Thema: Filmtagebuch
17. April 05 | Autor: thgroh | 0 Kommentare | Kommentieren
Aktuelle Retrospektive im Kino Arsenal, hier der Programmtext.
Salome (Italien 1972)
Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich. Was aber, wenn das Kamel den Reichtum gefressen hat? Christenheit, die vor dem Innern des Körpers, ihn verstanden auch als Träger, Behältnis, scheitert.
Seit Eisenstein hat vielleicht kein Filmemacher mehr den Zuschauer derart anhand des Formalen gegängelt. Der Film besteht aus 4500 Schnitten, heißt es. Eine Stunde hat 3600 Sekunden. Der Film dauert gerade mal 80 Minuten. Man wird beschossen von ihm, weil sein Raum - ein abstrakter, eher ein Theaterraum (aber kein Theaterfilm, weiß Gott nicht) - verborgen bleibt, in Naheinstellungen (die ist ihm die liebste) und einem Schnittstakkato, das in Bewegungen schneidet. Nicht zuletzt ein Farbenrausch, alles reinste Künstlichkeit und aber: Körperlichkeit. Salome ist eine körperliche Erfahrung und am Ende schließlich das vielleicht stärkste Bild: Der delirierende Herodes, von Bene selbst verkörpert, im gleißenden Licht, die Kamera dicht, ja am dichtesten bei ihm, zählt auf: Reichtümer, Ländereien, um ihn (ja, um ihn herum): Salome, mit hypnotischer Stimme: "La Testa! wiederholend, immer wieder: Sie will das Haupt des Propheten. Ihre dünnen Finger, spinnenartig, um ihn herum, Herodes blickt nach oben, sie zieht ihm eine Haut ab, nicht die Haut, sondern etwas darüber. Immer wieder La Testa und Schnitt um Schnitt um Schnitt.
Andere Bilder zuvor, zahlreiche. Ein Jesus kreuzigt sich selbst. Die Komik, dass er seine freie Hand nicht festnageln kann. Nichts wird vollendet, in diesem Film. Immer nur ist man mitten drin. In etwas, was Anfang und Ende nicht kennt. Der Tanz der Salome hingegen findet nicht statt, bleibt zwischen den Sequenzen verborgen. Dieses "zwischen den Sequenzen" scheint mir bei Bene wichtig zu sein - wo ein klassisch erzählender Film seinen Raum und seine Zeit auf das wesentliche verdichtet, scheint Bene gerade das in der Verdichtung betonte außen vor zu lassen und sich mit den Zwischenräumen und -zeitpunkten zu beschäftigen.
Ein erster Verdacht: Benes Film sind "reines Kino" in dem Sinne, dass sie sich gegen Verwörtlichung spreizen. Vielleicht wird auch deshalb in entscheidenden Momenten wenig geredet und wenn viel geredet wird, dann meist endlose Wiederholungen und Sätze, die so recht neben allem zu stehen scheinen. Auch ist da oft eine Ton-Bild-Schere: Der, der spricht, bewegt den Mund nicht, oder bewegt ihn zu lange, zu kurz.
Nostra Signora del Turchi (Italien 1968)
Der später gedrehte, in der Retrospektive aber eingangs gezeigte Salome war üblichen Räumen entzogenes Pop-Art-Delirium. Nostra Signora hingegen findet in Orten statt, die man kennen könnte (zu Beginn: lange Vorstellung einer Kapelle, die es augenscheinlich "in echt" gibt, durch verschmierte Linsen aber nur zu sehen, Bene erläutert viel und die Kamera träumt sich durch die Lokalität, in unmöglichen Winkeln). Kontingent erzählt wird hier nichts: Nostra Signora ist eine Abfolge von Bildern, die sich immer zu einem Crescendo hinreißen lassen und in episodisch rauschhafte Höhepunkte münden. Auch hier wieder das Gefühl, beschossen zu werden. Man spürt dem Film kaum nach, er überholt die Sensoren mit leichter Hand, entweder man verabscheut das oder man gibt sich dem hin, gleitet durch die Reinheit einer ästhetischen Erfahrung, die einem Bilder liefert, die man nicht verstehen muss, um sie stark erleben zu können. Wenn man diesen Punkt erreicht, entfaltete sich eine Sogkraft, die Welten erschließt, in denen alles möglich scheint, ein Gefühl, das nicht enden möge, in dem die Sphäre des Diesseitigen, des Alltagspolitischen, nicht zuletzt die Sphäre von Arbeit und Ökonomie Momente lang besiegt scheint und das Gehirn selbst von Bildern in eine Richtun massiert scheint, wo Kunstproduktion das einzige von Sinn ist. Der Fall daraus kann tief sein: Wie nach dem Kokain folgt dem Rausch die Depression, wenn man erwacht und das alte Gefüge einen wieder gefangen nimmt. Dabei ist das kein narzistisch-egozentrischer Hippie-Spiritualismus - der größte Feind von Kunstsinn überhaupt -, sondern erdig, hier, nicht intellektuell vielleicht, aber zumindest von einer Intuition, die zum Richtigen führt.
