wieder geht es um Fürze und um Scheiße, die der Film, sofern ihre Provenienz aus einem Star-Anus tatsächlich beglaubigt ist, in einer zumindest auf Dialogebene bizarren Szene in den Rang eines veritablen, gut absetzbaren Nebenprodukts des Starsystems hebt. Auf diese Weise erzählt "Maps to the Stars" auch von der Erosion eines Systems, das einst auf der Aura der Distanz basierte und heute - dank Twitter, Facebook, Instagram - dem Fetisch künstlicher Nähe huldigt: Besitze auch Du ein bisschen Exkrement Deines Lieblingstars - noch heute, jetzt!
Ein Geflecht von Personen, Relationen, Verletzungen, Sehnsüchten und enttäuschten Wünschen, die Cronenberg mit kalt sezierendem Blick zu isolieren und doch auf einander zu beziehen versteht: Konsequenter als in "Cosmopolis" erscheinen die Menschen als Vereinzelte, die auffallend selten zu zweit einen Bildkader bewohnen. Man mag darin eine Allegorie auf die Ich- und neoliberale Eigenblutdoping- und Optimierungsgesellschaft sehen, auf das Alleingelassen-Sein in einer Welt, die von der Geborgenheit des Einzelnen im gesellschaftlichen Netz nichts wissen will, ihm aber alles gesellschaftliche Elend ohne weiteres zumutet. Vielleicht liegt in dieser Bildpolitik auch einfach der Horror davor, immer nur auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, keine Brücke zum anderen mehr aufbauen zu können, den Anderen nicht mehr erkennen zu können, vom Anderen nicht mehr erkannt zu werden, Zweisamkeit nicht mehr erfahren zu können.
Konsequent lässt Cronenberg diese Logik der Vereinzelung auf ein Wiedererkennen im gemeinsam geteilten Trauma hinauslaufen. Ein Moment der Zweisamkeit entsteht zuletzt, tödlich, von zugleich verstörender wie beglückender Poesie: In der zwanghaften Wiederaufführung des Moments einer einst ins Seelengewebe geschlagenen Verletzung mag ein Trost liegen. In diesem Film schlägt, wie schon in Cronenbergs düstersten Erkundungen der einsamen Menschen und ihrer Körper, ein dunkles, vor Schmerzen aufschreiendes Herz.
David Cronenberg goes Hollywood. Wenngleich nur, was das Setting betrifft: Vier Produktionsfirmen aus vier Ländern - nur eine davon us-amerikanisch und kein großer Fisch im Hollywood-Tümpel - zeichnen für "Maps to the Stars", mit dem sich Cronenberg nach Ausflügen ins frühe 20. Jahrhundert ("Eine dunkle Begierde") und die nahe Post-Kollaps-Zukunft ("Cosmopolis") wieder ganz der Gegenwart zuwendet, verantwortlich. Es mag auch an dieser Branchenferne liegen, dass Cronenbergs Blick auf die Abgründe der sich ohnedies sehenden Auges auf die Implosion zubewegenden Glitz-und-Glam-Welt von Los Angeles noch im strahlenden Sonnenschein düster, bösartig und gallig ausfällt, auch wenn der Cast mit Julianne Moore, Mia Wasikowska und (in einer Nebenrolle) Robert Pattinson eine Nähe zum Herzen der Industrie nahelegt. Das Komödien-Subgenre der beschwingt augenzwinkernden Hollywood-Farce, die es bereits mit mildem durch den Kakao Ziehen auf sich bewenden lässt, ein paar Wahrheiten vielleicht sogar anspricht, aber dabei - hey hey - die Kirche bitte im Dorf lässt, ist "Maps to the Stars" glücklicherweise nicht geworden. Nicht, dass ich zu der Fraktion zählen würde, doch wer dem kanadischen Altmeister des Body-Horror nachsagt, sich zuletzt von alten Tugenden spürbar entfernt zu haben oder gar altersmilde (bösere Zungen behaupten: langweilig) geworden zu sein, wird auch hier kein gewaltiges Comeback der alten blutig-sudeligen Form erleben. Doch schön mulmig und psychisch abgründig ist diese Reise ins Herz der Glamour-Finsternis schon geworden.
Die Körper sind wieder Schauplatz und Leinwand in einem: Hätte Cronenberg in den Siebzigern und Achtzigern den Neurosen- und Traumata-Komplexen auf zwei Beinen noch neue Organe wachsen lassen oder deren bereits bestehenden Organe zur Explosion gebracht, sind es hier Hautunreinheiten und Pickel, sowie nicht zuletzt großzügige Flächen verbrannter Haut und dergleichen Makel mehr, die sich dem Photoshop-Gloss der Hollywood-Körper nicht nur widerständig entgegenstellen, sondern auch insistierend darauf verweisen, dass die Wesen, über die sich diese Häute spannen, mit sich buchstäblich nicht im Reinen sind. Zwischen Psychotherapie und Yoga, aufblühendem und verwehendem Starruhm, kleinen und größeren Gehässigkeiten und nicht zuletzt aus jeder Menge Albdruck aus der Vergangenheit baut David Cronenberg einen großartigen Komplex des menschlichen Unglücks inmitten einer der realen Welt entrückten Industrie, die gerade dieser Welt doch verspricht, ihr die eigenen Träume und Sehnsüchte - mithin: das Glück selbst - zu verkaufen.
