(zuerst erschienen beim Perlentaucher)



Verschwunden ist das Mädchen und zuvor schon die Liebe: Buchstäblich steht Nick (Ben Affleck) als er nach Hause kommt vor einem Scherbenhaufen - zunächst nur vor dem der Glasplatte des Wohnzimmertisches, doch metaphorisch ebenso vor dem seiner Ehe mit Amy (Rosamund Pike) und nicht zuletzt, wie sich in den kommenden Tagen zeigen wird, vor dem seiner Existenz. Mord? Wo ist die Leiche? Entführung? Wo sind die Kidnapper? Oder doch die fingierte Camouflage nach außen eines gewaltsam gelösten Ehekonflikts, die den Gatten alsbald selbst nicht nur in den Mittelpunkt der Ermittlungen, sondern auch des längst vor dem Haus postierten Medienapparats rückt?

Die Liebe zwischen Nick und Amy begann einst wie der schmalzige Traum eines naiven Teenies: Ausgezirkelte Flirt-Oneliner, Kuss im Puderzucker-Wirbel, leidenschaftlicher Sex in der Bibliothek, ein charmanter Heiratsantrag mit gerade jenem Schuss augenzwinkernder Obszönität, der die Sache prickelnd macht, einfallsreiche Hochzeitstagsgeschenke, ein großes Haus und eine hinreichend dicke finanzielle Decke. Das weiße, heterosexuelle Glück der Mittelschicht in Perfektion - zu schön, um wahr zu sein, wohl wahr! Und tatsächlich entblättert sich "Gone Girl", Finchers Verfilmung von Gillian Lynns gleichnamigem Bestseller, aus verschiedenen, teils überlappenden Erzählperspektiven, denen schwer zu trauen ist. "Gone Girl" ist nicht nur ein exzellenter Psychothriller mit einigen üblen Abgründen, sondern auch eine Meditation in Sachen unzuverlässigen Erzählens.

Oder genauer: manipulativen Erzählens. Wer erzählt hier wem was und zu welchem Zweck? Beide, Nick und Amy, entspringen der schreibenden Zunft und erzählen einander, welche Traumpartner sie ineinander gefunden haben (die hässliche Realität natürlich: Nick knallt in seinem Uni-Büro eine 20-jährige Studentin aus dem Kurs für kreatives Schreiben. Und Amys Realität ist eine eigene für sich). Amy wiederum erzählt einiges ihrem Tagebuch, das sich, aus gutem Grund, direkt ans Publikum wendet. Der Polizei erzählt Nick auch vieles - der hysterisierende Medienapparat wiederum erzählt eigentlich so gut wie nichts, und agitiert gerade deshalb besonders effektiv die Fernseh- und Internet-Öffentlichkeit gegen Nick, den bereits als solchen ausgemachten Ehefrauen-Mörder.



Reichlich meta das alles: Die einen (und manche anderen) manipulieren einander in Beziehungsknäste, als clever konstruierter Thriller manipuliert "Gone Girl" sein Publikum selbst in einem fort, lässt dabei das Pendel der Sympathien beständig ausschlagen und macht gerade in seiner grenz-satirischen Überspitzung die Manipulierbarkeit der öffentlichen Wahrnehmung und damit einen zentralen Mechanismus der heutigen Shitstorm-Medienkultur, in der alle eine Meinung über Entgleisungen und Fehltritte Einzelner haben, während die ganz großen Schweinereien ungestört in den Hinterzimmern ablaufen können, kenntlich. Denn das Gefecht um die Deutungshoheit der Geschehnisse wird auch von Nick selbst zusehends über die Medienkanäle bestritten, bzw. größtenteils an diese öffentliche Arena delegiert.

Schön fies, mitunter grenz-, wenn nicht sogar voll-heikel, welche kirren Borderline-Dimensionen Fincher das Manipulations-Ballett annehmen lässt (schön fies auch, dies ganz am Rande, wie auch die Filmkritik an die Kandare genommen wird, denn wirklich schreiben lässt sich über einen 150 Minuten langen Film, der bereits im ersten Drittel munter Plotwendungen aneinander reiht, die man schon aus Gründen der Fairness nicht spoilern sollte, kaum). Die Vorstellung der romantischen Paarbeziehung jedenfalls, wie sie Hollywood in der Regel auch heute noch ans Ende seiner zumindest gängigsten Konkretionen setzt, erfährt eine schöne Verschiebung ins nicht nur sacht Horrible. Nicht von ungefährt erinnern die Texte nicht weniger Liebeslieder bei genauerer Betrachtung eher an Stalker-Bekenntnisse, ausformulierte Besitzansprüche und konsequente Selbstaufgaben. "Romeo and Juliet are together in eternity" heißt es in dem Lied "Don't Fear the Reaper" von Blue Öyster Cult, das an einer Stelle in "Gone Girl" im Hintergrund läuft: Was unzählige Hippie-Turteltauben einst bei Kerzenlicht als Ausdruck vollkommener Hingabe an den Anderen goutiert haben, entpuppt sich in "Gone Girl" als existenzielle Drohung: Auf ewig Dein, auf ewig mein. Das perfekte Paar, ganz Hollywood, steht auch hier am Ende der Erzählung. Zu einem Preis allerdings, der schaudern lässt. Zumindest in dieser Hinsicht handelt es sich bei "Gone Girl" um Finchers großen Anti-Hollywood-Film - realisiert inmitten der Industrie. Was für eine Volte!


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