Erste Motive zeigen sich: Der verzweifelt derlierende Mann, der von einer Frau durch körperliche Nähe körperlich desintegriert wird. Blickachsen des Kameraauges, die die Frau als Ikone stilisieren, als, etwa, die übermächtige, liebende prä-ödipale Mutter, deren Bedeutung Gilles Deleuze betont hat. Die Aufspaltung der Figur. In Vater und Sohn, Lehrer und Lehrender (in einem der packendsten Momente: Der kochende Mönch, mit Bart, und sein Schüler, ohne Bart, beide von Bene gespielt, meist im Gegenschussverfahren aufgelöst, dann aber oft sogar im statischen Bild: Der Theaterbart wird heruntergerissen, um die Rolle zu wechseln). Wieder dieser Solipsismus in den Worten. Pferde und Essen, das in den Mund geführt wird, dort aber nicht bleibt. Immer die Nähe zum Slapstick und auch weiterhin das Verweilen in der Mitte einer Handlung.
Hie und da wirkt Bene wie eine Karikatur von Belmondo im Pierrotfilm.
Capricci (Italien 1969)
Das rote Telefon klingelt, wir sind bei Künstlern, die Dinge bemalen und sie ihn Rahmen setzen, als körperliches Stillleben. Fast schon Warhol-haft ist hier überall Hammer und Sichel auch auf Leinwänden zu sehen, es kommt zum Streit, der nur dazu dient, diese ganze Kunst zu zerstören. Hinfort damit. Bene hasste Week-End von Godard, er hasste das ganze versonnene Erstarren vor den Verführungen sozialistischer Ästhetik. Mehr noch als Nostra Signora ist dies ein Schuss aus der Hüfte in Richtung Frankreich.
Ein Schrottplatz mit Autos drauf. Ineinander verkeilt, immer wieder Karambolagen. Bene mitten drin als taumelnder Künstler, der Frauen anfährt, sie grotesk zu retten versucht. Auch hier die Nähe zu Belmondo-Figuren. Schöne Frauen in schönen Kleidungen, wie man sie auch aus Godards Filmen kennt. Gegen das Sonnenlicht geschossen, ein Irrealis im Bild. Am Ende die großen Explosionen, gestellte Todesszenen - wir liegen noch nich richtig, die Musik gehorcht, verstummt - und lauter Jugendliche in Gangsterposen rennen plötzlich über den Platz und sie schießen weiß Gott allein auf wen und wohin, im Schlepptau haben sie junge Frauen, sie haben Filme von Godard gesehen (und Godard wiederum hat amerikanische Filme gesehen) und sie rennen sie nun rum, Kopien ohne Saft und Kraft, und steigen in verbrannte Autos, die hinfort fahren, lächerlich. Harter Schnitt auf bemannte Pferde, es ist nacht, Großaufnahmen, alles viel zu nah, es ist grotesk, es ist lächerlich, es ist großartig, Rot, immer wieder alles rot, Abspann über dem Bild.
Dazwischen so viel mehr. Eifersuchtsgeschichten. Rezitationen aus Roland Barthes Texten, aus dem Off, während aufgetischt wird. Mahlzeiten aus Elle. Fahren wie nach London. Groteske Selbstbildnisse. Hier werden die Lenins und Stalins von morgen geboren. Der Polizist scheitert vor dem grotesken Transvestiten, in dem der Vater zur Mutter wurde, seine Rache schon fast, der Polizist erlebt den Regress fast körperlich schon nach. Zum Vater wird ihm ein überdimensionales Selbstbildnis des Künstlers, er kann es nicht tragen, die Tränen, Zusammenbruch, wie unter dem Kreuze fast, Infantiltität.
Ich beginne, die Filme zu verwechseln. Sie scheinen ineinander zu fließen.
