Ein Mörder mit schwarzen Handschuhen geht um. Nicht nur, aber vor allem auch schöne Frauen zählen zu seinen Opfern. Es hat etwas mit Puppen zu tun, der Hauch von Trauma liegt in der Luft. Und ein seinerseits schwer traumatisierter Ermittler heftet sich an die Spuren, wälzt in den Archiven des Alten Europas nach kulturgeschichtlichen Spuren und findet die Lösung schließlich in einem abgebrannten Gemäuer, als es auch schon zu spät für seine neue Geliebte sein könnte ...

Das liest sich nicht neu, es ist es auch nicht. Eyes of Crystal ist ein Giallo, ein sehr spät nachgeschobener Vertreter jenes spezifisch italienischen Thrillers der 60er und 70er Jahre also, in denen psychopathologische Mörder mit einigem inszenatorischen Effekt brutale Morde begehen, während eine überforderte Polizei meist das Nachsehen hat, wohingegen der Zuschauer mit formästhetischem Liebreiz belohnt wird. Ein Genre, wen man es denn so nennen mag, das am direktesten und vielleicht auch am überzeugendsten aus der Trivial- und Schundliteratur übernommen wurde (selbst der Name, Giallo, italienisch für "gelb", war zunächst die Bezeichnung für die oft reißerisch illustrierten Romane). Das macht einiges deutlich: Der Giallo ist vor allem ein Genre für Manieristen und Handwerker, es geht um den reißerischen Effekt, mithin den Irrwitz, den vorrangig Trivialliteratur dieser Facon in ihren besten Momenten (und zumal in dieser Zeit) zeitigt.

Lange war es still gewesen um den Giallo, dessen Geburtshelfer, wie könnte es auch anders sein, Mario Bava war und den Dario Argento schließlich nach routinierten Beiträgen mit Profondo Rosso (zu deutsch "Tiefrot", man könnte diesen Titel auch als Augenzwinkern in Richtung Bava verstehen, der die Brillanz von Technicolor mit als erster in Italien derart auslotete) auf's Niveau brachte. Neben Western, Gothic-Grusel und hartem Polizeithriller war der Giallo das am meisten beackerte Feld der stark trendausgerichteten kommerziellen Filmmanufaktur Italiens. Argentos Nonhosonno, 2001 entstanden, war ein ganz ordentlicher, wenngleich nicht voll überzeugender Anschlussversuch; eher enttäuschend, da nur mäßig inspiriert, war Almost Blue aus dem Jahr 2000, der auch das ansonsten oft sehr leidensfähige und kritiklose Publikum des Fantasy Filmfest zu allenfalls verhaltenem Feedback bewog.

Und nun eben Eyes of Crystal, der, und das überrascht dann eben doch, mit einiger Routine sein künstlerisch mäßig anspruchsvolles Projekt entfaltet - und eben damit auch überzeugt. Gar nicht erst versucht wurde, den Look und das spezielle feeling der alten Gialli zu simulieren; es wäre auch ein sinnloses Unterfangen gewesen: Der Giallo lebt von seiner, gewissermaßen, historischen Naturwüchsigkeit, eine Rückbindung an vergangene Ästhetik, die sich nicht allein aus dem Stilwillen der Regisseure, sondern auch aus technik-, austattungs- und zeitgeisthistorischen Dispositiven ergab, hätte den Film von vorneherein zur bloßen Maskenrevue degradiert. Eyes of Crystal macht sich lediglich etablierte Motive und Themen des Giallo zunutze, übersetzt aber dessen Stil in ein zeitgemäßes Gewand, ohne freilich alle Tugenden - auffallend häufig erarbeitet der Film aus dem Profilmischen in sich sehr fragmentierte Kadragen, als gelte es, das verworrene Geflecht der Handlung noch in ein verworrenes Bild zu übersetzen - über Bord zu werfen.

Eyes of Crystal bietet keine kriminalistische Feinarbeit, keine sonderlich durchdachte Psychologisierung, er ist, letzten Endes, auch keine großartige Kunst; das freilich hat er mit dem klassischen Giallo gemein. Er bietet etwas Bizarrerie, einen Blick in den Abgrund allemal, dies alles im Zeichen schlicht routinierter, souveräner Handwerkskunst. Und dies immerhin macht in der Tat Freude, vor allem auch, weil das so "aus dem Takt" wirkt, so sympathisch anachronistisch, wie dennoch nicht vollkommen rückwärtsgewandt. Gutes Genre-Kino, ohne viel Sperenzchen drumherum, solide gedreht, mit Gespür für die Details, kein Kunstwollen, auch keine Portfolio-Denke sind zu bemerken; ein kleiner Glücksfall, der, so steht es zu erwarten, wohl für sich bleiben wird.

Für August ist eine deutsche DVD von Concorde Entertainment angekündigt.

imdb ~ christian keßler in drei artikeln über den giallo: 1, 2, 3


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