Ab 08. September im Kino.

Er sieht nicht unbedingt blendend aus, aber das, was er hat, weiß er einzusetzen. Seine pazifikblauen Augen etwa, die sanfte, aber zwingende Stimme, seine gewandte Ausdrucksweise. Er ist vielleicht nicht perfekt rasiert, aber doch so, dass man darin charmantes Understatement erkennt. Er ist höflich, zuvorkommend, gewitzt, aber keineswegs aufdringlich, er bleibt auf reservierter Distanz, und ist dann wiederum selbstbewusst und vorpreschend. Sein Auftreten gegenüber Frauen mag ein wenig altmodisch wirken, doch könnte man darin fast schon wieder ein Stück wiederentdeckter Galanz ausmachen. Kurzum: Der Mann hat Charisma bis auf die Knochen, und zwar von jener Sorte, bei der man sich nie ganz sicher sein kann, ob sie nicht doch einen ganz und gar anderen, halbseidenen Charakter verbirgt, den er immerhin schon in seinem Namen mehr schlecht als recht versteckt hält: Jackson Rippner. Gespielt wird er von Cillian Murphy, den man in 28 Days Later als Sympathieträger durch die menschenleeren Straßen Londons irren und kürzlich auch in Christopher Nolans hervorragendem Reset des Batman-Franchise als fürchterlich madigen Bösewicht Scarecrow agieren sah. In Wes Cravens Red Eye wirft er nun erneut sein ganzes Talent in die Waagschale und zieht nicht nur das Publikum, sondern auch Lisa Reisert (Rachel McAdams) in seinen Bann.

Die wiederum besetzt im Servicebereich einer renommierten Hotelkette eine hochrangige Position und fliegt deshalb oft genug, für die kleineren Angestellten in der Lobby aber stets mobil erreichbar, kreuz und quer durch die Staaten. Ihr Machtwort übers Handy macht zuvor aussichtlose Umbuchungswünsche mit einem Male möglich, zur Not wird auch das persönliche Login übers Telefon kommuniziert – der Kunde ist schließlich König. Jackson Rippner begegnet sie an einem dieser Abende, an denen der Stress mal wieder kein Ende nimmt und das Flugzeug auch noch Verspätung hat. Er steht in der Gruppe echauffierter Reisender hinter ihr, man kommt ins Gespräch, trinkt etwas zusammen, wagt den kurzen Flirt und findet sich schließlich im Flugzeug auch noch auf benachbarten Plätzen wieder. Beim rumpelnden Abflug lenkt er noch charmant von jeder aufwallenden Flugangst ab, nur um sich dann – kaum dürfen die Gurte wieder geöffnet werden – unter voller Beibehaltung der charismatischen Jovialität als verschlagener Gegner in einem abgekarteten Spiel zu erkennen zu geben. Er verlange ja gar nicht viel von ihr, gibt er ihr rasch und einnehmend zu erkennen, nur ein bisschen Mitarbeit. Ein einzelner Anruf in jenem Hotel, wo heute Nacht ein hochrangiger Minister untergebracht ist, genüge schon. Eine außerplanmäßige Umbuchung des Politikers in ein anderes Appartement, in dem sich ein gezieltes Attentat ein wenig leichter bewerkstelligen ließe, mehr sei es ja gar nicht. Dann, so Rippner weiter, würde ihrem Vater, der sich gerade frisch pensioniert in ihrem Zuhause vor dem Fernseher trollt, auch kein Haar gekrümmt. Über den Wolken nimmt der Psychokrieg auf beengtestem Raume seinen Lauf...

Nach 5 Jahren Pause ist Red Eye neben dem peinlichen Werwolf-Reinfall Cursed bereits der zweite Craven-Film in diesem Jahr, und im Vergleich macht er viel wett. Zwar zeichnet sich Red Eye nach all den postmodernen Meta-Spielereien, anhand derer Craven den Horrorfilm der 90er definierte, durch vollkommene Abwesenheit solcher selbstreflexiver Zaubertricks aus; dafür bietet er aber eine hübsch konstruierte und angenehm straight runtergespulte Genre-Story, die sich allerdings im Vorfeld etwas verheißungsvoller anhört, als ihre Konkretisierung es letzten Endes erfüllt. Aber ein Craven ist eben kein Hitchcock, der aus diesem Stoff eine exakt ausgezirkelte Studie in Sachen Suspense entwickelt hätte.

Craven hingegen zieht es, getreu seiner Werktradition, vor, den Zuschauer direkt zu affizieren: Weg vom Drehbuch-Gimmick, hin zum gezielten Einsatz von Filmtechnik und der Suggestivkraft der exzellent spielenden und aufeinander abgestimmten Darsteller. Er versteht es, an pointierten Stellen durch exakten Kamera- und Soundeinsatz beispielsweise die immer schon latent bedrohliche Atmosphäre eines Flugzeugstarts adäquat in Film zu übersetzen; die beengten Verhältnisse des Passagierraums - Hauptspielort des Geschehens - werden durch schlängelnde Kamerafahrten über und zwischen den Sitzreihen vermittelt, ein kleiner Höhepunkt der Raum-Inszenierung ist schließlich die kämpferische Auseinandersetzung zwischen Jackson und Lisa in der schmalen Toilettenkabine. Und dann eben Cillian Murphys umschmeichelnde Stimme, für die alleine man den Film unbedingt in einem ordentlich ausgestattetem Kino und in der originalsprachlichen Fassung sehen sollte. In seinem Umgang mit dem Material erweist sich Craven hier als Meister der filmischen Ökonomie, der sich in angenehm unaufgeregter Weise zurückzunehmen weiß und keine prahlerische Smartness, wie sie im Genrekino spätestens seit The Usual Suspects leider zum Standard wurde, sondern gutes altes Genre-Handwerk vorlegt (und wie es die Generation der Werbefilmemacher, die heute an die Fleischtöpfe der Produktionsfonds vorgerufen wird, wohl niemals zustande bringen wird).

Dass sich die Story späterhin wieder umbiegt zu einem Katz-und-Maus-Spiel nach üblicher Manier, dessen Finale entfernt an jenes des ersten Nightmare-Films erinnert, ist vielleicht nur konsequent. Craven ist kein Hitchcock und Red Eye kein großartiges Meisterwerk, dies nun ganz sicher nicht. Lediglich sorgfältig austariertes Genrekino fernab affektierter Artisterie, im besten altmodischen Sinne. Und das immerhin ist schon einiges.

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