Thema: festivals
16. Oktober 14 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Kommende Woche beginnt in Berlin das 9. Pornfilmfestival. In der taz erschien dazu heute ein Artikel von mir.
Eines der hartnäckigsten Gerüchte über Pornografie - neben jenem, dass Pornos per se stumpfsinnig und frauenfeindlich, gar Ursache und Ausdruck einer verkorksten Sexualität seien - lautet, dass Alternativen dazu dann ja wohl verschüchtert-verzärtelte Abstraktionen von Körperlichkeit darstellen. Dass beides im Großen und Ganzen Unfug ist, dass Pornografie als neugierige Feier der Vielfalt des Begehrens und der körperlichen Ekstase herrlich uneindeutig und dennoch sehr konkret, wunderbar schmutzig und dennoch subversiv, sinnlich-poetisch und dennoch ganz kreatürlich, nicht zuletzt enthusiastisch obszön und doch völlig safe sein kann, stellt das Pornfilmfestival seit mittlerweile erfreulichen acht Jahren mit schöner Gelassenheit unter Beweis. Auch deswegen zählt es zu den wertvollsten und spannendsten, also: unverzichtbarsten Festivals der Stadt.
Wegen toller Filme wie "Shutter" der Fotografin Goodyn Green etwa, einem anschmiegsamen Episodenporno, der fünf lesbische Paare beim Sex weniger beobachtet als ihnen dabei beiwohnt. Dass es dabei auch rough zugeht, ist kein Widerspruch zur verspielten Zärtlichkeit nicht nur der Vögelnden, sondern auch des Films. Kamera und insbesondere auch der noch feinstes Rascheln und Schmatzen registrierende Ton sind den Frauen zwar ganz nahe, dennoch schlafen diese in erster Linie miteinander. Der Sex exhibitioniert sich nicht für die Kamera. Sehr sexy ist das nicht nur wegen der offensichtlichen Lust der Frauen aufeinander, sondern auch, weil sich in diesem sehr intimen Film die Blick- und Machtachsen gängiger Pornokonzeptionen wunderbar verkehren. Ein Ausblick auf ein pornosexuelles Utopia: eine unentfremdete Pornografie, gerade ohne übergriffiges Blickregime, in der die Einladung von Menschen, sie beim intimsten Akt zu beobachten, auf Seiten des Publikums als wertvolles Geschenk begriffen wird.
Oder wegen aufregender Entdeckungen wie Jacques Scandelaris ekstatischer "New York City Inferno" (1978), ein schwuler Porno, der mit schöner Beiläufigkeit die politische und chronistische Komponente von Pornos aus sozial marginalisierten Bereichen belegt. Mit teils dokumentarischem Gestus nimmt dieser Film über einen Franzosen auf der Suche nach seinem in New York verschwundenen Lover Facetten und Aspekte des schwulen Metropolenlebens in den Blick, beobachtet semiöffentliche Orte und Rituale der Anberaumung genauso wie die Safe Spaces derber Jeans-und-Leder-Nachtclubs. Wertvoll ist er auch in musikalischer Hinsicht: Die Discosounds der Village People hört man hier wie in einer Zeitkapsel ganz unmittelbar vor ihrer Verkarnevalisierung durchs Fernsehen der 70er vor der Kulisse eines schmutzig-tristen New Yorks, das hier noch roher und eindringlicher vor Augen steht als etwa in William Friedkins zwei Jahre später in ähnlichem Setting entstandener "Cruising". Zum rauschhaften BDSM-Finale läuft unterdessen avantgardistischer Synth-Underground-Punk - spannend und aufschlussreich, welche Bündnisse und Spektren sich hier aufspannen.
Materialästhetisch vollends authentisch wird das Festival, wenn es Joe Sarnos Hetero-Porno "Inside Jennifer Welles" (1977) in einer historischen 35-mm-Kopie zeigt. In Textur und Haptik des Trägermaterials zeigt sich, was Pornos vor ihrem Rückzug in den VHS- und Digital-Privatismus einmal waren: ein selbstverständlicher, sehr öffentlicher Diskurs in direkter Nähe zum "offiziellen" Kino, wie auch der Film selbst reflektiert, wenn ein Taxifahrer die Titelheldin, einen kurzzeitigen Star jener Tage, im Vorbeifahren darauf aufmerksam macht, dass ein Kino einen ihrer Filme zeige. Was Pornos heute sind und morgen vielleicht sein könnten, demonstriert das Pornfilmfestival unterdessen im übrigen Programm auf so zahlreiche Weisen, wie es Sexualitäten gibt. Auf fünf neugierige, lustvolle, experimentierfreudige Tage!
