Moonraker (Lewis Gilbert, GB 1979)
In schöner Regelmäßigkeit bezeichnet Georg Seeßlen die Phase des Kinos seit den 70er Jahren als "Implosion der Genres". Star Wars dient in der Regel als Kronzeuge: Hier fielen zahlreiche Genres ineinander und ergaben vielleicht soetwas wie die Essenz des Genrefilms. Moonraker entstand kurz nach George Lucas' Weltraum-Western-Märchen-Action-Fantasy-Nibelungen-Tolkien-Saga und ist als deutlicher Versuch, an diese anzuschließen, zu erkennen.
Will man nun die Rede von den implodierten Genres als gültig ansehen, ist Moonraker vielleicht soetwas wie der Beweis der allgemeinen Verwirrung, den diese Entwicklung in ihrer Frühzeit ausgelöst haben mag: Ganz und gar unbeholfen und geradewegs erstaunlich hilflos manövriert sich da ein Film, durch diverse Genrewelten und schielt dabei auf die neue Blockbuster-Form wie die eigenen Implikationen gleichermaßen. Dazu passt die vollkommen delirierende Story, die sich mit Kohärenz schon gar nicht mehr aufhält: Roger Moore springt als, mal genau besehen, sensationell ahnungsloser Horst durch eine internationale Kulisse, ohne dass die Sprünge als solche noch irgendwie in ein sinnstiftendes Gefüge eingepflegt würden. Ähnlich springt man von einer stupiden Westernszene, in der Moore als Eastwood als namenloser Leone-Held zu Pferde reichlich dämlich ausschauen darf, über Agentengimmick-Trash hin zu einer gnadenlos dümmlichen Space-Opera in den letzten Minuten, in der selbst Beißer noch eine trashige Liebesbeziehung eingehen und einer von den Guten werden darf.
Als Film für sich genommen ist das allenfalls inakzeptabel. Noch nicht einmal zum unterhaltsamen Trash - Marke: Gurke zwar, aber amüsant gegen die Wand gefahren - hat es hingereicht. Aber auf einer zweiten Ebene, filmgeschichtlich besehen, ist dieser Film dann doch bemerkenswert: Als Symptom einer Konfusion im Zeitalter des frühen Blockbusters.
Immerhin sehr bemerkenswert: Ken Adams Set-Arbeiten, die, zwischen üblicher Moderne-Gigantonomie und Pulp-Geekiness, sicherlich zu seinen besten gezählt werden dürfen, und eine sensationell inszenierte Actionszene über den Wolken recht früh im Film: Deren komplizierte Produktion wird im Bonusmaterial der DVD genau erläutert. [imdb ~ mrqe]

Wir (Martin Gypkens, Deutschland 2003)
Kennen Sie die peinliche Berührung des Mitschämens? Anhand von Wir kann man die sehr gut nachvollziehen: Da wird eine Art Zustandsbeschreibung versucht, die dann auch noch, nicht unbescheiden, über den Titel zum Bild einer ganzen Generation stilisiert wird: Das also, das sind "wir". Wir, die wir in den 90ern nach Berlin und dann noch durch die Bars zogen, gefangen in schlechten Callcenter-Jobs, die wir uns abgrenzen wollten, von alten Freunden und alter Provinz. Neue Stadt, neue Leute, neue Probleme. Es klappt mit dem alten Freundeskreis nicht mehr so ganz. Man will künstlerisch aktiv sein, einen Film drehen. Das ist der Spirit von Prenzlberg '96. Bars und Clubs in Mitte. Liebesaffären. Retro-Wohnungen.
Ein Film, der sich mit Trivialitäten aufhält: Ja, der Umzug in die große Stadt ist ein großer Einschnitt in jede Biografie. What else is new? Ja, man kann unter den zahlreichen Eindrücken schon schnell einen Großstadtkoller erleiden. Where is the fuckin' beef in all of this? Was bleibt ist das Portrait einer heillos neurotischen, ungemein langweiligen selbsternannten "Generation Berlin", die schon in den 90ern nach einer postmodernen Wiederkehr der öden 80er roch. Warum sollte ich mir Deppen im Film anschauen, die ich privat noch nicht mal meiden müssen will, um dann auch noch plump vereinnahmt werden zu müssen? "Wir", allein dieses Wort schon: "Wir" - abschaffen bitte! "Wir" das hat Freddie Quinn penetrant im Refrain gesungen, als er gegen die "Gammler" lyrisch in den Krieg zog, und "wir" das singen heutzutage die spackdumme 2raumwohnung und das Duo Infernale der Popmusik, Heppner und Dyk. Kurzum: "Wir", das ist grundsätzlich dumme Scheiße und erinnert in diesem Fall sträflich an das "Kinder vom Bahnhof Zoo"-Gewese: Im Jugendalter kiffen und währenddessen das "Kinder"-Buch lesen, das strackdumme "Wir"-Gefühl eben... [imdb ~ filmz.de]

