14.05.2003, Filmkunsthaus Babylon

Adaption des gleichnamigen, über die tschechischen Landesgrenzen hinaus kaum bekannten Märchens mit Witz: Verlegt in unsere Neuzeit, entblättert sich nicht nur die Erzählung des Märchens, nein, ein den Verlauf des Geschehens beobachtendes Mädchen wird sich dessen gewahr - es kennt das Märchen aus dem Buch! - und versucht das drohende Ende zu verhindern. Dass das nicht klappt, ist schon allein Svankmajers Vorliebe für die Verquickung des Organischen mit dem Mechanischen geschuldet: Das Organische wird gleichsam mechanisch, das Fleischliche ist stets im fremdbestimmten Fluss, der Vorgang gleich welcher Art ist nur als automatisiert verstehbar.

Ein kinderloses Paar wünscht sich nichts mehr als Nachwuchs, durchlebt, aufgrund des Ausbleibens desselben, eine neurotisch durchtränkte Alltagshöllenwelt und fetischisiert schlußendlich ein Stück Wurzelholz - es erinnert entfernt an einen Säugling, sehr offensichtlich aber an die Skulpturen David Lynchs. Nach 9 Monaten schließlich kommt das Kind auch noch zur Welt: Das Holz, es schreit, entwickelt Leben, vor allem aber: Hunger. Der Vater hätt's niemals geglaubt, die Mutter hingegen war von der Niederkunft überzeugt. Wie nun aber das nimmersatte Wurzelstück vor den neugierigen Blicken der Nachbarn - "Den kann man ja nun keinem Menschen zeigen!" - schützen, wie den Hunger des Vielfraßs - gestatten, Otik sein Name - stillen, wie Aberdutzende Fleischzentner durch's hellhörige Treppenhaus schleusen, ohne aufzufallen? Da schief geht, was schief gehen muss, wird das "Kind" obendrein auch noch zum Menschenfresser, lässt schon mal Postboten, allzu neugierige Jugendamtbeauftragte, Hunde und auch Nachbarn verschwinden.

Das kleine Nachbarsmädchen, das die Augen vor allem in Aufklärungsbücher steckt, sich selbst als "possesiv" umschreibt und auch sonst nicht müde wird, die Verfehlungen ihrer Mitmenschen psychologisch zu analysieren, riecht den Braten schon bald, sieht endlich - endlich! - die Chance auf einen, zumindest halbwegs, gleichaltrigen Spielgefährten im Haus. Und setzt dementsprechend alle Hebel in Bewegung, den kleinen Gierschlund vor dem mittlerweile panischen Zugriff der Elten zu schützen, ihn zu bemuttern. Dafür wird dann auch schon mal - der Otesánek will schließlich auch in der Diaspora des Kartoffelkellers weiterhin gefüttert werden - der senile Lustgreis von nebenan verfüttert.

Svankmajer bleibt seiner surrealen Welt, zumindest auf der reinen Handlungsebene, treu, wenngleich eine stete Loslösung von der totalen Absurdität seiner frühen Kurzfilme, die nicht mal den Verdacht aufkeimen liessen, eine authentische Abbildung unserer Welt darzustellen, festzustellen ist. Geradezu auffällig normal ist der Blick auf's Prag der Jetztzeit über weite Strecken, die gewohnten Animationsphantastereien, die Svankmajerschen Reisen ins Surreale, die Illustrationen unterbewusster Vorgänge werden nur pointiert und dezent eingesetzt, wohingegen die altbekannte Lust an der Textur des Organischen nach wie vor herzhaft ausgelebt wird: Spiegeleier, Rühreier, Kartoffelsuppe, abgenagte Hundeskelette, Gemüsebrei, Sabber am Mundwinkel und was sonst nicht noch alles wird im Detail vorgeführt, die Konzentration unseres Blicks darauf immer wieder durch die gnadenlose Montage erzwungen. Das mag für einige gewöhnungsbedürftig sein, grenzt, in der Radikalität dieser Darstellung - trotz des Allerweltscharakters des Gezeigten, ein Spiegelei sehen wohl nicht wenige täglich -, nicht selten ans Ekelerregende. Es entsteht eine Welt des Organischen, eine Klaviatur des Ertastbaren, Schaubuch der Ursuppe, aus dem alles, auch der Mensch - wenngleich unsere Vorstellung von diesem in der Regel kaum dem Svankmajer-Brei entspricht -, entsteht. Dem steht das zeugungsunfähige, sehr unorganisch gezeichnete Paar gegenüber, deren Flüssigkeiten in der Vermengung, nun ja, bislang rein gar nichts ergaben.

Gegen Ende wird's ein wenig lang, das kann der Film kaum verbergen, zu sehr wurde da die eigene Note zu unterstreichen versucht, zu wenig ließ man sich auf's bloße Genre-Dasein - vom Märchen über's Drama hin zur schwarzen Gesellschaftssatire und dem Splatter reicht das Spektrum - ein. Da ertappt man sich dann schon dabei, dass man den Film gerne überholen, ihn doch endlich zum Abschluß bringen möchte. Das soll aber mitnichten darüber hinwegtäuschen, dass dem beinahe 90 Minuten gewitzten, phantasievollen Kinos vorangegangen waren.


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