Und dann immer wieder das Rot. Das große Gesicht des Pferdes am Ende. Ein Film voller Gewalt und Größenwahn. Rausch.
Salome (Italien 1972)
Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich. Was aber, wenn das Kamel den Reichtum gefressen hat? Christenheit, die vor dem Innern des Körpers, ihn verstanden auch als Träger, Behältnis, scheitert.
Seit Eisenstein hat vielleicht kein Filmemacher mehr den Zuschauer derart anhand des Formalen gegängelt. Der Film besteht aus 4500 Schnitten, heißt es. Eine Stunde hat 3600 Sekunden. Der Film dauert gerade mal 80 Minuten. Man wird beschossen von ihm, weil sein Raum - ein abstrakter, eher ein Theaterraum (aber kein Theaterfilm, weiß Gott nicht) - verborgen bleibt, in Naheinstellungen (die ist ihm die liebste) und einem Schnittstakkato, das in Bewegungen schneidet. Nicht zuletzt ein Farbenrausch, alles reinste Künstlichkeit und aber: Körperlichkeit. Salome ist eine körperliche Erfahrung und am Ende schließlich das vielleicht stärkste Bild: Der delirierende Herodes, von Bene selbst verkörpert, im gleißenden Licht, die Kamera dicht, ja am dichtesten bei ihm, zählt auf: Reichtümer, Ländereien, um ihn (ja, um ihn herum): Salome, mit hypnotischer Stimme: "La Testa! wiederholend, immer wieder: Sie will das Haupt des Propheten. Ihre dünnen Finger, spinnenartig, um ihn herum, Herodes blickt nach oben, sie zieht ihm eine Haut ab, nicht die Haut, sondern etwas darüber. Immer wieder La Testa und Schnitt um Schnitt um Schnitt.
Andere Bilder zuvor, zahlreiche. Ein Jesus kreuzigt sich selbst. Die Komik, dass er seine freie Hand nicht festnageln kann. Nichts wird vollendet, in diesem Film. Immer nur ist man mitten drin. In etwas, was Anfang und Ende nicht kennt. Der Tanz der Salome hingegen findet nicht statt, bleibt zwischen den Sequenzen verborgen. Dieses "zwischen den Sequenzen" scheint mir bei Bene wichtig zu sein - wo ein klassisch erzählender Film seinen Raum und seine Zeit auf das wesentliche verdichtet, scheint Bene gerade das in der Verdichtung betonte außen vor zu lassen und sich mit den Zwischenräumen und -zeitpunkten zu beschäftigen.
Ein erster Verdacht: Benes Film sind "reines Kino" in dem Sinne, dass sie sich gegen Verwörtlichung spreizen. Vielleicht wird auch deshalb in entscheidenden Momenten wenig geredet und wenn viel geredet wird, dann meist endlose Wiederholungen und Sätze, die so recht neben allem zu stehen scheinen. Auch ist da oft eine Ton-Bild-Schere: Der, der spricht, bewegt den Mund nicht, oder bewegt ihn zu lange, zu kurz.
Nostra Signora del Turchi (Italien 1968)
Der später gedrehte, in der Retrospektive aber eingangs gezeigte Salome war üblichen Räumen entzogenes Pop-Art-Delirium. Nostra Signora hingegen findet in Orten statt, die man kennen könnte (zu Beginn: lange Vorstellung einer Kapelle, die es augenscheinlich "in echt" gibt, durch verschmierte Linsen aber nur zu sehen, Bene erläutert viel und die Kamera träumt sich durch die Lokalität, in unmöglichen Winkeln). Kontingent erzählt wird hier nichts: Nostra Signora ist eine Abfolge von Bildern, die sich immer zu einem Crescendo hinreißen lassen und in episodisch rauschhafte Höhepunkte münden. Auch hier wieder das Gefühl, beschossen zu werden. Man spürt dem Film kaum nach, er überholt die Sensoren mit leichter Hand, entweder man verabscheut das oder man gibt sich dem hin, gleitet durch die Reinheit einer ästhetischen Erfahrung, die einem Bilder liefert, die man nicht verstehen muss, um sie stark erleben zu können. Wenn man diesen Punkt erreicht, entfaltete sich eine Sogkraft, die Welten erschließt, in denen alles möglich scheint, ein Gefühl, das nicht enden möge, in dem die Sphäre des Diesseitigen, des Alltagspolitischen, nicht zuletzt die Sphäre von Arbeit und Ökonomie Momente lang besiegt scheint und das Gehirn selbst von Bildern in eine Richtun massiert scheint, wo Kunstproduktion das einzige von Sinn ist. Der Fall daraus kann tief sein: Wie nach dem Kokain folgt dem Rausch die Depression, wenn man erwacht und das alte Gefüge einen wieder gefangen nimmt. Dabei ist das kein narzistisch-egozentrischer Hippie-Spiritualismus - der größte Feind von Kunstsinn überhaupt -, sondern erdig, hier, nicht intellektuell vielleicht, aber zumindest von einer Intuition, die zum Richtigen führt.