Anatomie / Anatomie 2 (Stefan Ruzowitzky, Deutschland 2000/2003)
Ruzowitzkys Siebtelbauern, den er vor diesen beiden Desastern der Horrorfilmgeschichte drehte, soll, dem Vernehmen nach, große Kunst sein. Diese beiden Filme sind nun allerdings nicht gerade geeignet, Lust auf ein Stöbern in dieser Filmografie zu machen.
Beide Filme sind so irgendwie "Filme von und für Mediengestalter": Jedes Bild sitzt, ist handwerklich perfekt. Das Licht stimmt genau, die Einstellungsgrößen sind prima, gute Bilder für den Schnitt - das freut jeden Azubi-Prüfer und im Fernsehen, wo solche Perfektion gefragt ist, können es alle Beteiligten, die nun ein perfektes Portfolio vorweisen können, bestimmt noch weit bringen. Doch ein Horrorfilm braucht in erster Linie keine handwerkliche Gelacktheit, sondern Seele. Und wenn die fehlt, dann ist alles andere hinfällig, samt und sonders für die Katz'. Über die sorgfältige, handwerkliche Gestaltung hat man - in beiden Auflagen des Stoffes - den Charme vergessen und spult stattdessen eine lieblose Ansammlung von üblichen Versatzstücken aus dem Arsenal ab, das die Welt der Groschenromane von Bastei Lübbe bildet: Etwas Verschwörungstheorie, ein unheimliches Institut, im zweiten Teil ein wenig Nazi-Trash, ein bisschen Krimi und unbeholfenes "Urangst"-Triggern. Dabei ist man sich, seitens der Produktion, nie ganz im Klaren, ob das jetzt "cool", "spannend", "pulpig" oder öd ironisch "albern" sein soll. Entsprechend irrlichtern beide Filme durch sich selbst, verweilen gelegentlich an Spannungsmomenten, die als solche nur behauptet werden, und sind, im wesentlichen, nur dafür da, eine Ansammlung handwerklich gut gemachter Bilder abzuliefern. Ein Horrorfilm von Leuten, die vom Horror nichts verstanden haben, für Leute, die Horrorfilme ansonsten nicht schauen, aber bei "uns Franka" mal fünfe gerade sein lassen. Ein liebloses Machwerk in doppelter Ausführung.
[imdb] ~ [imdb ~ filmz.de]

Catwoman (Pitof, USA 2004)
Pitof hatte zuvor in Frankreich den außerordentlich schönen Vidocq gedreht, früher hat er bei Jeunet die Visuals überwacht. Der Mann weiß also, wie "gut aussehen" geht. In Catwoman darf er dann auch mit der Kamera schnörkeln und schnörkeln und schnörkeln. Und in die Katzen, die heimlichen Hauptdarsteller, hat er sich augenscheinlich voll und ganz verliebt.
Bringt aber alles nichts, denn jenseits aller Künststückchen plätschert der Film uninspiriert durch eine mäßig spannende Story, die zudem - was fatal für einen Superheldenfilm ist, zumal für den ersten eines Franchise - langweilig wird, sobald sie erst in Fahrt kommt. Damit ist Catwoman wohl in der Tat die erste Origin Story, die vor der Heldenwerdung amüsanter ist als danach. Spannungsfreies Lack-und-Leder-Einerlei.
[imdb ~ mrqe ~ filmz.de ~ angelaufen.de]


° ° °




kommentare dazu:



sma, Freitag, 25. März 2005, 23:38
Auch ganz schlimm, was Superhelden-Filme angeht: Daredevil. Comic hat mich nicht sonderlich begeistern können, Film dennoch gesehen. Ben Affleck völlig fürchterlich, in einem fürchterlichen Setting, in einer wüsten, ungeordneten, vollverblödeten Geschichte. Absolute Antipartie gegen diesen Film. Hoffe, dass Fantastic Four wieder einer der bessen wird.


thgroh, Samstag, 26. März 2005, 02:22
Zustimmung auf ganzer Linie. Daredevil ist ebenfalls sensationell verkorkst. In die Comics dazu habe ich mich nicht sonderlich eingelesen - den einen von Loeb und diesem anderen da fand ich reichlich mäßig, die Auflage von, ich glaube, Frank Miller wusste schon eher zu gefallen. Aber mein Held ist das definitiv nicht.


