(zuerst erschienen in der taz)




Schöne, neue, monochrome Welt: Nach einem Weltenbrand haben sich die verbliebenen Reste der Menschheit zu einer Gesellschaft der Gleichen unter Gleichen zusammengefunden - standardisiert, mütterlich behütet, wohltemperiert. Eine Welt der glatten Oberflächen, der geschmeidigen sozialen Kontakte, der mittig ausgepegelten Wallungen - ohne Gewalt, dafür voller schicksalsergebener Menschen ohne Geschichte und ohne Biografie im lauwarmen Glück vorgegebener Lebensplanung und Fürsorge. Ein Paradies, unter dessen sanfter utopischer Oberfläche die dystopische Kehrseite erahnbar ist.

Denn Frieden und Glück haben ihren Preis: Selbst noch die Erinnerung an Kunst und Literatur sind aus dem Alltag gebannt. Die Artefakte sind vor den Toren der Stadt beim "Hüter der Erinnerung" (Jeff Bridges) eingelagert, dem mit dem jungen Jonas (Brenton Thwaites) ein Nachfolger in spe zur Seite gestellt wird. Der beginnt mit erst ungläubigem, dann staunendem, schließlich zornigem Blick die einstige Fülle und Bandbreite menschlicher Gefühle und Ausdrucksweisen zu durchmessen und bald schon seinen einstigen Weggefährten und schließlich im Akt der Auflehnung der ganzen zwangsbeglückten Gesellschaft nahezubringen.

Die filmische Umsetzung von Lois Lowrys bereits 1993 erschienenem Jugendroman ist von sentimentalem Pathos - insbesondere Jeff Bridges, dem diese Verfilmung seit Jahren eine Herzenssache ist, gibt ordentlich Nuschel-Schmiere - ganz gewiss nicht frei. Hinter dem edlen, heutiger Apple-Ästhetik entlehnten Gadget-Look finden sich aber doch ein paar hübsche, im Rahmen eines mittelprächtigen Blockbusters überzeugende Gedanken zum dialektischen Verhältnis zwischen Utopie und Dystopie, zwischen jauchzendem Glück und tiefem Schmerz.

Um beflissenen "Lest mal wieder ein Buch"-Ratgeberkitsch für Kleinbürger geht es höchstens halb - dafür sind die zwar sanften Ambivalenzen an sich doch zu deutlich: Aufwallende Emotionen ziehen eben auch gewaltsame Konflikte nach sich und dass die dystopische Glücks-Gesellschaft nicht doch auch auf kühl rationale Weise Vorzüge vorzuweisen hat, bleibt ebenso kenntlich.

Sein Ende findet der Film im Weihnachtskitsch aus dem 19. Jahrhundert. In den USA beanspruchen ihn bereits Tea Party samt Konsorten als Plädoyer für die eigene, rechte Sache. Linke Kommentatoren warnen vor der dämonisierenden Verzerrung ihrer Ideen und Ideale. Völlig aus der Luft gegriffen sind die Wortmeldungen beider politischen Lager nicht.


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