Eines der hartnäckigsten Gerüchte über Pornografie - neben jenem, dass Pornos per se stumpfsinnig und frauenfeindlich, gar Ursache und Ausdruck einer verkorksten Sexualität seien - lautet, dass Alternativen dazu dann ja wohl verschüchtert-verzärtelte Abstraktionen von Körperlichkeit darstellen. Dass beides im Großen und Ganzen Unfug ist, dass Pornografie als neugierige Feier der Vielfalt des Begehrens und der körperlichen Ekstase herrlich uneindeutig und dennoch sehr konkret, wunderbar schmutzig und dennoch subversiv, sinnlich-poetisch und dennoch ganz kreatürlich, nicht zuletzt enthusiastisch obszön und doch völlig safe sein kann, stellt das Pornfilmfestival seit mittlerweile erfreulichen acht Jahren mit schöner Gelassenheit unter Beweis. Auch deswegen zählt es zu den wertvollsten und spannendsten, also: unverzichtbarsten Festivals der Stadt.
Wegen toller Filme wie "Shutter" der Fotografin Goodyn Green etwa, einem anschmiegsamen Episodenporno, der fünf lesbische Paare beim Sex weniger beobachtet als ihnen dabei beiwohnt. Dass es dabei auch rough zugeht, ist kein Widerspruch zur verspielten Zärtlichkeit nicht nur der Vögelnden, sondern auch des Films. Kamera und insbesondere auch der noch feinstes Rascheln und Schmatzen registrierende Ton sind den Frauen zwar ganz nahe, dennoch schlafen diese in erster Linie miteinander. Der Sex exhibitioniert sich nicht für die Kamera. Sehr sexy ist das nicht nur wegen der offensichtlichen Lust der Frauen aufeinander, sondern auch, weil sich in diesem sehr intimen Film die Blick- und Machtachsen gängiger Pornokonzeptionen wunderbar verkehren. Ein Ausblick auf ein pornosexuelles Utopia: eine unentfremdete Pornografie, gerade ohne übergriffiges Blickregime, in der die Einladung von Menschen, sie beim intimsten Akt zu beobachten, auf Seiten des Publikums als wertvolles Geschenk begriffen wird.
Oder wegen aufregender Entdeckungen wie Jacques Scandelaris ekstatischer "New York City Inferno" (1978), ein schwuler Porno, der mit schöner Beiläufigkeit die politische und chronistische Komponente von Pornos aus sozial marginalisierten Bereichen belegt. Mit teils dokumentarischem Gestus nimmt dieser Film über einen Franzosen auf der Suche nach seinem in New York verschwundenen Lover Facetten und Aspekte des schwulen Metropolenlebens in den Blick, beobachtet semiöffentliche Orte und Rituale der Anberaumung genauso wie die Safe Spaces derber Jeans-und-Leder-Nachtclubs. Wertvoll ist er auch in musikalischer Hinsicht: Die Discosounds der Village People hört man hier wie in einer Zeitkapsel ganz unmittelbar vor ihrer Verkarnevalisierung durchs Fernsehen der 70er vor der Kulisse eines schmutzig-tristen New Yorks, das hier noch roher und eindringlicher vor Augen steht als etwa in William Friedkins zwei Jahre später in ähnlichem Setting entstandener "Cruising". Zum rauschhaften BDSM-Finale läuft unterdessen avantgardistischer Synth-Underground-Punk - spannend und aufschlussreich, welche Bündnisse und Spektren sich hier aufspannen.
Materialästhetisch vollends authentisch wird das Festival, wenn es Joe Sarnos Hetero-Porno "Inside Jennifer Welles" (1977) in einer historischen 35-mm-Kopie zeigt. In Textur und Haptik des Trägermaterials zeigt sich, was Pornos vor ihrem Rückzug in den VHS- und Digital-Privatismus einmal waren: ein selbstverständlicher, sehr öffentlicher Diskurs in direkter Nähe zum "offiziellen" Kino, wie auch der Film selbst reflektiert, wenn ein Taxifahrer die Titelheldin, einen kurzzeitigen Star jener Tage, im Vorbeifahren darauf aufmerksam macht, dass ein Kino einen ihrer Filme zeige. Was Pornos heute sind und morgen vielleicht sein könnten, demonstriert das Pornfilmfestival unterdessen im übrigen Programm auf so zahlreiche Weisen, wie es Sexualitäten gibt. Auf fünf neugierige, lustvolle, experimentierfreudige Tage!
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