christian123, Samstag, 26. März 2005, 05:27
Jetzt ohne jeden Wahrheitsanspruch: Ich hab in einer Usenet-Diskussion vor einer Weile eine engagierte Position eines Menschen gelesen, der Daredevil-Film in seiner konventionellen Fassung sei belanglos, in seinem Director's Cut allerdings (nur in einer extra DVD-Fassung zusätzlich zur normalen Fassung erschienen) ganz großartig. Da ich weder das eine noch das andere gesehen habe (noch großes Interesse daran besitze), will ich das freilich nur erwähnt, aber nicht als Meinung mir angeeignet haben ;-)


thgroh, Samstag, 26. März 2005, 14:00
Danke für den Hinweis - das war mir in der Tat nicht bekannt. In den imdb-Kommentaren ist man ja auch regelrecht begeistert von dieser neuen Fassung (auch einige, die eigener Aussage zufolge den Film vorher ähnlich grauenhaft wie ich fanden). Nach der Fassung werde ich mal definitiv Ausschau halten, vielleicht kriegt das Videodrom sie ja eines Tages in den Verleih.

Und danke auch für Deinen ausführlichen Lovecraft-Exkurs letztens - manches war mir schon bekannt (anderes wiederum nicht), aber so eine Expertenzusammenfassung kann nie schaden. :)


christian123, Samstag, 26. März 2005, 14:10
Gern geschehen :-)

Übrigens, um an unser Mutmaßen neulich im Arsenal anzuknüpfen, "L'Age d'Or" gestern war *natürlich* mit Ton und auch gesprochener Sprache, meine Erinnerung täuschte mich also nicht :-P (Auch wenn der Film wie ein Stummfilm anfängt, insofern dürftest du vielleicht auch gar keinen Anlass gehabt haben, ihn vorm Abbruch des Anschauens für einen Tonfilm zu halten. Außer vielleicht dem "Tobis Klangfilm" im Vorspann ;-))

k-dash, Samstag, 26. März 2005, 14:32
„Die wagemutige Anatomie einer Katzenfrau.“
Anatomie:
Es ist schon etwas her, dass ich den Film gesehen habe. Ich kann mich aber erinnern, dass ich es recht interessant (und im Endeffekt auch gelungen) fand, wie sich der Inhalt in der Form spiegelt, bzw. andersherum. Die auf cool getrimmte „Mediengestalter mit 1+ Präsentation“, wird immer wieder durchbrochen, sei es durch zünftige Wirtshausaction, urige Heidelberg Locations oder einfach was richtig Fieses, wie z.B. Anna Loos’ Tod. Genauso wird das perfekte Medizineridyll, teils kühl und professionell, teils fröhliches Studentenleben, immer wieder durchbrochen, durch die Verschwörung und die dunkle Vergangenheit der Universität. Ich fand des jedenfalls sehr gelungen. Teil 2 nehme ich allerdings nicht in Schutz, außer dem furiosen Auftakt, ist das nur stinkendes, totes Fleisch.

Catwoman:
Der Eintrag spricht mir aus der Seele.

DareDevil:
Der DC scheint wirklich mal einen Blick wert zu sein, die Chance, dass der noch was reißen kann ist jedenfalls gegeben. Es wurden nämlich nicht einfach nur ein paar Minuten hier und da dran geflickt, sondern, so wie ich es verstanden habe, auch etliche Szenen ganz gestrichen. Der Schwerpunkt verlagert sich so wohl eindeutig auf die Probleme die Matt Murdock mit dem Superheldendasein hat und die Romanze zwischen ihm und der Garner tritt in den Hintergrund. Obendrauf soll das Ganze im DC auch viel düstere daher kommen, was imho, gerade im Hinblick auf die Comics, nichts Schlechtes ist.

matt, Sonntag, 27. März 2005, 15:08
Moonraker
Ich lese ihr Blog regelmäßig, und häufig kann ich Ihnen doch zustimmen. Aber Ihre Meinung zu "Moonraker" kann und will ich natürlich nicht teilen, für mich (so seltsam das jetzt klingen mag) ist das eines der gelungensten Bond-Abenteuer aller Zeiten - und ich schaue mir diesesen Film immer mal wieder gerne an. Ich weiß ja nicht ob hier noch mein Kommentar gelesen wird, aber das wollte ich einfach schnell gesagt haben.

Frohe Ostern.
Gruß,
Matthias



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