Ein kleiner, nicht erschöpfender Überblick über die Dramatis Personae: Die stets großartige Julianne Moore entgrenzt sich atemberaubend in die Rolle von Havana Segrand, einer spleenigen Soon-to-be-Has-Been-Darstellerin, der im Alter von 50 Jahren dramatisch die Rollen ausgehen. Ihre aktuelle Obsession: Ein Remake jenes Films, in dem einst ihre mittlerweile verstorbene Mutter, die sie in ihren Tagträumen noch immer heimsucht, reüssierte, mit ihr selbst in der Rolle der damals deutlich jüngeren Mutter. Dann ein Kinderstar (Evan Bird), der sämtliche Allüren und Großkotzigkeiten des Betriebs bereits vorbildlich verinnerlicht und in einer Kotzszene cronenbergisch-metaphorisch entäußert, der selbst schon unter dem Druck eines zusehends brutalisierten Starsystems im Zeitalter der ständigen Ersetzbarkeit aller Protagonisten zu äußersten Mitteln greift. Und, als Hauptfigur, die rätselhafte Agatha, gespielt von Mia Wasikowska, mit ihren Brandnarben die am eindeutigsten Gezeichnete von allen, die eine Twitter-Bekanntschaft mit Carrie "Prinzessin Leia" Fisher (die sich selbst spielt) nach Hollywood bringt und als zusehends ausgenutzte und seelisch missbrauchte Assistentin bei Segrand landet. Agatha wiederum, als mysteriöse, vermeintlich Außenstehende des Betriebs, entspringt tatsächlich ganz dessen Herzen - und hegt einen eigenen Plan.
Hollywood, eine gigantische Fabrik. Nach vorne produziert sie Träume, Oberflächen, Begehren: Der wirtschaftliche Hauptarm der Filmindustrie, für den sich Cronenberg kein Stück weit interessiert, ihn insbesondere ästethisch - wohl nicht nur aus Budgetgründen - konsequent ausspart. Vielmehr interessiert er sich für das, was am anderen Ende herauskommt: Einen eigenen Film fährt "Maps to the Stars", was Exkremente betrifft. Immer wieder geht es um Fürze und um Scheiße, die der Film, sofern ihre Provenienz aus einem Star-Anus tatsächlich beglaubigt ist, in einer zumindest auf Dialogebene bizarren Szene in den Rang eines veritablen, gut absetzbaren Nebenprodukts des Starsystems hebt. Auf diese Weise erzählt "Maps to the Stars" auch von der Erosion eines Systems, das einst auf der Aura der Distanz basierte und heute - dank Twitter, Facebook, Instagram - dem Fetisch künstlicher Nähe huldigt: Besitze auch Du ein bisschen Exkrement Deines Lieblingstars - noch heute, jetzt!
Ein Geflecht von Personen, Relationen, Verletzungen, Sehnsüchten und enttäuschten Wünschen, die Cronenberg mit kalt sezierendem Blick zu isolieren und doch auf einander zu beziehen versteht: Konsequenter als in "Cosmopolis" erscheinen die Menschen als Vereinzelte, die auffallend selten zu zweit einen Bildkader bewohnen. Man mag darin eine Allegorie auf die Ich- und neoliberale Eigenblutdoping- und Optimierungsgesellschaft sehen, auf das Alleingelassen-Sein in einer Welt, die von der Geborgenheit des Einzelnen im gesellschaftlichen Netz nichts wissen will, ihm aber alles gesellschaftliche Elend ohne weiteres zumutet. Vielleicht liegt in dieser Bildpolitik auch einfach der Horror davor, immer nur auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, keine Brücke zum anderen mehr aufbauen zu können, den Anderen nicht mehr erkennen zu können, vom Anderen nicht mehr erkannt zu werden, Zweisamkeit nicht mehr erfahren zu können.
Konsequent lässt Cronenberg diese Logik der Vereinzelung auf ein Wiedererkennen im gemeinsam geteilten Trauma hinauslaufen. Ein Moment der Zweisamkeit entsteht zuletzt, tödlich, von zugleich verstörender wie beglückender Poesie: In der zwanghaften Wiederaufführung des Moments einer einst ins Seelengewebe geschlagenen Verletzung mag ein Trost liegen. In diesem Film schlägt, wie schon in Cronenbergs düstersten Erkundungen der einsamen Menschen und ihrer Körper, ein dunkles, vor Schmerzen aufschreiendes Herz.
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