Erste Motive zeigen sich: Der verzweifelt derlierende Mann, der von einer Frau durch körperliche Nähe körperlich desintegriert wird. Blickachsen des Kameraauges, die die Frau als Ikone stilisieren, als, etwa, die übermächtige, liebende prä-ödipale Mutter, deren Bedeutung Gilles Deleuze betont hat. Die Aufspaltung der Figur. In Vater und Sohn, Lehrer und Lehrender (in einem der packendsten Momente: Der kochende Mönch, mit Bart, und sein Schüler, ohne Bart, beide von Bene gespielt, meist im Gegenschussverfahren aufgelöst, dann aber oft sogar im statischen Bild: Der Theaterbart wird heruntergerissen, um die Rolle zu wechseln). Wieder dieser Solipsismus in den Worten. Pferde und Essen, das in den Mund geführt wird, dort aber nicht bleibt. Immer die Nähe zum Slapstick und auch weiterhin das Verweilen in der Mitte einer Handlung.
Hie und da wirkt Bene wie eine Karikatur von Belmondo im Pierrotfilm.
Capricci (Italien 1969)
Das rote Telefon klingelt, wir sind bei Künstlern, die Dinge bemalen und sie ihn Rahmen setzen, als körperliches Stillleben. Fast schon Warhol-haft ist hier überall Hammer und Sichel auch auf Leinwänden zu sehen, es kommt zum Streit, der nur dazu dient, diese ganze Kunst zu zerstören. Hinfort damit. Bene hasste Week-End von Godard, er hasste das ganze versonnene Erstarren vor den Verführungen sozialistischer Ästhetik. Mehr noch als Nostra Signora ist dies ein Schuss aus der Hüfte in Richtung Frankreich.
Ein Schrottplatz mit Autos drauf. Ineinander verkeilt, immer wieder Karambolagen. Bene mitten drin als taumelnder Künstler, der Frauen anfährt, sie grotesk zu retten versucht. Auch hier die Nähe zu Belmondo-Figuren. Schöne Frauen in schönen Kleidungen, wie man sie auch aus Godards Filmen kennt. Gegen das Sonnenlicht geschossen, ein Irrealis im Bild. Am Ende die großen Explosionen, gestellte Todesszenen - wir liegen noch nich richtig, die Musik gehorcht, verstummt - und lauter Jugendliche in Gangsterposen rennen plötzlich über den Platz und sie schießen weiß Gott allein auf wen und wohin, im Schlepptau haben sie junge Frauen, sie haben Filme von Godard gesehen (und Godard wiederum hat amerikanische Filme gesehen) und sie rennen sie nun rum, Kopien ohne Saft und Kraft, und steigen in verbrannte Autos, die hinfort fahren, lächerlich. Harter Schnitt auf bemannte Pferde, es ist nacht, Großaufnahmen, alles viel zu nah, es ist grotesk, es ist lächerlich, es ist großartig, Rot, immer wieder alles rot, Abspann über dem Bild.
Dazwischen so viel mehr. Eifersuchtsgeschichten. Rezitationen aus Roland Barthes Texten, aus dem Off, während aufgetischt wird. Mahlzeiten aus Elle. Fahren wie nach London. Groteske Selbstbildnisse. Hier werden die Lenins und Stalins von morgen geboren. Der Polizist scheitert vor dem grotesken Transvestiten, in dem der Vater zur Mutter wurde, seine Rache schon fast, der Polizist erlebt den Regress fast körperlich schon nach. Zum Vater wird ihm ein überdimensionales Selbstbildnis des Künstlers, er kann es nicht tragen, die Tränen, Zusammenbruch, wie unter dem Kreuze fast, Infantiltität.
Ich beginne, die Filme zu verwechseln. Sie scheinen ineinander zu fließen.
Und dann immer wieder das Rot. Das große Gesicht des Pferdes am Ende. Ein Film voller Gewalt und Größenwahn. Rausch.
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