» ...
Neben dem Horrorfilm ist der Pornofilm vielleicht das Transportmittel schlechthin für groteske, befremdliche, Wahrheiten auf den Kopf stellende Bilder. Long Jeanne Silver, beispielsweise, ist amputee porn. Das ist genau das, nach was es klingt: Sexszenen mit Menschen, denen Gliedmaßen fehlen, bzw. fehlt der Hauptdarstellerin die linke Wade; unter dem Knie verjüngt sich das Bein schnell zum Stummel. In einer Szene findet diese anatomische Besonderheit nun explizit Verwendung: Mit Gleitcreme eingerieben, wird der Stummel einem willigen jungen Mann anal eingeführt, der darob auch schnell in sexuelle Verzückung gerät. Alles in full detail eingefangen, versteht sich. Ich kann nicht behaupten, dass ich es dem Penetrierten bei diesem Anblick gleich tue; aber es liegt ein seltsam-flirrendes, im besten Sinne perverses Glück in solcher Bildproduktion (das sich beispielsweise auch den Liebesszenen in Jörg Buttgereits einschlägigem Nekromantik entnehmen lässt). Da scheint mehr als bloße Exploitation des Grellen im Spiel. Man spürt ein fernes Beben der Archaik, die die Bildkultur vielleicht einmal besessen haben mag (und die auch noch, wenngleich in zweiter Ordnung, aus Bestrebungen, solche Bilder zu inkriminieren und zu verbieten, schwingt).
° ° °
kommentare dazu:
evas,
Mittwoch, 4. Januar 2006, 09:51
Danke für die Infos zum Film. Aber ich würde solche Bilder nicht unbedingt als "archaisch" bezeichnen. Sie wollen vielleicht den Eindruck erwecken, als würden sie dem Zuschauer ein Stück seiner verlorenen "Natürlichkeit" zurückgeben. In der Tat befriedigen sie aber recht "zivilisierte" Bedürfnisse, denen - vielleicht in einer etwas abgemilderten Form - auch andere Pornos entgegenkommen. (Buttgereit klamme ich erstmal aus, da seine Bilder für mich wiederum etwas ganz anderes suggerieren und nicht mir Pornos gleichzusetzen sind.)
thgroh,
Mittwoch, 4. Januar 2006, 11:25
"Archaisch" würde ich den Bildinhalt als solchen auch nicht bezeichnen wollen (und ich habe das ja auch sehr vorsichtig formuliert); mir ging es eher um das "Archaische" im Umgang mit Bildern - Bildern mögen in ferner Vergangenheit eine gewisse "magische" Funktion gehabt haben, auch in dem Sinne wie sie gewirkt und rezipiert wurden. Davon ist unsere heutige Bildkultur natürlich weit entfernt (und ich will auch sagen: zum Glück). Aber in solchen Momenten wie den Beschriebenen scheint mir eben eine entfernte Ahnung dessen durchzuschimmern (ohne dabei eben dem, was hier ohnehin Spekulation ist, zu entsprechen).
Mit Pornos würde ich Buttgereits Film ästhetisch, motivisch und inhaltlich natürlich auch nicht gleichsetzen, mir ging es da wirklich nur zunächst um dieses "flirrend-entrückende".
Mit Pornos würde ich Buttgereits Film ästhetisch, motivisch und inhaltlich natürlich auch nicht gleichsetzen, mir ging es da wirklich nur zunächst um dieses "flirrend-entrückende".
catya,
Mittwoch, 4. Januar 2006, 12:08
Aber wo ist dann, deiner Meinung nach, der Unterschied zwischen der Rezeption dieser Bilder und z. B. fulminanter Actionszenen in Blockbustern (was unserer Kultur ja sehr vertraut ist)? Ist das Gefühl, das einen dabei überkommt, denn weniger "archaisch"?
PS: Ich habe es jetzt mit einem anderen Username versucht. :)
PS: Ich habe es jetzt mit einem anderen Username versucht. :)
thgroh,
Mittwoch, 4. Januar 2006, 12:42
Der Umgang mit den Blockbuster-Bildern ist in einer gewissen Weise rationalisiert; das Bild selbst ist - bei aller Wuchtigkeit und somatischen Effizienz - soweit domestiziert in dem Sinne, dass es relativ leichter Hand "handlebar" ist. Man kann sich im vollen Bewusstsein erschrecken lassen oder es bewundern, es bleibt aber bei diesem recht souveränen Umgang. Es herrscht eine gewisse "Unverbindlichkeit" des Bildes und der Bildkultur, aus dem es hervorgegangen ist, vor.
Ein solches "archaisches" Bild ist aber erst einmal "da" und lässt sich, auch als Erfahrung, nicht so ohne weiteres einsortieren und verbuchen. Ein "haunting image" sozusagen.
(aber wie gesagt, das ist jetzt alles natürlich keine Ansicht, die aus einer dezidiert theoretischen Reflexion entstanden ist, sondern selbst eben ein spontaner Eindruck, dessen - zugestandenermaßen faszinierte - Ratlosigkeit vielleicht selbst ein Symptom für das ist, was ich meine, und mit dem Begriff des (immer apostrophiert zu verstehenden) "Archaischen" nicht recht zu fassen kriege)
Ein solches "archaisches" Bild ist aber erst einmal "da" und lässt sich, auch als Erfahrung, nicht so ohne weiteres einsortieren und verbuchen. Ein "haunting image" sozusagen.
(aber wie gesagt, das ist jetzt alles natürlich keine Ansicht, die aus einer dezidiert theoretischen Reflexion entstanden ist, sondern selbst eben ein spontaner Eindruck, dessen - zugestandenermaßen faszinierte - Ratlosigkeit vielleicht selbst ein Symptom für das ist, was ich meine, und mit dem Begriff des (immer apostrophiert zu verstehenden) "Archaischen" nicht recht zu fassen kriege)
catya,
Mittwoch, 4. Januar 2006, 17:02
Danke für die Antwort! Ich interessiere mich im Moment nämlich ganz allgemein für die Wirkung und Rezeption der extremen Bildinhalte. Deshalb habe ich auch so nachgehackt. :-)
...bereits 1467 x gelesen